Jacoby, Johann

bearbei­tet von
Prof. Dr. Uwe Wesel

Preußen 1841/1843
Aufwiegelung
Majestätsbeleidigung
Hochverrat

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Der Prozess gegen Johann Jacoby
Deutschland 1841/1843

Johann Jacoby

Wilhelm Heinrich
Grolmann

Nach den Nieder­la­gen gegen Napole­on bei Jena und Auerstedt 1806 verlor Preußen die Hälfte seiner Gebie­te und begann unter Fried­rich Wilhelm III. (1797 bis 1840) grund­le­gen­de Refor­men durch den Freiherrn vom und zum Stein und Karl-August vom Harden­berg. Sie brach­ten den Bauern die Aufhe­bung der Erbun­ter­tä­nig­keit unter adlige Grund­her­ren („Bauern­be­frei­ung“), den Städte­bür­gern ab einem Mindest­ein­kom­men die kommu­na­le Selbst­ver­wal­tung, den Juden die Gleich­stel­lung mit allen Unter­ta­nen (ohne den Zugang zum Militär oder Staats­amt), die allge­mei­ne Wehrpflicht der Männer (Landwehr), die Gewer­be­frei­heit durch Aufhe­bung des Zunft­zwangs und durch Wilhelm von Humboldt eine umfas­sen­de Bildungs­re­form mit einheit­li­chen staat­li­chen Schulen (Volks­schu­le, Gymna­si­um) und einer moder­nen Univer­si­tät mit der Freiheit von Forschung und Lehre. Schon am Anfang war mit dem General­di­rek­to­ri­um und einzel­nen Fachmi­nis­tern eine einheit­li­che Staats­form geschaf­fen worden. Aber Preußen blieb eine militä­ri­sche absolu­tis­ti­sche Monarchie.

Dazu gehör­te auch, dass Fried­rich Wilhelm III. sein Verspre­chen nicht einlös­te, für das Land eine Verfas­sung zu erlas­sen. Das hatte er am Ende des Wiener Kongres­ses 1815 gegeben, als der besieg­te Napole­on sein Exil auf der Mittel­meer­in­sel Elba aufgab und in Paris ein neues Heer für den Endkampf mobili­sier­te. Die noch in Wien erlas­se­ne Verord­nung vom 22. Mai 1815 sah vor, dass eine Verfas­sung mit Parla­ment gebil­det wird, vorbe­rei­tet über die Provin­zi­al­stän­de aus Adel, vermö­gen­den Städte­bür­gern und wohlha­ben­den Bauern, und eine staat­li­che Kommis­si­on, die in Berlin am 1. Septem­ber 1815 zusam­men­tre­ten sollten. Das Ganze als Ansporn für die Preußen im Kampf gegen Napoleon.
Als der aber im Juni von einer britisch-preußi­schen Armee bei Water­loo endgül­tig besiegt und auf die Atlan­tik­in­sel St. Helena verbannt war, ist dieses Verfas­sungs­ver­spre­chen für den König nicht mehr inter­es­sant gewesen. Es begann ganz allge­mein der konser­va­tiv-reaktio­nä­re „Vormärz“ der Ära Metter­nich. Die Libera­len durften weiter hoffen auf Einheit des deutschen Reichs, Rechts­staat­lich­keit und Verfas­sung, aber nicht mehr darüber reden, geschwei­ge denn singen. Als nämlich der Breslau­er Profes­sor August Heinrich von Fallers­le­ben 1841 auf der Insel Helgo­land das „Lied der Deutschen“ schrieb mit dem Refrain „Einig­keit und Recht und Freiheit“, wurde er 1842 von Fried­rich Wilhelm IV., der 1840 Nachfol­ger seines Vaters gewor­den war, ohne Gehalt aus dem Amt entlas­sen. Das ist das Umfeld gewesen, in dem 1841 der Prozess gegen Johann Jacoby begann, der entschie­den wurde durch Heinrich Wilhelm von Grolman, den Chefprä­si­den­ten des Oberap­pel­la­ti­ons­se­nats im Berli­ner Kammergericht.

