Deutschland 1852
Mitgliedschaft verbotene Partei
Bund der Kommunisten
Märzrevolution
Aufruhr
Umsturz
Der Kölner Kommunisten-Prozess
Deutschland 1852
1. Prozessbedeutung/ Prozessgeschichte
Am 11. November 1850 schrieb der preußische König Friedrich Wilhelm IV. einen Brief an seinen Ministerpräsidenten Otto von Manteuffel. Der möge dafür sorgen, dass die Flucht des zu lebenslanger Festungshaft verurteilten 1848er Revolutionärs Gottfried Kinkel aus Spandau dem preußischen Publikum als Teil eines großen Komplotts dargestellt werde und dazu den Kriminalisten Wilhelm Stieber einsetzen. Der Bonner Geschichtsprofessor Kinkel war 1848 als Liberaler in das preußische Abgeordnetenhaus gewählt worden. 1849 hatte er am bewaffneten Kampf in Baden teilgenommen und war deshalb vor Gericht gestellt worden. In einem zweiten Prozess wegen Beteiligung am Sturm auf das Magazin des Militärs in Siegburg war er freigesprochen worden.
Die Revolution von 1848 war ein spontanes, europaweites und kurzlebiges Ereignis gewesen. Ursachen waren einerseits die Verarmung weiter Teile der Bevölkerung als Folge der Wirtschafts- und Handelskrise von 1847, anderseits die Forderung des liberalen Bürgertums nach nationaler Einheit, einer geschriebenen Verfassung und politischer Mitsprache. Friedrich Wilhelm IV. hatte für die Forderungen der 1848er kein Verständnis und hatte sich nur unter Druck der Verhältnisse zu Konzessionen bereitgefunden, die er später wieder zurücknahm.
Wilhelm Stieber erhielt fünf Tage nach dem Brief des Königs die Ernennung zum Polizeiassessor und wurde bald zum Polizeirat befördert. Es gelang ihm zunächst nicht, etwas herauszufinden, was wie eine Verschwörung oder ein Komplott erscheinen konnte. Doch dann erhielt Stieber von einem österreichischen Polizeiagenten aus London, der im Umfeld von Karl Marx platziert war, den Tipp, dass sich der Kölner Peter Nothjung, Mitglied des Bundes der Kommunisten, mit wichtigen Papieren während der Messe in Leipzig aufhalte. Auf einer Polizeikonferenz in Dresden hatten Vertreter der Staaten des Deutschen Bundes gerade eine engere Zusammenarbeit bei der Überwachung politischer Vereine und der Verfolgung von 1848ern beschlossen. So konnte dann die sächsische Polizei am 16. Mai 1851 bei einer Personenkontrolle auf dem Leipziger Hauptbahnhof Nothjung verhaften und an Berlin ausliefern. Nothjung war auf einer Art Agitationsreise quer durch Deutschland, um die versprengten Mitglieder des Bundes der Kommunisten mit den Anschauungen von Karl Marx bekannt zu machen. Der 1847 in London aus älteren Geheimbünden von Handwerkern hervorgegangene Bund hatte sich im September 1850 in den Sonderbund Schapper/Willich mit Sitz in London und die „Partei Marx“ mit Sitz in Köln gespalten. Der Sonderbund drang auf eine Fortsetzung revolutionärer Aktivitäten, um das „Feuer der Revolution“ neu entfachen zu können. Die Kölner folgten der Lehre von Marx, dass zunächst eine Kritik am Fehlschlag der Revolution von 1848 notwendig sei und eine neue Revolution nur nach einer neuen Wirtschaftskrise ausbrechen könne.
