Mescalero-Prozess

bearbei­tet von
Prof. Dr. Matthi­as Jahn,
Prof. Dr. Sascha Ziemann

Volks­ver­het­zung
Verun­glimp­fung des Staates
Beleidigung
Verun­glimp­fung des Andenkens Verstorbener

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Der Mescalero-Prozess gegen Peter Brückner et al.
Oldenburg 1979

1. Prozessgeschichte/Prozessbedeutung

„Bekämp­fen Sie diesen Staat, wenn Sie dies für notwen­dig halten; aber bekämp­fen Sie ihn nicht mit Pensi­ons­be­rech­ti­gung“, so forder­te der Berli­ner SPD-Wissen­schafts­se­na­tor Peter Glotz in einem offenen Brief vom 3. Juli 1977 ein Dutzend Berli­ner Hochschul­pro­fes­so­ren auf, Loyali­tät gegen­über dem Staat zu zeigen. Andern­falls sollten sie den Dienst quittie­ren. Hinter­grund war die Veröf­fent­li­chung einer Dokumen­ta­ti­on zu dem Text „Ein Göttin­ger Mesca­le­ro, Buback† – Ein Nachruf“, der im April 1977 nach der Ermor­dung von General­bun­des­an­walt Siegfried Buback durch die RAF in der Zeitung des Allge­mei­nen Studen­ten­aus­schus­ses der Göttin­ger Univer­si­tät – den „Göttin­ger Nachrich­ten“ – erschie­nen war. Der Mesca­le­ro-Text sollte, ungeach­tet seines überschau­ba­ren Umfangs und des Publi­ka­ti­ons­orts, zu einem der Schlüs­sel­tex­te der politi­schen Geschich­te der Bonner Republik aufstei­gen, besser: gemacht werden.

Der Verfas­ser des Beitrags, jener „Göttin­ger Mesca­le­ro“, der sich Jahrzehn­te später in einem offenen Brief an den Sohn des Atten­tats­op­fers, Micha­el Buback, als der damali­ge Germa­nis­tik-Student und späte­re Deutsch­leh­rer Klaus Hülbrock zu erken­nen gab, hatte seine unmit­tel­ba­re Reakti­on auf die Nachricht von der Erschie­ßung Bubacks auf einer Karls­ru­her Straßen­kreu­zung wenige Wochen danach so beschrieben:

„Ich konnte und wollte (und will) meine klamm­heim­li­che Freude nicht verheh­len. Ich habe diesen Typ oft hetzen hören, ich weiß, daß er bei der Verfol­gung, Krimi­na­li­sie­rung, Folte­rung von Linken eine heraus­ra­gen­de Rolle spiel­te“ (Ein Göttin­ger Mesca­le­ro, S. 265).

Daneben setzte er sich mit dem bewaff­ne­ten Wider­stand ausein­an­der, überleg­te, wem die Kompe­tenz zukom­men könne, „über Leben und Tod zu entschei­den“ und fragte, ob es überzeu­gend sei, die von Herrschen­den prakti­zier­te „Strate­gie der Liqui­die­rung“ (Ein Göttin­ger Mesca­le­ro, S. 267) zu kopie­ren. Am Ende kommt er dennoch zu einer Absage an die Gewalt, denn:

„Unser Zweck, eine Gesell­schaft ohne Terror und Gewalt […] heiligt eben nicht jedes Mittel, sondern nur manches. Unser Weg zum Sozia­lis­mus (wegen mir: Anarchie) kann nicht mit Leichen gepflas­tert werden“ (Ein Göttin­ger Mesca­le­ro, S. 268).

Der Beitrag erzeug­te ein Beben, dessen Erschüt­te­rung republik­weit zu spüren war. Die Mesca­le­ro-Affäre führte zu einer Art Treib­jagd auf vermeint­li­che RAF-Sympa­thi­san­tin­nen und ‑Sympa­thi­san­ten mit den Instru­men­ten des Straf­pro­zess­rechts. Neben Durch­su­chun­gen von studen­ti­schen Wohnge­mein­schaf­ten, Redak­ti­ons­bü­ros von Studen­ten- und Schüler­zei­tun­gen und links­al­ter­na­ti­ven Buchlä­den wurden flächen­de­ckend Straf­ver­fah­ren gegen die verant­wort­li­chen Heraus­ge­ber und alle, die den Text weiter­ver­brei­tet hatten, einge­lei­tet. Wichti­ge Verfah­ren fanden insbe­son­de­re in Göttin­gen, dem Erschei­nungs­ort des ursprüng­li­chen Mesca­le­ro-Textes, und in (West-)Berlin, dem Verlags­ort, statt. Insge­samt wurden bundes­weit Verfah­ren gegen etwa 140 Beschul­dig­te wegen der straf­recht­li­chen Vorwür­fe der Volks­ver­het­zung (§ 130 StGB), Verun­glimp­fung des Staates (§ 90a StGB), Belei­di­gung (§ 185 StGB) und Verun­glimp­fung des Andenkens Verstor­be­ner (§ 189 StGB) geführt.

Eines der Straf­ver­fah­ren, das von Beginn an große öffent­li­che Aufmerk­sam­keit erfuhr, der Olden­bur­ger Buback-Prozess, richte­te sich gegen 13 nieder­säch­si­sche Hochschul­be­diens­te­te, die die inkri­mi­nier­te Dokumen­ta­ti­on mither­aus­ge­ge­ben hatten. Mit dem Wieder­ab­druck des Textes sollte, wie es der mitan­ge­klag­te Hanno­ver­sche Psycho­lo­gie­pro­fes­sor Peter Brück­ner später einmal formu­lier­te, der Impetus des Mesca­le­ro aufge­grif­fen werden, eine öffent­li­che Diskus­si­on „über Gewalt­ver­hal­ten in der Gesell­schaft“ in Gang zu bringen (Brück­ner, Russell-Tribu­nal, S. 97). Darüber hinaus ging es um eine Solida­ri­täts­de­mons­tra­ti­on mit den straf­ver­folg­ten Studen­tin­nen und Studenten.

Nicht nur der konser­va­ti­ve Mainstream, sondern auch ein großer Teil der öffent­li­chen Meinung war ganz anderer Auffas­sung. Die meisten Zeitun­gen verur­teil­ten den angeb­lich schmä­hen­den Nachruf scharf. Die Absage an die Gewalt wurde der Einfach­heit halber ignoriert. Die Welt beispiels­wei­se titel­te schlicht: „Göttin­ger AStA billigt den Mord an Buback“ (Die Welt v. 30.4.1977). Die dadurch verur­sach­te „Massen­hys­te­rie“ führte der Mitan­ge­klag­te Utz Maas (geb. 1942), ganz Sprach­wis­sen­schaft­ler, auf eine „Kampa­gne“ der Massen­me­di­en zurück, die nach seiner Analy­se nur deshalb zustan­de gekom­men sei, „weil ihr Gegen­stand selbst nicht bekannt war“ (Maas Sprach­po­li­tik und politi­sche Sprach­wis­sen­schaft. Sieben Studi­en, 1989, S. 190). Mittler­wei­le hatten auch gewich­ti­ge Stimmen der Bonner Politik, darun­ter SPD-Bundes­jus­tiz­mi­nis­ter Hans-Jochen Vogel sowie Bundes­in­nen­mi­nis­ter Werner Maiho­fer von der FDP, beide in Reakti­on auf die Schley­er-Entfüh­rung im Deutschen Herbst 1977, Straf­an­zei­ge gegen die Heraus­ge­ber der Dokumen­ta­ti­on gestellt. Ihnen galt der Text als Manifest der Unter­stüt­zer­sze­ne, in zeitge­nös­si­scher Rede als „Sympa­thi­san­ten“ bezeich­net. In einer Rede vor dem Innen- und Rechts­aus­schuss des Deutschen Bundes­ta­ges am 14.4.1977, also eine Woche nach der Ermor­dung Bubacks, hatte der damali­ge Bundes­in­nen­mi­nis­ter Maiho­fer es als eine „gemein­sa­me Anstren­gung aller politi­schen Partei­en“ angese­hen, in der für nicht unerheb­lich gehal­te­nen Unter­stüt­zer­sze­ne der RAF eine „Disso­li­da­ri­sie­rungs­kam­pa­gne“ in Gang zu setzen. Denn diese seien, so Maiho­fer, das „Wasser“, „in dem diese Fische [Ergän­zung d. Verf.: die RAF-Terro­ris­ten] schwim­men“ und zwar „auch im Wasser“ einer Szene, „die (…) die Grenzen nicht so ganz klar zieht“.