Dr. Johann Jacoby
Arzt in Königs­berg
Fotograf: Hermann Günther
Berlin, 1877
FotoTech­ni­ken;
8,65 cm x 5,80 cm
Inv.-Nr.: IV 90/5 V 27,5
© Stiftung Stadt­mu­se­um Berlin

Jacoby war 36 Jahre alt, Arzt in Königs­berg, Sohn eines kleinen jüdischen Kaufmanns der Stadt, und gehör­te zu den jungen deutschen Intel­lek­tu­el­len, die durch die franzö­si­sche Juli-Revolu­ti­on 1830 politi­siert worden waren. Mitte Febru­ar 1841 hatte er eine Flugschrift mit 38 Seiten verfasst, „Vier Fragen, beant­wor­tet von einem Ostpreu­ßen“. Mit dieser Schrift wollte er Einfluss nehmen auf den Landtag der ostpreu­ßi­schen Stände, der für Ende Febru­ar in Danzig einbe­ru­fen war. Eine Flugschrift wie Hunder­te andere damals. Sie hatte das Ziel, den neuen König zu veran­las­sen, das Verfas­sungs­ver­spre­chen seines Vaters von 1815 zu erfül­len, was ja über die Landstän­de laufen sollte. Eine Flugschrift wie viele andere. Aber sie schlug ein wie eine Bombe. Johann Jacoby war mit einem Schlag einer der bekann­tes­ten demokra­ti­schen Kämpfer in Deutschland.

Heinrich Wilhelm von Grolman, damals 62 Jahre alt, stamm­te aus einer westfä­li­schen adligen Familie von preußi­schen Juris­ten und Offizie­ren. Er selbst war beides, hatte es in seiner juris­ti­schen Laufbahn bis in die Höhen des Kammer­ge­richts gebracht und ist – so berich­tet es die große Geschich­te des ehrwür­di­gen Gerichts von Fried­rich Holtze – „der Held von Wawre“ gewesen, als Komman­deur eines Landwehr­ba­tail­lons ausge­zeich­net mit dem Eiser­nen Kreuz Erster Klasse wegen Tapfer­keit in der Schlacht von Wawre im Juni 1815, in der preußi­sche Truppen verhin­der­ten, dass wichti­ge Teile der franzö­si­schen Armee recht­zei­tig in die Schlacht bei Water­loo eingrei­fen konnten und so ein Sieg gegen Napole­on möglich wurde. Ebenso tapfer und stand­fest war er im Prozess gegen Jacoby und ermög­lich­te einen Sieg gegen den König.

Die „Vier Fragen“ der Flugschrift waren nämlich in präzi­ser Arbeit juris­tisch stich­fest formu­liert und stilis­tisch klar und knapp von großer Überzeu­gungs­kraft, daher der litera­ri­sche Erfolg, gezielt auf die Abgeord­ne­ten des ostpreu­ßi­schen Landtags, aber als fikti­ver Bericht über ihre schon abgeschlos­se­ne Tagung.

Die erste Frage: „Was wünsch­ten die Stände?“ Und die Antwort: „Gesetz­mä­ßi­ge Teilnah­me der selbstän­di­gen Bürger an den Angele­gen­hei­ten des Staates“. Das bedeu­te­te eine Verfas­sung mit einem Parla­ment, das an der Gesetz­ge­bung betei­ligt ist. In Preußen habe das an Sitte und Intel­li­genz hochste­hen­de Volk kaum den gerings­ten Anteil an der Regie­rung. Die Teilnah­me der Bürger an den Angele­gen­hei­ten des Staats sei aber ein dringen­des Bedürf­nis für „die Fortbil­dung der Nation“. Statt­des­sen verhin­de­re der Staat mit seiner Zensur die Meinungs­frei­heit. Auch das Gerichts­we­sen und die Verwal­tung seien der Mitwir­kung des Volkes völlig entzo­gen. Statt­des­sen herrsche „Beamten­ge­walt und politi­sche Nichtig­keit seiner selbst­stän­di­gen Bürger“.

