Deutschland 1960–1962
Mord, Waffenhandel, Rechtsbeugung
Wiederaufnahmerecht
Der Prozess gegen Vera Brühne und Johann Ferbach
Deutschland 1960–1962
1. Prozessgeschichte/Prozessbedeutung
Als am 4. Juni 1962 die Angeklagten Vera Brühne und Johann Ferbach vor dem Landgericht München II zu lebenslanger Haft verurteilt wurden, gab es keine kritische Öffentlichkeit, die bereit gewesen wäre, nach den politischen Hintergründen dieser Mordaffäre zu fragen. Der Fall Vera Brühne/Johann Ferbach wurde zu einer Geschichte, in der die Boulevardpresse die Deutungshoheit besaß, degradiert zu einer Story aus der Münchner Schickeria, in der es scheinbar nur um „Sex and Crime“ ging. Dabei spielte der westdeutsche Waffenhandel nach Israel und in die arabischen Staaten, Kriegsmaterial aus dem 2. Weltkrieg, das nach 1956 in Krisengebiete geliefert wurde, die entscheidende Rolle. Einzig die Journalistin Ulrike Meinhof bezweifelte in der Zeitschrift „konkret“ vom Mai 1962 den Tatvorwurf, und der Philosoph Ulrich Sonnemann verfasste 1976 ein Feature für den Hessischen Rundfunk, in dem er erstmals die politischen Hintergründe dieses Strafprozesses beleuchtete. Der Fall Vera Brühne war in den 1960er Jahren Gegenstand heftiger Debatten über das Wiederaufnahmerecht in Deutschland (vgl. Peters, Karl: Fehlerquellen im Strafprozess, Karlsruhe 1970) und gab Anlass zu Auseinandersetzungen über die Lebensweise alleinerziehender Frauen.
2. Personen
a) Die Angeklagten
Vera Brühne war die Tochter des ehemaligen Bürgermeisters der Gemeinde Kray-Leithe in der Nähe von Essen, Ludwig Kohlen, und mit dem Schauspieler Hans Cossy verheiratet. Sie stammte aus gutbürgerlichen Verhältnissen, war bei Prozessbeginn 51 Jahre alt und hatte eine Tochter, Sylvia Cosiolkofski. Mit dem Mitangeklagten Arbeiter Johann Ferbach war sie befreundet. In München lernte sie Ende der 1950er Jahre den Arzt Dr. Otto Praun kennen, für den sie Fahrtdienste übernahm. Zeitweilig verband sie mit Praun auch eine Liebesbeziehung. In einem Testament vermachte er ihr ein Grundstück an der Costa Brava. Vera Brühne personifizierte vor und während des Strafprozesses in der Regenbogenpresse die Lebedame, sie war Übertragungsfläche für alle Phantasien der „Nymphomanie“ und ehelichen Untreue, eine, der man scheinbar alles zutrauen konnte.
Johann Ferbach wuchs in Köln auf und lernte den Beruf des Büchsenmachers. Er wurde bereits 1939 zur Wehrmacht eingezogen. Ferbach war 1943 an der Ostfront desertiert – was man ihm im Strafprozess vorwarf – und lebte anschließend unter dem Namen Hans Spiess in Köln. Johann Ferbach leitete als Bauarbeiter den Umbau des Hauses von Hans Cossy. Während eines Bombenangriffs wurde das Haus zerstört, Vera Brühne und ihre Tochter wurden verschüttet. Ferbach setzte durch, dass nach den Opfern gegraben wurde und rettete so beiden das Leben. 1960 wurde Ferbach Witwer, er starb 1970 in seiner Zelle.