Dem Olden­bur­ger Straf­pro­zess war durch Rahmen­um­stän­de beson­de­re Drama­tik beschie­den. Die Angeklag­ten waren aus Überzeu­gung bereit, sich auf Kosten ihrer beruf­li­chen Existenz auf die Seite einer sozia­len Gegen­be­we­gung zum gesell­schaft­li­chen Mainstream der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre zu stellen. Der Hinter­grund für das Straf­ver­fah­ren war das Diszi­pli­nar­ver­fah­ren gegen Brück­ner und Maas, das von der CDU-geführ­ten nieder­säch­si­schen Landes­re­gie­rung von Minis­ter­prä­si­dent Ernst Albrecht bereits in Gang gebracht worden war, und das erkenn­bar die Entfer­nung der beiden Hochschul­leh­rer aus dem Univer­si­täts­dienst zum Ziel hatte. Dem Straf­pro­zess kam dabei, wie auch sonst, Signal- und Leitwir­kung für den Ausgang des Diszi­pli­nar­ver­fah­rens zu.

Brück­ner und Maas standen dabei aus verschie­de­nen Gründen im beson­de­ren Fokus. Utz Maas hatte sich gewei­gert, eine Treue­er­klä­rung zu unter­zeich­nen, die ihm von seinem Dienst­herrn, Wissen­schafts­mi­nis­ter Pestel, im Septem­ber 1977 vorge­legt worden war. In deutli­cher Anleh­nung an den Grund­satz­be­schluss des BVerfG von 1975 (BVerfG, Beschl. v. 22. Mai 1975 – 2 BvL 13/73, BVerfGE 39, 334, 348) zum „Radika­len­er­lass“ beton­te Minis­ter Prestel eine „beson­de­re Treue­pflicht“ der Beamten „gegen­über dem Staat“. Diese forde­re mehr „als nur eine formal korrek­te […] Haltung gegen­über Staat und Verfas­sung“. Vielmehr sei es geboten, dass diese sich „sich eindeu­tig von Gruppen und Bestre­bun­gen distan­ziert, die diesen Staat, seine verfas­sungs­mä­ßi­gen Organe und die gelten­de Verfas­sungs­ord­nung angrei­fen, bekämp­fen und diffa­mie­ren“. Daran anknüp­fend forder­te Pestel neben der Ableh­nung von „Mord oder Entfüh­rung“ auch die Absage an „den Einsatz von Gewalt“ überhaupt. Der Schluss­satz der Erklä­rung laute­te „Ich distan­zie­re mich in aller Form von dem Verfas­ser und dem Inhalt des sogenann­ten Buback-Nachrufs“ (zit. nach Golzem, Die Mesca­le­ro-Affäre, S. 83).

Peter Brück­ner – Marxist und Ikone der Studen­ten­be­we­gung mit Strahl­kraft weit über Hanno­ver hinaus – war schon früher in das Visier der (seiner­zeit SPD-geführ­ten) Landes­re­gie­rung geraten und von Wissen­schafts­mi­nis­ter von Oertzen vorläu­fig suspen­diert worden, als gegen ihn der Vorwurf erhoben wurde, der wegen Mordver­suchs gesuch­ten RAF-Terro­ris­tin Ulrike Meinhof Unter­schlupf in Hanno­ver gewährt zu haben. Die bereits in diesem Zuge verhäng­ten Sanktio­nen (ein Hausver­bot und eine Gehalts­kür­zung um ein Drittel) hatten eine Welle der Solida­ri­tät der Hanno­ver­schen Studie­ren­den und der westdeut­schen Intel­lek­tu­el­len­sze­ne nach sich gezogen. Brück­ner ließ sich auch dieses Mal nicht unter­krie­gen und verleg­te seine Vorle­sun­gen kurzer­hand „zu Tisch und Stuhl“ in die Kneipe und veröf­fent­lich­te später eine umfang­rei­che Begrün­dung seiner Verwei­ge­rungs­hal­tung, in der er die „Pestel-Erklä­rung“ Absatz für Absatz wissen­schaft­lich sezier­te. Der Anfang sei zur Veran­schau­li­chung zitiert:

„Zum ersten Absatz: Der Passus ist schlam­pig formu­liert. Das Minis­te­ri­um schreibt, die Hochschul­leh­rer sollten sich von jeder Gewalt distan­zie­ren, es meint aber: von jeder nicht­staat­li­chen Gewalt. Eine Erklä­rung zur Verfas­sungs­treue impli­ziert mit hoher Verbind­lich­keit, was dem Minis­te­ri­um in anderen Zusam­men­hän­gen gerade als verfas­sungs­wid­rig erscheint: das Abrücken von jeder Gewalt, auch von der staat­li­chen.“ (Brück­ner, „Nein“: eine Begrün­dung, S. 369 ff.)

2. Perso­nen
a) Die Angeklagten
Das Verfah­ren in Olden­burg richte­te sich gegen 13 nieder­säch­si­sche Hochschul­be­diens­te­te, 12 Männer und eine Frau, vornehm­lich Profes­so­ren, die die inkri­mi­nier­te Mesca­le­ro-Dokumen­ta­ti­on mither­aus­ge­ge­ben hatten. Sie stamm­ten vor allem aus Olden­burg (Gerd und Sigrid Janssen, Eberhard Schmidt, Wolfgang Schmidt, Karl Haubold, Ingo Schel­ler, Erhard Lucas, Joachim Luther, Wolfgang Nitsch, Rainer Künsken) und aus Braun­schweig (Georg Kiefer). Hinzu traten die promi­nen­te­ren Profes­so­ren Peter Brück­ner aus Hanno­ver und Utz Maas aus Osnabrück.

b) Die Verteidiger
Die Vertei­di­ger­bank des Olden­bur­ger Verfah­rens war mit Anwäl­ten aus der linken Szene promi­nent besetzt. Die Vertei­di­gung der über Nieder­sach­sen hinaus bekann­ten Profes­so­ren Brück­ner und Maas hatten der außer­or­dent­lich prozess­erfah­re­ne Heinrich Hanno­ver aus Bremen und Werner Holtfort aus Hanno­ver übernom­men. Dazu gesell­ten sich Holtforts frühe­rer Rechts­re­fe­ren­dar und Kurzzeit­so­zi­us Gerhard Schrö­der, der es als Bundes­kanz­ler außer­halb des Gerichts­saals noch zu einiger Berühmt­heit bringen sollte. Als Vertei­di­ge­rin und Vertei­di­ger wirkten zudem einige Hochschul­leh­rer aus Olden­burg mit, darun­ter Thomas Blanke, dessen Zeitschrift „Kriti­sche Justiz“ eine mehrtei­li­ge Prozess­do­ku­men­ta­ti­on zu den Prozes­sen wegen des „Buback-Nachrufs“ heraus­brach­te (verant­wor­te­tet von Jürgen Ahrens und Ulrich Mücken­ber­ger). Als einzi­ge Frau auf Seiten der Vertei­di­gung trat Rechts­an­wäl­tin Mechtild Düsing (geb. 1944) aus Münster in Erschei­nung, die den Olden­bur­ger Geogra­fie-Profes­sor Gert Janssen verteidigte.

c) Das Gericht
Die Haupt­ver­hand­lung begann, erst nahezu ein Jahr nach Ankla­ge­er­he­bung, am 1.2.1979 vor der VI. Großen Straf­kam­mer des Olden­bur­ger Gerichts unter dem Vorsitz von Rolf Draeger und erstreck­te sich über acht Verhandlungstage.

d) Die Staatsanwaltschaft
Auf Seiten der Staats­an­walt­schaft vertrat Staats­an­walt Frerk Ibbeken aus Hanno­ver die Anklage.

