Rothardt, Erwin

bearbei­tet von
Prof. Dr. Walter Mühlhausen

Deutsch­land 1924
Verleum­dung Reichspräsident
Fried­rich Ebert
Magde­bur­ger Prozess


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Der Prozess gegen Erwin Rothardt
Deutschland 1924

1. Prozessgeschichte/Prozessbedeutung

Der Prozess vor dem Magde­bur­ger Landge­richt wegen Belei­di­gung des Reichs­prä­si­den­ten war der bedeu­tends­te unter den mehr als 200 Gerichts­ver­fah­ren, die Fried­rich Ebert (1871–1925) als Staats­ober­haupt zur Ehren­ret­tung seiner Person, seines Amtes und der Weima­rer Republik führte. Er endete am 23. Dezem­ber 1924 mit einem Aufse­hen erregen­den Richter­spruch: Zwar wurde der angeklag­te Redak­teur Erwin Rothardt wegen Belei­di­gung zu einer Gefäng­nis­stra­fe von drei Monaten verur­teilt, doch stell­te das Gericht auch fest, dass Ebert durch Betei­li­gung an einem Streik zu Beginn des Jahres 1918 im juris­ti­schen Sinne Landes­ver­rat began­gen habe – ein ihn persön­lich tief verlet­zen­des, von vielen Demokra­ten als Skandal betrach­te­tes Urteil. Ausgangs­punkt für den spekta­ku­lärs­ten Prozess des Reichs­prä­si­den­ten war Eberts zweiter Besuch Münchens im Juni 1922, bei dem ihm der deutsch­völ­ki­sche Agita­tor Emil Gansser auf dem Bahnhofs­vor­platz „Landes­ver­rä­ter“ zurief. Dieser von rechten Kreisen gegen­über Ebert immer wieder erhobe­ne Vorwurf spiel­te konkret auf seine Rolle beim Berli­ner Streik im Januar 1918 an, als 200.000 Muniti­ons­ar­bei­ter in den Ausstand getre­ten waren. Gegen diesen Vorwurf des Landes­ver­rats setzte sich Ebert mit juris­ti­schen Mitteln zur Wehr und trat als Neben­klä­ger in dem Belei­di­gungs­ver­fah­ren gegen Gansser in München auf. Wie Ebert bei seiner Verneh­mung am 31. Juli 1923 im Reichs­prä­si­den­ten­pa­lais beton­te, war die von ihm geführ­te SPD vom Streik 1918 vollkom­men überrascht worden. Sein Eintre­ten in die Streik­lei­tung sei ledig­lich in dem Bestre­ben erfolgt, den Ausstand so schnell wie möglich zu beenden, ohne Schaden für das Reich und ohne nachhal­ti­ge Konse­quen­zen für die Streikenden.

Reichs­prä­si­dent Fried­rich Ebert
am 26. Febru­ar 1925.
Letzte Aufnah­me vor seinem Tod.
© s.u.