b) Die Opfer
Otto Praun war Kassenarzt in München. Er arbeitete als Gynäkologe und handelte mit Immobilien. 1928 wurde er Mitarbeiter der Abwehr, er war Vertrauensarzt der Allianz und Mitglied der NSDAP mit der Mitgliedsnummer 1.725.299. In den Jahren 1937 und 1944 schützte Praun durch Atteste Opfer des Nationalsozialismus vor Verfolgung. Ein Ehepaar wurde so vor der Zwangsarbeit bewahrt. Die Gestapo ermittelte gegen Praun wegen Verstoßes gegen die „Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen“. 1944 wurde von einem Ortsgruppenleiter ein Parteiordnungsverfahren wegen wiederholten „Nicht-Tragens“ des Parteiabzeichens angeregt. In einer Aktennotiz des BND fanden Journalisten 2001 den Hinweis, Praun habe „der Spionage von Hitlers Wehrmacht als Offizier oder V‑Mann gedient und später auch dem BND“ und sei „in Waffenschiebereien verwickelt“ gewesen. Praun gehörte zweifellos beim BND zur Gruppe Gehlen und hatte enge Verbindungen zu den späteren Zeugen Roger Hentges und Hans Brandes, die unter Admiral Canaris im Oberkommando Fremde Heere Ost gedient hatten.
Über Elfriede Kloo ist wenig bekannt. Teils wird berichtet, sie sei die Haushälterin, teils die Geliebte des Arztes Otto Praun gewesen. Sie wurde ebenso wie Otto Praun am 19. April 1960 tot aufgefunden. Der Todeszeitpunkt bleibt bis heute umstritten.
c) Das Gericht
25. April 1962: Unter dem Vorsitz von Landgerichtsdirektor Dr. Klaus Seibert beginnt vor dem mit sechs Laien und drei Berufsrichtern besetzten Landgericht München II die Hauptverhandlung gegen Vera Brühne und Johann Ferbach. Das Gericht war ausschließlich mit Männern besetzt, von denen über die Hälfte Mitglieder der NSDAP gewesen waren und/oder in der Wehrmacht gekämpft hatten.
Rund drei Jahre nach der Urteilsverkündung tauchte ein Brief des Vorsitzenden Richters Seibert auf, in dem er schrieb: „Dabei sind sich alle Beteiligten selbstverständlich im Klaren, dass ein zweites Verfahren nur mit einem Freispruch enden könnte.“
d) Der Staatsanwalt
Karl Rüth ermittelte ausschließlich belastendes Beweismaterial und machte nach dem Prozess Karriere in der Münchner Justiz. Angeblich soll er vom Chefredakteur der Quick Heinz van Nouhys einen roten Ford 17 M geschenkt bekommen haben.
e) Verteidiger im Strafprozess
Die Liste der Verteidiger eröffnet Franz Moser. Moser hob zwar einerseits in seinem Plädoyer das mediale Interesse hervor: „Das leidenschaftliche Interesse, das die Öffentlichkeit diesem Strafprozeß entgegenbringt, ist einmalig und außerordentlich. Es ist nicht Sensationslust und Neugier allein, die Tag für Tag eine schaulustige Menge in diesen Saal locken, nicht bloß Klatschsucht und Schadenfreude sind es, die in atemloser Spannung den Zuhörer fesseln. Man ist vielmehr geneigt anzunehmen, daß offenbar auch der mit dem Prozessgeschehen nicht Befasste sich an der Abwägung von Schuld und Unschuld, Sühne und Gerechtigkeit beteiligen möchte.“ Andererseits arbeitete er konsequent daran, dass der politische Hintergrund, die Verstrickung Prauns in Waffenhandel und Spionage, niemals Gegenstand des Prozesses wurde. Weiterhin steht fest, dass Moser und der Verteidiger Gerhard Pelka, ohne Wissen von Vera Brühne und Johann Ferbach, Exklusivverträge mit der Regenbogenpresse abschlossen, um ihre Honorare aufzubessern.
Rechtsanwalt Moser hat nachweislich der Recherchen von Birgitta Wolff einen Betrag in Höhe von 180.000 DM erhalten. Dieses Geld stammte von einem Hamburger Konto (Wolff, in: Sonnemann/Nix, S. 153). Birgitta Wolff, eine der angesehensten Kriminologinnen der 60er Jahre, folgerte daraus: Ein Anwalt (Moser) stellt dem erhofften gütigen Spender in Aussicht, das Geld werde dafür verwendet, diese beiden Angeklagten freizubekommen, aber mit dem ausdrücklichen Gelöbnis, nicht Licht in das Dunkel zu bringen (Wolff, ebd., S. 153 ff.). Auch bestätigt der Zeuge Hans Brandes in einem Brief vom 18.1.1969, dass Rechtsanwalt Moser ihn aufgesucht hatte und um Diskretion hinsichtlich des politischen Inhalts der Affäre gebeten hatte (Wolff, ebd., S. 153 ff.).