3. Die Anklage
In der am 21.3.1978 erhobe­nen Ankla­ge wurde den Heraus­ge­bern der Mesca­le­ro-Dokumen­ta­ti­on vorge­wor­fen, den Staat und seine Reprä­sen­tan­ten, darun­ter auch den ermor­de­ten General­bun­des­an­walt Buback, in verschie­de­ner Weise herab­ge­wür­digt und an Ehre und Menschen­wür­de verletzt zu haben und sich daher sich wegen Volks­ver­het­zung (§ 130 StGB), Verun­glimp­fung des Staates (§ 90a StGB), Belei­di­gung (§ 185 StGB) und Verun­glimp­fung des Andenkens Verstor­be­ner (§ 189 StGB) straf­bar gemacht zu haben.

4. Die Öffentlichkeit
Der Straf­pro­zess stieß auf großes Inter­es­se der Öffent­lich­keit, vor allem natür­lich auch in der Studen­ten­be­we­gung. Um die Vorgän­ge auch einer weite­ren Öffent­lich­keit bekannt zu machen, wurde der Prozess­ab­lauf von Zuschau­ern aus dem Gerichts­saal akribisch proto­kol­liert – selbst Verspre­cher werden wörtlich notiert –, und zusam­men mit Auszü­gen aus den Erklä­run­gen vor Gericht und Zeitungs­be­rich­ten in einer eigens heraus­ge­ge­be­nen Sonder­aus­ga­be der Olden­bur­ger Studen­ten­zei­tung, dem „Buback-Prozess info“, verbrei­tet. Die im Brück­ner-Nachlass überlie­fer­ten Ausga­ben des „info“, das in einer mitge­teil­ten Aufla­ge von 1.500 Exempla­ren erschien, sind eine wichti­ge Quelle, und zwar nicht nur durch Schil­de­run­gen des Prozess­ge­sche­hens im Gerichts­saal, sondern auch durch die darin dokumen­tier­ten Diskus­sio­nen inner­halb der Unter­stüt­zer­sze­ne. So finden sich beispiels­wei­se Hinwei­se auf kontro­ver­se Diskus­sio­nen in der Anhän­ger­schaft über die Frage, welche Rolle das Publi­kum in einem solchen Prozess spielen könne: Sollte das Publi­kum eine wider­stän­di­ge Haltung einneh­men und die Autori­tät des Gerichts in Frage stellen, um damit auch seinen Wider­stand gegen den Staat zum Ausdruck zu bringen? Oder würde dies nur den Angeklag­ten, allen voran dem suspen­dier­ten Peter Brück­ner, schaden, weshalb es vornehm­lich darum gehen solle, den Prozess – notge­drun­gen – als „Lehrstück“ zu begrei­fen – für die Öffent­lich­keit, die über den Prozess­ver­lauf zu infor­mie­ren ist, und für möglichst viele aus der Unter­stüt­zer­sze­ne, denen die Gelegen­heit gegeben werden solle, durch die Teilnah­me an diesem Verfah­ren „Erfah­run­gen in der Ausein­an­der­set­zung mit dem Staat“ zu machen (Buback-Prozess info Nr. 2 v. 3.2.1979, S. 4).

5. Die Verteidigung
Das Olden­bur­ger Verfah­ren bot in juris­ti­scher Hinsicht reich­lich Diskus­si­ons­stoff. Es ging dabei nicht um Beweis­fra­gen, da das Tatge­sche­hen – der Wieder­ab­druck des inkri­mi­nier­ten Mesca­le­ro-Textes – von den Angeklag­ten nicht in Abrede gestellt wurde. Ganz im Gegen­teil war das öffent­li­che Bekennt­nis Sinn und Zweck des gesam­ten Unter­neh­mens. Im Mittel­punkt des Verfah­rens standen vielmehr die materi­ell-recht­li­chen Fragen, die der Vertei­di­gung gleich­zei­tig als Platt­form zur weithin sicht­ba­ren Präsen­ta­ti­on eines politisch-ideolo­gi­schen Stand­punkts dienen konnten: zum einen solche, die sich mit der Ausle­gung des Mesca­le­ro-Beitrags als mögli­ches Staats­schutz­de­likt befass­ten, zum anderen die Frage der eigen­stän­di­gen press­estraf­recht­li­chen Verant­wort­lich­keit der Heraus­ge­ber durch die Verbrei­tung des Texts im Rahmen einer neutral als „Dokumen­ta­ti­on“ bezeich­ne­ten Publikation.

Aus Sicht der Vertei­di­gung war klar, dass die gegen die Heraus­ge­ber gerich­te­ten Straf­ver­fol­gungs­maß­nah­men nicht recht­lich, sondern politisch motiviert waren. Aus ihrer Sicht ging es nicht um die Reakti­on auf die Weiter­ver­brei­tung eines als anstö­ßig empfun­de­nen Textes, dem im Übrigen auch Wohlge­son­ne­ne, darun­ter auch einzel­ne Vertei­di­ger, wenig abgewin­nen konnten. Man hatte es vielmehr, wie es Rechts­an­walt Werner Holtfort in seiner Vertei­di­gungs­re­de vor Gericht formu­lier­te, mit dem Versuch der politisch Herrschen­den zu tun, das „Bild eines inneren Feindes herzu­stel­len oder zu bekräf­ti­gen“, um die so Gebrand­mark­ten als „Beschö­ni­ger, Verharm­lo­ser […] oder Sympathisant(en) der terro­ris­ti­schen Verbre­chen aus der Diskus­si­on“ zu drängen (Holtfort, Plädoy­er, S. 134). Mit dieser Einschät­zung stand Holtfort politisch keines­falls allein. SPD-Kultus­mi­nis­ter Rolf Wernstedt meinte rückbli­ckend, bei dem Fall sei es nicht nur um die Bewäl­ti­gung eines aktuel­len Problems gegan­gen, „sondern um eine über ein Jahrzehnt andau­ern­de grund­sätz­li­che Ausein­an­der­set­zung um die Reich­wei­te der Wissen­schafts­frei­heit, des Grund­rechts auf Meinungs­frei­heit und um die Struk­tu­ren und Formen der politi­schen Ausein­an­der­set­zung in der alten Bundes­re­pu­blik“ (Wernstedt, S. 156).

Die agona­le Ausein­an­der­set­zung über diese Fragen zwischen Staats­an­walt­schaft und Vertei­di­gung verlang­te allen Seiten Einiges ab, zumal die Ausein­an­der­set­zung im forma­len Rahmen des Straf­pro­zes­ses mit seiner spezi­fi­schen Rollen- und Macht­ver­tei­lung erfolg­te. Einen ersten Erfolg konnte die Vertei­di­gung gleich am ersten Prozess­tag verbu­chen, als sie aufdeck­te, dass die Presse­stel­le des Gerichts Auszü­ge der noch nicht verle­se­nen Ankla­ge­schrift an die Presse gegeben hatte. Das war recht­lich zumin­dest grenz­wer­tig, da solche „Service­leis­tun­gen“ grund­sätz­lich gemäß § 353d Nr. 3 StGB mit Strafe bedroht waren. Dem Argument der Vertei­di­gung folgend, dass eine verkürz­te Zitie­rung die Gefahr einer Vorver­ur­tei­lung begrün­de­te, bewog das Gericht mit Zustim­mung der Staats­an­walt­schaft, dem Antrag der Vertei­di­gung statt­zu­ge­ben und den versam­mel­ten Presse­ver­tre­tern ein Exemplar der gesam­ten Dokumen­ta­ti­on zur Verfü­gung zu stellen. Ein Vertei­di­gungs­coup, war dies doch, worauf Vertei­di­ger Gerhard Schrö­der gegen­über der Presse natür­lich auch hinwies, genau dasje­ni­ge Verhal­ten, das den Angeklag­ten zur Last gelegt wurde (NWZ v. 2.2.1979, S. 3).

Ein wichti­ges Mittel für die Angeklag­ten, zu einem frühen Zeitpunkt aktiv am Prozess­ge­sche­hen mitzu­wir­ken, war die persön­li­che Erklä­rung zu Beginn des zweiten Haupt­ver­hand­lungs­ta­ges. Die Angeklag­ten wählten einheit­lich die Form der mündli­chen Erklä­rung, nachdem im Vorhin­ein alter­na­ti­ve Formen, wie etwa ein Happe­ning, verwor­fen worden waren, da diese auf wenig Verständ­nis bei Gericht stoßen würden (Proto­koll zum Treffen der nieder­säch­si­schen Hrsg. und ihrer Vertei­di­gung v. 13.1.1979). Die zumeist verle­se­nen Erklä­run­gen der Angeklag­ten ähnel­ten im Kern weniger der Vertei­di­gung des eigenen Tuns als vielmehr der Ankla­ge gegen die bestehen­den „(Gewalt-)Verhältnisse“. Da sie damit auch an die Öffent­lich­keit und Unter­stüt­zer­sze­ne gerich­tet waren, wurden sie im „Buback-Prozess info“ rasch wieder­ab­ge­druckt (zur Brücker-Erklä­rung siehe Buback-Prozess info Nr. 3 v. 6.2.1979, S. 6 ff.)

