Volksverhetzung
Verunglimpfung des Staates
Beleidigung
Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener
Der Mescalero-Prozess gegen Peter Brückner et al.
Oldenburg 1979
1. Prozessgeschichte/Prozessbedeutung
„Bekämpfen Sie diesen Staat, wenn Sie dies für notwendig halten; aber bekämpfen Sie ihn nicht mit Pensionsberechtigung“, so forderte der Berliner SPD-Wissenschaftssenator Peter Glotz in einem offenen Brief vom 3. Juli 1977 ein Dutzend Berliner Hochschulprofessoren auf, Loyalität gegenüber dem Staat zu zeigen. Andernfalls sollten sie den Dienst quittieren. Hintergrund war die Veröffentlichung einer Dokumentation zu dem Text „Ein Göttinger Mescalero, Buback† – Ein Nachruf“, der im April 1977 nach der Ermordung von Generalbundesanwalt Siegfried Buback durch die RAF in der Zeitung des Allgemeinen Studentenausschusses der Göttinger Universität – den „Göttinger Nachrichten“ – erschienen war. Der Mescalero-Text sollte, ungeachtet seines überschaubaren Umfangs und des Publikationsorts, zu einem der Schlüsseltexte der politischen Geschichte der Bonner Republik aufsteigen, besser: gemacht werden.
Der Verfasser des Beitrags, jener „Göttinger Mescalero“, der sich Jahrzehnte später in einem offenen Brief an den Sohn des Attentatsopfers, Michael Buback, als der damalige Germanistik-Student und spätere Deutschlehrer Klaus Hülbrock zu erkennen gab, hatte seine unmittelbare Reaktion auf die Nachricht von der Erschießung Bubacks auf einer Karlsruher Straßenkreuzung wenige Wochen danach so beschrieben:
„Ich konnte und wollte (und will) meine klammheimliche Freude nicht verhehlen. Ich habe diesen Typ oft hetzen hören, ich weiß, daß er bei der Verfolgung, Kriminalisierung, Folterung von Linken eine herausragende Rolle spielte“ (Ein Göttinger Mescalero, S. 265).
Daneben setzte er sich mit dem bewaffneten Widerstand auseinander, überlegte, wem die Kompetenz zukommen könne, „über Leben und Tod zu entscheiden“ und fragte, ob es überzeugend sei, die von Herrschenden praktizierte „Strategie der Liquidierung“ (Ein Göttinger Mescalero, S. 267) zu kopieren. Am Ende kommt er dennoch zu einer Absage an die Gewalt, denn:
„Unser Zweck, eine Gesellschaft ohne Terror und Gewalt […] heiligt eben nicht jedes Mittel, sondern nur manches. Unser Weg zum Sozialismus (wegen mir: Anarchie) kann nicht mit Leichen gepflastert werden“ (Ein Göttinger Mescalero, S. 268).
Der Beitrag erzeugte ein Beben, dessen Erschütterung republikweit zu spüren war. Die Mescalero-Affäre führte zu einer Art Treibjagd auf vermeintliche RAF-Sympathisantinnen und ‑Sympathisanten mit den Instrumenten des Strafprozessrechts. Neben Durchsuchungen von studentischen Wohngemeinschaften, Redaktionsbüros von Studenten- und Schülerzeitungen und linksalternativen Buchläden wurden flächendeckend Strafverfahren gegen die verantwortlichen Herausgeber und alle, die den Text weiterverbreitet hatten, eingeleitet. Wichtige Verfahren fanden insbesondere in Göttingen, dem Erscheinungsort des ursprünglichen Mescalero-Textes, und in (West-)Berlin, dem Verlagsort, statt. Insgesamt wurden bundesweit Verfahren gegen etwa 140 Beschuldigte wegen der strafrechtlichen Vorwürfe der Volksverhetzung (§ 130 StGB), Verunglimpfung des Staates (§ 90a StGB), Beleidigung (§ 185 StGB) und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (§ 189 StGB) geführt.