Nothjung war so unvorsichtig gewesen, dass die Polizei ein Bündel mit Papieren des Bundes bei ihm beschlagnahmen konnte. In den Unterlagen befand sich eine Anschriftenliste von Kölner Bundesmitgliedern, Flugblätter und Schriften, darunter das Statut des Bundes von Dezember 1850, das Kommunistische Manifest von 1848 und der Text von Marx’ Ansprache der Zentralbehörde an den Bund vom März 1850. Darin analysiert er die Gründe für das Scheitern der 1848er Revolution und beschuldigt die bürgerlichen Demokraten, das Proletariat verraten zu haben, kündigt aber auch eine bevorstehende Revolution an. Statut, Manifest und Ansprache enthalten das Bekenntnis zu einer gewaltsamen Revolution als Weg zu einer neuen Gesellschaft. So verkündet Marx im Kommunistischen Manifest: „Die Kommunisten verschmähen es, ihre Ansichten und Absichten zu verheimlichen. Sie erklären offen, dass ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung.“ In der Ansprache der Zentralbehörde heißt es: „Es ist unser Interesse und unsere Aufgabe, die Revolution permanent zu machen, so lange, bis alle mehr oder weniger besitzenden Klassen von der Herrschaft verdrängt sind, die Staatsgewalt vom Proletariat erobert ist.“ Der Abschnitt 1 des Statuts des Bundes von 1850 lautet: „Der Zweck des Kommunistischen Bundes ist, durch alle Mittel der Propaganda und des politischen Kampfes die Zertrümmerung der alten Gesellschaft – und Sturz der Bourgeoisie -, die geistige, politische und ökonomische Befreiung des Proletariats, die kommunistische Revolution durchzuführen. Der Bund vertritt in den verschiedenen Entwicklungsstufen, welche der Kampf des Proletariats zu durchlaufen hat, stets das Interesse der Gesamtbewegung, wie er stets alle revolutionären Kräfte des Proletariats in sich zu vereinigen und zu organisieren sucht; er ist geheim und unauflöslich, solange die proletarische Revolution ihr Endziel nicht erreicht hat.”
Kurz nach der Auslieferung Nothjungs an Preußen setzte in Köln eine Verhaftungswelle ein.
Doch die erste Anklage vom Herbst 1851 wegen Verabredung zum Hochverrat (Komplott) nach §§ 61 Abs. 2, 63 des preußischen StGB wurde vom Anklagesenat zurückgewiesen, da kein objektiver Tatbestand für die Anklage vorliege und die Untersuchung von neuem beginnen müsse. Es fehlte dem Gericht der Zusammenhang zwischen den revolutionären Texten des Bundes und den behaupteten Taten der Angeschuldigten. Die preußische Polizei unter Stieber versuchte jetzt in London und Paris, neue Zeugen für die Anklage zu gewinnen und beweiskräftige Dokumente vorzulegen. Dramatischer Höhepunkt des Prozesses war der Nachweis der Verteidigung, dass zwei von Stieber vorgelegte Dokumentensammlungen, das Archiv Dietz und das Protokollbuch, durch Einbruch eines Polizeiagenten beschafft bzw. von einem Fälscher im Auftrag Stiebers in London fabriziert waren. Marx konnte den Kölner Anwälten der Verteidigung den Nachweis liefern, dass die Dokumente des Archivs Dietz erst nach der Spaltung des Bundes entstanden sein konnten und nur Aufzeichnungen des Sonderbundes enthielten, also für diesen Prozess irrelevant waren. Beim Protokollbuch konnte Marx nicht nur den Nachweis führen, dass der Text gefälscht war, sondern sogar das vor einem Londoner Polizeigericht zu Protokoll gegebene Geständnis des Fälschers beibringen. Um einen Zusammenhang zwischen einem „Roten Katechismus“, der nicht vom Bund stammte, und Marx herzustellen, wurde ein angeblich von Marx stammendes Begleitschreiben gefälscht, wie ein Schriftvergleich zeigte. Über Wochen war Karl Marx damit beschäftigt, Entlastungsmaterial zu sammeln, das er an Mittelsmänner in Köln sandte, die es an die Verteidiger weiterleiteten.