Die zweite Frage: „Was berech­tig­te die Stände zu ihrem Verlan­gen?“. Die Antwort: „Das Bewusst­sein eigener Mündig­keit und ihre am 22. Mai 1815 faktisch und gesetz­lich erfolg­te Mündig­spre­chung.“ Jacoby erinnert an den Zusam­men­bruch der Monar­chie durch den Sieg Napole­ons, die Stein-Harden­berg­schen Refor­men und die Verord­nung des Königs vom 22. Mai 1815 über die zu bilden­de Volks­re­prä­sen­ta­ti­on. „Man beach­te es wohl! Nicht ein bloßes Verspre­chen liegt hier vor, sondern ein nicht umzudeu­ten­des Königs­wort – ein Gesetz!“ Tatsäch­lich war die Wiener Verord­nung in der Preußi­schen Gesetz-Sammlung mit dem Datum vom 22. Mai 1815 veröf­fent­licht worden.

Auf die dritte Frage, welchen Bescheid die Stände erhal­ten hätten, antwor­te­tet Johann Jacoby: „Die Anerken­nung ihrer treuen Gesin­nung, Abwei­sung der gestell­ten Anträ­ge und trösten­de Hindeu­tung auf einen künfti­gen unbestimm­ten Ersatz.“ Aber das könig­li­che Wort vom 22 Mai 1815 sei eindeu­tig. Die Verord­nung habe noch volle gesetz­li­che Geltung, denn sie sei nicht durch ein folgen­des Gesetz aufge­ho­ben worden. Die Stände hätten deshalb nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, darauf zu bestehen, dass die Verord­nung von 1815 vollzo­gen werde.

Die vierte und letzte Frage „Was bleibt der Stände­ver­samm­lung zu tun übrig?“ beant­wor­tet er mit einem einzi­gen kurzen Satz: „Das, was bisher als Gunst erbeten, nunmehr als bewie­se­nes Recht in Anspruch zu nehmen.“

Karl August Varnha­gen von Ense, Diplo­mat und Chronist des Vormärz, nannte diese Schrift nach der Lektü­re im März 1841 „in aller Kürze eine Instruk­ti­on und ein Zeughaus (Waffen­kam­mer, U.W.) für die konsti­tu­tio­nel­le Opposition“.

Nach der Abfas­sung im Januar 1841 hatte Jacoby sie schnell an seinen Verle­ger in Leipzig geschickt, der sie nach dem Empfang noch in dersel­ben Nacht drucken und in 5.000 Exempla­ren vertei­len ließ, sofort in die Preußi­schen Provin­zen, etwas später nach Berlin. Preußens Innen­mi­nis­ter von Rochow verbot am 22. Febru­ar die Verbrei­tung. Aber der Zugriff der Polizei kam zu spät, ebenso wie das Verbot des Bundes­tags für das gesam­te deutsche Bundesgebiet.

Die mutige und maßvol­le Schrift erreg­te in ganz Deutsch­land ein ungeheu­res Aufse­hen. Weder vorher noch später hat eine Flugschrift solch eine Wirkung gehabt und Johann Jacoby war damit ein berühm­ter Mann gewor­den. Nachdem sie zunächst anonym erschie­nen war, begann die Suche der preußi­schen Polizei nach ihrem Urheber. Deshalb schick­te Jacoby sie dem König und erklär­te sich allein verantwortlich.

Am 2. März befahl Fried­rich Wilhelm IV. die Eröff­nung einer gericht­li­chen Unter­su­chung gegen ihn, aber der Justiz­mi­nis­ter sollte dafür sorgen, dass Jacoby vor einem rechts­kräf­ti­gen Urteil nicht verhaf­tet werde. Innen­mi­nis­ter von Rochow misch­te sich auch energisch in die Straf­ver­fol­gung ein. Statt wie gewöhn­lich das zustän­di­ge Gericht die Ankla­ge erheben zu lassen, ließ er in seinem Minis­te­ri­um einen 32 Seiten starken Entwurf anfer­ti­gen, den der Justiz­mi­nis­ter an das Königs­ber­ger Oberlan­des­ge­richt schick­te. Dementspre­chend eröff­ne­te das Gericht am 13. März die Krimi­nal­un­ter­su­chung gegen Jacoby wegen dreier Verbre­chen (Allge­mei­nes Landrecht für die Preußi­schen Staaten von 1794, 2. Teil, 20. Titel, 3. bis 5. Abschnitt):

§ 151 Erregung von Missver­gnü­gen gegen die Regie­rung, Gefäng­nis- oder Festungs­stra­fe von 6 Monaten bis 2 Jahre,
§ 199 Majes­täts­be­lei­di­gung, zwei- bis vierjäh­ri­ge Zucht­haus- oder Festungs­stra­fe, und
§§ 92, 93 Hochver­rat, Todesstrafe.

