Preußen 1841/1843
Aufwiegelung
Majestätsbeleidigung
Hochverrat
Der Prozess gegen Johann Jacoby
Deutschland 1841/1843
Nach den Niederlagen gegen Napoleon bei Jena und Auerstedt 1806 verlor Preußen die Hälfte seiner Gebiete und begann unter Friedrich Wilhelm III. (1797 bis 1840) grundlegende Reformen durch den Freiherrn vom und zum Stein und Karl-August vom Hardenberg. Sie brachten den Bauern die Aufhebung der Erbuntertänigkeit unter adlige Grundherren („Bauernbefreiung“), den Städtebürgern ab einem Mindesteinkommen die kommunale Selbstverwaltung, den Juden die Gleichstellung mit allen Untertanen (ohne den Zugang zum Militär oder Staatsamt), die allgemeine Wehrpflicht der Männer (Landwehr), die Gewerbefreiheit durch Aufhebung des Zunftzwangs und durch Wilhelm von Humboldt eine umfassende Bildungsreform mit einheitlichen staatlichen Schulen (Volksschule, Gymnasium) und einer modernen Universität mit der Freiheit von Forschung und Lehre. Schon am Anfang war mit dem Generaldirektorium und einzelnen Fachministern eine einheitliche Staatsform geschaffen worden. Aber Preußen blieb eine militärische absolutistische Monarchie.
Dazu gehörte auch, dass Friedrich Wilhelm III. sein Versprechen nicht einlöste, für das Land eine Verfassung zu erlassen. Das hatte er am Ende des Wiener Kongresses 1815 gegeben, als der besiegte Napoleon sein Exil auf der Mittelmeerinsel Elba aufgab und in Paris ein neues Heer für den Endkampf mobilisierte. Die noch in Wien erlassene Verordnung vom 22. Mai 1815 sah vor, dass eine Verfassung mit Parlament gebildet wird, vorbereitet über die Provinzialstände aus Adel, vermögenden Städtebürgern und wohlhabenden Bauern, und eine staatliche Kommission, die in Berlin am 1. September 1815 zusammentreten sollten. Das Ganze als Ansporn für die Preußen im Kampf gegen Napoleon.
Als der aber im Juni von einer britisch-preußischen Armee bei Waterloo endgültig besiegt und auf die Atlantikinsel St. Helena verbannt war, ist dieses Verfassungsversprechen für den König nicht mehr interessant gewesen. Es begann ganz allgemein der konservativ-reaktionäre „Vormärz“ der Ära Metternich. Die Liberalen durften weiter hoffen auf Einheit des deutschen Reichs, Rechtsstaatlichkeit und Verfassung, aber nicht mehr darüber reden, geschweige denn singen. Als nämlich der Breslauer Professor August Heinrich von Fallersleben 1841 auf der Insel Helgoland das „Lied der Deutschen“ schrieb mit dem Refrain „Einigkeit und Recht und Freiheit“, wurde er 1842 von Friedrich Wilhelm IV., der 1840 Nachfolger seines Vaters geworden war, ohne Gehalt aus dem Amt entlassen. Das ist das Umfeld gewesen, in dem 1841 der Prozess gegen Johann Jacoby begann, der entschieden wurde durch Heinrich Wilhelm von Grolman, den Chefpräsidenten des Oberappellationssenats im Berliner Kammergericht.
Jacoby war 36 Jahre alt, Arzt in Königsberg, Sohn eines kleinen jüdischen Kaufmanns der Stadt, und gehörte zu den jungen deutschen Intellektuellen, die durch die französische Juli-Revolution 1830 politisiert worden waren. Mitte Februar 1841 hatte er eine Flugschrift mit 38 Seiten verfasst, „Vier Fragen, beantwortet von einem Ostpreußen“. Mit dieser Schrift wollte er Einfluss nehmen auf den Landtag der ostpreußischen Stände, der für Ende Februar in Danzig einberufen war. Eine Flugschrift wie Hunderte andere damals. Sie hatte das Ziel, den neuen König zu veranlassen, das Verfassungsversprechen seines Vaters von 1815 zu erfüllen, was ja über die Landstände laufen sollte. Eine Flugschrift wie viele andere. Aber sie schlug ein wie eine Bombe. Johann Jacoby war mit einem Schlag einer der bekanntesten demokratischen Kämpfer in Deutschland.