Weiterhin gibt der zweite Verteidiger Hans Pelka in einem Tonbandinterview zu, dass er und Moser Zuwendungen von einem Hans Ritter aus Hamburg erhalten hätten, ohne dass die Angeklagten Brühne und Ferbach davon in Kenntnis gesetzt waren. Diese Recherchen basieren auf Ermittlungen des Journalisten Zweig und wurden auf Tonbänder festgehalten, deren Authentizität der LKA Direktor Karl Haberbrunner bestätigte (Sonnemann/Nix, S. 141).
Ein weiterer Anwalt, Dr. Maximilian Girth, betonte darüber hinaus: „Wie ich Ihnen bereits… mitteilte, geht es uns – der Verteidigung – keineswegs darum, zu beweisen, wer den berüchtigten Doppelmord begangen hat, sondern lediglich darum, dass er von den beiden bedauernswerten Opfern …nicht durchgeführt wurde.“
Der Verf. hat am 13. Mai 1995 den Sohn des Verteidigers Girth, den Intendanten Dr. Peter Girth, in Weimar getroffen, der ihm dort den Sachverhalt bestätigte, bis hin zu der Kuriosität, dass Dr. Maximilian Girth später eine Zeugin des Brühne Verfahrens ehelichte.
f) Verteidiger im Wiederaufnahmeverfahren
Wilhelm Haddenhorst (1940–1995) studierte in Tübingen und Erlangen Rechtswissenschaften. Während des Studiums war er wissenschaftliche Hilfskraft an der Forschungsstelle für Strafprozess und Strafvollzug bei Karl Peters. Nach dem 1. Staatsexamen übernahm er hier neben dem Referendariat eine Assistentenstelle und promovierte 1970. Haddenhorst war Gründungsmitglied und erster Vorsitzender des 1974 gegründeten Deutsche Strafverteidiger e. V. Er setzte während der Verteidigung von Vera Brühne einen Teil des Lebenswerks von Karl Peters um: den Nachweis, dass das deutsche Wiederaufnahmerecht keine Chancen für unschuldig Verurteilte bietet. Lässt man das gesamte politische Umfeld des „Brühne-Prozesses“ außer Acht und konzentriert sich auf immanente Widersprüche, so ist es das Verdienst von Haddenhorst, nachgewiesen zu haben, dass der vom Gericht angenommene Todeszeitpunkt „19.45 Uhr“ naturwissenschaftlich betrachtet unzutreffend war (vgl. auch Der Spiegel. Nr. 39, 1973).
3. Zeitgeschichtliche Einordnung
„Keine Tageszeitung, keine Illustrierte ließ sich solchen Stoff entgehen, Metaphern wie ‘Luxus – Laster – Lügen´ (Münchner ‘Abendzeitung´) bestimmten den Reizwert eines Schauspiels, das selbst der DDR belangvoll schien; die Ost-Berliner Staatsfilmer fertigten ein Lichtspiel mit dem Titel ‘Die Liebenden der Costa Brava´ (letzte Reprise Frühjahr 1973). Ulrich Sonnemann verfasste ein Buch über den ‘bundesdeutschen Dreyfus-Skandal´ und entnahm dem Münchner Urteil einen ‘gemeingefährlichen Grad von Denkverzicht´, Kriminal-Autor Frank Arnau legte die ‘Autopsie eines Urteils´ vor, Rudolf Augstein nannte den Brühne-Prozeß einen ‘bis zum heutigen Tag fortwirkenden Skandal‘ (vgl. Spiegel vom 24.9.1973).“