Im weite­ren Prozess­ver­lauf bedien­te sich die Vertei­di­gung vor allem des Beweis­an­trags­rechts. Die detail­liert begrün­de­ten Anträ­ge, die von der Vertei­di­ge­rin und den Vertei­di­gern in arbeits­tei­li­gem Vorge­hen erarbei­tet wurden, widme­ten sich Sprache und Inhalt des Mesca­le­ro-Artikels, der Situa­ti­on der öffent­li­chen Diskus­si­on zum Zeitpunkt der Veröf­fent­li­chung der Dokumen­ta­ti­on und dem Vorwort der Heraus­ge­ber. Ziel war es, den Beweis zu erbrin­gen, dass der Mesca­le­ro-Artikel kein politi­sches Manifest, sondern eine in der Studen­ten­be­we­gung übliche Absage an terro­ris­ti­sche Gewalt gewesen und die Heraus­ge­ber durch die Dokumen­ta­ti­on dem Impuls gefolgt seien, der als beängs­ti­gend empfun­de­nen öffent­li­chen Diskus­si­on eine sachli­che Grund­la­ge zu geben.

Als eine Beson­der­heit erwies sich die Rolle der hochin­ter­es­sier­ten Unter­stüt­zer­sze­ne, mit deren Parti­zi­pa­ti­ons- und zuwei­len auch Agita­ti­ons­an­sprü­chen sich nicht nur das Gericht ausein­an­der­zu­set­zen hatte, sondern auch die Vertei­di­gung. Eine erste Konflikt­si­tua­ti­on ergab sich schon zu Beginn des Prozes­ses, als die Straf­kam­mer weite­ren inter­es­sier­ten Zuschau­ern, die sich im Gerichts­flur dräng­ten, den Zutritt zum Schwur­ge­richts­saal verwei­ger­te und Anträ­ge der Vertei­di­gung auf Verle­gung in einen größe­ren Saal ablehn­te. Um die Situa­ti­on zu beruhi­gen, ließ der Vorsit­zen­de die Sitzung unter­bre­chen, worauf­hin er sich nach dem Wieder­ein­tritt des Gerichts in einem völlig überfüll­ten Gerichts­saal wieder­fand, da die Ausge­schlos­se­nen sich kurzer­hand Zutritt zum Saal verschafft hatten. Die gericht­li­che Andro­hung, den Saal durch eine mittler­wei­le angerück­te Hundert­schaft der Polizei zwangs­wei­se räumen zu lassen, konnte nur durch das Betrei­ben der Vertei­di­gung, allen voran von Rechts­an­walt Hanno­ver, abgewen­det werden, der den Zuschau­ern als Kompro­miss ein Rotati­ons­ver­fah­ren mit stünd­lich wechseln­dem Publi­kum vorschlug, das von diesen nach inten­si­ver Diskus­si­on und basis­de­mo­kra­ti­scher Abstim­mung angenom­men wurde (FR v. 6.2.1979, S. 3). Das Gericht akzep­tier­te dieses Proce­de­re und ermög­lich­te stünd­li­che Verhand­lungs­pau­sen, um das Publi­kum auszu­tau­schen. Letzte­res funktio­nier­te übrigens nicht immer reibungs­los, was zu Unmut inner­halb der Unter­stüt­zer­sze­ne führte und diese von einer „egois­ti­schen Solida­ri­tät“ sprechen ließ (Buback-Prozess info Nr. 4 v. 9.2.1979, S. 12).

Heinrich Hanno­vers Vermitt­lungs­rol­le, die von der prozess­tak­ti­schen Überle­gung getra­gen war, eine Konfron­ta­ti­on des Publi­kums mit dem Gericht zu vermei­den, war nicht unumstrit­ten. Einige aus der Unter­stüt­zer­sze­ne hielten dies für einen Akt der Anpas­sung und setzen die Forde­rung nach einer „Selbst­be­frei­ung von Autori­tä­ten“ entge­gen. Andere wieder­um erinner­ten an die mögli­chen Folgen einer straf­ge­richt­li­chen Verur­tei­lung für die „materi­el­le Existenz“ der Angeklag­ten (dazu Buback-Prozess info Nr. 1 v. 2.2.1979, S. 5 f.). Auch die Vertei­di­gung betei­lig­te sich verein­zelt an den hitzi­gen Diskus­sio­nen inner­halb der Unter­stüt­zer­sze­ne, die regel­mä­ßig im Olden­bur­ger Jugend­club „Alham­bra“ statt­fan­den. Sie warnte aus takti­schen Erwägun­gen vor einer allzu konfron­ta­ti­ven Haltung des Publi­kums und rekla­mier­te die inhalt­li­che Ausein­an­der­set­zung für sich und die Angeklag­ten. Diese Sicht setzte sich schließ­lich durch und führte zu einem weitge­hend ungestör­ten Verfah­rens­ab­lauf. Der Journa­list Teske, der an einem Organi­sa­ti­ons­tref­fen der Prozess­be­tei­lig­ten und ihrer Anhän­ger­schaft im „Alham­bra“ teilge­nom­men hatte, berich­tet in diesem Zusam­men­hang von der „Prozeß­tak­tik“ der Anhän­ger­schaft, „dem Gericht in einem Klima der ‚schlei­chen­den Angepaßt­heit‘ ein Zugeständ­nis nach dem anderen abzurin­gen“ (Teske, Die Welt v. 9.2.1979). Soweit es verein­zelt zu Episo­den unange­pass­ten Verhal­tens von Seiten des Publi­kums sowie der Angeklag­ten kam, wurden diese vom Olden­bur­ger Gericht weitge­hend kommen­tar- und beanstan­dungs­los hinge­nom­men. Erklä­run­gen von Anklag­ten und Vertei­di­gung wurden beklatscht, während Äußerun­gen der Staats­an­walt­schaft mit Unmuts­äu­ße­run­gen bedacht wurden. Das heiße Inter­es­se trieb zuwei­len, sprich­wört­lich, Blüten: So fanden etwa die Angeklag­ten und das Gericht eines Tages nach einer Verhand­lungs­pau­se Blumen­sträu­ße an ihren Plätzen vor, während die Staats­an­walt­schaft sich einem blüten­lo­sen Kaktus gegen­über­sah (HAZ v. 15.2.1979, ein Foto findet sich bei Blanke u.a., Der Olden­bur­ger Buback-Prozess, 1979, S. 22). Auf Angeklag­ten­sei­te sorgte insbe­son­de­re die einzi­ge Frau, die Biolo­gie-Profes­so­rin Sigrid Jannsen aus Olden­burg, für Aufse­hen, als sie ihre Auskunft zur Person stopp­te und das Gericht ihrer­seits auffor­der­te, sich vorzu­stel­len, was das Gericht dann auch tat (NWZ v. 2.2.1979, S. 3).