Die Richter wiesen aber zugleich darauf hin, dass sie für ein Urteil über Hochver­rat nicht zustän­dig seien. Diese Strafe könne nur das Kammer­ge­richt in Berlin verhängen.

Am 14. März wurde Jacobys Wohnung durch­sucht und der Prozess begann am nächs­ten Tag, heimlich und hinter verschlos­se­nen Türen. Bis zum 26. April wurde er 16 mal verhört, hatte sich gut vorbe­rei­tet, leugne­te alle Vorwür­fe und schrieb auf Grund seines „ungewöhn­li­chen guten Gedächt­nis­ses“ ein genau­es Proto­koll der Verhand­lung, zuhau­se und noch am selben Tag, und zeigte eine „vollkom­me­ne Bekannt­schaft mit allen in der Schrift (des Innen­mi­nis­ters Rochow, U. W.) berühr­ten Gegen­stän­de, Geset­zen und adminis­tra­ti­ven Bestim­mun­gen“, wie es in den Regie­rungs­ak­ten heißt. Ende April unter­brach das Oberlan­des­ge­richt den Prozess und schick­te dem Justiz­mi­nis­ter einen vorläu­fi­gen Abschlussbericht.

Wegen der Zustän­dig­keit im Hinblick auf den Hochver­rat übergab der Minis­ter die Akten dem Kammer­ge­richt in Berlin mit dem Auftrag, das bishe­ri­ge Verfah­ren zu prüfen und über die Sache zu beschlie­ßen. Das Kammer­ge­richt entschied, Jacoby habe keinen Hochver­rat began­gen. In der Tat. Es genüg­te ein Blick auf den § 92 PrALR (Preußi­sches Allge­mei­nes Landrecht):

„Ein Unter­neh­men, welches auf eine gewalt­sa­me Umwäl­zung der Verfas­sung des Staats oder gegen das Leben oder die Freiheit seines Oberhaupts abzielt, ist Hochverrath“

Das Oberlan­des­ge­richt könne den Prozess ohne Ankla­ge wegen Hochver­rats beenden. Wenn der Justiz­mi­nis­ter die Fortset­zung des Prozes­ses wegen Hochver­rats anord­ne­te, würde das Kammer­ge­richt den Prozess fortset­zen und entscheiden.

Weil beide Gerich­te sich für unzustän­dig erklär­ten, den Prozess als Ganzes zu führen, musste der König selbst entschei­den. Er erklär­te in einer Kabinetts­or­der am 30. August 1841:

„Wiewohl Ich nun der Ansicht des Kammer­ge­richts beistim­me, so will Ich doch zur Besei­ti­gung jedes Kompe­tenz­zwei­fels hiermit beson­ders anord­nen, daß der Krimi­nal­se­nat zu Königs­berg als der ordent­li­che Gerichts­stand des Jacoby wegen der gegen densel­ben aufge­stell­ten Anschul­di­gun­gen die Unter­su­chung zu führen und das Erkennt­nis abzufas­sen berech­tigt sein soll.“

Ein tolles Stück! Das Oberlan­des­ge­richt sollte auch über Hochver­rat entschei­den und es war eindeu­tig, dass das Urteil hier auf eine Todes­stra­fe hinaus­lau­fen würde. Also setzten die Richter in Königs­berg das Verfah­ren weiter fort, am 10. Novem­ber 1841. Jacoby wurde noch viermal verhört und hat, bevor sie am 22. Novem­ber zum Ende der Vorun­ter­su­chung kamen, in einem Gesuch an den König ihre Zustän­dig­keit angefoch­ten und gegen die Kabinetts­or­der vom 30. August Einspruch erhoben. Nun wurde es grotesk. Der König erließ am 11. Dezem­ber eine neue Kabinetts­or­der, erklär­te, er habe Jacoby nicht seinem gesetz­li­chen Richter entzie­hen wollen, hob seine Order vom 30. August auf und überließ die Wahl des urtei­len­den Gerichts dem Angeklag­ten. Ein großer Erfolg für Jacoby, denn das Königs­ber­ger Gericht hätte ihn „zum hölli­schen Feuer verur­teilt“, wie Theodor von Schön in einem Brief vom 24. Dezem­ber schrieb, der Oberprä­si­dent von Preußen mit Sitz in Königs­berg. Johann Jacoby wählte das Berli­ner Kammergericht.