Wir schreiben das Jahr 1960. Die Bundesrepublik Deutschland ist eingebunden in das westliche Verteidigungsbündnis. Auf allen wichtigen Stabstellen bis hinein in die Justiz und die Geheimdienstapparate sitzen ehemalige NSDAP-Mitglieder. Die Regierung hat vier Jahre vorher die Kommunistische Partei verboten. Neue Waffentechnologien werden entwickelt und die deutsche Waffenindustrie beginnt, eine Infrastruktur zu schaffen. Das Wirtschaftswunder dehnte sich auf alle Schichten aus, aber die bürgerliche Ehe beginnt brüchig zu werden, mit dem Wohlstand beginnt ein offenerer Lebensstil. Die Bild-Zeitung schreibt: „Eine Million Ehen in der BRD sind geschieden oder zerrüttet“ (3.4.1962). Zugleich eröffnet Familienminister Würmeling eine Offensive für die Familie: „Millionen innerlich gesunder Familien (..). sind als Sicherung gegen die drohende Gefahr der kinderreichen Völker des Ostens mindestens so wichtig wie alle militärischen Sicherungen (Kirchenzeitung Köln vom 6.12.1961).“
In diesem moralischen Klima wird Vera Brühne zum Sündenbock. Die blonde Hexe im Leopardenfellkostüm und der an der Ostfront desertierte Johann Ferbach waren für die Regenbogenpresse das ideale Täterpaar. Zugleich konnte ihre spektakulär gehandelte Täterschaft verdecken, dass es einen undurchschaubaren politischen Hintergrund gab: Praun war Waffenhändler im Auftrag des BND. Diese These wird von Roger Hentes und Hans Brandes bestätigt. Beide Zeugen haben sich entweder schriftlich oder mündlich zur Lebensgeschichte Otto Prauns geäußert, beide Zeugen waren während des „2. Weltkrieges“ als Agenten eingesetzt und arbeiteten für die Deutsche Abwehr. Mit Roger Hentges hat der Verfasser insgesamt vier ausführliche Interviews geführt. Hentges war von Todesangst bestimmt, Brandes wurde 1992 vergiftet in seinem PKW aufgefunden. Sämtliche Dokumente von ihm befanden sich im Nachlass von Birgitta Wolff.
Zeitgeschichtlich spielt der Prozess wenige Jahre vor der sog. Studentenrevolte der 68er Jahre, deren größtes Verdienst es ist, die Nazivergangenheit Deutschlands zum Thema gemacht zu haben. Der Mordfall Praun/Kloo und seine angeblichen Täter Brühne und Ferbach hätten die Chance geboten, die Praxis der deutschen Geheimdienste während und nach der Nazi-Zeit aufzuarbeiten.
4. Anklage
Die Mordanklage der Münchner Staatsanwaltschaft ließ jegliche Bezüge zum historisch-politischen Kontext außer Acht. Die Tatsache, dass Otto Praun im unmittelbaren Umfeld von Wilhelm Canaris gearbeitet hatte und sich in den letzten Jahren vor allem im Nahen Osten aufgehalten habe, wurde niemals Gegenstand des Ermittlungsverfahrens. Die Todesangst von Otto Praun, die er zahlreichen Menschen vorher gestanden hatte, sein ungewöhnlicher Reichtum, damals noch Gerücht und heute feststehender Umstand, dass er der Abtreibungsarzt der Münchner Schickeria war, all dies wurde nie ermittelt bzw. wenn es ermittelt wurde, in der Anklageschrift ausgeklammert.
Die Mordanklage stützte sich ausschließlich auf Indizien und Zeugenaussagen, wie die des Betrügers Sigfried Schramm, aber auch die Zeugenaussage von Sylvia Cosiolkofski, die im Hauptverfahren zeitweise ihre Mutter belastete.
5. Urteil
4. Juni 1962: Trotz widersprüchlichen Zeugenaussagen, zweifelhaften Indizien und umstrittenen Gutachten verurteilt das Gericht Vera Brühne und Johann Ferbach wegen Doppelmordes zu lebenslangen Zuchthausstrafen. Außerdem werden ihnen die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt. „Aber ich bin doch, bitte, unschuldig!”, flüstert Vera Brühne nach der Urteilsverkündung und schlägt die Hände vors Gesicht.
