Huppenkothen, Walter,
Otto Thorbeck

bearbei­tet von
Dr. Hubert Seliger

Deutsch­land 1949–1956
Rechtsbeugung
Mord
Standgerichtsverfahren
Dietrich Bonhoeffer 

PDFDownload

Der Prozess gegen Walther Huppenkothen und Otto Thorbeck
Deutschland 1949–1956

1. Prozess­ge­schich­te

Das Huppen­ko­then/­Thor­beck-Verfah­ren ist eines der bedeu­tends­ten bundes­deut­schen Gerichts­ver­fah­ren gegen Angehö­ri­ge der ehema­li­gen Funkti­ons­eli­ten des „Dritten Reichs“ und war neben dem Braun­schwei­ger Remer-Prozess maßge­bend für die gesell­schaft­li­che und recht­li­che Beurtei­lung des Staats­streich­ver­suchs vom 20. Juli 1944.

Das Verfah­ren beschäf­tig­te sechs Jahre lang Gerich­te in München, Augsburg und Karls­ru­he. Die Wurzeln des Verfah­rens liegen noch in den Nürnber­ger Prozes­sen. Basie­rend auf Ermitt­lungs­er­geb­nis­sen der US-ameri­ka­ni­schen Ankla­ge­be­hör­de, wurde im Herbst 1949 Ankla­ge gegen Walter Huppen­ko­then vor dem Schwur­ge­richt des Landge­richts München I erhoben. Gegen­stand der Ankla­ge waren drei Fälle von Aussa­ge­er­pres­sung gegen die Wider­stands­kämp­fer Hans von Dohnanyi, Hans Koch und Karl Ludwig von und zu Gutten­berg sowie sechs­fa­che Beihil­fe zum Mord wegen der Betei­li­gung als Ankla­ge­ver­tre­ter der SS-Stand­ge­rich­te im KZ Sachsen­hau­sen (Hans von Dohnanyi) und im KZ Flossen­bürg (Hans Oster, Wilhelm Canaris, Dietrich Bonhoef­fer, Ludwig Gehre, Karl Sack). Am 16. Febru­ar 1951 endete das erste Verfah­ren mit einer teilwei­sen Verur­tei­lung Huppen­ko­thens. Aufgrund der Revisi­on von Staats­an­walt­schaft und Angeklag­tem entschied der BGH am 12. Febru­ar 1952 (Az. 1 StR 658/51) über den Fall. Mit Ausnah­me der Verur­tei­lung wegen Aussa­ge­er­pres­sung im Falle Gutten­bergs wurde der Urteils­spruch des Münche­ner Gerichts aufge­ho­ben und zur erneu­ten Entschei­dung an das Landge­richt München I zurück­ver­wie­sen. Huppen­ko­then hatte im ersten Münche­ner Verfah­ren erst im Laufe des Prozes­ses den ehema­li­gen SS-Richter Otto Thorbeck als Vorsit­zen­den des Stand­ge­richts in Flossen­bürg benannt, so dass Thorbeck zunächst nur als Zeuge vernom­men werden konnte. Die Staats­an­walt­schaft München erhob anschlie­ßend auch gegen Thorbeck Ankla­ge wegen Beihil­fe zum Mord in fünf Fällen. Beide Verfah­ren wurden in der Folge verbun­den, so dass am 5. Novem­ber 1952 gegen die Angeklag­ten ein Freispruch erging. Die Staats­an­walt­schaft legte Revisi­on ein, beschränk­te diese aber nachträg­lich auf die Fälle der Beihil­fe zum Mord. Erneut entschied der erste Straf­se­nat des BGH am 30. Novem­ber 1954 (1 StR 350/53). Die Freisprü­che wurden aufge­ho­ben und das Verfah­ren an das Landge­richt Augsburg verwie­sen. Dieses verur­teil­te Huppen­ko­then und Thorbeck wegen Beihil­fe zum Mord am 15. Oktober 1955 in sechs bzw. fünf Fällen zu Freiheits­stra­fen. Am 19. Juni 1956 entschied der BGH (1 StR 50/56) aufgrund der Revisi­on der Angeklag­ten abschlie­ßend über das Verfah­ren. Thorbeck wurde freige­spro­chen, Huppen­ko­then wegen Beihil­fe zum Mord in fünf Fällen verurteilt.

2. Perso­nen

a) Die Angeklagten

Walter Huppen­ko­then (19071979) war ein gerade­zu ideal­ty­pi­scher Vertre­ter der „Genera­ti­on des Unbeding­ten“ (Micha­el Wildt) und einer der hochran­gigs­ten Gesta­po-Beamten, der wegen NS-Straf­ta­ten in der Bundes­re­pu­blik angeklagt und verur­teilt werden sollte. Für den Korre­spon­den­ten der „Neuen Zeitung“ erschien er als der „aalglat­te Beamte des Gehirn­zen­trums der politi­schen Geheim­po­li­zei“, das „lehrbuch­mä­ßi­ge Beispiel natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Pseudo-Elite“. Anfang 1941 war Huppen­ko­then als Komman­deur der Sicher­heits­po­li­zei und des Sicher­heits­diensts (KdS) an der Vertrei­bung der Lubli­ner Juden betei­ligt. Im Juli 1941 wurde er als Leiter der Abtei­lung IV E (Abwehr) in das Reichs­si­cher­heits­haupt­amt (RSHA) in Berlin berufen und spiel­te im Amt IV (Gesta­po) eine zentra­le Rolle. Nach dem Atten­tat vom 20. Juli wurde er einer der zentra­len Ermitt­ler der „Sonder­kom­mis­si­on 20. Juli“ sowie Leiter der für Canaris und Oster zustän­di­gen Verneh­mungs­grup­pe. Anfang April 1945 reiste Huppen­ko­then als Anklä­ger des RSHA auf Befehl des Gesta­po-Chefs Heinrich Müller zu Stand­ge­richts­ver­fah­ren in die Konzen­tra­ti­ons­la­ger Sachsen­hau­sen und Flossen­bürg. Zusam­men mit dem Gesta­po-Justi­zi­ar Werner Best war Huppen­ko­then nach Kriegs­en­de einer der zentra­len „Gutach­ter“ der Vertei­di­gung der Gesta­po im Nürnber­ger Haupt­kriegs­ver­bre­cher­pro­zess. Wohl auf Vermitt­lung des Kamera­den­netz­werks um Best erhielt Huppen­ko­then in der Bundes­re­pu­blik eine Anstel­lung als Wirtschafts­ju­rist bei der Firma von Hugo Stinnes jr. in Mühlheim (Ruhr).

Otto Thorbeck (1912–1976) hatte erst nach Kriegs­be­ginn das Große Staats­examen abgelegt und war seit 1940 bei der SS- und Polizei­ge­richts­bar­keit, u.a. als Korps­rich­ter beim VI. Armee­korps der Waffen-SS in Kurland, einge­setzt. Im Januar 1945 wurde er Chefrich­ter beim SS- und Polizei­ge­richt München und in Perso­nal­uni­on „Inspek­ti­ons­rich­ter Süd“, d.h. dienst­auf­sichts­füh­ren­der Richter für die SS- und Polizei­ge­rich­te in München, Nürnberg, Salzburg und Laibach. Im April 1945 wurde er vom Haupt­amt SS-Gericht in Prien als Vorsit­zen­der für das Stand­ge­richt in Flossen­bürg entsandt. 1950 erhielt er seine Zulas­sung als Rechts­an­walt in Stein bei Nürnberg. Thorbeck erschien dem Korre­spon­den­ten der „Neuen Zeitung“ als die „Akten­be­ar­bei­tungs­ma­schi­ne, die willfäh­rig die Befeh­le von oben befolg­te“, ein „Bürokrat, dessen Denken offen­bar gerade bis zur Grenze der jewei­li­gen Dienst­an­wei­sung reichte“.

b) Vertre­ter der Ankla­ge und Nebenklage

Die Ankla­ge in München und Augsburg wurde vertre­ten von dem 1938 der NSDAP beigetre­te­nen Wilhelm Hölper (1908–1967). Im Krieg wurde Asses­sor Hölper als Oberzahl­meis­ter zur Wehrmacht einge­zo­gen und erhielt nach Kriegs­en­de eine Stelle bei der Staats­an­walt­schaft München I. Er erwarb sich bald den Ruf, selbst gegen­über versier­ten Straf­ver­tei­di­gern als schlag­fer­ti­ger und überle­ge­ner Gegen­spie­ler aufzu­tre­ten. Hölper war daher in diver­sen politisch heiklen Münche­ner Straf­ver­fah­ren Vertre­ter der Staats­an­walt­schaft, so im umstrit­te­nen Verfah­ren gegen den jüdisch-stämmi­gen bayeri­schen Staats­kom­mis­sar für rassisch, religi­ös und politisch Verfolg­te Philipp Auerbach. Im Herbst 1957 wechsel­te Hölper als Richter an das Landge­richt München I.