Ein weite­rer Streit­punkt zwischen Unter­stüt­zer­sze­ne und Vertei­di­gung war der Infor­ma­ti­ons­aus­tausch. Die Unter­stüt­zer­sze­ne hielt diesen für unzurei­chend und empfand eine „Barrie­re“ (Buback-Prozess info Nr. 2 v. 3.2.1979, S. 4). Bezeich­nend für die Erwar­tungs­hal­tung der Anhän­ger­schaft ist ein Kommen­tar, der in der ersten Ausga­be des Buback-Prozess info erschien: „Wenn wir die Sache der ‚Angeklag­ten‘ durch den Besuch des Prozes­ses zu unserer eigenen machen, so können wir erwar­ten, daß die ‚Angeklag­ten‘ und Vertei­di­ger unsere Sache (Zwangs­räu­mung, gerin­ge Platz­wahl usw.) zu der ihrigen machen.“ (Buback-Prozess info Nr. 1 v. 2.2.1979, S. 3). Obwohl die Vertei­di­gung sich um einen besse­ren Infor­ma­ti­ons­aus­tausch mit der Anhän­ger­schaft bemüh­te, etwa durch das Verle­sen von Erklä­run­gen auf dem Gerichts­flur oder Gesprä­chen in den Verhand­lungs­pau­sen, bestand bis zum Ende des Verfah­rens eine gewis­se Distanz. Der Olden­bur­ger Mitver­tei­di­ger Thomas Blanke erinner­te sich später:

„Angesichts der Unmög­lich­keit, die rigiden Rollen­zu­mu­tun­gen aufzu­spren­gen und einer vernünf­ti­gen und gewohn­ten Kommu­ni­ka­ti­ons­struk­tur anzuglei­chen, erscheint eine ratio­na­le Bewäl­ti­gung dieser Prozeß­si­tua­ti­on kaum möglich: Nicht nur das Gericht […], auch die […] Vertei­di­ger, die sich profes­sio­nell versiert in diesem Klima bewegen und für ‚ihre Mandan­ten‘ sprechen, wurden mit zuneh­men­der Verfah­rens­dau­er als bedroh­li­che Agenten in diesem Prozeß fortschrei­ten­der Entsub­jek­ti­vie­rung der Angeklag­ten empfun­den“ (Blanke, Prozeß­be­richt, S. 13).

6. Das Urteil
Das Ende des Olden­bur­ger Verfah­rens war glimpf­lich; die Angeklag­ten wurden nach acht Verhand­lungs­ta­gen freige­spro­chen (LG Olden­burg, Urt. v. 23.2.1979, Az. KLs 3/78). Nach Ansicht der Straf­kam­mer habe es sich bei „Mesca­le­ro“ zwar um straf­ba­re Inhal­te gehan­delt. Es sei den Angeklag­ten aber schon objek­tiv nicht mit der erfor­der­li­chen Sicher­heit nachzu­wei­sen gewesen, dass sie sich diesen Inhalt auch durch die Heraus­ga­be der Dokumen­ta­ti­on in straf­ba­rer Weise zu eigen gemacht hätten. So konnte, zumin­dest symbo­lisch, die Hypothe­se der Ankla­ge ins Ziel geret­tet werden, ohne dafür die Angeklag­ten zu einem indivi­du­el­len Straf­übel verur­tei­len zu müssen. Die Revisi­on der Staats­an­walt­schaft wurde im Folge­jahr durch den Bundes­ge­richts­hof verwor­fen (BGH, Urt. v. 26.2.1980 – 5 StR 621/79).

Auf die Suspen­die­rung Peter Brück­ners hatte dies zunächst keinen Einfluss – sie wurde erst im Oktober 1981 aufge­ho­ben. Brück­ner kehrte nicht an die Univer­si­tät zurück. Er beantrag­te die Verset­zung in den vorzei­ti­gen Ruhestand, erlag aber schon wenig später im April 1982, kurz vor seinem 60. Geburts­tag, einem langjäh­ri­gen Herzlei­den. Die Wegge­fähr­ten beklag­ten in ihrer Trauer­an­zei­ge ein „weite­res Opfer der deutschen Verhält­nis­se“ (Frank­fur­ter Rundschau v. 16.4.1982).

7. Würdi­gung des Prozesses
Trotz des spannungs­rei­chen politi­schen Hinter­grun­des blieb ein konfron­ta­ti­ves Verfah­ren in Olden­burg aus. Prozess­be­richt­erstat­te­rin­nen und ‑bericht­erstat­ter, die die Stamm­hei­mer Haupt­ver­hand­lung erlebt hatten, sprachen von einer Prozess­idyl­le. Die Prozess­rou­ti­ne wurde zuwei­len unter­bro­chen durch Unange­passt­hei­ten und ironi­sche Brechun­gen des juris­ti­schen Zeremo­ni­ells wie die Blumen- und Kaktus­ge­schen­ke (oben 5.), aber in der Haupt­li­nie folgte man dem Inter­es­se der Angeklag­ten aus der Wissen­schaft, den juris­ti­schen Kampf der inhalt­li­chen Ausein­an­der­set­zung zu widmen.

Ein durch­ge­hen­des Charak­te­ris­ti­kum des Olden­bur­ger Verfah­rens war das immense Parti­zi­pa­ti­ons­in­ter­es­se der Unter­stüt­zer­sze­ne, das sich nicht nur an das Gericht richte­te, sondern auch an die Angeklag­ten und die Vertei­di­gung. Es bestand insbe­son­de­re die Erwar­tung von Teilha­be (als „sozia­le Gegen­macht“), obwohl das Prozess­recht diesem Wunsch keinen Raum bot. In Blankes Prozess­be­richt heißt es dazu: Das Straf­ver­fah­rens­recht sei durch „rigide Kommu­ni­ka­ti­ons­for­men“ gekenn­zeich­net, „nach denen Öffent­lich­keit zwar unver­zicht­bar zum Prozeß dazuge­hört, jedoch nur zum Preis ihrer Darstel­lung als teilnahms­lo­se, nicht betei­lig­te, und nicht betrof­fe­ne.“ (Blanke, Prozess­be­richt, S. 17)

8. Quellen und Litera­tur (Auswahl)
Zentra­le Verfah­rens­do­ku­men­te des Olden­bur­ger Verfah­rens (u. a. die Ankla­ge­schrift, verschie­de­ne Prozesserklä­run­gen der Angeklag­ten, die Vertei­di­ger­plä­doy­ers, eine Abschrift der – heimlich mitge­schnit­te­nen – mündli­chen Urteils­be­grün­dung und das Urteil) sowie weite­re Zeitdo­ku­men­te (z.B. der verfah­rens­ge­gen­ständ­li­che Mesca­le­ro-Artikel, Presse­ar­ti­kel und ein Prozess­be­richt von Thomas Blanke) finden sich in einer von den Angeklag­ten und ihren Vertei­di­gern heraus­ge­ge­be­nen Dokumen­ta­ti­on (Blanke u.a., Der Olden­bur­ger Buback-Prozess, Berlin 1979). Weite­re Quellen­be­stän­de befin­den sich im Vorlass von Utz Maas, der im Archiv des Insti­tuts für Zeitge­schich­te München aufbe­wahrt wird (Signa­tur ED 429), sowie im Nachlass von Peter Brück­ner, der sich in einem an der Techni­sche Infor­ma­ti­ons­bi­blio­thek in Hanno­ver einge­rich­te­ten Peter-Brück­ner-Archiv befindet.