Wieder vertei­dig­te er sich allein, ohne Anwalt, und schrieb auf Grund seiner bishe­ri­gen Proto­kol­le wieder eine ausführ­li­che Darle­gung seiner Vertei­di­gung. Eine peinlich genaue Vertei­di­gungs­schrift war notwen­dig, denn im schrift­li­chen preußi­schen Krimi­nal­pro­zess konnte der Angeklag­te nicht persön­lich auftre­ten. Er reich­te sie beim Gericht ein am 31. Dezem­ber 1841, wollte sie noch vor dem Urteil als Broschü­re veröf­fent­li­chen, was nur über einen Schwei­zer Verlag möglich war. Deshalb erschien sie erst danach. Das Urteil des Kammer­ge­richts erging in erster Instanz am 5. April. Vom Vorwurf des Hochver­rats wurde Jacobi freige­spro­chen, aber wegen Majes­täts­be­lei­di­gung und Erregung von Missver­gnü­gen gegen die Regie­rung zu zweiein­halb Jahren Festungs­haft verurteilt.

Die Vertei­di­gungs­schrift für diesen ersten Prozess, „Meine Recht­fer­ti­gung“, erschien Mitte Juni 1842 und war schon einen Monat später in Preußen „überall verbrei­tet“, wie der Innen­mi­nis­ter im Juli an den Außen­mi­nis­ter berich­te­te. Noch im selben Jahr erschie­nen zwei weite­re Aufla­gen mit einem starken Echo in ganz Deutsch­land. Ebenso erging es der zweiten Vertei­di­gungs­schrift, „Meine weite­re Vertei­di­gung“, die Ende Septem­ber 1842 in Zürich erschien.

Endlich erging das endgül­ti­ge Urteil des Oberap­pel­la­ti­ons­se­nats unter seinem Chefprä­si­den­ten Wilhelm Heinrich von Grolman. Es war der 19. Januar 1843. Und es war eine Sensa­ti­on. Die Libera­len in Deutsch­land jubel­ten. Der König war aufs äußers­te erbit­tert. Der angese­hens­te Gerichts­hof des Landes sprach jenen Jacoby in allen drei Punkten der Ankla­ge völlig frei, der seiner Meinung nach der Todes­stra­fe verdient hätte.

Das Urteil entsprach den Vorschrif­ten des Preußi­schen Allge­mei­nen Landrechts, aber nicht dem Verhal­ten der Justiz damals. Die Urtei­le ergin­gen regel­mä­ßig nicht nur im Namen des Königs, sondern auch in seinem Sinn. Die Unabhän­gig­keit der Richter, die von Grolman zeigte, war nur eine Forde­rung der Libera­len, wie die nach einer Verfassung.

Carl Joseph Begas, Bildnis
Wilhelm Heinrich von Grolman
Berlin, 1845
Öl a. Lwd.; 94,50 cm x 74,50 cm
Inv.-Nr.: VII 59/377 x
© Stiftung Stadt­mu­se­um Berlin
Repro­duk­ti­on:
Micha­el Setzpfandt, Berlin

Wie wenig selbst­ver­ständ­lich das Urteil damals war, zeigt die Haltung des Präsi­den­ten des Kammer­ge­richts damals, Adolf von Kleist. Der hielt wie das Königs­ber­ger Gericht die volle Verur­tei­lung Jacobys in allen drei Punkten für richtig, also auch die Todes­stra­fe, und hat darauf im Gericht auch hinge­wirkt. Das berich­tet Karl August Varnha­gen von Ense in seinem Tagebuch vom 31. Januar 1842. Die Unabhän­gig­keit der Richter erschien damals zuerst in § 133 der Verfas­sung von Kurhes­sen 1831, in Preußen erst 1850. Dazu bald. Dieses Urteil für Jacoby war ein wichti­ger Meilen­stein auf dem Weg dahin.