Heinrich Wilhelm von Grolman, damals 62 Jahre alt, stammte aus einer westfälischen adligen Familie von preußischen Juristen und Offizieren. Er selbst war beides, hatte es in seiner juristischen Laufbahn bis in die Höhen des Kammergerichts gebracht und ist – so berichtet es die große Geschichte des ehrwürdigen Gerichts von Friedrich Holtze – „der Held von Wawre“ gewesen, als Kommandeur eines Landwehrbataillons ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz Erster Klasse wegen Tapferkeit in der Schlacht von Wawre im Juni 1815, in der preußische Truppen verhinderten, dass wichtige Teile der französischen Armee rechtzeitig in die Schlacht bei Waterloo eingreifen konnten und so ein Sieg gegen Napoleon möglich wurde. Ebenso tapfer und standfest war er im Prozess gegen Jacoby und ermöglichte einen Sieg gegen den König.
Die „Vier Fragen“ der Flugschrift waren nämlich in präziser Arbeit juristisch stichfest formuliert und stilistisch klar und knapp von großer Überzeugungskraft, daher der literarische Erfolg, gezielt auf die Abgeordneten des ostpreußischen Landtags, aber als fiktiver Bericht über ihre schon abgeschlossene Tagung.
Die erste Frage: „Was wünschten die Stände?“ Und die Antwort: „Gesetzmäßige Teilnahme der selbständigen Bürger an den Angelegenheiten des Staates“. Das bedeutete eine Verfassung mit einem Parlament, das an der Gesetzgebung beteiligt ist. In Preußen habe das an Sitte und Intelligenz hochstehende Volk kaum den geringsten Anteil an der Regierung. Die Teilnahme der Bürger an den Angelegenheiten des Staats sei aber ein dringendes Bedürfnis für „die Fortbildung der Nation“. Stattdessen verhindere der Staat mit seiner Zensur die Meinungsfreiheit. Auch das Gerichtswesen und die Verwaltung seien der Mitwirkung des Volkes völlig entzogen. Stattdessen herrsche „Beamtengewalt und politische Nichtigkeit seiner selbstständigen Bürger“.
Die zweite Frage: „Was berechtigte die Stände zu ihrem Verlangen?“. Die Antwort: „Das Bewusstsein eigener Mündigkeit und ihre am 22. Mai 1815 faktisch und gesetzlich erfolgte Mündigsprechung.“ Jacoby erinnert an den Zusammenbruch der Monarchie durch den Sieg Napoleons, die Stein-Hardenbergschen Reformen und die Verordnung des Königs vom 22. Mai 1815 über die zu bildende Volksrepräsentation. „Man beachte es wohl! Nicht ein bloßes Versprechen liegt hier vor, sondern ein nicht umzudeutendes Königswort – ein Gesetz!“ Tatsächlich war die Wiener Verordnung in der Preußischen Gesetz-Sammlung mit dem Datum vom 22. Mai 1815 veröffentlicht worden.
Auf die dritte Frage, welchen Bescheid die Stände erhalten hätten, antwortetet Johann Jacoby: „Die Anerkennung ihrer treuen Gesinnung, Abweisung der gestellten Anträge und tröstende Hindeutung auf einen künftigen unbestimmten Ersatz.“ Aber das königliche Wort vom 22 Mai 1815 sei eindeutig. Die Verordnung habe noch volle gesetzliche Geltung, denn sie sei nicht durch ein folgendes Gesetz aufgehoben worden. Die Stände hätten deshalb nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, darauf zu bestehen, dass die Verordnung von 1815 vollzogen werde.