Ein Göttin­ger Mesca­le­ro [d.h. Klaus Hülbrock], Buback† – Ein Nachruf, in: Göttin­ger Nachrich­ten. Meldun­gen und Meinun­gen aus der Studen­ten­schaft, 25.04.1977, S. 10–12; wieder­ab­ge­druckt in Thomas Blanke u.a. (Hrsg.), Der Olden­bur­ger Buback-Prozess, Berlin 1979, S. 265–268.
Agnoli, Johan­nes u. a. (Hrsg.), „Buback-Nachruf“. Eine Dokumen­ta­ti­on, Berlin 1977.
Ahrens, Jürgen / Mücken­ber­ger, Ulrich, Dokumen­ta­ti­on zu den Prozes­sen wegen des „Buback-Nachrufs“ [I], in: KJ 1978, S. 280–301.
Arnold, Jörg, Werner Holtfort (1920–1992). Freiheit­lich gesinn­ter Sozia­list und unermüd­li­cher Kämpfer für die freie Advoka­tur in einer demokra­ti­sier­ten Gesell­schaft, in: Kriti­sche Justiz (Hrsg.), Streit­ba­re Juris­tIn­nen. Eine andere Tradi­ti­on, Bd. 2, Baden-Baden 2016, S. 219–246.
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Buback Prozess Info / Olden­bur­ger Studen­ten­zei­tung Extra, hrsg. von der Studen­ten­schaf­ten der Carl-von-Ossietz­ky-Univer­si­tät Oldenburg.
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Golzem, Armin, Die Mesca­le­ro-Affäre, in: Deutscher Beirat und Sekre­ta­ri­at des 3. Inter­na­tio­na­len Russell-Tribu­nal (Hrsg.), Drittes Inter­na­tio­na­les Russell-Tribu­nal. Zur Situa­ti­on der Menschen­rech­te in der Bundes­re­pu­blik Deutsch­land, Bd. 3: Gutach­ten, Dokumen­te, Verhand­lun­gen der 2. Sitzungs­pe­ri­ode, Teil 1: Zensur, Berlin 1979, S. 70–101.
Hanno­ver, Heinrich, Die Republik vor Gericht: Erinne­run­gen eines unbeque­men Rechts­an­walts, Bd. 2: 1975–1995, Berlin 1999.
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Holtfort, Werner, Ein Stück sozia­ler Gegen­macht: Zur Rollen­fin­dung des Rechts­an­walts, in: KJ 1977, S. 313–316.
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Jahn, Matthi­as / Ziemann, Sascha, Der Anwalt „als Rechts­hel­fer sozia­ler Gegen­macht“. Werner Holtfort und die Vertei­di­gung im Olden­bur­ger Buback-Prozess, in: Brosig, Jonas / Borgstedt, Angela, Organe der Rechts­pfle­ge – Organe der Revolu­ti­on? „Links­an­wäl­te“ im Lichte von APO und sozial­re­vo­lu­tio­nä­rem Terro­ris­mus der späten 1960er und 1970er Jahre in der Bundes­re­pu­blik (Band zur Tagung am 1.–3. Juni 2022 in Mannheim) (erscheint demnächst)
Maas, Utz, Das India­ner­spiel. Sprach­po­li­tik in der BRD anno 1977, in: ders., Sprach­po­li­tik und politi­sche Sprach­wis­sen­schaft. Sieben Studi­en, Frank­furt am Main 1989, S. 190–304 (der Origi­nal­text erschien 1978).
Maas, Utz, India­ner­spiel und Ernst. Die Mesca­le­ro-Affäre ist nicht nur eine Anekdo­te, in: Maas, Sprach­po­li­tik und politi­sche Sprach­wis­sen­schaft, in: ders., Sprach­po­li­tik und politi­sche Sprach­wis­sen­schaft. Sieben Studi­en, Frank­furt am Main 1989, S. 311–351 (der Origi­nal­text erschien 1979).
Mücken­ber­ger, Ulrich / Ahrens, Jürgen, Dokumen­ta­ti­on zu den Prozes­sen wegen des „Buback-Nachrufs“ (II), in: KJ 1978, S. 432–438.
Mücken­ber­ger, Ulrich, Dokumen­ta­ti­on zu den Prozes­sen wegen des „Buback-Nachrufs“ (III), in: KJ 1979, S. 312–320.
Mücken­ber­ger, Ulrich, Dokumen­ta­ti­on zu den Prozes­sen wegen des „Buback-Nachrufs“ (IV), in: KJ 1980, S. 208–216.
Remé, Sylvia, Werner Holtfort – Biogra­phie eines Anwalts und Politi­kers in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhun­derts in Nieder­sach­sen, München 2011.
Spiller, Stefan, Der Sympa­thi­sant als Staats­feind. Die Mesca­le­ro-Affäre, in: Wolfgang Kraus­haar (Hrsg.), Die RAF und der linke Terro­ris­mus, Bd. 2, Hamburg 2006, S. 1227–1257.
Teske, Knut, Klatschen, spren­gen oder ausknip­sen? So wird die Prozeß­tak­tik festge­legt, Die Welt v. 9.2.1979, wieder­ab­ge­druckt in: Thomas Blanke u.a. (Hrsg.), Der Olden­bur­ger Buback-Prozess, Berlin 1979, S. 131–132.
Wernstedt, Rolf, Mitgift oder Erblast? Kultur, Geschich­te, Religi­on in der deutsch-deutschen Bildungs­land­schaft: Peter Brück­ner und die Wissen­schafts­po­li­tik des Landes Nieder­sach­sen, Hanno­ver 1997.

Matthi­as Jahn und Sascha Ziemann
März 2025

Anhang:

„BUBACK – EIN NACHRUF“. Eine Dokumen­ta­ti­on (Auszug)*
Herausgeber:

Prof. Dr. J. Agnoli, Berlin Prof. Dr. G. Bauer, Berlin Prof. Dr. J. Beck, Bremen Prof. Dr. J. Blandow, Bremen Prof. Dr. A. D. Brock­mann, Bremen 
Prof. Dr. P. Brück­ner, Hannover Prof. Dr. W. Eichwe­del, Bremen Prof. Dr. M. Gallas, Bremen Prof. Dr. H. Gersten­ber­ger, Bremen Prof. Dr. W. Gottschalch, Bremen
Prof. Dr. S. Grubitzsch, Bremen Prof. Dr. K. Haubold, Oldenburg Prof. Dr. K.-D. Hofmann, Berlin Prof. Dr. W. Jaisli, Bremen Prof. Dr. G. Jannsen, Oldenburg
Prof. Dr. S. Jannsen, Oldenburg Prof. Dr. A. Keil, Bremen Prof. Dr. G. Kiefer, Braunschweig Prof. Dr. R. Knieper, Bremen Prof. Dr. R. Künsken, Oldenburg
Prof. Dr. H. Lessing, Berlin Prof. Dr. M. Liebel, Berlin Prof. Dr. Ing. R. Lochmann, Berlin Prof. Dr. E. Lucas, Oldenburg Prof. Dr. J. Luther, Oldenburg
Ass. Prof. Dr. C. Marzahn, Bremen Prof. Dr. A. Meyer, Bremen Ass. Prof. Dr. U, Mücken­ber­ger, Bremen Prof. Dr. W. Nitsch, Oldenburg Prof. Dr. C. Offe, Bielefeld
Prof. Dr. H. Ortmann, Bremen Prof. H. Pfütze, Berlin Prof. Dr. U. K. Preuß, Bremen Prof. Dr. U. Preuß-Lausitz, Berlin Rechts­an­walt H. Remé, Berlin
Prof. Dr. D, Richter, Bremen Akad. O Rat Dr. I. Schel­ler, Oldenburg Prof. Dr. E. Schmidt, Oldenburg Prof. Dr. W. Schmidt, Oldenburg Prof. Dr. B. Schonig, Berlin
Prof. W. Siebel, Berlin Prof. Dr. M. Waltz, Bremen Prof. Dr. R. Wolff, Berlin Rechts­an­walt M. Zieger, Berlin Rechts­an­walt H. Jacobi, Hamburg
Rechts­an­walt W. Günne­man, Hamburg

Erklä­rung
Wir sehen uns veran­lasst, einen Nachruf zu veröf­fent­li­chen einen Nachruf, den zu veröf­fent­li­chen unter Strafe gestellt worden ist: es geht um den erstmals in der Göttin­ger Studen­ten­zei­tung publi­zier­ten Nachruf auf Buback. Dieser Nachruf hat hefti­ge Reaktio­nen ausge­löst: seine Verbrei­tung wird von Justiz und Polizei­or­ga­nen sowie von Hochschul­lei­tun­gen verfolgt; in den Massen­me­di­en, auch in den bürger­lich-libera­len Zeitun­gen, wird dieser Nachruf als Ausge­burt „kranker Gehir­ne“ und als Muster­bei­spiel für „blanken Faschis­mus“ (Frankf. Rundschau) dekla­riert. Der vollstän­di­ge Text wird nirgends veröf­fent­licht im Gegen­teil, die zentra­le Inten­ti­on des Artikels – seine Absage an Gewalt­an­wen­dung – wird unterschlagen.
Warum wird dieser Artikel unter­drückt? Die Publi­ka­ti­on der unbot­mä­ßi­gen Gefüh­le eines Studen­ten trifft auf eine Situa­ti­on, in der der Staat Trauer für einen seiner Reprä­sen­tan­ten verord­net und in Szene setzt. Der Artikel verletzt in Form und Inhalt staats­bür­ger­li­che Anstands­re­geln – der Bundes­jus­tiz­mi­nis­ter zeigt die „Verun­glimp­fung des Andenkens Toter“ an. Der Artikel aber will auf seine Weise nichts weiter, als verord­ne­te Gefühls­re­gun­gen infra­ge­stel­len und einen Denkpro­zeß über die Gewalt­ver­hält­nis­se in unserer Gesell­schaft in Gang setzen.
Wir halten diesen Denkpro­zeß für notwen­dig. Die Unter­drü­ckung und Verfol­gung des Artikels ist selbst Ausdruck dieser Gewalt­ver­hält­nis­se: während jeder Ansatz sozia­lis­ti­scher Kritik und Praxis erstickt werden soll, können sich faschis­to­ide Tenden­zen ungehin­dert breit machen. Die politi­sche Öffent­lich­keit in der Gesell­schaft und spezi­ell an den Hochschu­len wird weiter einge­schränkt. Durch die exempla­ri­sche Krimi­na­li­sie­rung einzel­ner Studen­ten­ver­tre­ter wird an den Hochschu­len ein Klima der Angst erzeugt, in dem viele politi­sche Diskus­sio­nen nicht mehr geführt werden und Äußerun­gen, die mögli­cher Weise politi­schen Charak­ter haben könnten, nur noch hinter vorge­hal­te­ner Hand gemacht werden.
Wir sind der Auffas­sung, daß eine öffent­li­che Diskus­si­on des gesam­ten Artikels möglich sein muß. Mit seiner Veröf­fent­li­chung wollen wir zugleich dazu beitra­gen, der Krimi­na­li­sie­rung, der Illega­li­sie­rung und dem politi­schen Äußerungs­ver­bot entge­gen­zu­tre­ten, indem wir das Recht auf freie politi­sche Meinungs­äu­ße­rung praktisch wahrnehmen.