Und Wilhelm Heinrich von Grolman hat auch den Preis dafür gezahlt. Auf einem Hofball fragte ihn der König, warum das Kammer­ge­richt den Jacoby freige­spro­chen habe. Grolman antwor­te­te: „Majes­tät, das sind Amtssa­chen“. Der König darauf unwirsch: „In solchen Dingen kann ich das Amt nicht von der Person trennen“. „Ich aber kann es“, soll von Grolman geant­wor­tet haben und hat am nächs­ten Tag seinen Abschied einge­reicht. Das war 1845. 1856 ist er gestorben.

Johann Jacoby blieb ein radika­ler Demokrat. 1846 wurde er in Königs­berg wegen zweier Denkschrif­ten an die Provin­zi­al­land­ta­ge zu zweiein­halb Jahren Festungs­haft verur­teilt, dort aber in zweiter Instanz 1847 freige­spro­chen. 1848 ist er in der März-Revolu­ti­on in die Preußi­sche Natio­nal­ver­samm­lung gewählt worden und beging seine zweite große Helden­tat. Als er am 3. Novem­ber mit einer Delega­ti­on im Berli­ner Schloss dem König die Forde­rung der Versamm­lung nach einer Verfas­sung übergab, der König sie wortlos entge­gen nahm, ein Gespräch verwei­ger­te und den Raum verließ, rief er ihm zu: „Das ist das Unglück der Könige, dass sie die Wahrheit nicht hören wollen!“ Diese damals berühm­ten Worte sprachen sich sofort herum und die Berli­ner gingen, um ihm dafür zu danken, mit einem Fackel­zug auf die Straße, abends um 8 Uhr, vom Alexan­der­platz, vorbei am Schloss in die Tauben­stra­ße zum Hotel Mylius, dem Tagungs­ort, wo Jacoby sich aufhielt, eine Stunde lang und es folgten Tausende.

Als der König 1849 das Parla­ment auflös­te und ein Rumpf­par­la­ment ins libera­le Stutt­gart flüch­te­te, wurde er wegen der Teilnah­me an diesem Restpar­la­ment wegen Hochver­rats angeklagt, verhaf­tet und noch im Dezem­ber 1849 von einem Geschwo­re­nen­ge­richt in Königs­berg freige­spro­chen. Der Jubel in der Stadt war groß. Später wurde er Mitglied der libera­len Fortschritts­par­tei und wegen einer Rede im Wahlkampf im Berli­ner „Kolos­se­um“, weil er angeb­lich zu Steuer­ver­wei­ge­run­gen aufge­ru­fen hatte, 1864 vom Berli­ner Krimi­nal­ge­richt zu sechs Monaten Gefäng­nis verur­teilt. Das Kammer­ge­richt bestä­tig­te das Urteil 1865. 1866 wurde er wieder ins Abgeord­ne­ten­haus gewählt und verließ später die Fortschritts­par­tei. Während des deutsch-franzö­si­schen Kriegs 1870/71 hielt er in Königs­berg eine Rede und kriti­sier­te die geplan­te Annexi­on Elsaß-Lothrin­gens. Deswe­gen wurde er im Septem­ber auf einer Festung in Ostpreu­ßen inter­niert, aber auf Initia­ti­ve Bismarcks nach einem Monat wieder freige­las­sen, man weiß nicht genau, ob aus Mitleid oder Hochach­tung für diesen „alten dürren Juden“, wie er ihn nannte. 1872 ist Johann Jacoby Mitglied der Sozial­de­mo­kra­ti­schen Arbei­ter­par­tie gewor­den und 1877 gestor­ben, 76 Jahre alt.

Fried­rich Wilhelm IV. hat 1850 eine „oktroy­ier­te“ (dem Volk von oben gegebe­ne, U.W.) Verfas­sung erlas­sen, die zu einem großen Teil dem entsprach, was die Natio­nal­ver­samm­lung verlang­te. In Art. 86 hieß es:

„Die richter­li­che Gewalt wird im Namen des Königs durch unabhän­gi­ge, keiner anderen Autori­tät als der des Geset­zes unter­wor­fe­ne Gerich­te ausgeübt“.