Im Augsbur­ger Verfah­ren gegen Huppen­ko­then trat die Witwe des Wider­stands­kämp­fers Hans Oster als Neben­klä­ge­rin auf. Sie wurde vertre­ten von dem bekann­ten Augsbur­ger Rechts­an­walt Franz Reisert (1889–1965). Obwohl beken­nen­der Monar­chist und dem Milieu der Wehrver­bän­de naheste­hend, hatte Reisert im „Dritten Reich“ Verfolg­te des Nazi-Regimes als Straf­ver­tei­di­ger erfolg­reich vertre­ten und war selbst Mitglied des „Sperr-Kreises“, einer konser­va­ti­ven bayeri­schen Wider­stands­grup­pe mit engen Verbin­dun­gen zum „Kreis­au­er Kreis“. Wegen seiner Vertei­di­gung des SS-Offiziers Gottschalk im Prozess wegen Stand­ge­richts­ur­tei­len in dem fränki­schen Dorf Brett­heim sah sich Reisert in den späten 1950er Jahren schwe­rer Kritik ausgesetzt.

c) Vertei­di­ger

Vertei­di­ger Huppen­ko­thens im ersten Münche­ner Prozess war der 1937 der NSDAP beigetre­te­ne Rechts­an­walt Karl Hoffmann (1908–1978). Seit 1941 war er als Sanitä­ter im Militär­dienst und soll aus unbekann­ten Gründen 1941 aus der NSDAP ausge­tre­ten sein. Als seine Kanzlei­kol­le­gen im Frühjahr 1946 mit der Vertei­di­gung der SS im Nürnber­ger Haupt­kriegs­ver­bre­cher­pro­zess beauf­tragt wurden, übernahm Hoffmann als Pflicht­ver­tei­di­ger mehre­re Manda­te. Später ließ er sich als Rechts­an­walt in Nürnberg nieder. Im erwähn­ten Brett­heim-Prozess sollte er die Neben­kla­ge vertreten.

Im Mai 1952 wurde Hoffmann von dem Münche­ner Anwalt Alfred Seidl (1911–1993) ersetzt. Huppen­ko­then kannte Seidl (wie auch schon Hoffmann) aus den Nürnber­ger Prozes­sen. Während des Kriegs war Seidl als Schrei­ber einer Münche­ner Sanitäts­ein­heit tätig, arbei­te­te aber weiter­hin als Rechts­an­walt. Seidl war 1933 der SA beigetre­ten und gehör­te vermut­lich schon zuvor einem „Jungsturm“ der NSDAP an. 1937 trat er der NSDAP bei. Mit seinem offen natio­na­lis­ti­schen Auftre­ten als Anwalt von Hans Frank und Rudolf Heß hatte sich Seidl ein eindeu­ti­ges Profil erwor­ben und galt fortan als „enfant terri­ble“ der Nürnber­ger Prozes­se. Er war in den 1950er Jahren ein gefrag­ter Straf­ver­tei­di­ger in der bayeri­schen Landes­haupt­stadt. Als CSU-Politi­ker trat Seidl mit natio­na­lis­ti­schen Positio­nen hervor und war als Staats­se­kre­tär im bayeri­schen Justiz­mi­nis­te­ri­um und als bayeri­scher Innen­mi­nis­ter aufgrund seiner radika­len „Law-and- Order“-Politik hochum­strit­ten. Nach seinem Tod wurde bekannt, dass er dem rechts­ex­tre­mis­ti­schen Verle­ger Gerhard Frey als Rechts­be­ra­ter gedient hatte.

Die Vertei­di­gung von Otto Thorbeck übernahm der bekann­te Münche­ner Rechts­an­walt Franz Moser (geb. 1904). Moser war noch in der Weima­rer Republik als Anwalt in München zugelas­sen worden. 1938 trat er der NSDAP als Anwär­ter bei. Der als CSU-nah bekann­te Moser avancier­te nach Kriegs­en­de zu einem der bekann­tes­ten Straf­ver­tei­di­ger Münchens und wurde als Vertei­di­ger von Vera Brühne und des „Durch­hal­te­ge­ne­rals“ Ferdi­nand Schör­ner weit über die Grenzen Bayerns hinaus bekannt.

d) Die Richter

Über den Vorsit­zen­den Richter im ersten Verfah­ren vor dem Landge­richt München I, Hans Acker­mann (geb. 1908), ist nur wenig bekannt. Er war 1936 zum Richter am Amtsge­richt München ernannt worden und wechsel­te nach dem Krieg an das Landge­richt München I. 1957 wurde er Richter am Bayeri­schen Verwal­tungs­ge­richts­hof. Inter­es­se verdient beson­ders der Beisit­zer und Bericht­erstat­ter in diesem Verfah­ren, der seit 1934 der NSDAP angehö­ren­de Josef Mulzer (geb. 1898). Er wechsel­te 1935 aus dem bayeri­schen Justiz­dienst in die Heeres­jus­tiz und diente seit Beginn des Russland­feld­zugs als Rechts­be­ra­ter des Oberbe­fehls­ha­bers der 17. Armee. Ab 1944 übernahm er bis Kriegs­en­de die Funkti­on des dienst­auf­sichts­füh­ren­den Richters der Kriegs­ge­rich­te in München und Augsburg. 1948 wurde er zum Richter am Landge­richt München I ernannt. Wegen seiner Vergan­gen­heit im „Dritten Reich“ geriet Mulzer als Vorsit­zen­der Richter im Verfah­ren gegen Philipp Auerbach in die Kritik, worauf­hin auch seine Betei­li­gung am Huppen­ko­then-Verfah­ren publik wurde. Er verblieb dennoch bis zu seiner Pensio­nie­rung 1963 als Straf­rich­ter am Landgericht.

Vorsit­zen­der Richter im zweiten Verfah­ren vor dem Landge­richt München war Josef Mattmer (geb. 1909), der 1933 der SA und 1937 der NSDAP beigetre­ten war. Zunächst Asses­sor beim Reichs­kom­mis­sar für die Behand­lung feind­li­chen Vermö­gens, leiste­te er seit 1942 Kriegs­dienst als Unter­of­fi­zier bei der Gebirgs­trup­pe. 1947 erhielt er seine Zulas­sung als Richter am Landge­richt München I. 1956 erfolg­te der Wechsel als Leiter der Justiz­pres­se­stel­le in das Bayeri­sche Justizministerium.