Als trotz dieser Aussa­ge das Münch­ner Gericht den Reichs­prä­si­den­ten „Fritz Ebert“ (so die Anrede in der Vorla­dung) für den 7. Febru­ar 1924 einbe­stell­te, beschloss er auf Anraten seines Rechts­an­wal­tes Wolfgang Heine, den Straf­an­trag zurück­zu­zie­hen. Man wollte vermei­den, dass Ebert im Rampen­licht des Verfah­rens Attacken der als äußerst scharf bekann­ten Vertei­di­gung ausge­setzt werde oder der Angeklag­te erneut eine öffent­li­che Gelegen­heit für Verun­glimp­fun­gen bekäme. Die Einstel­lung des Verfah­rens am 5. Febru­ar 1924 brach­te jedoch die antire­pu­bli­ka­ni­sche Hetzla­wi­ne erst so richtig ins Rollen. Gansser verschärf­te in einem von zahlrei­chen Zeitun­gen abgedruck­ten Brief seine Vorwür­fe; es sei nicht tragbar, dass ein Mann an der Spitze der Republik stehe, der den Vorwurf des Landes­ver­rats auf sich sitzen lasse: „Ich richte deshalb die Frage an Sie, Herr Reichs­prä­si­dent: Wann treten Sie zurück?“ Ebert stell­te erneut Straf­an­trag gegen Gansser, der sich dem Verfah­ren jedoch durch Flucht ins Ausland entzog und erst wieder zurück­kehr­te, nachdem er bei den Reichs­tags­wah­len am 4. Mai 1924 ein Mandat für die Natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Freiheits­par­tei erlangt hatte und nun die Immuni­tät nach Art. 37 WRV genoss. Doch gab es noch weite­re Belei­di­gungs­ver­fah­ren, die sich auf Eberts Betei­li­gung am Muniti­ons­ar­bei­ter­streik bezogen. So hatte die „Mittel­deut­sche Presse” in Staßfurt bei Magde­burg, eine mehrfach aufgrund des Geset­zes zum Schut­ze der Republik vom Juli 1922 verbo­te­ne Zeitung, den Brief Ganssers am 23. Febru­ar 1924 unter der Überschrift „Eine bitte­re Pille für Fritze Ebert” mit dem redak­tio­nel­len Zusatz gebracht: „Ob Ebert die Pille verschluckt, oder ob er es doch mit seiner Würde als Reichs­prä­si­dent verein­bart und vor dem Gericht in München erscheint? Bewei­sen Sie doch, Herr Ebert, dass Sie kein Landes­ver­rä­ter sind!” Ebert stell­te gegen den verant­wort­li­chen Redak­teur Erwin Rothardt Straf­an­trag wegen Belei­di­gung. Über diesen Prozess sollte der Vorwurf des Landes­ver­rats ein für alle Mal aus der Welt geschafft werden. Doch es sollte ganz anders kommen.

2. Perso­nen

a) Der Angeklagte

Angeklagt war der mehrfach wegen Presse­ver­ge­hen vorbe­straf­te 25-jähri­ge Redak­teur Erwin Rothardt. Dieser hatte von April 1923 bis Septem­ber 1924 die Leitung der Tages­zei­tung „Mittel­deut­sche Presse” inne. Der Heraus­ge­ber des extrem antide­mo­kra­ti­schen Hetzblat­tes, Hans Hotten­rott, bereits 22 Mal der Verun­glimp­fung der Republik und ihrer Träger für schul­dig befun­den, war unter­ge­taucht, nachdem er im März 1923 wegen Belei­di­gung des Reichs­prä­si­den­ten zu zweiein­halb Jahren Gefäng­nis verur­teilt worden war.

b) Die Verteidiger

Vertei­di­ger waren die Magde­bur­ger Rechts­an­wäl­te August Binde­wald und Theodor Martin. Nach dem Tod Eberts kam Walter Luetge­bru­ne, bekannt als Anwalt rechter Republik­geg­ner, zum Vertei­di­ger­team Rothardts hinzu.

c) Der Neben­klä­ger und seine Prozessbevollmächtigten

Der Neben­klä­ger Fried­rich Ebert war am 11. Febru­ar 1919 zum Reichs­prä­si­den­ten gewählt worden. 1905 Mitglied im SPD-Vorstand und ab 1913 einer der beiden SPD-Partei­vor­sit­zen­den, hatte ihm der letzte kaiser­li­che Reichs­kanz­ler Prinz Max von Baden am 9. Novem­ber 1918 die Reichs­kanz­ler­schaft übertra­gen. Ebert gehör­te auch dem tags darauf gebil­de­ten „Rat der Volks­be­auf­tra­gen“ an, der aus SPD und der 1917 abgespal­te­nen USPD bestehen­den Revolu­ti­ons­re­gie­rung, die bis zum Febru­ar 1919 die obers­te Regie­rungs­ge­walt innehat­te. Ebert beauf­trag­te mit der Wahrneh­mung seiner Inter­es­sen Wolfgang Heine (SPD), 1919/20 preußi­scher Innen­mi­nis­ter, und Otto Lands­berg (SPD), gemein­sam mit Ebert 1918/19 Mitglied im Rat der Volks­be­auf­trag­ten und 1919 Reichsjustizminister.

