Brühne, Vera
und Johann Ferbach

bearbei­tet von
Prof. Dr. Dr. Chris­toph Nix

Deutsch­land 1960–1962
Mord, Waffen­han­del, Rechtsbeugung
Wiederaufnahmerecht

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Der Prozess gegen Vera Brühne und Johann Ferbach
Deutschland 1960–1962

1. Prozessgeschichte/Prozessbedeutung

Als am 4. Juni 1962 die Angeklag­ten Vera Brühne und Johann Ferbach vor dem Landge­richt München II zu lebens­lan­ger Haft verur­teilt wurden, gab es keine kriti­sche Öffent­lich­keit, die bereit gewesen wäre, nach den politi­schen Hinter­grün­den dieser Mordaf­fä­re zu fragen. Der Fall Vera Brühne/Johann Ferbach wurde zu einer Geschich­te, in der die Boule­vard­pres­se die Deutungs­ho­heit besaß, degra­diert zu einer Story aus der Münch­ner Schicke­ria, in der es schein­bar nur um „Sex and Crime“ ging. Dabei spiel­te der westdeut­sche Waffen­han­del nach Israel und in die arabi­schen Staaten, Kriegs­ma­te­ri­al aus dem 2. Weltkrieg, das nach 1956 in Krisen­ge­bie­te gelie­fert wurde, die entschei­den­de Rolle. Einzig die Journa­lis­tin Ulrike Meinhof bezwei­fel­te in der Zeitschrift „konkret“ vom Mai 1962 den Tatvor­wurf, und der Philo­soph Ulrich Sonne­mann verfass­te 1976 ein Feature für den Hessi­schen Rundfunk, in dem er erstmals die politi­schen Hinter­grün­de dieses Straf­pro­zes­ses beleuch­te­te. Der Fall Vera Brühne war in den 1960er Jahren Gegen­stand hefti­ger Debat­ten über das Wieder­auf­nah­me­recht in Deutsch­land (vgl. Peters, Karl: Fehler­quel­len im Straf­pro­zess, Karls­ru­he 1970) und gab Anlass zu Ausein­an­der­set­zun­gen über die Lebens­wei­se allein­er­zie­hen­der Frauen.

Vera Brueh­ne vor Gericht mit ihrem Vertei­di­ger Franz Moser, München, 28. Mai 1962
© pictu­re alliance / dpa

2. Perso­nen

a) Die Angeklagten

Vera Brühne war die Tochter des ehema­li­gen Bürger­meis­ters der Gemein­de Kray-Leithe in der Nähe von Essen, Ludwig Kohlen, und mit dem Schau­spie­ler Hans Cossy verhei­ra­tet. Sie stamm­te aus gutbür­ger­li­chen Verhält­nis­sen, war bei Prozess­be­ginn 51 Jahre alt und hatte eine Tochter, Sylvia Cosiol­kof­ski. Mit dem Mitan­ge­klag­ten Arbei­ter Johann Ferbach war sie befreun­det. In München lernte sie Ende der 1950er Jahre den Arzt Dr. Otto Praun kennen, für den sie Fahrt­diens­te übernahm. Zeitwei­lig verband sie mit Praun auch eine Liebes­be­zie­hung. In einem Testa­ment vermach­te er ihr ein Grund­stück an der Costa Brava. Vera Brühne perso­ni­fi­zier­te vor und während des Straf­pro­zes­ses in der Regen­bo­gen­pres­se die Lebeda­me, sie war Übertra­gungs­flä­che für alle Phanta­sien der „Nympho­ma­nie“ und eheli­chen Untreue, eine, der man schein­bar alles zutrau­en konnte.