Vorsit­zen­der Richter im Augsbur­ger Verfah­ren war Johann Hegele (geb. 1900). Dieser hatte seine Karrie­re als Richter am Amtsge­richt Augsburg begon­nen, war 1934 bis 1937 Erster Staats­an­walt bei der Staats­an­walt­schaft Augsburg und von 1937 bis zum Kriegs­en­de Richter am Landge­richt Augsburg. Hegele wurde 1933 „fördern­des Mitglied“ der SS und Beisit­zer des Gaueh­ren­ge­richts des Natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Rechts­wah­rer­bun­des, hatte sich aber laut einer Beurtei­lung aus dieser Zeit politisch nicht weiter betätigt. 1937 trat er der NSDAP bei und wurde 1942 zum Stell­ver­tre­ter eines Beisit­zers beim Sonder­ge­richt München berufen. Von 1947 bis 1952 und wieder seit 1956 arbei­te­te der als „Mitläu­fer“ entna­zi­fi­zier­te Hegele als Rechts­rat bei der Stadt Augsburg. 1952 kehrte Hegele für vier Jahre als Vorsit­zen­der Richter an das Landge­richt Augsburg zurück. Einer der beisit­zen­den Richter im Augsbur­ger Verfah­ren war Fritz Wiesen­thal (1920–1977). Als „Halbju­de“ galt er im „Dritten Reich“ als „wehrun­wür­dig“. 1951 wurde er Richter am Landge­richt Augsburg. Von 1962 bis 1972 war er Landrat des Landkrei­ses Augsburg.

Zu Beginn der 1950er Jahre stand der u.a. für die Oberlan­des­ge­rich­te München und Nürnberg zustän­di­ge Erste Senat des BGH unter Vorsitz des nicht der NSDAP angehö­ren­den, schon in der Weima­rer Republik als Minis­te­ri­al­rat im Reichs­jus­tiz­mi­nis­te­ri­um angestell­ten Hans Richter (1885–1954). 1936 wurde er Leiter der Abtei­lung V der Reichs­an­walt­schaft in Leipzig. Nach Kriegs­en­de zunächst im hessi­schen Justiz­mi­nis­te­ri­um tätig, wurde er 1950 an den neu geschaf­fe­nen BGH berufen. Mit Ausnah­me des noch näher zu beleuch­ten­den Ernst Mantel hatten die weite­ren Beisit­zer Roderich Glanz­mann (1904–1988), Fried­rich Wilhelm Geier (1903–1965) und Heinrich Jagusch (1908–1987) zuvor keine hochran­gi­gen Positio­nen in der NS-Justiz einge­nom­men. Als Richter des Obers­ten Gerichts­ho­fes der briti­schen Zone waren sie geprägt von der Debat­te um das Kontroll­rats­ge­setz Nr. 10, dessen Anwend­bar­keit Gustav Radbruch mit seiner natur­recht­lich begrün­de­ten „Radbruch­schen Formel“ als zuläs­sig erach­tet hatte. Die umstrit­tens­te Perso­na­lie des Ersten Senats war ohne Zweifel Ernst Mantel (1897–1971). 1933 war er einer der ersten Richter des neu geschaf­fe­nen Sonder­ge­richts München und seit 1934 Unter­su­chungs­rich­ter beim Volks­ge­richts­hof. 1937 wechsel­te der späte­re General­rich­ter in die Rechts­ab­tei­lung des Oberkom­man­dos des Heeres. Seit 1949 war Mantel Leiter der Staats­an­walt­schaft Kempten, kurz darauf Leiter der Staats­an­walt­schaft beim Landge­richt Nürnberg-Fürth, wo Mantel u.a. eines der ersten bundes­deut­schen Verfah­ren wegen der Betei­li­gung von Wehrmacht­an­ge­hö­ri­gen an Erschie­ßun­gen durch Einsatz­grup­pen der Sicher­heits­po­li­zei und des SD einstel­len ließ. Trotz seiner Vergan­gen­heit wurde er nicht zuletzt mangels formel­ler NSDAP-Mitglied­schaft 1950 zum Bundes­rich­ter ernannt.

1956 hatte sich das Gesicht des ersten Senats erheb­lich gewan­delt, fast alle nunmeh­ri­gen Mitglie­der hatten Karrie­ren im „Dritten Reich“ gemacht. Ledig­lich Mantel war aus der ursprüng­li­chen Beset­zung im Senat verblie­ben. Vorsit­zen­der war nun Max Hörch­ner (1899–1957), ehema­li­ges NSDAP-Mitglied und seit 1939 Oberstaats­an­walt am Reichs­ge­richt. Beisit­zer waren der frühe­re Bundes­an­walt (und späte­re General­bun­des­an­walt) Ludwig Martin (1909–2010), nie NSDAP-Mitglied, und als Bundes­an­walt ein konse­quen­ter Anklä­ger von Kriegs­ver­bre­chern, Ludwig Peetz (1893–1972), im „Dritten Reich“ Richter am OLG Zweibrü­cken, und Engel­bert Hübner (1902–1985), der aber aufgrund Beurlau­bung an der Unter­zeich­nung des Urteils von 1956 nicht mitwirkte.

3. Strate­gien der Ankla­ge und Nebenklage

Die Ankla­ge versuch­te mit zahlrei­chen Zeugen zu belegen, dass Huppen­ko­then Kennt­nis von den Gescheh­nis­sen im Gesta­po-Gefäng­nis in Berlin gehabt hatte und die Stand­ge­richts­ur­tei­le ledig­lich Schein­ver­fah­ren gewesen waren. Promi­nen­te Zeugen wie der erste Vorsit­zen­de der CSU und katho­li­sche Wider­stands­kämp­fer Josef „Ochsen­sepp“ Müller oder Rechts­an­walt Fabian von Schlab­ren­dorff, der seit den späten dreißi­ger Jahren dem Wider­stand um Hans Oster angehört hatte und an einem geschei­ter­ten Bomben­at­ten­tat auf Hitler betei­ligt gewesen war, berich­te­ten von Misshand­lun­gen und Folte­run­gen, welche die Presse, durch­aus mit Sensa­ti­ons­lust (und Voyeu­ris­mus), breit dokumentierte.

Der wichtigs­te Zeuge der Ankla­ge für das Stand­ge­richts­ver­fah­ren in Flossen­bürg war der erst 1955 ausfin­dig gemach­te Stand­ort­arzt der SS im KZ Flossen­bürg, Hermann Fischer. Obwohl seine Aussa­gen nicht ohne Gedächt­nis­lü­cken waren, konnte er sich noch gut an Huppen­ko­then erinnern. Fischer bestä­tig­te im Augsbur­ger Verfah­ren, dass Huppen­ko­then bei den Hinrich­tun­gen, denen Fischer in seiner Funkti­on als Stand­ort­arzt beiwohn­te, zugegen gewesen war. Fischers Aussa­ge trug wesent­lich zur Verur­tei­lung Huppen­ko­thens bei. Wenige Wochen nach dem Augsbur­ger Prozess sollte Fischer, vertei­digt von Alfred Seidl, durch das Landge­richt Weiden wegen der Ermor­dung von Kranken wegen Beihil­fe zum Mord in zahlrei­chen Fällen zu drei Jahren Haft verur­teilt werden.

In seinen Plädoy­ers stell­te Staats­an­walt Hölper heraus, dass Folte­run­gen, Fesse­lun­gen und Ernied­ri­gun­gen im Gesta­po-Haupt­quar­tier an der Tages­ord­nung gewesen waren, was Huppen­ko­then bekannt gewesen sei. Wenn sich Huppen­ko­then als „kleiner Mann“ darstel­le, der zu allem „ein Formu­lar ausfül­len“ musste, so sei dies Arroganz und eine Unver­schämt­heit, die man nur als bewuss­te Lüge bezeich­nen könne. Die Teilnah­me an den Stand­ge­rich­ten in Flossen­bürg und Sachsen­hau­sen sei sowohl bei Thorbeck wie auch bei Huppen­ko­then als Beihil­fe zum Mord zu bewer­ten. Die Vollstre­ckung der Urtei­le beruhe auf einem Liqui­da­ti­ons­be­fehl Hitlers. Es habe sich nicht um ein ordnungs­ge­mä­ßes Stand­ge­richts­ver­fah­ren gehan­delt, sondern ledig­lich um den Versuch, der Ermor­dung „ein Mäntel­chen umzuhän­gen“: „Die Männer von Flossen­bürg wurden in ihrem Handeln nur durch die Liebe zu Deutsch­land gelei­tet und fielen für ihr Land, nicht aber für Hitler. Diese Männer verrie­ten nicht das deutsche Volk, sondern ledig­lich den sogenann­ten Führer“. Mit der Ausfüh­rung des Mordbe­fehls Hitlers hätten die Angeklag­ten schwe­re Schuld auf sich geladen. In einem zivili­sier­ten Staat müsse – und damit wandte sich Hölper gegen die Rufe nach einer General­am­nes­tie in den frühen 1950er Jahren – vergan­ge­nes Unrecht gesühnt werden.