d) Das Gericht

Den Vorsitz hatte Landge­richts­di­rek­tor Gustav Bewers­dorff inne; beisit­zen­der Richter war Landge­richts­rat Emil Schult­ze. Beide galten als deutsch­na­tio­nal und sollten sich später rühmen, dem Reichs­prä­si­den­ten durch das Urteil Schaden zugefügt zu haben. Als Schöf­fen fungier­ten ein Kaufmann und ein Lehrer. Ankla­ge­ver­tre­ter war General­staats­an­walt Wilhelm Storp aus Celle, assis­tiert von Staats­an­walt­schafts­rat Ernst Doßmann aus Magdeburg.

3. Zeitge­schicht­li­che Einordung

Der Fall stand im Zusam­men­hang mit der von Republik­geg­nern propa­gier­ten Dolch­stoß­le­gen­de, die mit dem Auftritt von Paul von Hinden­burg, ab 1916 Chef der Obers­ten Heeres­lei­tung (OHL), im Novem­ber 1919 vor dem Unter­su­chungs­aus­schuss der Natio­nal­ver­samm­lung zur Klärung des Zusam­men­bruchs 1918 zum Schlag­wort des öffent­li­chen Diskur­ses gewor­den war. Die Legen­de, die das politi­sche Klima der Republik nachhal­tig vergif­te­te, schob in Verdre­hung der Tatsa­che, dass der Krieg im Herbst 1918 militä­risch verlo­ren war, der Revolu­ti­on die Schuld an der Nieder­la­ge zu. Die Träger des Umstur­zes, die Sozial­de­mo­kra­ten, die man bereits im Kaiser­reich als „Vater­lands­ver­rä­ter“ außer­halb der Gesell­schaft gestellt hatte, seien nichts weiter als Landes­ver­rä­ter, die den Front­kämp­fern in den Rücken gefal­len seien. Ohne die Revolu­ti­on, ohne den „Dolch­stoß“, hätte ‒ so die Quint­essenz ‒ Deutsch­land den Sieg davon­ge­tra­gen. Der Vorwurf des Landes­ver­rats war im Grunde die auf Ebert gemünz­te Fortset­zung der Dolch­stoß­le­gen­de. Die Vertei­di­gung und die hinter ihr stehen­de antire­pu­bli­ka­ni­sche Fronde wollte den Prozess gegen Ebert und die von ihm reprä­sen­tier­te Weima­rer Republik ausschlach­ten und versuch­te, den zunächst für den 17. Oktober 1924 vorge­se­he­nen Beginn möglichst nah an die Reichs­tags­wah­len vom 7. Dezem­ber heran­zu­rü­cken. Der Prozess begann jedoch erst zwei Tage nach den Wahlen. Beson­de­re Bedeu­tung erhielt der Prozess auch durch die für das Frühjahr 1925 vorge­se­he­ne Volks­wahl des Reichs­prä­si­den­ten (gemäß Art. 41 WRV). Der Reichs­tag hatte am 24. Oktober 1922 mit 314 gegen 76 Stimmen über eine Verfas­sungs­än­de­rung die Amtszeit des am 11. Febru­ar 1919 von der Natio­nal­ver­samm­lung zum Reichs­prä­si­den­ten gewähl­ten Fried­rich Ebert bis zum 30. Juni 1925 verlängert.

4. Ankla­ge

Gegen­stand der Ankla­ge gegen Erwin Rothardt war der erwähn­te Artikel „Eine bitte­re Pille für Fritze Ebert” in der „Mittel­deut­schen Presse“ vom 23. Febru­ar 1924, der den Tatbe­stand der Belei­di­gung bzw. übler Nachre­de (Verge­hen nach §§ 185, 186, 200 RStGB) erfül­le. Reichs­prä­si­dent Ebert wurde als Neben­klä­ger zugelassen.