Johann Ferbach wuchs in Köln auf und lernte den Beruf des Büchsen­ma­chers. Er wurde bereits 1939 zur Wehrmacht einge­zo­gen. Ferbach war 1943 an der Ostfront deser­tiert – was man ihm im Straf­pro­zess vorwarf – und lebte anschlie­ßend unter dem Namen Hans Spiess in Köln. Johann Ferbach leite­te als Bauar­bei­ter den Umbau des Hauses von Hans Cossy. Während eines Bomben­an­griffs wurde das Haus zerstört, Vera Brühne und ihre Tochter wurden verschüt­tet. Ferbach setzte durch, dass nach den Opfern gegra­ben wurde und rette­te so beiden das Leben. 1960 wurde Ferbach Witwer, er starb 1970 in seiner Zelle.

b) Die Opfer

Otto Praun war Kassen­arzt in München. Er arbei­te­te als Gynäko­lo­ge und handel­te mit Immobi­li­en. 1928 wurde er Mitar­bei­ter der Abwehr, er war Vertrau­ens­arzt der Allianz und Mitglied der NSDAP mit der Mitglieds­num­mer 1.725.299. In den Jahren 1937 und 1944 schütz­te Praun durch Attes­te Opfer des Natio­nal­so­zia­lis­mus vor Verfol­gung. Ein Ehepaar wurde so vor der Zwangs­ar­beit bewahrt. Die Gesta­po ermit­tel­te gegen Praun wegen Versto­ßes gegen die „Verord­nung über außer­or­dent­li­che Rundfunk­maß­nah­men“. 1944 wurde von einem Ortsgrup­pen­lei­ter ein Partei­ord­nungs­ver­fah­ren wegen wieder­hol­ten „Nicht-Tragens“ des Partei­ab­zei­chens angeregt. In einer Akten­no­tiz des BND fanden Journa­lis­ten 2001 den Hinweis, Praun habe „der Spiona­ge von Hitlers Wehrmacht als Offizier oder V‑Mann gedient und später auch dem BND“ und sei „in Waffen­schie­be­rei­en verwi­ckelt“ gewesen. Praun gehör­te zweifel­los beim BND zur Gruppe Gehlen und hatte enge Verbin­dun­gen zu den späte­ren Zeugen Roger Hentges und Hans Brandes, die unter Admiral Canaris im Oberkom­man­do Fremde Heere Ost gedient hatten.

Über Elfrie­de Kloo ist wenig bekannt. Teils wird berich­tet, sie sei die Haushäl­te­rin, teils die Gelieb­te des Arztes Otto Praun gewesen. Sie wurde ebenso wie Otto Praun am 19. April 1960 tot aufge­fun­den. Der Todes­zeit­punkt bleibt bis heute umstritten.

c) Das Gericht

25. April 1962: Unter dem Vorsitz von Landge­richts­di­rek­tor Dr. Klaus Seibert beginnt vor dem mit sechs Laien und drei Berufs­rich­tern besetz­ten Landge­richt München II die Haupt­ver­hand­lung gegen Vera Brühne und Johann Ferbach. Das Gericht war ausschließ­lich mit Männern besetzt, von denen über die Hälfte Mitglie­der der NSDAP gewesen waren und/oder in der Wehrmacht gekämpft hatten.

Rund drei Jahre nach der Urteils­ver­kün­dung tauch­te ein Brief des Vorsit­zen­den Richters Seibert auf, in dem er schrieb: „Dabei sind sich alle Betei­lig­ten selbst­ver­ständ­lich im Klaren, dass ein zweites Verfah­ren nur mit einem Freispruch enden könnte.“

d) Der Staatsanwalt

Karl Rüth ermit­tel­te ausschließ­lich belas­ten­des Beweis­ma­te­ri­al und machte nach dem Prozess Karrie­re in der Münch­ner Justiz. Angeb­lich soll er vom Chefre­dak­teur der Quick Heinz van Nouhys einen roten Ford 17 M geschenkt bekom­men haben.

e) Vertei­di­ger im Strafprozess

Die Liste der Vertei­di­ger eröff­net Franz Moser. Moser hob zwar einer­seits in seinem Plädoy­er das media­le Inter­es­se hervor: „Das leiden­schaft­li­che Inter­es­se, das die Öffent­lich­keit diesem Straf­pro­zeß entge­gen­bringt, ist einma­lig und außer­or­dent­lich. Es ist nicht Sensa­ti­ons­lust und Neugier allein, die Tag für Tag eine schau­lus­ti­ge Menge in diesen Saal locken, nicht bloß Klatsch­sucht und Schaden­freu­de sind es, die in atemlo­ser Spannung den Zuhörer fesseln. Man ist vielmehr geneigt anzuneh­men, daß offen­bar auch der mit dem Prozess­ge­sche­hen nicht Befass­te sich an der Abwägung von Schuld und Unschuld, Sühne und Gerech­tig­keit betei­li­gen möchte.“ Anderer­seits arbei­te­te er konse­quent daran, dass der politi­sche Hinter­grund, die Verstri­ckung Prauns in Waffen­han­del und Spiona­ge, niemals Gegen­stand des Prozes­ses wurde. Weiter­hin steht fest, dass Moser und der Vertei­di­ger Gerhard Pelka, ohne Wissen von Vera Brühne und Johann Ferbach, Exklu­siv­ver­trä­ge mit der Regen­bo­gen­pres­se abschlos­sen, um ihre Honora­re aufzubessern.