Die Neben­kla­ge im Augsbur­ger Prozess hatte das geschichts­po­li­ti­sche Ziel, den Wider­stand gegen das NS-Regime als legitim und Pflicht eines jeden Staats­bür­gers juris­tisch bestä­tigt zu sehen. Die Neben­kla­ge verzich­te­te aller­dings auf einen Straf­an­trag. Für Reisert und seine Mandan­tin genüg­te es, dass ein unabhän­gi­ges Gericht feststell­te, dass die Männer des 20. Juli 1944 beson­ders ethisch gehan­delt hatten, indem sie Wider­stand gegen ein verbre­che­ri­sches System leisteten.

4. Verteidigung/ Konzept der Verteidigung

Zeugen aus dem Umfeld der Angeklag­ten, wie auch Thorbeck und Huppen­ko­then selbst, behaup­te­ten dagegen, von der Legali­tät der Stand­ge­richts­ver­fah­ren überzeugt gewesen zu sein oder berie­fen sich auf Erinnerungslücken.

Huppen­ko­then selbst bestritt, jemals „verschärf­te Verhö­re“ angeord­net zu haben. Hinsicht­lich der Stand­ge­rich­te räumte er seine Mitwir­kung unumwun­den ein, berief sich aber auf höheren Befehl. Um eine Bestä­ti­gung der Urtei­le durch den Gerichts­herrn habe er sich nicht weiter geküm­mert. Daher bestritt Huppen­ko­then auch vehement, bei der Hinrich­tung der Wider­stands­kämp­fer zugegen gewesen zu sein, wäre dies doch gerade ein Einge­ständ­nis gewesen, dass er an der Einho­lung einer Bestä­ti­gung des Gerichts­her­ren gar nicht inter­es­siert war und das Stand­ge­richt einzig und allein auf eine Hinrich­tung der Männer des Wider­stands abzielte.

Die Vertei­di­gungs­stra­te­gie von Huppen­ko­thens Anwalt Hoffmann im ersten Prozess war vergleichs­wei­se konven­tio­nell und erinner­te stark an die Strate­gien der Pflicht­ver­tei­di­ger der angeklag­ten Organi­sa­tio­nen in den Nürnber­ger Prozes­sen. Diese Vertei­di­ger hatten, unter­stützt von einschlä­gi­gen Gutach­tern, die angeb­li­che Recht­mä­ßig­keit der vorge­wor­fe­nen Taten behaup­tet bzw. die Schuld auf bereits verstor­be­ne hochran­gi­ge NS-Funktio­nä­re oder auf Hitler selbst gescho­ben. Hoffmann berief sich auf die „objek­ti­ve“ Einstel­lung der Angeklag­ten, die das Stand­ge­richt für recht­mä­ßig gehal­ten hatten. Das Stand­ge­richt sei von der Führung befoh­len worden und Huppen­ko­then habe keinen Einfluss auf die Vollstre­ckung des Urteils nehmen können. Hinsicht­lich der Ankla­ge der Aussa­ge­er­pres­sun­gen, die nur auf Hören­sa­gen beruhe, hande­le es sich um eine Form der Kollek­tiv­schuld, wie sie zwar in Nürnberg zur Sprache gekom­men sei, diese sei aber dem deutschen Rechts­den­ken fremd. Zeugen aus dem RSHA hätten belegt, dass der Leiter der „Sonder­kom­mis­si­on“, Heinrich Müller, die Fäden in der Hand gehal­ten hätte und die Leiter der einzel­nen Verneh­mungs­gre­mi­en an dessen Weisun­gen gebun­den gewesen seien. Hoffmann beantrag­te Freispruch hinsicht­lich der Ankla­ge wegen Beihil­fe zum Mord, hinsicht­lich der anderen Taten stell­te er das Straf­maß ins Ermes­sen des Gerichts. Sein Revisi­ons­vor­brin­gen stütz­te Hoffmann in erster Linie auf die Rüge formel­len Rechts.

Mit dem Auftre­ten Seidls nahm die Vertei­di­gung eine aggres­si­ve, öffent­lich­keits­wirk­sa­me Form an, die ebenfalls an die Vertei­di­gungs­stra­te­gie radika­ler, politi­scher Anwäl­te in den Nürnber­ger Prozes­sen erinner­te. Für Seidl hatte der Prozess einen grund­sätz­li­chen Charak­ter: Der Prozess sei „schwer­wie­gend“, weil eine „morali­sche Spaltung des deutschen Volkes“ drohe. Seidl nahm Bezug auf ein Gutach­ten des Staats­recht­lers Hermann Jahrreiß vor dem Nürnber­ger Haupt­kriegs­ver­bre­cher­pro­zess. Aufgrund der damali­gen Geset­ze habe, laut Seidl, an einer Verur­tei­lung der Männer des Wider­stands kein Zweifel bestehen können, alle Ausfüh­run­gen des Staats­an­walts hinsicht­lich eines Mordbe­fehls Hitlers seien reine Speku­la­ti­on. Nicht einmal das alliier­te Militär­tri­bu­nal in Nürnberg habe behaup­tet, dass die wegen des „20. Juli“ abgehal­te­nen Verfah­ren formal rechts­wid­rig gewesen seien. In einigen Jahren werde sich niemand mehr an den Prozess gegen Philipp Auerbach erinnern, sehr wohl aber an das Verfah­ren gegen Huppenkothen.

Wie schon in den Nürnber­ger Prozes­sen sparte Seidl nicht mit bewuss­ten Provo­ka­tio­nen. So kriti­sier­te er, dass das Gericht mit zweier­lei Maß messe und die Leitung durch den Vorsit­zen­den nur auf eine Feststel­lung der Schuld Huppen­ko­thens hinaus­lau­fen könne. Hölper sprang nun dem Gericht bei und attackier­te Seidl: „Das Ansehen des deutschen Anwalt­stan­des habe durch die vergan­ge­ne Zeit offen­bar doch Schaden gelit­ten, wenn solch massi­ve Ausfüh­run­gen gegen ein Gericht möglich seien“. Dies wieder­um nutzte Seidl, um die Vertei­di­gung theatra­lisch nieder­zu­le­gen, nicht ohne darauf hinzu­wei­sen, dass er gegen die Äußerun­gen Hölpers Straf­an­zei­ge wegen übler Nachre­de und Belei­di­gung stellen werde. Wenige Tage später nahm Seidl, der sogar seinen Mandan­ten mit diesem Schritt überrascht hatte, die Vertei­di­gung wieder auf. Ähnlich provo­zier­te Seidl auch im Augsbur­ger Verfah­ren. Er stell­te einen Befan­gen­heits­an­trag gegen Richter Wiesen­thal, sei doch Seidl von verschie­de­nen Seiten berich­tet worden, dieser habe als politisch verfolg­ter „Misch­ling“ einen „fanati­schen und abgrund­tie­fen Hass gegen die Natio­nal­so­zia­lis­ten“. Eine „auf Verur­tei­lung abzie­len­de Tendenz“ sei daher zu befürch­ten. Nach einer Erklä­rung Wiesen­thals, dass er niemals als politisch Verfolg­ter im engeren Sinne durch die bundes­deut­schen Behör­den anerkannt worden sei, wurde der Befan­gen­heits­an­trag abgewie­sen. Diese Provo­ka­tio­nen hatten juris­tisch wenig Sinn und beein­druck­ten die Gerich­te nicht. Als perfor­ma­ti­ver Akt eines radika­len Natio­na­lis­ten, der eine Botschaft an ein bestimm­tes rechts­kon­ser­va­ti­ves Publi­kum sandte, zeigte Seidls Auftre­ten aber durch­aus Wirkung. Der Korre­spon­dent der „Zeit“, Prinz zu Loewen­stein, berich­te­te von dem unter­schwel­li­gen Hass der Zuschau­er, der den Zeugen aus dem Wider­stand im zweiten Münch­ner Verfah­ren entge­gen­ge­schla­gen sei. Es war bezeich­nend, dass Seidl für seine theatra­li­sche Mandats­nie­der­le­gung Beifall erhielt. Seidl betrieb damit im Gerichts­saal Politik.