5. Vertei­di­gung

Nachdem Rothardt in den Verneh­mun­gen vor dem Prozess erklärt hatte, dem Reichs­prä­si­den­ten nicht den Vorwurf des Landes­ver­rats gemacht zu haben, änder­te die Vertei­di­gung ihre Strate­gie grund­le­gend und ging in die Offen­si­ve. Sie wollte den Beweis erbrin­gen, dass nicht nur der Januar-Streik auf Initia­ti­ve der SPD ausge­bro­chen war und Ebert als SPD-Vorsit­zen­der diesen vorbe­rei­tet hatte, sondern dass letzt­lich der Krieg wegen der „landes­ver­rä­te­ri­schen Bestre­bun­gen“ der SPD verlo­ren worden sei. Die Vertei­di­gung hob auf vier Punkte ab, um dem Reichs­prä­si­den­ten Landes­ver­rat nachzu­wei­sen. Im Zentrum stand Eberts Betei­li­gung am Januar­streik 1918. Daneben habe er den Streik auf die frühe­re kaiser­li­che Werft in Kiel übertra­gen und versucht, in Chemnitz einen Ausstand vom Zaun zu brechen. Und viertens – und das war in seiner Bedeu­tung nicht hoch genug zu bemes­sen – habe Ebert planmä­ßig Maßnah­men der OHL durch­kreuzt. Es ging jetzt zentral um die Frage, welche Haltung die SPD und deren Vorsit­zen­der Ebert während des Krieges einge­nom­men hatten. Das ursprüng­li­che Belei­di­gungs­ver­fah­ren war nun zu einem politi­schen Prozess erster Güte gewor­den, wobei ein Rollen­tausch von großer Tragwei­te statt­ge­fun­den hatte: Der Neben­klä­ger war zum eigent­li­chen Beklag­ten gewor­den. Der Belei­dig­te musste nun den Beweis antre­ten, dass er während des Krieges keine landes­ver­rä­te­ri­sche Aktion began­gen hatte. Im Verfah­ren boten Eberts Prozess­ver­tre­ter eine ganze Reihe namhaf­ter Persön­lich­kei­ten auf, darun­ter die ehema­li­gen Reichs­kanz­ler Philipp Schei­de­mann, Gustav Bauer und Constan­tin Fehren­bach, den SPD-Vorsit­zen­den Otto Wels, den Heidel­ber­ger Profes­sor Alfred Weber und General Wilhelm Groener, die Ebert eine vater­län­di­sche Haltung während des Krieges beschei­nig­ten. Demge­gen­über warte­te die Vertei­di­gung mit einigen dubio­sen Zeugen auf, deren Glaub­wür­dig­keit zweifel­haft blieb.

6. Das Urteil

In dem am 23. Dezem­ber 1924 ergan­ge­nen Urteil wurde der Angeklag­te Rothardt wegen öffent­li­cher Belei­di­gung (§§ 192, 185 RStGB) zu einer Gefäng­nis­stra­fe von drei Monaten verur­teilt. Dem Belei­dig­ten, Reichs­prä­si­dent Ebert, wurde die Befug­nis zugespro­chen, das Urteil auf Kosten des Angeklag­ten in drei Zeitun­gen zu veröf­fent­li­chen. Das Gericht verur­teil­te Rothardt nicht wegen übler Nachre­de (§ 186 RStGB), weil der Beweis erbracht worden sei, dass Ebert durch seine Betei­li­gung an der Streik­lei­tung im Januar 1918 Landes­ver­rat began­gen habe, dadurch „objek­tiv und subjek­tiv“ der Tatbe­stand des Landes­ver­rats nach § 89 RStGB erfüllt worden sei. Dabei, so die Urteils­be­grün­dung, ging das Gericht ausschließ­lich vom „Gesichts­punkt des Straf­rechts“ aus. Es sei sehr wohl möglich, dass diese einen straf­recht­li­chen Tatbe­stand erfül­len­de Handlung politisch, histo­risch oder moralisch geboten gewesen sein könne, aber das habe das Gericht nicht zu unter­su­chen gehabt. In drei Punkten konnte die Beweis­auf­nah­me keine Anhalts­punk­te dafür finden, dass Ebert sich des Landes­ver­rats schul­dig gemacht hatte. Das betraf die Übertra­gung des Streiks nach Kiel, die Organi­sa­ti­on eines Ausstan­des in Chemnitz und die grund­sätz­li­che Haltung der SPD gegen­über kriegs­wich­ti­gen Maßnah­men der OHL.