Rechts­an­walt Moser hat nachweis­lich der Recher­chen von Birgit­ta Wolff einen Betrag in Höhe von 180.000 DM erhal­ten. Dieses Geld stamm­te von einem Hambur­ger Konto (Wolff, in: Sonnemann/Nix, S. 153). Birgit­ta Wolff, eine der angese­hens­ten Krimi­no­lo­gin­nen der 60er Jahre, folger­te daraus: Ein Anwalt (Moser) stellt dem erhoff­ten gütigen Spender in Aussicht, das Geld werde dafür verwen­det, diese beiden Angeklag­ten freizu­be­kom­men, aber mit dem ausdrück­li­chen Gelöb­nis, nicht Licht in das Dunkel zu bringen (Wolff, ebd., S. 153 ff.). Auch bestä­tigt der Zeuge Hans Brandes in einem Brief vom 18.1.1969, dass Rechts­an­walt Moser ihn aufge­sucht hatte und um Diskre­ti­on hinsicht­lich des politi­schen Inhalts der Affäre gebeten hatte (Wolff, ebd., S. 153 ff.).
Weiter­hin gibt der zweite Vertei­di­ger Hans Pelka in einem Tonband­in­ter­view zu, dass er und Moser Zuwen­dun­gen von einem Hans Ritter aus Hamburg erhal­ten hätten, ohne dass die Angeklag­ten Brühne und Ferbach davon in Kennt­nis gesetzt waren. Diese Recher­chen basie­ren auf Ermitt­lun­gen des Journa­lis­ten Zweig und wurden auf Tonbän­der festge­hal­ten, deren Authen­ti­zi­tät der LKA Direk­tor Karl Haber­brun­ner bestä­tig­te (Sonnemann/Nix, S. 141).
Ein weite­rer Anwalt, Dr. Maximi­li­an Girth, beton­te darüber hinaus: „Wie ich Ihnen bereits… mitteil­te, geht es uns – der Vertei­di­gung – keines­wegs darum, zu bewei­sen, wer den berüch­tig­ten Doppel­mord began­gen hat, sondern ledig­lich darum, dass er von den beiden bedau­erns­wer­ten Opfern …nicht durch­ge­führt wurde.“
Der Verf. hat am 13. Mai 1995 den Sohn des Vertei­di­gers Girth, den Inten­dan­ten Dr. Peter Girth, in Weimar getrof­fen, der ihm dort den Sachver­halt bestä­tig­te, bis hin zu der Kurio­si­tät, dass Dr. Maximi­li­an Girth später eine Zeugin des Brühne Verfah­rens ehelichte.

f) Vertei­di­ger im Wiederaufnahmeverfahren

Wilhelm Hadden­horst (1940–1995) studier­te in Tübin­gen und Erlan­gen Rechts­wis­sen­schaf­ten. Während des Studi­ums war er wissen­schaft­li­che Hilfs­kraft an der Forschungs­stel­le für Straf­pro­zess und Straf­voll­zug bei Karl Peters. Nach dem 1. Staats­examen übernahm er hier neben dem Referen­da­ri­at eine Assis­ten­ten­stel­le und promo­vier­te 1970. Hadden­horst war Gründungs­mit­glied und erster Vorsit­zen­der des 1974 gegrün­de­ten Deutsche Straf­ver­tei­di­ger e. V. Er setzte während der Vertei­di­gung von Vera Brühne einen Teil des Lebens­werks von Karl Peters um: den Nachweis, dass das deutsche Wieder­auf­nah­me­recht keine Chancen für unschul­dig Verur­teil­te bietet. Lässt man das gesam­te politi­sche Umfeld des „Brühne-Prozes­ses“ außer Acht und konzen­triert sich auf immanen­te Wider­sprü­che, so ist es das Verdienst von Hadden­horst, nachge­wie­sen zu haben, dass der vom Gericht angenom­me­ne Todes­zeit­punkt „19.45 Uhr“ natur­wis­sen­schaft­lich betrach­tet unzutref­fend war (vgl. auch Der Spiegel. Nr. 39, 1973).