Im Juni 1852 kam es zur Zulassung einer erweiterten Anklage gegen die schon seit über 15 Monaten in Untersuchungshaft sitzenden Häftlinge. Doch der Beginn der Strafverhandlung wurde mit Rücksicht auf die Erkrankung des Kölner Polizeirats Schulz, eines Belastungszeugen, um drei Monate verschoben. Die Verteidigung wurde anfangs grob behindert, weil die Anklage die Einsicht in die Belastungsdokumente lange verweigerte. So hatte der Angeklagte Lessner die Anklageschrift erst drei Tage vor Prozessbeginn erhalten und konnte sie in der schwach beleuchteten Zelle kaum lesen.
Für die mündliche Verhandlung war ein Zeitraum von 14 Tagen geplant. Tatsächlich erstreckte sie sich über sechs Wochen, weil das Gericht sich mehr Zeit für die Vernehmung der 73 Zeugen der Anklage und der 22 Entlastungszeugen nahm. Die Zeugen stammten meist aus Köln und hatten zwischen 1848 und 1850 irgendwie in Kontakt mit den Angeklagten gestanden. Auch die Prüfung der von der Staatsanwaltschaft nachgereichten Beweisdokumente nahm mehr Zeit in Anspruch, weil das Gericht den Eindruck unfairer Verhandlungsführung vermeiden wollte. Dennoch ließ es die Verlesung des Vernehmungsprotokolls eines nicht mehr greifbaren Beschuldigten zu, dessen Vernehmer Schulz inzwischen gestorben war. Das war ein Verstoß gegen die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme. Der Prozess erregte großes öffentliches Interesse. Neben den Zuschauern waren zahlreiche Journalisten anwesend. Durch die ausführliche Berichterstattung der Kölnischen Zeitung konnte sich Marx mit zweitägiger Verspätung über den Fortgang informieren.
Die Staatsanwaltschaft wollte beweisen, dass die Angeklagten in ihrer Eigenschaft als Mitglieder des Bundes seit 1848 wegen ihrer Beteiligung an Arbeitervereinigungen, ihrer Teilnahme an Demonstrationen und als Journalisten oder als Versammlungsredner in Köln auf einen Umsturz der Staatsverfassung hingearbeitet hätten. Dazu wurden drei Marx-Texte verlesen, in denen von der gewaltsamen Revolution die Rede ist. Doch gerade dieser Zusammenhang konnte nicht bewiesen werden. Der Bund war in der Revolutionszeit nicht aktiv gewesen und hatte keine Kölner Gemeinde besessen. Der Bund war in Wirklichkeit ein Geheimbund zur Propagierung von Marx’ Ideen, aber kein Generalstab der Revolution. Am Ende der Verhandlungen stand am 12. November 1852 dennoch eine Verurteilung. Das Bekenntnis zur Revolution in den drei Texten gehörte für die Anklage zu den Beweisen für das Komplott. Die Texte wurden im Wortlaut verlesen. Tatsächlich waren die meisten Exemplare des Manifests schon im Februar 1848 an der Grenze beschlagnahmt worden, es hatte keine Bedeutung für die März-Revolution von 1848. Die Revolutionsbekenntnisse in der Ansprache von März 1850 und im Statut vom Dezember 1850 bewiesen zwar die Absicht oder Hoffnung der Marx-Leute, hatten aber kaum etwas mit den konkreten Ereignissen zu tun.
Das Gericht behalf sich mit der These, dass auch die Beihilfe zu einem Komplott strafbar sei. Von den zwölf Angeklagten wurden nur vier von den Geschworenen freigesprochen und die übrigen für schuldig befunden. Das Gericht erkannte unter Berücksichtigung mildernder Umstände auf mehrjährige Freiheitsstrafen.