In der mündlichen Urteilsbegründung heißt es, die Angeklagten hätten seit Anfang 1960 geplant, Otto Praun zu töten, weil Vera Brühne befürchtete, dass er sein Testament zu ihren Ungunsten ändern könnte. Die Tatwaffe habe sie Otto Praun vermutlich aus dem Handschuhfach seines Autos gestohlen. Ferbach habe am 14. April 1960 in der Arztpraxis in München angerufen, sich als Dr. Schmitz ausgegeben, und sich anschließend mit dem von Vera Brühne gefälschten Brief gegenüber Elfriede Kloo ausgewiesen. Die Haushälterin habe er in den Keller gelockt und dort erschossen. Dann habe er auf Otto Praun gewartet, ihn in der Diele mit zwei Kopfschüssen ebenfalls getötet und einen erweiterten Suizid vorgetäuscht. Der Tod sei ziemlich exakt um 19.45 Uhr eingetreten. Hierzu schrieb der Spiegel: „Ferbach habe sich unter falschem Namen in die Praun-Villa Eintritt verschafft, Frau Kloo durch einen Genickschuss getötet, auf die Heimkehr des Arztes gewartet und ihn dann in der Garderobe mit zwei Kopfschüssen ermordet“.
Die mit dem Arzt liierte Vera Brühne habe aus Habgier die Tat gemeinsam mit Ferbach geplant und während der Ausführung in der Nähe des Praunschen Hauses im Auto gewartet. So legten die Richter aufgrund fragwürdiger Indizien und Zeugenaussagen in ihrem Urteil die Tatzeit fest: Bei Praun Gründonnerstag, 14. April, um 19.45 Uhr, bei Elfriede Kloo möglicherweise zwei Stunden früher. Laut Urteil soll Ferbach dem toten Arzt die Pistole unter die Hand geschoben, das Haus verlassen, sich dann „mit der in der Nähe wartenden Brühne” getroffen haben und mit ihr aus Pöcking davongefahren sein – etwa um 20 Uhr. Als Tatsache aber stellte das Urteil auch fest, dass Vera Brühne neuneinhalb Stunden später, am Karfreitagmorgen, in Bonn „gegen 5.30 Uhr die Mitbewohner des elterlichen Hauses, die Eheleute Wittich, mit der Behauptung weckte, dass das Türschloss klemme.”
Sieben Wiederaufnahmegesuche wurden abgewiesen. Dazu gehörte auch der letzte Wiederaufnahmeantrag mit der Beschwerde an den BGH. Nachdem das Münchner Landgericht – als Forsters Forschungsresultate noch nicht vorlagen – den Wiederaufnahmeantrag abgewiesen hatte, sollte nun das Oberlandesgericht München in letzter Instanz entscheiden: aufgrund des 99 Seiten starken Forster-Gutachtens, das Wilhelm Haddenhorst im Beisein des langjährigen Brühne-Verteidigers Franz Moser zusammen mit der Beschwerdeschrift dem 1. Strafsenat des OLG vorlegte.
Der Freiburger Arzt Prof. Dr. Forster führt darin den Nachweis, dass der vom Münchner Schwurgericht 1962 festgestellte Tatzeitpunkt “ausgeschlossen ist”: „Der Fall Brühne hätte neu verhandelt werden müssen – jener Fall, der einst zur umstrittensten Kriminalaffäre der Nachkriegszeit geriet und Verfahrens-Kritikern nachgerade als Synonym für Justizirrtum, Bayerns Justiz aber als ein Exempel ihrer Glaubwürdigkeit gilt“ (Spiegel a.a.O).
6. Würdigung
Ulrich Sonnemann hat die Justizsache Brühne-Ferbach mit dem Dreyfus-Skandal verglichen. Betrachtet man, mit welcher Energie – und kaum erkennbar, von wo denn die Einflussnahmen kamen – eine Öffentlichkeit im „Fall Brühne-Ferbach“ verhindert wurde, so ist dieser Vergleich keineswegs übertrieben. „Der bundesdeutsche Dreyfus-Skandal. Rechtsbruch und Denkverzicht in der zehn Jahre alten Justizsache Brühne-Ferbach“ wurde 1970 auf Antrag von Franz Josef Strauß, zwei Wochen nach dem Erscheinen, beschlagnahmt. „Die Beschlagnahme war bundesweit, erregte viel Aufsehen, war aber wenig erfolgreich, da mein damaliger Verleger Rogner schon am Nachmittag vorher gewarnt worden war und gleich mit angemessenen postalischen Handlungen reagiert hatte. Zur Beschlagnahme gehörten auch Haussuchungen, vier Beamte standen morgens an meiner Tür“ (Sonnemann, S. 198).