Die vierte und letzte Frage „Was bleibt der Ständeversammlung zu tun übrig?“ beantwortet er mit einem einzigen kurzen Satz: „Das, was bisher als Gunst erbeten, nunmehr als bewiesenes Recht in Anspruch zu nehmen.“
Karl August Varnhagen von Ense, Diplomat und Chronist des Vormärz, nannte diese Schrift nach der Lektüre im März 1841 „in aller Kürze eine Instruktion und ein Zeughaus (Waffenkammer, U.W.) für die konstitutionelle Opposition“.
Nach der Abfassung im Januar 1841 hatte Jacoby sie schnell an seinen Verleger in Leipzig geschickt, der sie nach dem Empfang noch in derselben Nacht drucken und in 5.000 Exemplaren verteilen ließ, sofort in die Preußischen Provinzen, etwas später nach Berlin. Preußens Innenminister von Rochow verbot am 22. Februar die Verbreitung. Aber der Zugriff der Polizei kam zu spät, ebenso wie das Verbot des Bundestags für das gesamte deutsche Bundesgebiet.
Die mutige und maßvolle Schrift erregte in ganz Deutschland ein ungeheures Aufsehen. Weder vorher noch später hat eine Flugschrift solch eine Wirkung gehabt und Johann Jacoby war damit ein berühmter Mann geworden. Nachdem sie zunächst anonym erschienen war, begann die Suche der preußischen Polizei nach ihrem Urheber. Deshalb schickte Jacoby sie dem König und erklärte sich allein verantwortlich.
Am 2. März befahl Friedrich Wilhelm IV. die Eröffnung einer gerichtlichen Untersuchung gegen ihn, aber der Justizminister sollte dafür sorgen, dass Jacoby vor einem rechtskräftigen Urteil nicht verhaftet werde. Innenminister von Rochow mischte sich auch energisch in die Strafverfolgung ein. Statt wie gewöhnlich das zuständige Gericht die Anklage erheben zu lassen, ließ er in seinem Ministerium einen 32 Seiten starken Entwurf anfertigen, den der Justizminister an das Königsberger Oberlandesgericht schickte. Dementsprechend eröffnete das Gericht am 13. März die Kriminaluntersuchung gegen Jacoby wegen dreier Verbrechen (Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794, 2. Teil, 20. Titel, 3. bis 5. Abschnitt):
§ 151 Erregung von Missvergnügen gegen die Regierung, Gefängnis- oder Festungsstrafe von 6 Monaten bis 2 Jahre,
§ 199 Majestätsbeleidigung, zwei- bis vierjährige Zuchthaus- oder Festungsstrafe, und
§§ 92, 93 Hochverrat, Todesstrafe.
Die Richter wiesen aber zugleich darauf hin, dass sie für ein Urteil über Hochverrat nicht zuständig seien. Diese Strafe könne nur das Kammergericht in Berlin verhängen.
Am 14. März wurde Jacobys Wohnung durchsucht und der Prozess begann am nächsten Tag, heimlich und hinter verschlossenen Türen. Bis zum 26. April wurde er 16 mal verhört, hatte sich gut vorbereitet, leugnete alle Vorwürfe und schrieb auf Grund seines „ungewöhnlichen guten Gedächtnisses“ ein genaues Protokoll der Verhandlung, zuhause und noch am selben Tag, und zeigte eine „vollkommene Bekanntschaft mit allen in der Schrift (des Innenministers Rochow, U. W.) berührten Gegenstände, Gesetzen und administrativen Bestimmungen“, wie es in den Regierungsakten heißt. Ende April unterbrach das Oberlandesgericht den Prozess und schickte dem Justizminister einen vorläufigen Abschlussbericht.
Wegen der Zuständigkeit im Hinblick auf den Hochverrat übergab der Minister die Akten dem Kammergericht in Berlin mit dem Auftrag, das bisherige Verfahren zu prüfen und über die Sache zu beschließen. Das Kammergericht entschied, Jacoby habe keinen Hochverrat begangen. In der Tat. Es genügte ein Blick auf den § 92 PrALR (Preußisches Allgemeines Landrecht):
„Ein Unternehmen, welches auf eine gewaltsame Umwälzung der Verfassung des Staats oder gegen das Leben oder die Freiheit seines Oberhaupts abzielt, ist Hochverrath“
Das Oberlandesgericht könne den Prozess ohne Anklage wegen Hochverrats beenden. Wenn der Justizminister die Fortsetzung des Prozesses wegen Hochverrats anordnete, würde das Kammergericht den Prozess fortsetzen und entscheiden.