Der preußische Staat erreichte mit dem Prozess das Ziel der Einschüchterung von Regimegegnern, war aber mit dem „zu milden“ Urteil nicht zufrieden. Deshalb wurde den Schwurgerichten die strafrechtliche Ahndung politischer Verbrechen entzogen und eine Sonderzuständigkeit für einen Senat des Kammergerichts in Berlin geschaffen. Der Kölner Prozess gilt als Zeichen dafür, dass der preußische Staat bei der Bekämpfung von Gegnern oder auch nur Kritikern keine Scheu hatte, rechtsstaatswidrige Methoden zu praktizieren. Der Prozess zeigte aber auch, dass die Justiz im Zweifel nicht wagte, den Staat in seine Schranken zu weisen.
2. Personen
a) Angeklagte
Bei den Angeklagten handelte es sich um Kölner Bürger, die an den revolutionären Ereignissen in Köln 1848/49 teilgenommen hatten und Mitglieder des Bundes der Kommunisten waren oder mit dem Bund in Kontakt gestanden hatten. Fabrikarbeiter waren nicht dabei. Angeklagt waren zwölf Handwerker, Ärzte und Intellektuelle: der Jurist Hermann Becker, der später zum Oberbürgermeisten von Köln aufstieg, der Arzt Roland Daniels, der drei Jahre später an den Folgen einer Tuberkulose starb, die er sich im Gefängnis zugezogen hatte, der Schneider Friedrich Lessner, der später für Marx den seidenen Smoking schneiderte, der auf dem bekanntesten Marx-Foto verewigt ist. Weiter angeklagt waren die Ärzte Abraham Jacobi und Johann Jacob Klein, ferner der Chemiker Carl W. Otto, der Bankangestellte Albert Ehrhardt, der Schreiber Wilhelm Reiff, der Journalist Heinrich Bürgers, der Zigarrendreher Peter Röser und der Schneider Peter Nothjung, mit dessen Verhaftung der Prozess begonnen hatte. Der steckbrieflich gesuchte Dichter Ferdinand Freiligrath hatte rechtzeitig nach London fliehen können, wo er als Bankangestellter arbeitete.
b) Verteidigung
Die Verteidigung hatten erfahrene liberale Kölner Rechtsanwälte übernommen. Einen Großteil der Verteidigung organisierte Karl Marx von London aus im Hintergrund. Verteidiger waren die Rechtsanwälte Schneider für die Angeklagten Röser und Bürgers, von Hontheim für den Angeklagten Lessner, Esser für die Angeklagten Erhard und Daniels, Thessmar für den Angeklagten Reiff, Nacken für die Angeklagten Otto und Klein sowie Schürmann für den Angeklagten Nothjung übernommen, der gelernte Jurist Becker verteidigte sich selbst.
c) Gericht
Eine Besonderheit der Rheinprovinz waren die Geschworenengerichte, ein Erbe napoleonischer Zeit, das die preußische Regierung gern liquidiert hätte. Bei den Geschworenen im Kommunistenprozess handelte es sich um gut situierte Kölner Bürger, meist Kaufleute, auch ein Jurist war dabei.
3. Zeitgeschichtliche Einordnung
Der Kölner Prozess fällt in die zweite Phase der Restauration in Deutschland und insbesondere in Preußen. Die erste Phase hatte nach dem Sieg über Napoleon 1814 und dem Wiener Kongress 1815 begonnen, die zweite dauerte vom Scheitern der Revolution 1849 bis zum Beginn der Neuen Ära 1859. Mit dem Prozess sollte das Ansehen des durch die 1848er Revolution beschädigten preußischen Staates und der Monarchie wiederhergestellt werden.
4. Anklage
Die Staatsanwaltschaft erhielt ihre Anleitung vom Polizeirat Stieber, der Rückendeckung des preußischen Polizeipräsidenten Friedrich von Hinckeldey besaß, der wiederum den König regelmäßig informierte. Von Hinckeldey schrieb dem König: „Gelingt die Verurteilung auch nur einiger Angeklagten, so ist damit, schon wegen des Beispiels am Rhein, ungemein viel erreicht – jedenfalls ist das glimmende Feuer im Entstehen gelöscht.“
Die nachgebesserte Anklageschrift umfasste 216 Seiten. Jedem der zwölf Angeklagten wurde Beteiligung an der Vorbereitung von Hochverrat, strafbar nach §§ 61 Abs. 2, 63 des preußischen StGB, vorgeworfen.