Eines der Strafverfahren, das von Beginn an große öffentliche Aufmerksamkeit erfuhr, der Oldenburger Buback-Prozess, richtete sich gegen 13 niedersächsische Hochschulbedienstete, die die inkriminierte Dokumentation mitherausgegeben hatten. Mit dem Wiederabdruck des Textes sollte, wie es der mitangeklagte Hannoversche Psychologieprofessor Peter Brückner später einmal formulierte, der Impetus des Mescalero aufgegriffen werden, eine öffentliche Diskussion „über Gewaltverhalten in der Gesellschaft“ in Gang zu bringen (Brückner, Russell-Tribunal, S. 97). Darüber hinaus ging es um eine Solidaritätsdemonstration mit den strafverfolgten Studentinnen und Studenten.
Nicht nur der konservative Mainstream, sondern auch ein großer Teil der öffentlichen Meinung war ganz anderer Auffassung. Die meisten Zeitungen verurteilten den angeblich schmähenden Nachruf scharf. Die Absage an die Gewalt wurde der Einfachheit halber ignoriert. Die Welt beispielsweise titelte schlicht: „Göttinger AStA billigt den Mord an Buback“ (Die Welt v. 30.4.1977). Die dadurch verursachte „Massenhysterie“ führte der Mitangeklagte Utz Maas (geb. 1942), ganz Sprachwissenschaftler, auf eine „Kampagne“ der Massenmedien zurück, die nach seiner Analyse nur deshalb zustande gekommen sei, „weil ihr Gegenstand selbst nicht bekannt war“ (Maas Sprachpolitik und politische Sprachwissenschaft. Sieben Studien, 1989, S. 190). Mittlerweile hatten auch gewichtige Stimmen der Bonner Politik, darunter SPD-Bundesjustizminister Hans-Jochen Vogel sowie Bundesinnenminister Werner Maihofer von der FDP, beide in Reaktion auf die Schleyer-Entführung im Deutschen Herbst 1977, Strafanzeige gegen die Herausgeber der Dokumentation gestellt. Ihnen galt der Text als Manifest der Unterstützerszene, in zeitgenössischer Rede als „Sympathisanten“ bezeichnet. In einer Rede vor dem Innen- und Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages am 14.4.1977, also eine Woche nach der Ermordung Bubacks, hatte der damalige Bundesinnenminister Maihofer es als eine „gemeinsame Anstrengung aller politischen Parteien“ angesehen, in der für nicht unerheblich gehaltenen Unterstützerszene der RAF eine „Dissolidarisierungskampagne“ in Gang zu setzen. Denn diese seien, so Maihofer, das „Wasser“, „in dem diese Fische [Ergänzung d. Verf.: die RAF-Terroristen] schwimmen“ und zwar „auch im Wasser“ einer Szene, „die (…) die Grenzen nicht so ganz klar zieht“.
Dem Oldenburger Strafprozess war durch Rahmenumstände besondere Dramatik beschieden. Die Angeklagten waren aus Überzeugung bereit, sich auf Kosten ihrer beruflichen Existenz auf die Seite einer sozialen Gegenbewegung zum gesellschaftlichen Mainstream der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre zu stellen. Der Hintergrund für das Strafverfahren war das Disziplinarverfahren gegen Brückner und Maas, das von der CDU-geführten niedersächsischen Landesregierung von Ministerpräsident Ernst Albrecht bereits in Gang gebracht worden war, und das erkennbar die Entfernung der beiden Hochschullehrer aus dem Universitätsdienst zum Ziel hatte. Dem Strafprozess kam dabei, wie auch sonst, Signal- und Leitwirkung für den Ausgang des Disziplinarverfahrens zu.