Dagegen wandte sich im Herbst 1955 die Stimmung gegen Seidl. Fabian von Schlab­ren­dorff mit dem „Hilfs­werk 20. Juli“ sowie der bekann­te Opfer­an­walt Henry Ormond erwogen eine Klage gegen Seidl wegen der Diffa­mie­rung des deutschen Wider­stands im Vertei­di­ger­p­lä­doy­er. Priva­te Zuschrif­ten an das Gericht nannten Seidl einen „Geburts­hel­fer einer neuen Dolch­stoß­le­gen­de“ und kriti­sier­ten die „rüpel­haf­te Weise“ und „lenden­lah­me und labile Art des Vertei­di­gers“. Der Journa­list Helmut Hammer­stein griff Seidl im „Zeitfunk“ des Bayeri­schen Rundfunks am 12. Oktober 1956 scharf an. Seidl habe nichts weniger versucht, als die toten Wider­sa­cher eines verbre­che­ri­schen Dikta­tors postum einem neuen Gesta­po-Verfah­ren zu unter­wer­fen. Hier ende die Wahrneh­mung berech­tig­ter Inter­es­sen auf Seiten des Anwalts und die Grenze des für die Öffent­lich­keit Erträg­li­chen sei weit überschrit­ten. Das Insti­tut für Zeitge­schich­te veran­stal­te­te Ende Novem­ber 1955 wegen der Äußerun­gen Seidls ein Kollo­qui­um, auf welchem der Leiter des Insti­tuts, Helmut Kraus­nick, mit zahlrei­chen Dokumen­ten­be­le­gen Seidls Landes­ver­rats­the­se wider­leg­te. Seidl rückte aller­dings, abgese­hen von takti­schen Zugeständ­nis­sen, von seinen Ansich­ten nicht ab. Kurz vor seinem Tod gab Seidl in einem Inter­view für den Bayeri­schen Rundfunk an, dass er überzeugt sei, dass „der Admiral Canaris und der General Oster Landes­ver­rä­ter [waren], wie man sie sich schlim­mer überhaupt nicht habe vorstel­len können“.

Gegen­über diesem Auftre­ten Seidls tat Vertei­di­ger Franz Moser mit seinem Mandan­ten gut daran, sich zurück­zu­hal­ten. Zwar schloss sich Moser dem Befan­gen­heits­an­trag gegen Wiesen­thal an, vertrat aber zusam­men mit seinem Mandan­ten primär die Vertei­di­gungs­li­nie, dass Thorbeck als Richter nur seine Pflicht erfüllt habe.

Thorbeck räumte vor Gericht zwar ein, über die Art des Verfah­rens zunächst verwun­dert gewesen zu sein, habe aber auf den Hinweis Huppen­ko­thens, es handle sich um einen Führer­be­fehl, keine weite­ren Überle­gun­gen angestellt oder, wie es Thorbeck in seinem Schluss­wort auf den Punkt brach­te: „Ich war Soldat und hatte zu gehor­chen“. In seinem Urteil als Richter sei er dadurch nicht beein­träch­tigt gewesen. Von den ihm von Huppen­ko­then vorge­leg­ten Bewei­sen sei er „erschüt­tert“ gewesen und habe aufgrund der erdrü­cken­den Beweis­last nur zum Tode verur­tei­len können. Er sei davon ausge­gan­gen, dass die Weiter­lei­tung der Akten zwecks Bestä­ti­gung der Todes­ur­tei­le durch Huppen­ko­then oder den KZ-Komman­dan­ten als lokalem Befehls­ha­ber erfol­gen würde und sei aus dienst­li­chen Gründen sofort wieder abgereist.

Entspre­chend führte Moser in seinen Plädoy­ers aus, dass, wer nach damali­ger Rechts­la­ge Täter in einem geord­ne­ten Verfah­ren verur­teilt habe, hierfür nicht bestraft werden könne.

5. Urteil

Das erste Verfah­ren gegen Huppen­ko­then endete mit einer Verur­tei­lung zu einer Gesamt­stra­fe von dreiein­halb Jahren wegen Körper­ver­let­zung im Amt in Tatein­heit mit Misshand­lung eines Wehrlo­sen im Fall von Dohnanyi, im Fall Koch wegen Pflicht­ver­let­zung als Amtsvor­ge­setz­ter durch Körper­ver­let­zung im Amt in Tatein­heit mit gefähr­li­cher Körper­ver­let­zung sowie im Fall Gutten­berg wegen Aussa­ge­er­pres­sung. In Bezug auf die Ankla­ge wegen sechs­fa­cher Beihil­fe zum Mord wurde er freige­spro­chen. Laut Urteil habe das Stand­ge­richt das „gericht­li­che Gesicht“ gewahrt. Die Männer des Wider­stands hätten, so das Münch­ner Gericht, eindeu­tig den Tatbe­stand des Hoch- und Landes­ver­rats erfüllt. Hitler sei als obers­ter Gerichts­herr befugt gewesen, Stand­ge­rich­te einzu­rich­ten. Es sei dem Angeklag­ten nicht zu wider­le­gen, dass er die Verfah­ren für recht­mä­ßig gehal­ten habe.

Gegen das Urteil legten Vertei­di­gung wie Staats­an­walt­schaft Revisi­on vor dem BGH ein. Am 12. Febru­ar 1952 hob der BGH die Verur­tei­lun­gen im Fall von Dohnanyi und Koch auf Rüge der Vertei­di­gung aus forma­len Gründen auf. In der Behand­lung der Sachrü­ge sah der BGH aller­dings alle Straf­tat­be­stän­de als erfüllt an und machte deutlich, dass die Aufhe­bung der Urtei­le im Falle von Dohnanyi und Koch nur aus formel­len Gründen erfolgt sei und einer erneu­ten Verur­tei­lung nichts im Wege stünde. Scharf ging der BGH mit der Ansicht ins Gericht, dass das Stand­ge­richt das „gericht­li­che Gesicht“ gewahrt habe und erteil­te den Münche­ner Richtern eine schal­len­de Ohrfei­ge. Diese Ansicht sei rechts­ir­rig und verken­ne völlig das Wesen eines Richter­spruchs. Zwar bedeu­te die Mitwir­kung an einem Stand­ge­richt nicht per se eine krimi­nel­le Tat, dies gelte aber nicht, wenn das Gericht nur zum Schein bestün­de. Ein Schein­ge­richt läge schon dann vor, wenn zwar alle damali­gen Rechts­vor­schrif­ten formell einge­hal­ten worden seien, dies aber nur mit dem Ziel erfolg­te, die eigent­li­che Absicht zu verde­cken. Mit deutli­chen Anklän­gen an die „Radbruch­sche Formel“ stell­te der BGH heraus, dass Rechts­vor­schrif­ten auch dann Unrecht seien, wenn Wert und Würde der mensch­li­chen Persön­lich­keit grob missach­tet würden. Die Freisprü­che hinsicht­lich der Stand­ge­rich­te seien daher aufzuheben.

Doch auch das zweite Münche­ner Verfah­ren endete nach der Rückver­wei­sung mit Freispruch. Obwohl der BGH eine Verjäh­rung im Falle Koch und Dohnanyi verneint hatte, stell­te das Münche­ner Gericht die Straf­ver­fol­gung in diesen beiden Fällen ein. Thorbeck und Huppen­ko­then verlie­ßen den Gerichts­saal als freie Männer.