Weil beide Gerichte sich für unzuständig erklärten, den Prozess als Ganzes zu führen, musste der König selbst entscheiden. Er erklärte in einer Kabinettsorder am 30. August 1841:
„Wiewohl Ich nun der Ansicht des Kammergerichts beistimme, so will Ich doch zur Beseitigung jedes Kompetenzzweifels hiermit besonders anordnen, daß der Kriminalsenat zu Königsberg als der ordentliche Gerichtsstand des Jacoby wegen der gegen denselben aufgestellten Anschuldigungen die Untersuchung zu führen und das Erkenntnis abzufassen berechtigt sein soll.“
Ein tolles Stück! Das Oberlandesgericht sollte auch über Hochverrat entscheiden und es war eindeutig, dass das Urteil hier auf eine Todesstrafe hinauslaufen würde. Also setzten die Richter in Königsberg das Verfahren weiter fort, am 10. November 1841. Jacoby wurde noch viermal verhört und hat, bevor sie am 22. November zum Ende der Voruntersuchung kamen, in einem Gesuch an den König ihre Zuständigkeit angefochten und gegen die Kabinettsorder vom 30. August Einspruch erhoben. Nun wurde es grotesk. Der König erließ am 11. Dezember eine neue Kabinettsorder, erklärte, er habe Jacoby nicht seinem gesetzlichen Richter entziehen wollen, hob seine Order vom 30. August auf und überließ die Wahl des urteilenden Gerichts dem Angeklagten. Ein großer Erfolg für Jacoby, denn das Königsberger Gericht hätte ihn „zum höllischen Feuer verurteilt“, wie Theodor von Schön in einem Brief vom 24. Dezember schrieb, der Oberpräsident von Preußen mit Sitz in Königsberg. Johann Jacoby wählte das Berliner Kammergericht.
Wieder verteidigte er sich allein, ohne Anwalt, und schrieb auf Grund seiner bisherigen Protokolle wieder eine ausführliche Darlegung seiner Verteidigung. Eine peinlich genaue Verteidigungsschrift war notwendig, denn im schriftlichen preußischen Kriminalprozess konnte der Angeklagte nicht persönlich auftreten. Er reichte sie beim Gericht ein am 31. Dezember 1841, wollte sie noch vor dem Urteil als Broschüre veröffentlichen, was nur über einen Schweizer Verlag möglich war. Deshalb erschien sie erst danach. Das Urteil des Kammergerichts erging in erster Instanz am 5. April. Vom Vorwurf des Hochverrats wurde Jacobi freigesprochen, aber wegen Majestätsbeleidigung und Erregung von Missvergnügen gegen die Regierung zu zweieinhalb Jahren Festungshaft verurteilt.
Die Verteidigungsschrift für diesen ersten Prozess, „Meine Rechtfertigung“, erschien Mitte Juni 1842 und war schon einen Monat später in Preußen „überall verbreitet“, wie der Innenminister im Juli an den Außenminister berichtete. Noch im selben Jahr erschienen zwei weitere Auflagen mit einem starken Echo in ganz Deutschland. Ebenso erging es der zweiten Verteidigungsschrift, „Meine weitere Verteidigung“, die Ende September 1842 in Zürich erschien.
Endlich erging das endgültige Urteil des Oberappellationssenats unter seinem Chefpräsidenten Wilhelm Heinrich von Grolman. Es war der 19. Januar 1843. Und es war eine Sensation. Die Liberalen in Deutschland jubelten. Der König war aufs äußerste erbittert. Der angesehenste Gerichtshof des Landes sprach jenen Jacoby in allen drei Punkten der Anklage völlig frei, der seiner Meinung nach der Todesstrafe verdient hätte.