3. Zeitge­schicht­li­che Einordnung

„Keine Tages­zei­tung, keine Illus­trier­te ließ sich solchen Stoff entge­hen, Metaphern wie ‘Luxus – Laster – Lügen´ (Münch­ner ‘Abend­zei­tung´) bestimm­ten den Reizwert eines Schau­spiels, das selbst der DDR belang­voll schien; die Ost-Berli­ner Staats­fil­mer fertig­ten ein Licht­spiel mit dem Titel ‘Die Lieben­den der Costa Brava´ (letzte Repri­se Frühjahr 1973). Ulrich Sonne­mann verfass­te ein Buch über den ‘bundes­deut­schen Dreyfus-Skandal´ und entnahm dem Münch­ner Urteil einen ‘gemein­ge­fähr­li­chen Grad von Denkver­zicht´, Krimi­nal-Autor Frank Arnau legte die ‘Autop­sie eines Urteils´ vor, Rudolf Augstein nannte den Brühne-Prozeß einen ‘bis zum heuti­gen Tag fortwir­ken­den Skandal‘ (vgl. Spiegel vom 24.9.1973).“

Wir schrei­ben das Jahr 1960. Die Bundes­re­pu­blik Deutsch­land ist einge­bun­den in das westli­che Vertei­di­gungs­bünd­nis. Auf allen wichti­gen Stabstel­len bis hinein in die Justiz und die Geheim­dienst­ap­pa­ra­te sitzen ehema­li­ge NSDAP-Mitglie­der. Die Regie­rung hat vier Jahre vorher die Kommu­nis­ti­sche Partei verbo­ten. Neue Waffen­tech­no­lo­gien werden entwi­ckelt und die deutsche Waffen­in­dus­trie beginnt, eine Infra­struk­tur zu schaf­fen. Das Wirtschafts­wun­der dehnte sich auf alle Schich­ten aus, aber die bürger­li­che Ehe beginnt brüchig zu werden, mit dem Wohlstand beginnt ein offene­rer Lebens­stil. Die Bild-Zeitung schreibt: „Eine Milli­on Ehen in der BRD sind geschie­den oder zerrüt­tet“ (3.4.1962). Zugleich eröff­net Famili­en­mi­nis­ter Würme­ling eine Offen­si­ve für die Familie: „Millio­nen inner­lich gesun­der Famili­en (..). sind als Siche­rung gegen die drohen­de Gefahr der kinder­rei­chen Völker des Ostens mindes­tens so wichtig wie alle militä­ri­schen Siche­run­gen (Kirchen­zei­tung Köln vom 6.12.1961).“

In diesem morali­schen Klima wird Vera Brühne zum Sünden­bock. Die blonde Hexe im Leopar­den­fell­kos­tüm und der an der Ostfront deser­tier­te Johann Ferbach waren für die Regen­bo­gen­pres­se das ideale Täter­paar. Zugleich konnte ihre spekta­ku­lär gehan­del­te Täter­schaft verde­cken, dass es einen undurch­schau­ba­ren politi­schen Hinter­grund gab: Praun war Waffen­händ­ler im Auftrag des BND. Diese These wird von Roger Hentes und Hans Brandes bestä­tigt. Beide Zeugen haben sich entwe­der schrift­lich oder mündlich zur Lebens­ge­schich­te Otto Prauns geäußert, beide Zeugen waren während des „2. Weltkrie­ges“ als Agenten einge­setzt und arbei­te­ten für die Deutsche Abwehr. Mit Roger Hentges hat der Verfas­ser insge­samt vier ausführ­li­che Inter­views geführt. Hentges war von Todes­angst bestimmt, Brandes wurde 1992 vergif­tet in seinem PKW aufge­fun­den. Sämtli­che Dokumen­te von ihm befan­den sich im Nachlass von Birgit­ta Wolff.