Der Verfasser hat 15 Jahre später (1985) mit Ulrich Sonnemann eine neue Recherche zum Prozess Brühne-Ferbach publiziert: Ulrich Sonnemann (Herausgeber)/Christoph Nix (Redaktion): „Die Vergangenheit, die nicht endete – Machtrausch, Geschäft und Verfassungsverrat im Justizskandal Brühne-Ferbach.“ Das Buch war Gegenstand mehrerer Anfragen im Deutschen Bundestag und wurde im Sommer 1985 erneut vom Landgericht München II auf Antrag des Ministerialdirigenten Karl-Helmut schnell verboten und beschlagnahmt. Ein verhängtes Ordnungsgeld in Höhe von 25.000 DM wurde mit einer Spende Jan Phillip Reemtsmas gezahlt.
Nach dem Tod von Rechtsanwalt Wilhelm Haddenhorst 1995 nahmen Vera Brühnes juristische Versuche einer Rehabilitierung ein Ende. Sie war alt geworden. Am 17. April 2001 starb sie in München. Ulrich Sonnemann war am 27. März 1993 gestorben. Dem Focus Verlag in Gießen fehlten die finanziellen Mittel, den Fall Brühne/Ferbach erneut zu publizieren. Die Recherchen der Journalistin Gaby Weber sind m.E. widersprüchlich und haben der Aufarbeitung des Falles eher Steine in den Weg gelegt. Die filmische Aufarbeitung von Hark Bohm, der den Verfasser damals um Material gebeten hatte, bleibt im Wesentlichen ein unpolitischer Versuch („Vera Brühne“, 2001).
Es besteht die Absicht, bei der Herausgabe von Ulrich Sonnemanns Gesamtwerk im Oktober 2017 seine Schriften zum Fall Brühne/Ferbach mit einem Geleitwort des Verfassers neu herauszugeben. Damit wäre eine Dokumentation dieses Prozesses wieder öffentlich zugänglich. Die jüngere Geschichte des BND und die in diesem Zusammenhang verübten Morde warten noch auf eine Aufarbeitung. Voraussetzung wäre die rückhaltlose Öffnung der BND-Archive von 1949 bis 1976.
7. Quellen:
Urteil des LG München I 10/O 170/70, Az 7 KS I/62; Arnau, Frank: Die Strafunrechtspflege in der Bundesrepublik, 1967; Helmensdorfer, Erich: Irrte hier die Justiz, Die Zeit vom 18.11.1966; Nix, Christoph: Deutsche Kurzschlüsse. Einlassungen zu Justiz, Macht und Herrschaft, Hamburg 1997; Preute, Gabriele und Michael: Deutschlands Kriminalfall Nr.1: Vera Brühne – Ein Justizirrtum. München 1979; Sonnemann, Ulrich/Nix, Christoph: Die Vergangenheit, die nicht endete. Gießen 1985; Wickert, Ulrich: Von Dreyfus bis Brühne, in: Sonnemann, Ulrich: Der misshandelte Rechtsstaat, 1982; Anfrage des Abgeordneten Pauli. Deutscher Bundestag 13. Februar 1986.
Christoph Nix
April 2017
Christoph Nix ist Jurist und war Theaterintendant an verschiedenen Theatern, derzeit am Theater Konstanz. Lehrtätigkeit an der Hochschule Hannover, der Universität der Künste in Berlin und an den Universitäten Bern und Bremen. Zu seinen Veröffentlichungen gehören Theaterstücke und Romane, zuletzt der Kriminalroman „Muzungu“ (2018). Nix lebt zeitweise in Afrika und plant ein Theater in Togo.
Zitierempfehlung:
Nix, Christoph: „Der Prozess gegen Vera Brühne und Johann Ferbach, Deutschland 1960–1962“, in: Groenewold/ Ignor / Koch (Hrsg.), Lexikon der Politischen Strafprozesse, https://www.lexikon-der-politischen-strafprozesse.de/glossar/bruehne-vera-und-johann-ferbach/, letzter Zugriff am TT.MM.JJJJ.