Das Urteil entsprach den Vorschriften des Preußischen Allgemeinen Landrechts, aber nicht dem Verhalten der Justiz damals. Die Urteile ergingen regelmäßig nicht nur im Namen des Königs, sondern auch in seinem Sinn. Die Unabhängigkeit der Richter, die von Grolman zeigte, war nur eine Forderung der Liberalen, wie die nach einer Verfassung.
Wie wenig selbstverständlich das Urteil damals war, zeigt die Haltung des Präsidenten des Kammergerichts damals, Adolf von Kleist. Der hielt wie das Königsberger Gericht die volle Verurteilung Jacobys in allen drei Punkten für richtig, also auch die Todesstrafe, und hat darauf im Gericht auch hingewirkt. Das berichtet Karl August Varnhagen von Ense in seinem Tagebuch vom 31. Januar 1842. Die Unabhängigkeit der Richter erschien damals zuerst in § 133 der Verfassung von Kurhessen 1831, in Preußen erst 1850. Dazu bald. Dieses Urteil für Jacoby war ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg dahin.
Und Wilhelm Heinrich von Grolman hat auch den Preis dafür gezahlt. Auf einem Hofball fragte ihn der König, warum das Kammergericht den Jacoby freigesprochen habe. Grolman antwortete: „Majestät, das sind Amtssachen“. Der König darauf unwirsch: „In solchen Dingen kann ich das Amt nicht von der Person trennen“. „Ich aber kann es“, soll von Grolman geantwortet haben und hat am nächsten Tag seinen Abschied eingereicht. Das war 1845. 1856 ist er gestorben.
Johann Jacoby blieb ein radikaler Demokrat. 1846 wurde er in Königsberg wegen zweier Denkschriften an die Provinziallandtage zu zweieinhalb Jahren Festungshaft verurteilt, dort aber in zweiter Instanz 1847 freigesprochen. 1848 ist er in der März-Revolution in die Preußische Nationalversammlung gewählt worden und beging seine zweite große Heldentat. Als er am 3. November mit einer Delegation im Berliner Schloss dem König die Forderung der Versammlung nach einer Verfassung übergab, der König sie wortlos entgegen nahm, ein Gespräch verweigerte und den Raum verließ, rief er ihm zu: „Das ist das Unglück der Könige, dass sie die Wahrheit nicht hören wollen!“ Diese damals berühmten Worte sprachen sich sofort herum und die Berliner gingen, um ihm dafür zu danken, mit einem Fackelzug auf die Straße, abends um 8 Uhr, vom Alexanderplatz, vorbei am Schloss in die Taubenstraße zum Hotel Mylius, dem Tagungsort, wo Jacoby sich aufhielt, eine Stunde lang und es folgten Tausende.
Als der König 1849 das Parlament auflöste und ein Rumpfparlament ins liberale Stuttgart flüchtete, wurde er wegen der Teilnahme an diesem Restparlament wegen Hochverrats angeklagt, verhaftet und noch im Dezember 1849 von einem Geschworenengericht in Königsberg freigesprochen. Der Jubel in der Stadt war groß. Später wurde er Mitglied der liberalen Fortschrittspartei und wegen einer Rede im Wahlkampf im Berliner „Kolosseum“, weil er angeblich zu Steuerverweigerungen aufgerufen hatte, 1864 vom Berliner Kriminalgericht zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Das Kammergericht bestätigte das Urteil 1865. 1866 wurde er wieder ins Abgeordnetenhaus gewählt und verließ später die Fortschrittspartei. Während des deutsch-französischen Kriegs 1870/71 hielt er in Königsberg eine Rede und kritisierte die geplante Annexion Elsaß-Lothringens. Deswegen wurde er im September auf einer Festung in Ostpreußen interniert, aber auf Initiative Bismarcks nach einem Monat wieder freigelassen, man weiß nicht genau, ob aus Mitleid oder Hochachtung für diesen „alten dürren Juden“, wie er ihn nannte. 1872 ist Johann Jacoby Mitglied der Sozialdemokratischen Arbeiterpartie geworden und 1877 gestorben, 76 Jahre alt.