Zeitge­schicht­lich spielt der Prozess wenige Jahre vor der sog. Studen­ten­re­vol­te der 68er Jahre, deren größtes Verdienst es ist, die Naziver­gan­gen­heit Deutsch­lands zum Thema gemacht zu haben. Der Mordfall Praun/Kloo und seine angeb­li­chen Täter Brühne und Ferbach hätten die Chance geboten, die Praxis der deutschen Geheim­diens­te während und nach der Nazi-Zeit aufzuarbeiten.

4. Ankla­ge

Die Mordan­kla­ge der Münch­ner Staats­an­walt­schaft ließ jegli­che Bezüge zum histo­risch-politi­schen Kontext außer Acht. Die Tatsa­che, dass Otto Praun im unmit­tel­ba­ren Umfeld von Wilhelm Canaris gearbei­tet hatte und sich in den letzten Jahren vor allem im Nahen Osten aufge­hal­ten habe, wurde niemals Gegen­stand des Ermitt­lungs­ver­fah­rens. Die Todes­angst von Otto Praun, die er zahlrei­chen Menschen vorher gestan­den hatte, sein ungewöhn­li­cher Reich­tum, damals noch Gerücht und heute festste­hen­der Umstand, dass er der Abtrei­bungs­arzt der Münch­ner Schicke­ria war, all dies wurde nie ermit­telt bzw. wenn es ermit­telt wurde, in der Ankla­ge­schrift ausgeklammert.

Die Mordan­kla­ge stütz­te sich ausschließ­lich auf Indizi­en und Zeugen­aus­sa­gen, wie die des Betrü­gers Sigfried Schramm, aber auch die Zeugen­aus­sa­ge von Sylvia Cosiol­kof­ski, die im Haupt­ver­fah­ren zeitwei­se ihre Mutter belastete.

5. Urteil

4. Juni 1962: Trotz wider­sprüch­li­chen Zeugen­aus­sa­gen, zweifel­haf­ten Indizi­en und umstrit­te­nen Gutach­ten verur­teilt das Gericht Vera Brühne und Johann Ferbach wegen Doppel­mor­des zu lebens­lan­gen Zucht­haus­stra­fen. Außer­dem werden ihnen die bürger­li­chen Ehren­rech­te aberkannt. „Aber ich bin doch, bitte, unschul­dig!”, flüstert Vera Brühne nach der Urteils­ver­kün­dung und schlägt die Hände vors Gesicht.

In der mündli­chen Urteils­be­grün­dung heißt es, die Angeklag­ten hätten seit Anfang 1960 geplant, Otto Praun zu töten, weil Vera Brühne befürch­te­te, dass er sein Testa­ment zu ihren Unguns­ten ändern könnte. Die Tatwaf­fe habe sie Otto Praun vermut­lich aus dem Handschuh­fach seines Autos gestoh­len. Ferbach habe am 14. April 1960 in der Arztpra­xis in München angeru­fen, sich als Dr. Schmitz ausge­ge­ben, und sich anschlie­ßend mit dem von Vera Brühne gefälsch­ten Brief gegen­über Elfrie­de Kloo ausge­wie­sen. Die Haushäl­te­rin habe er in den Keller gelockt und dort erschos­sen. Dann habe er auf Otto Praun gewar­tet, ihn in der Diele mit zwei Kopfschüs­sen ebenfalls getötet und einen erwei­ter­ten Suizid vorge­täuscht. Der Tod sei ziemlich exakt um 19.45 Uhr einge­tre­ten. Hierzu schrieb der Spiegel: „Ferbach habe sich unter falschem Namen in die Praun-Villa Eintritt verschafft, Frau Kloo durch einen Genick­schuss getötet, auf die Heimkehr des Arztes gewar­tet und ihn dann in der Garde­ro­be mit zwei Kopfschüs­sen ermordet“.