Als Beweis für das Komplott wurden das Kommunistische Manifest und Marx’ Ansprachen aufgeführt, als markanteste Textstelle wurde Artikel 1 der Statuten des Bundes vom 1. Dezember 1850 aufgeführt, in dem als Bundeszweck „die Zertrümmerung der alten Gesellschaft mit allen Mitteln der Propaganda und des politischen Kampfes“ bezeichnet wird. Für die revolutionäre Tätigkeit der Angeklagten sollten auch 73 Belastungszeugen aussagen.
5. Verteidigung/ Konzept der Verteidigung
Die Verteidiger hatten nur in einem Punkt eine einheitliche Strategie, sie bestritten, dass es ein Komplott im Sinne des Strafrechts gegeben habe. Rechtsanwalt Schneider argumentierte, der aus dem französischen Strafrecht übernommene Begriff des Komplotts verlange, eine bestimmte gewaltsame Handlung als Gegenstand des verbrecherischen Willens, die Verabredung der Verschworenen über die Modalitäten dieser Handlung, Ort, Zeit und Mittel und den festen Entschluss, diese Handlung mit dem Zweck des gewaltsamen Umsturzes der Verfassung durchzuführen. Einzelne Angeklagte bestritten, je Mitglied des Bundes gewesen zu sein. So verwies Becker darauf, dass er schon 1848 gegen Geheimbünde gewesen sei, wer politisch etwas erreichen wolle, müsse öffentlich auftreten. Andere gestanden ihre Mitgliedschaft ein, bestritten aber mit Rechtsargumenten den Tatvorwurf. So wurde ausgeführt, die Anklage beruhe auf dem preußischen Strafgesetzbuch von 1851, das erst nach den angeblichen Taten in Kraft getreten sei. Weiter gehöre zum Hochverratskomplott die Absicht, den Monarchen zu töten, was niemand im Sinn gehabt habe. Bei dem Bund handele es sich um eine Art Propagandaverein für Marx’ Ideen, aber es liege kein konkreter Umsturzplan vor. Die allgemeine Absicht, eine soziale Revolution zu fördern, erfülle nicht den Tatbestand. Marx brachte dieses Argument auf die einfache Formel: „Aber wenn das Endziel des Bundes der Umsturz der Gesellschaft (ist), so ist sein Mittel notwendig die politische Revolution, und er impliziert den Umsturz des preußischen Staates, weil ein Erdbeben den Umsturz des Hühnerstalls impliziert“ („Enthuellungen über den Kommunisten-Prozess zu Köln“, MEW 8, S. 414).
Schließlich wurde argumentiert, das französische Strafrecht, dem der Komplott-Tatbestand nachgebildet sei, kenne nur Täter, aber keine Beihilfe.
6. Urteil
Am 12. November 1852 erging das Urteil. Für vier Angeklagte endete der Prozess mit Freispruch: Jacoby, Daniels, Klein und Ehrhardt. Nothjung und Bürgers wurden zu sechs Jahren Festung verurteilt, Reif, Otto und Becker zu fünf Jahren, Lessner zu drei Jahren. Das Argument der meisten Angeklagten, sie hätten die Revolution nicht selbst auslösen, sondern nur den Anfang einer neuen bürgerlichen Revolution abwarten und dann erst handeln wollen, ließ das Gericht nicht gelten. Gerade diejenigen, die erst nach Beginn einer Revolution eingreifen und das Zerstörungswerk vollenden wollten, seien die gefährlichsten Feinde des Staates. Das Gericht hielt den Zusammenhang zwischen den revolutionären Absichten der Angeklagten und den konkreten Taten in Köln zwischen 1848 und 1850 für erwiesen, obwohl es doch anfangs einen „Mangel an Tatbestand“ konstatiert hatte. Um nicht alle als Haupttäter qualifizieren zu müssen, hatte es sich mit sogenannten Subsidiarfragen an die Geschworenen gewandt. So wurden einige Angeklagte nur wegen Beihilfe verurteilt. Das Gericht erkannte auch auf mildernde Umstände, um das Strafmaß zu begrenzen.