Brückner und Maas standen dabei aus verschiedenen Gründen im besonderen Fokus. Utz Maas hatte sich geweigert, eine Treueerklärung zu unterzeichnen, die ihm von seinem Dienstherrn, Wissenschaftsminister Pestel, im September 1977 vorgelegt worden war. In deutlicher Anlehnung an den Grundsatzbeschluss des BVerfG von 1975 (BVerfG, Beschl. v. 22. Mai 1975 – 2 BvL 13/73, BVerfGE 39, 334, 348) zum „Radikalenerlass“ betonte Minister Prestel eine „besondere Treuepflicht“ der Beamten „gegenüber dem Staat“. Diese fordere mehr „als nur eine formal korrekte […] Haltung gegenüber Staat und Verfassung“. Vielmehr sei es geboten, dass diese sich „sich eindeutig von Gruppen und Bestrebungen distanziert, die diesen Staat, seine verfassungsmäßigen Organe und die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren“. Daran anknüpfend forderte Pestel neben der Ablehnung von „Mord oder Entführung“ auch die Absage an „den Einsatz von Gewalt“ überhaupt. Der Schlusssatz der Erklärung lautete „Ich distanziere mich in aller Form von dem Verfasser und dem Inhalt des sogenannten Buback-Nachrufs“ (zit. nach Golzem, Die Mescalero-Affäre, S. 83).
Peter Brückner – Marxist und Ikone der Studentenbewegung mit Strahlkraft weit über Hannover hinaus – war schon früher in das Visier der (seinerzeit SPD-geführten) Landesregierung geraten und von Wissenschaftsminister von Oertzen vorläufig suspendiert worden, als gegen ihn der Vorwurf erhoben wurde, der wegen Mordversuchs gesuchten RAF-Terroristin Ulrike Meinhof Unterschlupf in Hannover gewährt zu haben. Die bereits in diesem Zuge verhängten Sanktionen (ein Hausverbot und eine Gehaltskürzung um ein Drittel) hatten eine Welle der Solidarität der Hannoverschen Studierenden und der westdeutschen Intellektuellenszene nach sich gezogen. Brückner ließ sich auch dieses Mal nicht unterkriegen und verlegte seine Vorlesungen kurzerhand „zu Tisch und Stuhl“ in die Kneipe und veröffentlichte später eine umfangreiche Begründung seiner Verweigerungshaltung, in der er die „Pestel-Erklärung“ Absatz für Absatz wissenschaftlich sezierte. Der Anfang sei zur Veranschaulichung zitiert:
„Zum ersten Absatz: Der Passus ist schlampig formuliert. Das Ministerium schreibt, die Hochschullehrer sollten sich von jeder Gewalt distanzieren, es meint aber: von jeder nichtstaatlichen Gewalt. Eine Erklärung zur Verfassungstreue impliziert mit hoher Verbindlichkeit, was dem Ministerium in anderen Zusammenhängen gerade als verfassungswidrig erscheint: das Abrücken von jeder Gewalt, auch von der staatlichen.“ (Brückner, „Nein“: eine Begründung, S. 369 ff.)
2. Personen
a) Die Angeklagten
Das Verfahren in Oldenburg richtete sich gegen 13 niedersächsische Hochschulbedienstete, 12 Männer und eine Frau, vornehmlich Professoren, die die inkriminierte Mescalero-Dokumentation mitherausgegeben hatten. Sie stammten vor allem aus Oldenburg (Gerd und Sigrid Janssen, Eberhard Schmidt, Wolfgang Schmidt, Karl Haubold, Ingo Scheller, Erhard Lucas, Joachim Luther, Wolfgang Nitsch, Rainer Künsken) und aus Braunschweig (Georg Kiefer). Hinzu traten die prominenteren Professoren Peter Brückner aus Hannover und Utz Maas aus Osnabrück.