Die mit dem Arzt liier­te Vera Brühne habe aus Habgier die Tat gemein­sam mit Ferbach geplant und während der Ausfüh­rung in der Nähe des Praun­schen Hauses im Auto gewar­tet. So legten die Richter aufgrund fragwür­di­ger Indizi­en und Zeugen­aus­sa­gen in ihrem Urteil die Tatzeit fest: Bei Praun Gründon­ners­tag, 14. April, um 19.45 Uhr, bei Elfrie­de Kloo mögli­cher­wei­se zwei Stunden früher. Laut Urteil soll Ferbach dem toten Arzt die Pisto­le unter die Hand gescho­ben, das Haus verlas­sen, sich dann „mit der in der Nähe warten­den Brühne” getrof­fen haben und mit ihr aus Pöcking davon­ge­fah­ren sein – etwa um 20 Uhr. Als Tatsa­che aber stell­te das Urteil auch fest, dass Vera Brühne neunein­halb Stunden später, am Karfrei­tag­mor­gen, in Bonn „gegen 5.30 Uhr die Mitbe­woh­ner des elter­li­chen Hauses, die Eheleu­te Wittich, mit der Behaup­tung weckte, dass das Türschloss klemme.”

Sieben Wieder­auf­nah­me­ge­su­che wurden abgewie­sen. Dazu gehör­te auch der letzte Wieder­auf­nah­me­an­trag mit der Beschwer­de an den BGH. Nachdem das Münch­ner Landge­richt – als Forsters Forschungs­re­sul­ta­te noch nicht vorla­gen – den Wieder­auf­nah­me­an­trag abgewie­sen hatte, sollte nun das Oberlan­des­ge­richt München in letzter Instanz entschei­den: aufgrund des 99 Seiten starken Forster-Gutach­tens, das Wilhelm Hadden­horst im Beisein des langjäh­ri­gen Brühne-Vertei­di­gers Franz Moser zusam­men mit der Beschwer­de­schrift dem 1. Straf­se­nat des OLG vorlegte.

Der Freibur­ger Arzt Prof. Dr. Forster führt darin den Nachweis, dass der vom Münch­ner Schwur­ge­richt 1962 festge­stell­te Tatzeit­punkt “ausge­schlos­sen ist”: „Der Fall Brühne hätte neu verhan­delt werden müssen – jener Fall, der einst zur umstrit­tens­ten Krimi­nal­af­fä­re der Nachkriegs­zeit geriet und Verfah­rens-Kriti­kern nachge­ra­de als Synonym für Justiz­irr­tum, Bayerns Justiz aber als ein Exempel ihrer Glaub­wür­dig­keit gilt“ (Spiegel a.a.O).

6. Würdi­gung

Ulrich Sonne­mann hat die Justiz­sa­che Brühne-Ferbach mit dem Dreyfus-Skandal vergli­chen. Betrach­tet man, mit welcher Energie – und kaum erkenn­bar, von wo denn die Einfluss­nah­men kamen – eine Öffent­lich­keit im „Fall Brühne-Ferbach“ verhin­dert wurde, so ist dieser Vergleich keines­wegs übertrie­ben. „Der bundes­deut­sche Dreyfus-Skandal. Rechts­bruch und Denkver­zicht in der zehn Jahre alten Justiz­sa­che Brühne-Ferbach“ wurde 1970 auf Antrag von Franz Josef Strauß, zwei Wochen nach dem Erschei­nen, beschlag­nahmt. „Die Beschlag­nah­me war bundes­weit, erreg­te viel Aufse­hen, war aber wenig erfolg­reich, da mein damali­ger Verle­ger Rogner schon am Nachmit­tag vorher gewarnt worden war und gleich mit angemes­se­nen posta­li­schen Handlun­gen reagiert hatte. Zur Beschlag­nah­me gehör­ten auch Haussu­chun­gen, vier Beamte standen morgens an meiner Tür“ (Sonne­mann, S. 198).

Der Verfas­ser hat 15 Jahre später (1985) mit Ulrich Sonne­mann eine neue Recher­che zum Prozess Brühne-Ferbach publi­ziert: Ulrich Sonne­mann (Herausgeber)/Christoph Nix (Redak­ti­on): „Die Vergan­gen­heit, die nicht endete – Macht­rausch, Geschäft und Verfas­sungs­ver­rat im Justiz­skan­dal Brühne-Ferbach.“ Das Buch war Gegen­stand mehre­rer Anfra­gen im Deutschen Bundes­tag und wurde im Sommer 1985 erneut vom Landge­richt München II auf Antrag des Minis­te­ri­al­di­ri­gen­ten Karl-Helmut schnell verbo­ten und beschlag­nahmt. Ein verhäng­tes Ordnungs­geld in Höhe von 25.000 DM wurde mit einer Spende Jan Phillip Reemts­mas gezahlt.