Friedrich Wilhelm IV. hat 1850 eine „oktroyierte“ (dem Volk von oben gegebene, U.W.) Verfassung erlassen, die zu einem großen Teil dem entsprach, was die Nationalversammlung verlangte. In Art. 86 hieß es:
„Die richterliche Gewalt wird im Namen des Königs durch unabhängige, keiner anderen Autorität als der des Gesetzes unterworfene Gerichte ausgeübt“.
Das war ohne Zweifel ein großer Fortschritt. Damit entstanden aber zwei Probleme, die bis heute nicht befriedigend gelöst sind – die Beförderung in höhere und besser bezahlte Richterstellungen und die Schwierigkeiten um das Richterrecht. Zum einen gab es schon damals die zynische Bemerkung des preußischen Justizministers Gerhard Leonhardt (1865/66), mit der Unabhängigkeit der Richter könne er leben, solange er das Recht ihrer Beförderung behalte. Und dazu eben das Richterrecht, also der richterlichen Ausfüllung von Lücken im Recht, der freien Interpretation von Gesetzen bis zum Urteilen contra legem, gegen das Gesetz. Man braucht sich dazu nur anzusehen, was nach Meinung des Bundesverfassungsgerichts alles in den 146 Artikeln des Grundgesetzes steht. Die dazu veröffentlichten Entscheidungen werden bald 146 Bände füllen.
Quellen
Eine vorzügliche Biografie Johann Jacobys ist Edmund Silberner, Johann Jacoby, Politiker und Mensch, 1976. Hier finden sich die meisten Zitate aus den Akten der Regierung zum Prozess von 1841/43. Das Urteil ist nicht mehr vorhanden. Hier auch mehrere Abbildungen von Jacoby. Zum Prozess auch noch: Friedrich Holtze, Geschichte des Kammergerichts in Brandenburg-Preußen, 4. Teil, Das Kammergericht im 19. Jahrhundert, 1904, S. 147 Fraktur. Zur Geschichte und den Problemen der Unabhängigkeit der Richter: Dieter Simon, Die Unabhängigkeit der Richter, 1975, dort S. 31 die Bemerkung des Justizministers Leonhardt. Zum Richterrecht ausführlich: Regina Ogorek, Aufklärung über Justiz, 2. Halbband, Richterkönig oder Subsumtionsautomat. Zur Justiztheorie im 19. Jahrhundert, 2. Aufl. 2008.
PS: Die Berliner haben Wilhelm Heinrich von Grolman ein Denkmal gesetzt, indem vom Savignyplatz in Charlottenburg zwei Straßen abgehen, die Carmerstraße, benannt nach Johann Heinrich von Carmer, dem Schöpfer des Preußischen Allgemeinen Landrechts, und die Grolmanstraße, benannt nach Wilhelm Heinrich von Grolman, und in der Mitte der Platz mit dem Namen Friedrich Carl von Savignys, des brillantesten deutschen Juristen des 19. Jahrhunderts. Eine Büste Grolmans stand noch nach 1955 im Berliner Gebäude des Kammergerichts: Erik Amberger, Das Kammergericht und seine Präsidenten, 1955, Bleistifteintragung unter seinem Namen. Eine Abbildung seines Berliner Grabs: Wikipedia.
Uwe Wesel
Mai 2019
Uwe Wesel, Jahrgang 1933, Studium der klassischen Philologie und der Rechtswissenschaft in Hamburg und München, 1969 Professor für Rechtsgeschichte und Zivilrecht an der Freien Universität Berlin, 2001 emeritiert.
Zitierempfehlung:
Wesel, Uwe: „Der Prozess gegen Johann Jacoby, Deutschland 1841/1843“, in: Groenewold/ Ignor / Koch (Hrsg.), Lexikon der Politischen Strafprozesse, https://www.lexikon-der-politischen-strafprozesse.de/glossar/jacoby-johann/, letzter Zugriff am TT.MM.JJJJ.