7. Wirkung

Das Magde­bur­ger Urteil hatte weitrei­chen­de Folgen. Das Staats­ober­haupt war impli­zit des Landes­ver­rats schul­dig gespro­chen worden. Dieses von den republiktreu­en Kräften als Skandal empfun­de­ne Urteil löste eine Welle der Solida­ri­tät mit Fried­rich Ebert aus. Die bürger­li­che Reichs­re­gie­rung sowie zahlrei­che Politi­ker, Rechts­ge­lehr­te, Staats­wis­sen­schaft­ler und Histo­ri­ker gaben Ehren­er­klä­run­gen für ihn ab. In der zeitge­nös­si­schen rechts­wis­sen­schaft­li­chen Litera­tur wurde das Urteil unter­schied­lich bewer­tet. Einige sahen hierin ein krasses Fehlur­teil; es gab aber auch Stimmen, die es für zumin­dest vertret­bar, gar für richtig werte­ten. Dieje­ni­gen, die die Republik und ihre Vertre­ter hassten, fühlten sich durch dieses Urteil bestä­tigt. Am obers­ten Reprä­sen­tan­ten der neuen demokra­ti­schen Ordnung klebte nun der Makel, sein Land verra­ten zu haben. Die Gegner der Republik glaub­ten darüber hinaus die Dolch­stoß­le­gen­de bestä­tigt. General Erich Luden­dorff, im Weltkrieg Erster General­quar­tier­meis­ter der OHL unter Hinden­burg und beken­nen­der Antire­pu­bli­ka­ner, jubel­te in einem sogenann­ten „militä­ri­schen Gutach­ten”: „Nun also! Es bleibt dabei, der Muniti­ons­ar­bei­ter­streik im Januar 1918 war Landes­ver­rat und die Teilneh­mer […] schul­dig des Landes­ver­rats und straf­wür­di­ge Verbre­cher.“ Der Richter­spruch besaß eine weitrei­chen­de Bedeu­tung für die politi­sche Kultur von Weimar. Der sozial­de­mo­kra­ti­sche Jurist Hugo Sinzhei­mer brach­te es auf den Punkt: „Es genügt nicht, dass der politi­sche Gegner durch Revol­ver und Gift besei­tigt wird, es genügt auch nicht, dass man den politi­schen Gegner öffent­lich beschimpft und verleum­det. Das Magde­bur­ger Urteil zeigt, dass es auch noch ein anderes Mittel des politi­schen Kampfes gibt, um den politi­schen Gegner, wie man glaubt, politisch unschäd­lich zu machen. Es ist die ‚gericht­li­che Feststel­lung‘ einer ‚juris­ti­schen‘ Schuld in politi­schen Handlun­gen, die der Gegner in irgend­ei­ner Zeit als politisch zweck­mä­ßig angese­hen hat. […] Diese ‚juris­ti­sche‘ Verur­tei­lung ist dann die Grund­la­ge für einen mit allen Mitteln der Demago­gie hemmungs­los geführ­ten Kampf, der nicht mit offenen politi­schen Argumen­ten gegen den politi­schen Gegner geführt wird, sondern mit den persön­lich gehäs­si­gen Mitteln der mensch­li­chen Verun­glimp­fung.