Die Staats­an­walt­schaft ging in Revisi­on. Den klaren, unmiss­ver­ständ­li­chen Ton des ersten Urteils ließ der BGH in seinem neuen Urteil vom 30. Novem­ber 1954 vermis­sen. Die Revisi­on war aus Sicht des BGH begrün­det, weil das Schwur­ge­richt nicht einge­hend genug geprüft habe, ob den Angeklag­te bewusst gewesen sei, dass das Todes­ur­teil ohne Bestä­ti­gung durch den Gerichts­her­ren vollstreckt worden sei.

Anders als die Münche­ner Kolle­gen sah es das Landge­richt Augsburg nach der nunmehr zweiten Rückver­wei­sung als erwie­sen an, dass die erneut in Unter­su­chungs­haft genom­me­nen Angeklag­ten Huppen­ko­then und Thorbeck in Flossen­bürg an einem Schein­ver­fah­ren mitge­wirkt hatten, und nahm mehrfach direk­ten Bezug auf die Entschei­dung des BGH vom Febru­ar 1952. Das Gericht ließ die Frage nach der formel­len Recht­mä­ßig­keit des SS-Stand­ge­richts weitge­hend offen. Es könne dahin­ge­stellt bleiben, ob Hitler ein solches Stand­ge­richt habe anord­nen dürfen. Stand­ge­rich­te seien notwen­dig, um die allge­mei­ne Sicher­heit und Ordnung der Truppe zu gewähr­leis­ten. Die Gefan­ge­nen hätten aber schon lange keine Bedro­hung mehr darge­stellt. Dieses Stand­ge­richt sei nicht zur Wahrung von Recht und Gerech­tig­keit aufge­stellt worden, sondern habe allein dem Zweck gedient, unbeque­me Häftlin­ge unter dem Schein eines gericht­li­chen Verfah­rens zu besei­ti­gen. Klares Ziel des Schein­ver­fah­rens sei es gewesen, die Wider­stands­kämp­fer in der Agonie des „Dritten Reichs“ mit in den Abgrund zu reißen. Da die Angeklag­ten die Urtei­le für richtig gehal­ten hätten, könnten sie sich auch nicht auf Befehls­not­stand berufen. Wegen Beihil­fe zu Mord verur­teil­te das Augsbur­ger Gericht Huppen­ko­then in sechs Fällen und Thorbeck in fünf Fällen zu sieben bzw. vier Jahren Haft, blieb damit aber im unteren Bereich des mögli­chen Strafrahmens.

Mit der Revisi­on der Vertei­di­gung kam das Verfah­ren zum dritten Mal vor den BGH. Am 19. Juni 1956 verzich­te­te der BGH auf eine erneu­te Rückver­wei­sung und fällte in eigener Zustän­dig­keit das abschlie­ßen­de Urteil im Huppen­ko­then-/Thor­beck-Verfah­ren. Für die Frage, ob sich Thorbeck schul­dig gemacht habe, sei nicht entschei­dend, wie sich die Ereig­nis­se vom April 1945 nach heuti­ger Erkennt­nis darstell­ten, sondern wie sich seine Aufga­be nach der Geset­zes­la­ge und den sonsti­gen Gegeben­hei­ten zur Tatzeit darstell­te. Ausgangs­punkt dabei sei das Recht des Staates auf Selbst­be­haup­tung. In einem Kampf um Sein oder Nicht­sein seien bei allen Völkern von jeher stren­ge Geset­ze zum Staats­schut­ze erlas­sen worden. Auch dem natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Staat könne man nicht ohne weite­res das Recht abspre­chen, solche Geset­ze zu erlas­sen. Einem Richter, der damals einen Wider­stands­kämp­fer wegen seiner Tätig­keit in der Wider­stands­be­we­gung abzuur­tei­len hatte und ihn in einem einwand­frei­en Verfah­ren für überführt erach­te­te, könne heute in straf­recht­li­cher Hinsicht kein Vorwurf gemacht werden. Thorbeck träfe, soweit er mangels Überzeu­gung über die Bestä­ti­gung der Urtei­le durch den Gerichts­herrn nicht im Klaren war, nicht Vorsatz, sondern nur Fahrläs­sig­keit, diese wäre aber verjährt.

Anders sei dies im Falle Huppen­ko­then. Dessen Anwesen­heit bei den Hinrich­tun­gen in Flossen­bürg sei ein Beleg dafür, dass er durch sein Zugegen­sein als hochran­gi­ger RSHA-Führer den ohne Bestä­ti­gung durch den Gerichts­herrn durch­ge­führ­ten Hinrich­tun­gen Legiti­ma­ti­on verschaf­fen wollte. Huppen­ko­then sei daher zu sechs Jahren Haft zu verur­tei­len. Zwar gebe es auch im Fall des Sachsen­hau­se­ner Stand­ge­richts gegen von Dohnanyi erheb­li­che Verdachts­mo­men­te gegen Huppen­ko­then, es könne aber nicht ausge­schlos­sen werden, dass dort das Urteil bestä­tigt worden sei. Aus Mangel an Bewei­sen sei in diesem Fall Huppen­ko­then freizusprechen.

6. Wirkung

Die Presse nahm das abschlie­ßen­de BGH-Urteil ledig­lich zur Kennt­nis. Die „Zeit“ schrieb beina­he erleich­tert: „Damit ist der Fall Huppen­ko­then abgeschlos­sen“. Dieses Desin­ter­es­se ist umso erstaun­li­cher, als das Urteil eine Wende in der Straf­ver­fol­gung von Justiz­ver­bre­chen in der NS-Zeit einläu­te­te. Wenige Monate nach diesem Urteil entschied der BGH über die Fälle des ehema­li­gen SS-Generals Max Simon und des ehema­li­gen SS-Offiziers Fried­rich Gottschalk. Sie hatten sich als Gerichts­herr bzw. Vorsit­zen­der eines Stand­ge­richts für die Aburtei­lung und Hinrich­tung mehre­rer Bürger des Dorfes Brett­heim zu verant­wor­ten, die durch die Entwaff­nung von Hitler-Jungen die Zerstö­rung ihres Dorfes in den letzten Kriegs­ta­gen hatten verhin­dern wollen. Zwar hob der BGH den durch das Landge­richt Ansbach ergan­ge­nen Freispruch auf und verwies das Verfah­ren an das Landge­richt Nürnberg-Fürth zurück, berei­te­te aber unter Bezug­nah­me auf die Huppen­ko­then-/Thor­beck-Entschei­dung den (dann auch tatsäch­lich erfolg­ten) erneu­ten Freispruch vor. Mit dem vom BGH nunmehr gefor­der­ten „siche­ren Wissen“ eines Richters um die Rechts­wid­rig­keit seines Tuns machte das Gericht den Nachweis einer vorsätz­li­chen Rechts­beu­gung und damit eine Verur­tei­lung nahezu unmög­lich. Einen trauri­gen Höhepunkt fand dieser Umschwung der Recht­spre­chung im Freispruch für den Richter am Volks­ge­richts­hof, Hans-Joachim Rehse, Ende der 1960er Jahre.