Buback – ein Nachruf*
Dies soll nicht unbedingt eine Einschät­zung sein oder ein kommen­tie­ren­der Verriss vom Schreib­tisch aus, mit päpst­li­chen Gestus vorge­tra­gen und als „solida­ri­sche Kritik“ bezeich­net. Ausge­wo­gen­heit, strin­gen­te Argumen­ta­ti­on, Dialek­tik und Wider­spruch – das ist mir alles piep-egal. Mir ist bei dieser Buback-Geschich­te einiges aufge­sto­ßen, diese Rülpser sollen zu Papier gebracht werden, vielleicht tragen sie ein bißchen zu einer öffent­li­chen Kontro­ver­se bei.
Meine unmit­tel­ba­re Reakti­on, meine „Betrof­fen­heit“ nach dem Abschuß von Buback ist schnell geschil­dert: ich konnte und wollte (und will) eine klamm­heim­li­che Freude nicht verheh­len. Ich habe diesen Typ oft hetzen hören, ich weiß, daß er bei der Verfol­gung, Krimi­na­li­sie­rung, Folte­rung von Linken einer heraus­ra­gen­de Rolle spiel­te. Wer sich in den letzten Tagen nur einmal genau sein Konter­fei angese­hen hat, der kann erken­nen, welche Züge dieser Rechts­staat trägt, den er in so hervor­ra­gen­der Weise verkör­per­te. Und der kennt dann auch schon ein paar Züge von Gesich­tern jener aufrech­ten Demokra­ten, die jetzt wie ein Mann empört und betrof­fen aufschreien.
Ehrlich, ich bedau­re es ein wenig, daß wir dieses Gesicht nun nicht mehr in das kleine rotschwar­ze Verbre­cher­al­bum aufneh­men können, das wir nach der Revolu­ti­on heraus­ge­ben werden, um der meist­ge­such­ten und meist­ge­h­aß­ten Vertre­ter der alten Welt habhaft zu werden und sie zur öffent­li­chen Verneh­mung vorzu­füh­ren. Ihn nun nicht mehr – enfant perdu …
Aber das ist ja nun nicht alles gewesen, was in meinem und im Kopf vieler anderer nach diesem Ding herum­spuk­te. So eine richti­ge Freude, wie etwa bei der Himmel­fahrt von Carre­ro Blanco konnte einfach nicht aufkom­men. Nicht, daß ich mich von der wirklich gut insze­nier­ten „öffent­li­chen“ Empörung und Hyste­rie kirre machen ließ; dieses Spekta­kel scheint ja wirklich von mal zu mal besser zu funktio­nie­ren und daß irgend­wo im Konzert dieser politi­schen Eunuchen, die von der Herstel­lung der „öffent­li­chen Meinung“ leben (gut leben), sich eine einzi­ge „kriti­sche“ Stimme erheben würde, daran glaubt von uns wohl keiner mehr.
Aber deswe­gen ist mir dieser herme­tisch wirken­de Block gleich­ge­schal­te­ter Medien, offizi­el­ler Verlaut­ba­run­gen und Kommen­ta­re doch nicht so egal, daß ich mich bei irgend­wel­chen Aktio­nen überhaupt nicht mehr um ihn zu kümmern bräuch­te. Die Wanzen­af­fä­re hat doch gezeigt, daß sich dieser Chor der Aufrech­ten Läuse in den Pelz gesetzt hat, die ihn kratzen, die sich nicht mit Meinun­gen und Kommen­ta­ren hinweg­tu­schie­ren lassen. Da haben sich immer­hin Risse und Brüche in dieser schein­bar festge­füg­ten Legiti­ma­ti­ons­fas­sa­de gezeigt, die wir ausnüt­zen müssen. Und können, sogar in bezug auf Stamm­heim. Da haben wir eine Gelegen­heit versäumt, ein öffent­li­ches Gemur­mel, ein öffent­li­ches Unbeha­gen der Noncha­lance mit der die Bubacks, Maiho­fers, Schiess und Benda die dicks­ten Rechts­brü­che begehen offen­siv für uns und die gefan­ge­nen zu nutzen. Diese Chance ist vorerst vorbei. Jetzt – nach dem Anschlag – ist nicht nur wieder jedes Mittel recht, um die „Terro­ris­ten­brut“ zu zerschla­gen, sondern die angewand­ten Mittel sind gar zu gering.
Das mag ein persön­li­cher Eindruck sein; ich hatte auch keine Ideen und keine Kraft, bei dieser Affäre einzu­grei­fen. Aber deutli­cher wird das, was ich damit kriti­sie­ren will, vielleicht am Beispiel des Roth/Ot­to-Prozes­ses in Köln. In diesem Prozess war die Strate­gie der Bubacks, die, Linke, die nachweis­lich nicht geschos­sen haben, als Polizis­ten-Mörder zu verur­tei­len. Revolu­tio­nä­re Linke sind Killer, ihre Gesin­nung, ihre Praxis präde­sti­niert sie zu Killern, die vor keinem Mittel zurück­schre­cken – so die Gleichung der Anklä­ger und (offen­sicht­lich) der Richter.
In mühevol­ler Klein­ar­beit ist es den betei­lig­ten Genos­sen und Genos­sin­nen wenigs­tens ansatz­wei­se gelun­gen, diese Strate­gie zu durch­kreu­zen und zwar so zu durch­kreu­zen, daß selbst die gleich­ge­schal­te­ten Medien über die Sauerei­en, unmensch­li­chen Haftbe­din­gun­gen, Verfah­rens­feh­ler etc. zu berich­ten gezwun­gen sind. Das kleine Stamm­heim in Köln hat so auch ein Schlag­licht auf das echte Stamm­heim werfen können. Am letzten Mittwoch haben die Anwäl­te von Roth und Otto Antrag auf Haftent­las­sung gestellt, weil einfach von der Beweis­la­ge her der Vorwurf des gemein­schaft­li­chen Mordes am Polizis­ten Pauli nicht mehr aufrecht zu erhal­ten war. Die Gleichung „Linke sind Killer“ war durch­kreuzt. Ich befürch­te aber, daß mit dem Anschlag auf Buback den Genos­sen die guten Karten aus der Hand geschla­gen worden sind, daß hierdurch eine unfrei­wil­li­ge Amtshil­fe für die Justiz geleis­tet wurde, die vielleicht sogar den Urteils­spruch negativ beein­flus­sen wird.
Der Blind­heit jener, für die sich die politi­sche Welt auf Stamm­heim reduziert und die völlig unabhän­gig von der jewei­li­gen „politi­schen Konjunk­tur“ den Kampf führen und ihre Mittel wählen, könnte so andere Genos­sin­nen und Genos­sen entwaff­nen und wäre ein unfrei­wil­li­ger Beitrag dazu, sie fertig zu machen, „Counter­insur­gen­cy“ andersherum …
Diese Überle­gun­gen allei­ne haben ausge­reicht, ein inneres Hände­rei­ben zu stoppen. Aber es kommt noch doller. Ich habe auch über eine Zeit hinweg (wie so viele von uns) die Aktio­nen der bewaff­ne­ten Kämpfer goutiert; ich, der ich als Zivilist noch nie eine Knarre in der Hand hatte, eine Bombe habe hochge­hen lassen. Ich habe mich schon ein bißchen dran aufge­geilt, wenn mal wieder was hochging und die ganze kapita­lis­ti­sche Schicke­ria samt ihren Scher­gen in Aufruhr versetzt war. Sachen, die ich im Tagtraum auch mal gern tun tät, aber wo ich mich nicht getraut habe sie zu tun.
Ich habe mir auch jetzt wieder vorge­stellt, ich wäre bei den bewaff­ne­ten Kämpfern, werde gesucht, gejagt, lebe irgend­wo in einem konspi­ra­ti­ven Zusam­men­hang von einigen Leuten, muß aufpas­sen, daß meine alltäg­li­chen Verrich­tun­gen (einkau­fen gehen, Papier­kör­be leeren, einen Film sehen) mir nicht schon den Garaus machen.
Ich frage mich, wie ich – abgeschnit­ten von alltäg­li­chen persön­li­chen und politi­schen Zusam­men­hän­gen – mit meinen Leuten die Entschei­dung über solch eine Aktion fällen könnte. Wie ich mich monate­lang darauf vorbe­rei­ten müßte, daß Buback weg muß, wie mein ganzes Denken von Logis­tik und Ballis­tik bestimmt wird. Wie ich mir sicher sein kann, daß dieser und kein anderer sterben muß, wie ich in Kauf nehme, daß auch ein anderer dabei drauf­geht, ein dritter vielleicht querschnitts­ge­lähmt sein wird etc. etc.
Ich müßte völlig umden­ken: ich denke immer noch, daß die Entschei­dung zu töten oder zu killen bei der herrschen­den Macht liegt, bei Richtern, Bullen, Werkschüt­zern, Militärs, AKW-Betrei­bern. Daß ich dafür extra ausge­bil­det sein müßte; kaltblü­tig wie Al Capone, schnell, brutal, berechnend.
Wie soll ich mich entschei­den, daß Buback wichtig ist, nicht für mich und meine Leute, sondern auch für die anderen Leute. Daß er wichti­ger ist, als der Richter X am Gefäng­nis Y oder einer seiner Wärter. Oder daß der Verkäu­fer an der Ecke, der dauernd „Kopf ab“ brüllt eine gerin­ge­re „Schuld“ trägt als Buback. Nur, weil er weniger „Verant­wor­tung“ hat? Warum diese Politik der Persön­lich­kei­ten? Könnten wir nicht mal zusam­men eine Köchin entfüh­ren und sehen, wie sie dann reagie­ren, die aufrech­ten Demokraten?
Sollten wir uns überhaupt mehr auf die Köchin­nen konzentrieren?
Wenn in Argen­ti­ni­en oder gar in Spani­en einer dieser staat­lich legiti­mier­ten Killer umgelegt wird, habe ich diese Proble­me nicht. Ich glaube zu spüren, daß der Haß des Volkes gegen diese Figuren wirklich ein Volks­h­aß ist. Aber wer und wievie­le Leute haben Buback (tödlich) gehaßt. Woher könnte ich, gehör­te ich den bewaff­ne­ten Kämpfern an, meine Kompe­tenz bezie­hen, über Leben und Tod zu entscheiden?
Wir alle müssen davon runter­kom­men, die Unter­drü­cker des Volkes stell­ver­tre­tend für das Volk zu hassen, so wie wir allmäh­lich schon davon runter sind, stell­ver­tre­tend für andere zu handeln oder eine Partei aufzu­bau­en. Wenn Buback kein Opfer des Volks­zor­nes wird (oder wegen mir auch des Klassen­has­ses, damit kein falscher Verdacht aufkommt), dann geht die Gewalt, die so ausge­übt wird, ebenso­we­nig vom Volk aus, wie Bubacks Gewalt vom Volke ausging.
Wir brauchen nur die Zeitun­gen aufzu­schla­gen und die Tages­mel­dun­gen zu verfol­gen: die Strate­gie der Liqui­die­rung, das ist eine Strate­gie der Herrschen­den. Warum müssen wir sie kopie­ren? Die Leute (das Volk!) haben Angst davor, sie haben ihre Erfah­run­gen damit gemacht, genau­so wie mit Einker­ke­rung und Arbeits­la­ger. Was wir auch tun: es wirft immer ein Licht auf das, was wir anstre­ben. Wir werden unsere Feinde nicht liqui­die­ren. Nicht in Gefäng­nis­se und nicht in Arbeits­la­ger sperren und deswe­gen gehen wir doch nicht sanft mit ihnen um.
Unser Zweck, eine Gesell­schaft ohne Terror und Gewalt (wenn auch nicht ohne Aggres­si­on und Militanz), eine Gesell­schaft ohne Zwangs­ar­beit (wenn auch nicht ohne Placke­rei), eine Gesell­schaft ohne Justiz, Knast und Anstal­ten (wenn auch nicht ohne Regeln und Vorschrif­ten oder besser: Empfeh­lun­gen) dieser Zweck heiligt eben nicht jedes Mittel, sondern nur manches. Unser Weg zum Sozia­lis­mus (wegen mir: zur Anarchie) kann nicht mit Leichen gepflas­tert werden.
Warum liqui­die­ren? Lächer­lich­keit kann auch töten, zum Beispiel auf lange Sicht und Dauer. Unsere Waffen sind nicht ledig­lich Nachah­mun­gen der militä­ri­schen, sondern solche, die sie uns nicht aus der Hand schie­ßen können. Unsere Stärke braucht deswe­gen nicht in einer Phrase zu liegen (wie in der „Solida­ri­tät“). Unsere Gewalt endlich kann nicht die Al Capones sein, eine Kopie des offenen Straßen­ter­rors und des tägli­chen Terrors; nicht autori­tär, sondern antiau­to­ri­tär und deswe­gen umso wirksa­mer. Um der Macht­fra­ge willen (o Gott!), dürfen Linke keine Killer sein, keine Bruta­los, keine Verge­wal­ti­ger, aber sicher auch keine Heili­gen, keine Unschulds­läm­mer. Einen Begriff und eine Praxis zu entfal­ten von Gewalt/Militanz, die fröhlich sind und den Segen der betei­lig­ten Massen haben, das ist (zum prakti­schen Ende gewen­det) unsere Tages­auf­ga­be. Damit die Linken, die so handeln, nicht die gleichen Killer­vi­sa­gen wie die Bubacks kriegen.
Ein bißchen klobig, wie? Aber ehrlich gemeint …
Ein Göttin­ger Mescalero