“ Sogleich wurde auch Kritik an der rechts­las­ti­gen Justiz laut. Reichs­mi­nis­ter Eduard Hamm von der libera­len DDP drück­te die Ohnmacht der Politi­ker in drasti­schen Worten aus: „Wir sind jedem Esel von Richter in Deutsch­land preis­ge­ge­ben, das ist noch schlim­mer wie die Tatsa­che, dass wir jedem Lausbu­ben zur Beschimp­fung preis­ge­ge­ben sind.“ Über die politi­sche Wirkung besaß das Urteil auch eine ganz persön­li­che Seite. Es galt bis zum Richter­spruch als sicher, dass Ebert bei der Volks­wahl des Reichs­prä­si­den­ten im Frühjahr 1925 kandi­die­ren würde. Das Urteil sorgte sehr wahrschein­lich bei ihm für einen Meinungs­um­schwung, nicht mehr ins Rennen gehen zu wollen. Ungeach­tet dessen wollte Ebert das Urteil aus der Welt schaf­fen. So legten General­staats­an­walt und Neben­klä­ger Berufung ein. Die Neuauf­nah­me des Verfah­rens sollte Ebert aber nicht mehr erleben. Durch ein langjäh­ri­ges Gallen­lei­den gesund­heit­lich angeschla­gen, verschlepp­te er in Vorbe­rei­tung der Berufungs­ver­hand­lung eine Blind­darm­ent­zün­dung, die zu spät operiert wurde. Am 28. Febru­ar 1925 starb Fried­rich Ebert. Die Hetzkam­pa­gne hatte zu seinem frühen Tod im Alter von 54 Jahren beigetra­gen. Nach dem Bericht seines Hausarz­tes hatten die durch den Magde­bur­ger Prozess verur­sach­ten „seeli­schen Aufre­gun­gen“ die Wider­stands­kraft des Kranken so geschwächt, dass er die Opera­ti­on nicht habe überste­hen können. Aufgrund des Todes von Fried­rich Ebert kam es ab dem 10. März 1925 nur noch zu einer ausführ­li­chen Beweis­auf­nah­me, bei der Walter Luetge­bru­ne, der sich als Vertei­di­ger von rechten Republik­geg­nern, u. a. von Luden­dorff im sogenann­ten Hitler-Prozess, einen Namen gemacht hatte, die Riege der Vertei­di­ger Rothardts verstärk­te. Das Verfah­ren wurde nach 18 Verhand­lungs­ta­gen im April ausge­setzt und am 15. Septem­ber 1925 endgül­tig einge­stellt. Das Magde­bur­ger Urteil erlang­te also nie Rechts­kraft. Erst posthum wurde Fried­rich Ebert rehabi­li­tiert: Im Zuge eines Reichs­ge­richts­ver­fah­rens gegen einen anderen Verleum­der, der den ersten Reichs­prä­si­den­ten wegen seiner Mitwir­kung im Muniti­ons­ar­bei­ter­streik wieder­um als Landes­ver­rä­ter bezeich­net hatte, wurde im Urteil vom 20. Oktober 1931 festge­stellt, dass der objek­ti­ve Tatbe­stand des Landes­ver­rats bezüg­lich Eberts Betei­li­gung am Streik im Januar 1918 nicht vorge­le­gen habe – ein Urteil, das von der Öffent­lich­keit jedoch kaum mehr wahrge­nom­men oder gewür­digt wurde.