b) Die Verteidiger
Die Verteidigerbank des Oldenburger Verfahrens war mit Anwälten aus der linken Szene prominent besetzt. Die Verteidigung der über Niedersachsen hinaus bekannten Professoren Brückner und Maas hatten der außerordentlich prozesserfahrene Heinrich Hannover aus Bremen und Werner Holtfort aus Hannover übernommen. Dazu gesellten sich Holtforts früherer Rechtsreferendar und Kurzzeitsozius Gerhard Schröder, der es als Bundeskanzler außerhalb des Gerichtssaals noch zu einiger Berühmtheit bringen sollte. Als Verteidigerin und Verteidiger wirkten zudem einige Hochschullehrer aus Oldenburg mit, darunter Thomas Blanke, dessen Zeitschrift „Kritische Justiz“ eine mehrteilige Prozessdokumentation zu den Prozessen wegen des „Buback-Nachrufs“ herausbrachte (verantwortetet von Jürgen Ahrens und Ulrich Mückenberger). Als einzige Frau auf Seiten der Verteidigung trat Rechtsanwältin Mechtild Düsing (geb. 1944) aus Münster in Erscheinung, die den Oldenburger Geografie-Professor Gert Janssen verteidigte.
c) Das Gericht
Die Hauptverhandlung begann, erst nahezu ein Jahr nach Anklageerhebung, am 1.2.1979 vor der VI. Großen Strafkammer des Oldenburger Gerichts unter dem Vorsitz von Rolf Draeger und erstreckte sich über acht Verhandlungstage.
d) Die Staatsanwaltschaft
Auf Seiten der Staatsanwaltschaft vertrat Staatsanwalt Frerk Ibbeken aus Hannover die Anklage.
3. Die Anklage
In der am 21.3.1978 erhobenen Anklage wurde den Herausgebern der Mescalero-Dokumentation vorgeworfen, den Staat und seine Repräsentanten, darunter auch den ermordeten Generalbundesanwalt Buback, in verschiedener Weise herabgewürdigt und an Ehre und Menschenwürde verletzt zu haben und sich daher sich wegen Volksverhetzung (§ 130 StGB), Verunglimpfung des Staates (§ 90a StGB), Beleidigung (§ 185 StGB) und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (§ 189 StGB) strafbar gemacht zu haben.
4. Die Öffentlichkeit
Der Strafprozess stieß auf großes Interesse der Öffentlichkeit, vor allem natürlich auch in der Studentenbewegung. Um die Vorgänge auch einer weiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen, wurde der Prozessablauf von Zuschauern aus dem Gerichtssaal akribisch protokolliert – selbst Versprecher werden wörtlich notiert –, und zusammen mit Auszügen aus den Erklärungen vor Gericht und Zeitungsberichten in einer eigens herausgegebenen Sonderausgabe der Oldenburger Studentenzeitung, dem „Buback-Prozess info“, verbreitet. Die im Brückner-Nachlass überlieferten Ausgaben des „info“, das in einer mitgeteilten Auflage von 1.500 Exemplaren erschien, sind eine wichtige Quelle, und zwar nicht nur durch Schilderungen des Prozessgeschehens im Gerichtssaal, sondern auch durch die darin dokumentierten Diskussionen innerhalb der Unterstützerszene. So finden sich beispielsweise Hinweise auf kontroverse Diskussionen in der Anhängerschaft über die Frage, welche Rolle das Publikum in einem solchen Prozess spielen könne: Sollte das Publikum eine widerständige Haltung einnehmen und die Autorität des Gerichts in Frage stellen, um damit auch seinen Widerstand gegen den Staat zum Ausdruck zu bringen? Oder würde dies nur den Angeklagten, allen voran dem suspendierten Peter Brückner, schaden, weshalb es vornehmlich darum gehen solle, den Prozess – notgedrungen – als „Lehrstück“ zu begreifen – für die Öffentlichkeit, die über den Prozessverlauf zu informieren ist, und für möglichst viele aus der Unterstützerszene, denen die Gelegenheit gegeben werden solle, durch die Teilnahme an diesem Verfahren „Erfahrungen in der Auseinandersetzung mit dem Staat“ zu machen (Buback-Prozess info Nr. 2 v. 3.2.1979, S. 4).