Erst Mitte der 1980er Jahre sollte das Huppen­ko­then/­Thor­beck-Urteil, wohl auch bedingt durch einen Genera­ti­ons­wech­sel inner­halb der Richter­schaft, kritisch hinter­fragt werden. Am 16. Novem­ber 1995 revidier­te der BGH mit einem Grund­satz­ur­teil zur Straf­ver­fol­gung von Juris­ten in der DDR seine bishe­ri­ge Recht­spre­chung und kriti­sier­te unter Bezug­nah­me auf Arbei­ten des Würzbur­ger Straf­rechts­leh­rers Günter Spendel auch die Judika­tur gegen Angehö­ri­ge der NS-Justiz. Paral­lel zu diesem Umschwung in der höchst­rich­ter­li­chen Recht­spre­chung sollte das Ende des Ost-West-Konflikts auch die gesell­schaft­li­che Ausein­an­der­set­zung mit dem Huppen­ko­then/­Thor­beck-Verfah­ren befeu­ern. Für viele Bürger­recht­ler der DDR war Dietrich Bonhoef­fer eine wichti­ge Identi­fi­ka­ti­ons­fi­gur gewesen, die nach der „Wende“ erschüt­tert waren, dass in der Bundes­re­pu­blik das Todes­ur­teil gegen Bonhoef­fer weiter­hin als recht­mä­ßig galt. Die frühe­re DDR-Bürger­rechts­ak­ti­vis­tin Bärbel Bohley mit ihrer „Initia­ti­ve Gerech­tig­keit für Dietrich Bonhoef­fer“ und verschie­de­ne Juris­ten kämpf­ten erfolg­reich um eine Rehabi­li­tie­rung Bonhoef­fers. Mit Beschluss des Landge­richts Berlin vom 1. August 1996 wurde das Stand­ge­richts­ur­teil gegen Bonhoef­fer offizi­ell aufge­ho­ben. 2002 distan­zier­te sich der damali­ge Präsi­dent des BGH, Günter Hirsch, anläss­lich des 100. Geburts­tags des frühe­ren Richters am Reichs­ge­richt, Hans von Dohnanyi, von dem Urteil des BGH aus dem Jahr 1956, ein Urteil, für das man sich „schämen“ müsse und das für die Straf­ver­fol­gung von NS-Juris­ten „verhee­ren­de“ Folgen gehabt habe.

7. Würdigung/ Zeitge­schicht­li­che Einordnung

Ohne Zweifel ist der Freispruch Thorbecks 1956 ein trauri­ger Höhepunkt im Versa­gen der bundes­deut­schen Justiz, Verbre­chen der Schreib­tisch­tä­ter des „Dritten Reiches“ straf­recht­lich zu verfol­gen. In der Geschichts­wis­sen­schaft wird das Huppen­ko­then/­Thor­beck-Verfah­ren unter weitge­hen­der Reduzie­rung auf dieses BGH-Urteil von Elke Fröhlich und Joachim Perels als Beleg ihrer These einer „Restau­ra­ti­on“ rezipiert. Sie verste­hen unter Restau­ra­ti­on die Wieder­her­stel­lung von gesell­schaft­li­chen und staat­li­chen Struk­tu­ren der NS-Herrschaft unter den Bedin­gun­gen einer rechts­staat­lich-demokra­ti­schen Verfas­sung in der frühen Bundes­re­pu­blik mit der Folge einer ungenü­gen­den Aufklä­rung von NS-Verbre­chen durch die deutsche Justiz. Insoweit versteht sich die Restau­ra­ti­ons­the­se als Gegen­nar­ra­tiv zur „Erfolgs­ge­schich­te BRD“.

Das Huppen­ko­then/­Thor­beck-Verfah­ren kann aber nur bedingt für die Restau­ra­ti­ons­the­se heran­ge­zo­gen werden. Den Vertre­tern dieser These ist insoweit zuzustim­men, als die politisch-gesell­schaft­li­che Sozia­li­sa­ti­on der Akteu­re in ihrem jewei­li­gen juris­ti­schen Feld eine große Bedeu­tung zukommt und das Recht und seine Ausübung, entge­gen dem biswei­len verfoch­te­nen Selbst­bild, von der indivi­du­el­len politi­schen Überzeu­gun­gen mitbe­stimmt wird. Es ist kein Zufall, dass ein Übermaß an „Landes­ver­rats­rhe­to­rik“ beson­ders im Münche­ner Urteil von 1951 und im BGH-Urteil von 1956 zum Ausdruck kam, in denen mit Mulzer und Mantel zwei hochran­gi­ge ehema­li­ge Wehrmacht­ju­ris­ten als Bericht­erstat­ter (und damit Erstel­ler des schrift­li­chen Urteils­ent­wurfs) fungier­ten. Viele ehema­li­ge Wehrmacht­rich­ter hielten auch nach 1945 an ihrem absolu­ten Gehor­sams­ide­al fest, wie in den 1980er Jahren die öffent­li­chen Skanda­le um Hans Filbin­ger und dem als Gutach­ter im Brett­heim-Verfah­ren aufge­tre­te­nen Erich Schwin­ge zeigten.

Auch die beina­he diame­tral unter­schied­li­chen BGH-Urtei­le im Huppen­ko­then/­Thor­beck-Verfah­ren von 1952 und 1956 lassen sich bis zu einem gewis­sen Grade aus dem biogra­phi­schen Hinter­grund der Richter erklä­ren. Es waren Richter, die fast alle dem „Dritten Reich“ ihre Karrie­re zu verdan­ken hatten, die mit ihren Urtei­len dem Berufs­rich­ter Thorbeck wie dem Laien­rich­ter Gottschalk und seinem Gerichts­herrn Simon beigesprun­gen waren.

Auch bei den Anwäl­ten spielt die Biogra­phie eine wesent­li­che Rolle. Mit Seidl – ein weite­res Beispiel ist der Vertei­di­ger von Max Simon, Rudolf Aschen­au­er – trat ein junger Straf­ver­tei­di­ger der Nürnber­ger Prozes­se als „politi­scher Anwalt“ vor Gericht auf. Diese Typ Vertei­di­ger war geprägt von der vermeint­li­chen „Sieger­jus­tiz“ in den Nürnber­ger Prozes­sen und sympa­thi­sier­te mit rechts­kon­ser­va­ti­ven, teils rechts­ex­tre­men Positio­nen und Gruppie­run­gen. Nicht zuletzt im Sinne ihrer noch jungen Karrie­re betrie­ben sie Politik im Gerichts­saal. Mitte der 1950er Jahre verlo­ren diese „jungen Radika­len“ jedoch den Anschluss an den gesell­schaft­li­chen Mainstream. Das Eintre­ten für Rechts­ex­tre­me war nun nur noch in diskre­ter Form möglich.

Von einem anderen Stand­punkt aus schei­ter­te auch Franz Reisert als politi­scher Anwalt. Sein geschichts­po­li­ti­scher Auftrag zur Rehabi­li­tie­rung des konser­va­ti­ven Wider­stan­des der Eliten im Huppen­ko­then/­Thor­beck-Verfah­ren kolli­dier­te mit seiner Recht­fer­ti­gung des Brett­hei­mer Stand­ge­richts als Vertei­di­ger Gottschalks in einem letzt­end­lich unlös­ba­ren Konflikt. Nach inter­nen Protes­ten von Angehö­ri­gen des Wider­stands schied Reisert wegen dieser Vertei­di­gung auf Anraten von Schlab­ren­dorffs aus dem Kurato­ri­um des „Hilfs­werks 20. Juli“ aus. Ledig­lich dem weitge­hend unpoli­ti­schen „juris­ti­schen Handwer­ker“ Karl Hoffmann gelang die Gratwan­de­rung zwischen der Straf­ver­tei­di­gung Huppen­ko­thens und der Neben­kla­ge­ver­tre­tung für die Angehö­ri­gen der getöte­ten Brett­hei­mer Bürger.