Anhang
(Anm. d. Verf: von einem Wieder­ab­druck wurde abgesehen)

1. Erklä­rung der Basis­grup­pen­frak­ti­on in den VDS (Verband Deutscher Studen­ten­schaf­ten, Anm. d. Verf.)
2. Presseausschnitte
3. Göttin­ger Stellungnahme
4. Offener Brief der Betriebs­grup­pe der Gew-Berlin der PH Berlin (d.h. Landes­ver­band Berlin der Gewerk­schaft Erzie­hung und Wissen­schaft, Betriebs­grup­pe Pädago­gi­sche Hochschu­le Berlin, Anm. d. Verf.)
5. Rosa Luxem­burg, Terror; in: Ges. Werke, Band 1, Berlin 1974, S. 519–522.
(…)

* Origi­nal erschie­nen in: Agnoli, Johan­nes u. a. (Hrsg.), „Buback-Nachruf“. Eine Dokumen­ta­ti­on, Berlin 1977.

Matthi­as Jahn und Sascha Ziemann
März 2025

Zitier­emp­feh­lung:

Jahn, Matthias/ Ziemann, Sascha: „Der Mesca­le­ro-Prozess gegen Peter Brück­ner et al., Olden­burg 1979“, in: Groenewold/ Ignor / Koch (Hrsg.), Lexikon der Politi­schen Straf­pro­zes­se, https://www.lexikon-der-politischen-strafprozesse.de/glossar/mescalero-prozess/, letzter Zugriff am TT.MM.JJJJ. ‎

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