7. Wirkung
Das Urteil demonstrierte liberal gesonnenen Bürgern, dass der preußische Staat jede Form von politischem Aufbegehren auch mit Hilfe der Justiz unterdrücken konnte. Marx reagierte in London mit der Auflösung seines Bundes „als nicht mehr zeitgemäß“, und auch die Sonderbündler gaben bald auf. Marx wollte jetzt gleichsam Revolution vom Schreibtisch aus machen – konkreter vom Lesesaal des Britischen Museums aus – durch Analyse des kapitalistischen Systems. Dessen notwenigen Untergang wollte er beweisen. 15 Jahre später erschien in Hamburg der erste Band seines Hauptwerks „Das Kapital“.
8. Würdigung
Das Urteil war ein politisches Urteil. Einem Racheakt des Staates gegen die Revolution von 1848 wurde der Schein des Rechts gegeben. Nach der sogenannten herrschenden Rechtslehre gehörte zum Tatbestand des Komplotts ein konkreter Plan, den der Bund und seine einzelnen Mitglieder nicht hatten. Der Tatbestand sei eng auszulegen. Auch unter dem Gesichtspunkt einer Staatsgefährdung war das Urteil nicht zu rechtfertigen. Vielleicht hatten sich die Angeklagten wegen anderer Delikte strafbar gemacht, Majestätsbeleidigung, Aufruhr, Landfriedensbruch. Während der 1848er Revolution hatte sich der Bund der Kommunisten zurückgehalten. Marx hatte seine „Neue Rheinische Zeitung“ ausdrücklich mit dem Untertitel „Organ der Demokratie“ versehen. 1850 hatte er sich von der revolutionären Betriebsamkeit des Sonderbundes Schapper/Willich in London ebenso ausdrücklich distanziert. Verständlich wird das Urteil erst, wenn man den enormen Druck der Anklagebehörde und der politischen Polizei berücksichtigt, ferner die Angst der Richter und Geschworenen vor einer Zwangsversetzung oder einer Abschaffung der Geschworenengerichte. Es fällt auf, dass das Gericht auf die Machenschaften des Polizeirats Stieber nicht einging. Dem Gericht kann man allenfalls zugutehalten, dass es keine Präzedenzfälle gab, dass man also juristisches Neuland betrat. Zu dem Urteil mag auch der antiliberale Zeitgeist beigetragen haben. Kommunisten galten weithin als gemeingefährlich, unabhängig von ihren konkreten Taten. Der Bund war eine Geheimorganisation und solche Vereinigungen galten im 19. Jahrhundert als besonders bedrohlich. Das preußische StGB hatte dafür den neuen Straftatbestand der Geheimbündelei geschaffen. Mit dem weiteren neuen Straftatbestand der Anreizung zum Klassenkampf wurde sozialistische Agitation verfolgt. In der DDR-Geschichtsschreibung galt der Prozess als erste Verschwörung gegen das internationale Proletariat und als Vorläufer des KPD-Prozesses von 1956 in der Bundesrepublik. Das geht an der Wirklichkeit vorbei, ein internationales Proletariat gab es noch nicht, die Angeklagten kamen aus dem Bürgertum oder Kleinbürgertum. Vergleichbare Prozesse gegen 1848er fanden auch in anderen Staaten des Deutschen Bundes statt.