Die biogra­phi­schen Verbin­dungs­li­ni­en sind somit weitaus kompli­zier­ter, als es die These von der Restau­ra­ti­on abzubil­den vermag. Es ist zudem falsch, das Huppen­ko­then/­Thor­beck-Verfah­ren allein auf das abschlie­ßen­de BGH-Urteil zu reduzie­ren, was zu einer falschen Perspek­ti­ve führt. Das Verfah­ren ist Teil eines Stell­ver­tre­ter­kampfs konkur­rie­ren­der Vorstel­lun­gen hinsicht­lich des Stellen­werts des deutschen Wider­stands und damit der Positi­on der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Eliten in der jungen Bundes­re­pu­blik. Zwar kommt primär dem Remer-Prozess die „Pionier­leis­tung“ zu, die Diffa­mie­rung des Wider­stands als „Landes­ver­rä­ter“ durch Rechts­ex­tre­mis­ten juris­tisch sanktio­niert zu haben. Juris­tisch war das Huppen­ko­then-/Thor­beck-Verfah­ren mit dem Freispruch Thorbecks zumin­dest teilwei­se ein Rückschlag. Das Verfah­ren gegen Huppen­ko­then und Thorbeck war aber spätes­tens seit Oktober 1952 auch ein „Lackmus­test“ für den von den Vertre­tern des Wider­stands im Remer-Prozess erziel­ten gesell­schaft­li­chen und politi­schen Erfolg und zeigte damit, inwie­weit rechts­kon­ser­va­ti­ve Kreise Einfluss auf die politi­sche Kultur des neuen Staates nehmen konnten. Symbo­li­siert wurde dies im Vorwurf des Landes­ver­rats, der auch einige Mitglie­der der Adenau­er-Regie­rung direkt traf. Die „Neue Zeitung“ zog zu Recht Paral­le­len zum Belei­di­gungs­pro­zess gegen Reichs­kanz­ler Fried­rich Ebert im Jahre 1926. Schon damals habe ein Gericht eine Verur­tei­lung wegen übler Nachre­de verwei­gert und durch die ungesühn­te Bezeich­nung Eberts als Landes­ver­rä­ter zum Unter­gang der Weima­rer Republik beigetra­gen. Dies dürfe sich durch die Bezeich­nung der Männer des deutschen Wider­stan­des als Verrä­ter nicht wiederholen.

Wenn Seidl in der Revisi­on dem nicht mit dem Prozess befass­ten BGH-Präsi­dent Hermann Weinkauff wegen eines das Wider­stands­recht der Militär­op­po­si­ti­on befür­wor­ten­den Aufsat­zes in der Zeitschrift „Das Parla­ment“ vorwarf, in das schwe­ben­de Huppen­ko­then-/Thor­beck-Verfah­ren einzu­grei­fen, zielte er nicht nur auf das Vorbrin­gen der Ankla­ge, sondern auch auf die Unter­stüt­zer des Wider­stands außer­halb des Gerichts­saals. 1952 war in München die „Europäi­sche Publi­ka­ti­on e.V.“ gegrün­det worden, ein Kreis von Theolo­gen, Militärs, Histo­ri­kern und Juris­ten, die sich im Kampf gegen Rechts­ex­tre­mis­ten eine wissen­schaft­li­che Erfor­schung des Wider­stands auf die Fahnen geschrie­ben hatten. Zu ihren Mitglie­dern gehör­ten Weinkauff, Hölper und Kraus­nick, die allesamt sowohl im Gerichts­saal wie außer­halb Gegner von Seidls Thesen waren. Der Augsbur­ger Prozess und seine Nachwe­hen 1955 zeigen, dass die stell­ver­tre­tend durch Seidl propa­gier­ten Positio­nen nicht mehr unwider­spro­chen blieben und nun auch Konse­quen­zen hatten. Es ist bezeich­nend, dass der BGH entge­gen der üblichen Gepflo­gen­hei­ten sein Urteil 1956 gerade nicht im vollen Wortlaut veröf­fent­lich­te. Die Restau­ra­ti­ons­the­se übersieht, dass das Huppen­ko­then/­Thor­beck-Verfah­ren zumin­dest gesell­schaft­lich ein Sieg der Überle­ben­den des deutschen elitär-konser­va­ti­ven Wider­stands und ihrer Verbün­de­ten im Ringen um die Deutungs­ho­heit der Vergan­gen­heit war. Gerade wegen dieser geschichts­po­li­ti­schen Dimen­si­on muss das Verfah­ren zu den wichtigs­ten Prozes­sen gegen NS-Täter in der frühen Bundes­re­pu­blik gezählt werden.

8. Quellen/ Literatur

Bayeri­sches Haupt­staats­ar­chiv, Bestand Justiz­mi­nis­te­ri­um, Perso­nal­ak­ten, Mju 24640 (Acker­mann, Hans), Mju 25205 (Hegele, Johann), Mju 25295 (Hölper, Wilhelm) und Mju 25648 (Mattmer, Josef) sowie Mju 25752 (Mulzer, Josef).

Bayeri­sches Staats­ar­chiv München, Bestand Staats­an­walt­schaft München I, Nr. 17452 (Huppen­ko­then-Prozess).

Urteil des Landge­richt Augsburg vom 15.10.1955 sowie Urtei­le des Bundes­ge­richts­hofs in 12. Febru­ar 1952, 30. Novem­ber 1954 und 19. Juni 1956 (= Lfd. Nr. 420), in: Chris­tia­an Frede­ric Rüter/ Dirk Welmo­ed de Mildt [Hgg.]: Justiz und NS-Verbre­chen. Die deutschen Straf­ver­fah­ren wegen natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Tötungs­ver­bre­chen 1945–1999, Bd. XIII, Amster­dam 1975, S. 283 – 358.

Chowa­niec, Elisa­beth, Der „Fall Dohnanyi“ 1943–1945, Wider­stand, Militär­jus­tiz, SS-Willkür, München 1991; Endraß, Elke, Bonhoef­fer und seine Richter. Ein Prozess und sein Nachspiel, Stutt­gart 2006; Fröhlich, Claudia, Freispruch für Bonhoef­fers Richter. Perso­nel­le Konti­nui­tät als struk­tu­rel­le Hypothek für die Recht­spre­chung in der Bundes­re­pu­blik am Beispiel des NS-Juris­ten und Richters am BGH Ernst Mantel, in: Joachim Perels/ Wolfram Wette (Hg.), Mit reinem Gewis­sen. Wehrmachts­rich­ter in der Bundes­re­pu­blik und ihre Opfer, Berlin 2011, S. 242–262; Perels, Joachim, Die schritt­wei­se Recht­fer­ti­gung der NS-Justiz. Der Huppen­ko­then-Prozess, in: Ders., Das juris­ti­sche Erbe des „Dritten Reiches“. Beschä­di­gun­gen der demokra­ti­schen Rechts­ord­nung, Frank­furt a.M./ New York, S. 181–202;Ponnath, Heinz, Ein schänd­li­ches Urteil – Für den Bundes­ge­richts­hof war Bonhoef­fer ein Hochver­rä­ter, in: Evange­li­sche Kommen­ta­re 4/1995, S. 200–203; Schminck-Gusta­vus, Chris­toph, Der „Prozess“ gegen Dietrich Bonhoef­fer und die Freilas­sung seiner Mörder, Bonn 1995; Seliger, Hubert, Politi­sche Anwäl­te? Die Vertei­di­ger der Nürnber­ger Prozes­se, Baden-Baden 2016 [im Erschei­nen]; Spendel, Günter, Justiz und NS-Verbre­chen. Die „Stand­ge­richts­ver­fah­ren“ gegen Admiral Canaris u.a. in der Nachkriegs­recht­spre­chung, in: Ders., Rechts­beu­gung durch Recht­spre­chung. Sechs straf­recht­li­che Studi­en, Berlin/ New York 1984, S. 89–115.

Hubert Seliger
Juni 2016

Hubert Seliger ist Histo­ri­ker, Politik­wis­sen­schaft­ler und Staats- und Völker­recht­ler. 2014 wurde er an der Univer­si­tät Augsburg promo­viert mit einer Arbeit zu „Politi­sche Anwäl­te? Die Vertei­di­ger der Nürnber­ger Prozes­se. Eine sozial- und politik­ge­schicht­li­che Studie“. Die Arbeit wurde mit dem Forums­preis 2014 vom Forum Anwalts­ge­schich­te ausgezeichnet.

Zitier­emp­feh­lung:

Seliger, Hubert: „Der Prozess gegen Walther Huppen­ko­then und Otto Thorbeck, Deutsch­land 1949–1956“, in: Groene­wold / Ignor / Koch (Hrsg.), Lexikon der Politi­schen Straf­pro­zes­se, https://www.lexikon-der-politischen-strafprozesse.de/glossar/huppenkothen-walter-und-otto-thorbeck/, letzter Zugriff am TT.MM.JJJJ.

Ähnliche Einträge