Das war ohne Zweifel ein großer Fortschritt. Damit entstan­den aber zwei Proble­me, die bis heute nicht befrie­di­gend gelöst sind – die Beför­de­rung in höhere und besser bezahl­te Richter­stel­lun­gen und die Schwie­rig­kei­ten um das Richter­recht. Zum einen gab es schon damals die zynische Bemer­kung des preußi­schen Justiz­mi­nis­ters Gerhard Leonhardt (1865/66), mit der Unabhän­gig­keit der Richter könne er leben, solan­ge er das Recht ihrer Beför­de­rung behal­te. Und dazu eben das Richter­recht, also der richter­li­chen Ausfül­lung von Lücken im Recht, der freien Inter­pre­ta­ti­on von Geset­zen bis zum Urtei­len contra legem, gegen das Gesetz. Man braucht sich dazu nur anzuse­hen, was nach Meinung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts alles in den 146 Artikeln des Grund­ge­set­zes steht. Die dazu veröf­fent­lich­ten Entschei­dun­gen werden bald 146 Bände füllen.

Quellen

Eine vorzüg­li­che Biogra­fie Johann Jacobys ist Edmund Silber­ner, Johann Jacoby, Politi­ker und Mensch, 1976. Hier finden sich die meisten Zitate aus den Akten der Regie­rung zum Prozess von 1841/43. Das Urteil ist nicht mehr vorhan­den. Hier auch mehre­re Abbil­dun­gen von Jacoby. Zum Prozess auch noch: Fried­rich Holtze, Geschich­te des Kammer­ge­richts in Branden­burg-Preußen, 4. Teil, Das Kammer­ge­richt im 19. Jahrhun­dert, 1904, S. 147 Fraktur. Zur Geschich­te und den Proble­men der Unabhän­gig­keit der Richter: Dieter Simon, Die Unabhän­gig­keit der Richter, 1975, dort S. 31 die Bemer­kung des Justiz­mi­nis­ters Leonhardt. Zum Richter­recht ausführ­lich: Regina Ogorek, Aufklä­rung über Justiz, 2. Halbband, Richter­kö­nig oder Subsum­ti­ons­au­to­mat. Zur Justiz­theo­rie im 19. Jahrhun­dert, 2. Aufl. 2008.

PS: Die Berli­ner haben Wilhelm Heinrich von Grolman ein Denkmal gesetzt, indem vom Savigny­platz in Charlot­ten­burg zwei Straßen abgehen, die Carmer­stra­ße, benannt nach Johann Heinrich von Carmer, dem Schöp­fer des Preußi­schen Allge­mei­nen Landrechts, und die Grolm­an­stra­ße, benannt nach Wilhelm Heinrich von Grolman, und in der Mitte der Platz mit dem Namen Fried­rich Carl von Savignys, des brillan­tes­ten deutschen Juris­ten des 19. Jahrhun­derts. Eine Büste Grolmans stand noch nach 1955 im Berli­ner Gebäu­de des Kammer­ge­richts: Erik Amber­ger, Das Kammer­ge­richt und seine Präsi­den­ten, 1955, Bleistift­ein­tra­gung unter seinem Namen. Eine Abbil­dung seines Berli­ner Grabs: Wikipedia.

Uwe Wesel
Mai 2019

Uwe Wesel, Jahrgang 1933, Studi­um der klassi­schen Philo­lo­gie und der Rechts­wis­sen­schaft in Hamburg und München, 1969 Profes­sor für Rechts­ge­schich­te und Zivil­recht an der Freien Univer­si­tät Berlin, 2001 emeritiert.

Zitier­emp­feh­lung:

Wesel, Uwe: „Der Prozess gegen Johann Jacoby, Deutsch­land 1841/1843“, in: Groenewold/ Ignor / Koch (Hrsg.), Lexikon der Politi­schen Straf­pro­zes­se, https://www.lexikon-der-politischen-strafprozesse.de/glossar/jacoby-johann/, letzter Zugriff am TT.MM.JJJJ.

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