8. Würdi­gung

Das Magde­bur­ger Verfah­ren als ein politi­scher Prozess gilt als markan­tes Beispiel für eine rechts­las­ti­ge Justiz in der Weima­rer Republik, die der jungen Demokra­tie und ihren Trägern nicht den notwen­di­gen Schutz gewähr­te – mit den Worten Eberts aus einem Brief vom Dezem­ber 1924: „Staats­in­ter­es­se und Rechts­pfle­ge schei­nen heute aber schlecht mitein­an­der zu verein­ba­ren [zu] sein.“ Das Urteil konter­ka­rier­te Eberts Politik im Ersten Weltkrieg, als sich die SPD mit dem „Burgfrie­den“ in die natio­na­le Abwehr­front einge­reiht hatte. Daran hielt Ebert während des ganzen Krieges fest, obwohl inner­halb der eigenen Partei die Opposi­ti­on gegen die Still­hal­te­po­li­tik wuchs, was letzt­lich 1917 zur Spaltung der SPD führte. Es kam einem politi­schen Rufmord gleich, Ebert, der zwei seiner vier Söhne als Solda­ten im Ersten Weltkrieg verlor, des Landes­ver­rats zu bezich­ti­gen. Neben dem persön­li­chen Aspekt besaß das Magde­bur­ger Urteil eine politi­sche Dimen­si­on ungeahn­ter Reich­wei­te: Denn nun hafte­te der von vielen nicht gelieb­ten Republik das Odium der Geburt aus dem Verrat an – ein schwe­rer Schlag für die noch ungefes­tig­te Demokratie.

9. Litera­tur

LG-Urteil vom 23. Dezem­ber 1924 in: Karl Brammer (Bearb.), Der Prozeß des Reichs­prä­si­den­ten, Berlin 1925, S. 128 ff. – Konrad Bastob­be, Der Prozeß des Reichs­prä­si­den­ten Fried­rich Ebert 1924 in Magde­burg, Magde­burg 1997; Micha­el Milten­ber­ger, Der Vorwurf des Landes­ver­rats gegen Reichs­prä­si­dent Fried­rich Ebert. Ein Stück deutscher Justiz­ge­schich­te, Heidel­berg 1989; Walter Mühlhau­sen, Fried­rich Ebert 1871–1925. Reichs­prä­si­dent der Weima­rer Republik, Bonn 2006 (2. Aufl. 2007), S. 936 ff.; Günter Spendel, Justiz und Politik. Das Magde­bur­ger Fehlur­teil – Analy­se eines politi­schen Rufmor­des, in: Fried­rich Ebert als Reichs­prä­si­dent (1919–1925). Konfe­renz der Fried­rich-Ebert-Stiftung zum 80. Todes­tag. Hrsg. von der Fried­rich-Ebert-Stiftung, Berlin 2005, S. 59–77. – Akten im Bundes­ar­chiv Berlin, Bestand R 601 (Reichs­prä­si­di­al­kanz­lei), Nr. 26 bis 30.

Walter Mühlhau­sen
August 2014

Walter Mühlhau­sen ist Histo­ri­ker und Geschäfts­füh­rer und Vorstands­mit­glied der Stiftung Reichs­prä­si­dent-Fried­rich-Ebert-Gedenk­stät­te (Heidel­berg). Er ist apl. Profes­sor an der TU Darmstadt. Forschungs­schwer­punkt ist die Geschich­te der Arbei­ter­be­we­gung (insbes. Persön­lich­kei­ten) der Weima­rer Republik und des Landes Hessen.

Zitier­emp­feh­lung:

Mühlhau­sen, Walter: „Der Prozess gegen Erwin Rothardt, Deutsch­land 1924“, in: Groenewold/ Ignor / Koch (Hrsg.), Lexikon der Politi­schen Straf­pro­zes­se, 2014, https://www.lexikon-der-politischen-strafprozesse.de/glossar/rothardt-erwin/, letzter Zugriff am TT.MM.JJJJ.

Abbil­dun­gen

Verfas­ser und Heraus­ge­ber danken den Rechte­inha­bern für die freund­li­che Überlas­sung der Abbil­dun­gen. Rechte­inha­ber, die wir nicht haben ausfin­dig machen können, mögen sich bitte bei den Heraus­ge­bern melden.

© Bundes­ar­chiv, Bild 102–00015 / Georg Pahl / CC-BY-SA 3.0, Bundes­ar­chiv Bild 102–00015, Fried­rich Ebert, CC BY-SA 3.0 DE

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