Nach dem Tod von Rechts­an­walt Wilhelm Hadden­horst 1995 nahmen Vera Brühnes juris­ti­sche Versu­che einer Rehabi­li­tie­rung ein Ende. Sie war alt gewor­den. Am 17. April 2001 starb sie in München. Ulrich Sonne­mann war am 27. März 1993 gestor­ben. Dem Focus Verlag in Gießen fehlten die finan­zi­el­len Mittel, den Fall Brühne/Ferbach erneut zu publi­zie­ren. Die Recher­chen der Journa­lis­tin Gaby Weber sind m.E. wider­sprüch­lich und haben der Aufar­bei­tung des Falles eher Steine in den Weg gelegt. Die filmi­sche Aufar­bei­tung von Hark Bohm, der den Verfas­ser damals um Materi­al gebeten hatte, bleibt im Wesent­li­chen ein unpoli­ti­scher Versuch („Vera Brühne“, 2001).

Es besteht die Absicht, bei der Heraus­ga­be von Ulrich Sonne­manns Gesamt­werk im Oktober 2017 seine Schrif­ten zum Fall Brühne/Ferbach mit einem Geleit­wort des Verfas­sers neu heraus­zu­ge­ben. Damit wäre eine Dokumen­ta­ti­on dieses Prozes­ses wieder öffent­lich zugäng­lich. Die jünge­re Geschich­te des BND und die in diesem Zusam­men­hang verüb­ten Morde warten noch auf eine Aufar­bei­tung. Voraus­set­zung wäre die rückhalt­lo­se Öffnung der BND-Archi­ve von 1949 bis 1976.

7. Quellen:

Urteil des LG München I 10/O 170/70, Az 7 KS I/62; Arnau, Frank: Die Straf­un­rechts­pfle­ge in der Bundes­re­pu­blik, 1967; Helmens­dor­fer, Erich: Irrte hier die Justiz, Die Zeit vom 18.11.1966; Nix, Chris­toph: Deutsche Kurzschlüs­se. Einlas­sun­gen zu Justiz, Macht und Herrschaft, Hamburg 1997; Preute, Gabrie­le und Micha­el: Deutsch­lands Krimi­nal­fall Nr.1: Vera Brühne – Ein Justiz­irr­tum. München 1979; Sonne­mann, Ulrich/Nix, Chris­toph: Die Vergan­gen­heit, die nicht endete. Gießen 1985; Wickert, Ulrich: Von Dreyfus bis Brühne, in: Sonne­mann, Ulrich: Der misshan­del­te Rechts­staat, 1982; Anfra­ge des Abgeord­ne­ten Pauli. Deutscher Bundes­tag 13. Febru­ar 1986.

Chris­toph Nix
April 2017

Chris­toph Nix ist Jurist und war Theater­in­ten­dant an verschie­de­nen Theatern, derzeit am Theater Konstanz. Lehrtä­tig­keit an der Hochschu­le Hanno­ver, der Univer­si­tät der Künste in Berlin und an den Univer­si­tä­ten Bern und Bremen. Zu seinen Veröf­fent­li­chun­gen gehören Theater­stü­cke und Romane, zuletzt der Krimi­nal­ro­man „Muzun­gu“ (2018). Nix lebt zeitwei­se in Afrika und plant ein Theater in Togo.

Zitier­emp­feh­lung:

Nix, Chris­toph: „Der Prozess gegen Vera Brühne und Johann Ferbach, Deutsch­land 1960–1962“, in: Groenewold/ Ignor / Koch (Hrsg.), Lexikon der Politi­schen Straf­pro­zes­se, https://www.lexikon-der-politischen-strafprozesse.de/glossar/bruehne-vera-und-johann-ferbach/, letzter Zugriff am TT.MM.JJJJ.

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