5. Die Verteidigung
Das Oldenburger Verfahren bot in juristischer Hinsicht reichlich Diskussionsstoff. Es ging dabei nicht um Beweisfragen, da das Tatgeschehen – der Wiederabdruck des inkriminierten Mescalero-Textes – von den Angeklagten nicht in Abrede gestellt wurde. Ganz im Gegenteil war das öffentliche Bekenntnis Sinn und Zweck des gesamten Unternehmens. Im Mittelpunkt des Verfahrens standen vielmehr die materiell-rechtlichen Fragen, die der Verteidigung gleichzeitig als Plattform zur weithin sichtbaren Präsentation eines politisch-ideologischen Standpunkts dienen konnten: zum einen solche, die sich mit der Auslegung des Mescalero-Beitrags als mögliches Staatsschutzdelikt befassten, zum anderen die Frage der eigenständigen pressestrafrechtlichen Verantwortlichkeit der Herausgeber durch die Verbreitung des Texts im Rahmen einer neutral als „Dokumentation“ bezeichneten Publikation.
Aus Sicht der Verteidigung war klar, dass die gegen die Herausgeber gerichteten Strafverfolgungsmaßnahmen nicht rechtlich, sondern politisch motiviert waren. Aus ihrer Sicht ging es nicht um die Reaktion auf die Weiterverbreitung eines als anstößig empfundenen Textes, dem im Übrigen auch Wohlgesonnene, darunter auch einzelne Verteidiger, wenig abgewinnen konnten. Man hatte es vielmehr, wie es Rechtsanwalt Werner Holtfort in seiner Verteidigungsrede vor Gericht formulierte, mit dem Versuch der politisch Herrschenden zu tun, das „Bild eines inneren Feindes herzustellen oder zu bekräftigen“, um die so Gebrandmarkten als „Beschöniger, Verharmloser […] oder Sympathisant(en) der terroristischen Verbrechen aus der Diskussion“ zu drängen (Holtfort, Plädoyer, S. 134). Mit dieser Einschätzung stand Holtfort politisch keinesfalls allein. SPD-Kultusminister Rolf Wernstedt meinte rückblickend, bei dem Fall sei es nicht nur um die Bewältigung eines aktuellen Problems gegangen, „sondern um eine über ein Jahrzehnt andauernde grundsätzliche Auseinandersetzung um die Reichweite der Wissenschaftsfreiheit, des Grundrechts auf Meinungsfreiheit und um die Strukturen und Formen der politischen Auseinandersetzung in der alten Bundesrepublik“ (Wernstedt, S. 156).
Die agonale Auseinandersetzung über diese Fragen zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung verlangte allen Seiten Einiges ab, zumal die Auseinandersetzung im formalen Rahmen des Strafprozesses mit seiner spezifischen Rollen- und Machtverteilung erfolgte. Einen ersten Erfolg konnte die Verteidigung gleich am ersten Prozesstag verbuchen, als sie aufdeckte, dass die Pressestelle des Gerichts Auszüge der noch nicht verlesenen Anklageschrift an die Presse gegeben hatte. Das war rechtlich zumindest grenzwertig, da solche „Serviceleistungen“ grundsätzlich gemäß § 353d Nr. 3 StGB mit Strafe bedroht waren. Dem Argument der Verteidigung folgend, dass eine verkürzte Zitierung die Gefahr einer Vorverurteilung begründete, bewog das Gericht mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft, dem Antrag der Verteidigung stattzugeben und den versammelten Pressevertretern ein Exemplar der gesamten Dokumentation zur Verfügung zu stellen. Ein Verteidigungscoup, war dies doch, worauf Verteidiger Gerhard Schröder gegenüber der Presse natürlich auch hinwies, genau dasjenige Verhalten, das den Angeklagten zur Last gelegt wurde (NWZ v. 2.2.1979, S. 3).