Den Kölner Kommunistenprozess muss man im Zusammenhang mit den anderen Maßnahmen zur Abkehr von der vorsichtigen Liberalisierung als Folge der 1848er Revolution sehen. So wurde die erste Kammer des Landtags zum Herrenhaus umgestaltet, das Drei-Klassen-Wahlrecht für das Abgeordnetenhaus eingeführt, die kommunale Selbstverwaltung eingeschränkt, das Grundschulwesen auf die Vermittlung der Fähigkeiten, die Bibel zu lesen und das Einmaleins zu beherrschen. Zur Restaurationsideologie gehörte ebenso die enge Bindung von Thron und Altar, also die evangelische Staatskirche. Das besondere Interesse König Friedrich Wilhelms IV. an dem Prozess rührt auch von seiner enttäuschten Zuneigung zum Rheinland her. Als Romantiker hatte er sich für den schönen Rhein begeistern können, den Weiterbau des Kölner Doms betrieben und die Universität Bonn gefördert. Nach 1848 sahen er und seine Kamarilla überall Verrat und er ernannte gleichsam zur Strafe einen erzreaktionären Beamten zum Oberpräsidenten der Rheinprovinz. Eine langanhaltende Wirkung der reaktionären Politik im Rheinland nach 1850 war der weitverbreitete Preußenhass im Bürgertum. Noch 1946 warnte der spätere Bundeskanzler Adenauer vor einer Wiederherstellung Preußens: „Preußen ist der böse Geist Europas.“
9. Quellen/ Literatur
Beck, F. / Schmidt, W. (Hrsg.): Dokumente aus geheimen Archiven. Die Polizeikonferenzen deutscher Staaten, 1851–1866, Weimar 1993;
Bittel, K.: Der Kommunistenprozess zu Köln 1852 im Spiegel der zeitgenössischen Presse, Berlin 1955 (beinhaltet Abdruck des Urteils);
Golsong, C.: Der Kölner Kommunistenprozess von 1852 aus rechtshistorischer Sicht, Diss. Iur., Köln 1995;
Herres, J.: Der Kölner Kommunistenprozess von 1852, in: Geschichte in Köln. Zeitschrift für Stadt- und Regionalgeschichte, Bd. 50, 2003, S. 133–155;
Herrnstadt, R.: Die erste Verschwörung gegen das internationale Proletariat. Zur Geschichte des Kölner Kommunistenprozesses 1852, Berlin 1958;
Marx, K.: Enthüllungen über den Kommunisten-Prozeß zu Köln, Basel 1853, Nachdruck Berlin 1952 und Karl Marx und Friedrich Engels: Werke, Bd. 8, Berlin 1960, S. 405–470;
Wermuth, C.-G. / Stieber, W.: Die Communisten-Verschwörungen im neunzehnten Jahrhundert, Berlin 1853, Reprint Berlin 1976.
Klaus Körner
Januar 2018
Klaus Körner studierte Rechtswissenschaften und Politikwissenschaften. Von 1969 bis 1975 war er am Institut für Politikwissenschaft der Universität Hamburg tätig. Zahlreiche Publikationen zur deutschen Kulturgeschichte, speziell zur Verlagsgeschichte der Bundesrepublik sowie eine Karl Marx Biographie (2008) und ein Karl Marx Lesebuch (2018).
Zitierempfehlung:
Körner, Klaus: „Der Kölner Kommunisten-Prozess, Deutschland 1852“, in: Groenewold/ Ignor / Koch (Hrsg.), Lexikon der Politischen Strafprozesse, https://www.lexikon-der-politischen-strafprozesse.de/glossar/koelner-kommunisten-prozess/, letzter Zugriff am TT.MM.JJJJ.
Abbildungen
Verfasser und Herausgeber danken den Rechteinhabern für die freundliche Überlassung der Abbildungen. Rechteinhaber, die wir nicht haben ausfindig machen können, mögen sich bitte bei den Herausgebern melden.
© 1852 Der Kölner Kommunistenprozess, Machahn 14:50, 20 December 2006 (UTC), veränderte Größe von lexikon-der-politischen-strafprozesse.de, CC0 1.0