Ein wichtiges Mittel für die Angeklagten, zu einem frühen Zeitpunkt aktiv am Prozessgeschehen mitzuwirken, war die persönliche Erklärung zu Beginn des zweiten Hauptverhandlungstages. Die Angeklagten wählten einheitlich die Form der mündlichen Erklärung, nachdem im Vorhinein alternative Formen, wie etwa ein Happening, verworfen worden waren, da diese auf wenig Verständnis bei Gericht stoßen würden (Protokoll zum Treffen der niedersächsischen Hrsg. und ihrer Verteidigung v. 13.1.1979). Die zumeist verlesenen Erklärungen der Angeklagten ähnelten im Kern weniger der Verteidigung des eigenen Tuns als vielmehr der Anklage gegen die bestehenden „(Gewalt-)Verhältnisse“. Da sie damit auch an die Öffentlichkeit und Unterstützerszene gerichtet waren, wurden sie im „Buback-Prozess info“ rasch wiederabgedruckt (zur Brücker-Erklärung siehe Buback-Prozess info Nr. 3 v. 6.2.1979, S. 6 ff.)
Im weiteren Prozessverlauf bediente sich die Verteidigung vor allem des Beweisantragsrechts. Die detailliert begründeten Anträge, die von der Verteidigerin und den Verteidigern in arbeitsteiligem Vorgehen erarbeitet wurden, widmeten sich Sprache und Inhalt des Mescalero-Artikels, der Situation der öffentlichen Diskussion zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Dokumentation und dem Vorwort der Herausgeber. Ziel war es, den Beweis zu erbringen, dass der Mescalero-Artikel kein politisches Manifest, sondern eine in der Studentenbewegung übliche Absage an terroristische Gewalt gewesen und die Herausgeber durch die Dokumentation dem Impuls gefolgt seien, der als beängstigend empfundenen öffentlichen Diskussion eine sachliche Grundlage zu geben.
Als eine Besonderheit erwies sich die Rolle der hochinteressierten Unterstützerszene, mit deren Partizipations- und zuweilen auch Agitationsansprüchen sich nicht nur das Gericht auseinanderzusetzen hatte, sondern auch die Verteidigung. Eine erste Konfliktsituation ergab sich schon zu Beginn des Prozesses, als die Strafkammer weiteren interessierten Zuschauern, die sich im Gerichtsflur drängten, den Zutritt zum Schwurgerichtssaal verweigerte und Anträge der Verteidigung auf Verlegung in einen größeren Saal ablehnte. Um die Situation zu beruhigen, ließ der Vorsitzende die Sitzung unterbrechen, woraufhin er sich nach dem Wiedereintritt des Gerichts in einem völlig überfüllten Gerichtssaal wiederfand, da die Ausgeschlossenen sich kurzerhand Zutritt zum Saal verschafft hatten. Die gerichtliche Androhung, den Saal durch eine mittlerweile angerückte Hundertschaft der Polizei zwangsweise räumen zu lassen, konnte nur durch das Betreiben der Verteidigung, allen voran von Rechtsanwalt Hannover, abgewendet werden, der den Zuschauern als Kompromiss ein Rotationsverfahren mit stündlich wechselndem Publikum vorschlug, das von diesen nach intensiver Diskussion und basisdemokratischer Abstimmung angenommen wurde (FR v. 6.2.1979, S. 3). Das Gericht akzeptierte dieses Procedere und ermöglichte stündliche Verhandlungspausen, um das Publikum auszutauschen. Letzteres funktionierte übrigens nicht immer reibungslos, was zu Unmut innerhalb der Unterstützerszene führte und diese von einer „egoistischen Solidarität“ sprechen ließ (Buback-Prozess info Nr. 4 v. 9.2.1979, S. 12).
Heinrich Hannovers Vermittlungsrolle, die von der prozesstaktischen Überlegung getragen war, eine Konfrontation des Publikums mit dem Gericht zu vermeiden, war nicht unumstritten. Einige aus der Unterstützerszene hielten dies für einen Akt der Anpassung und setzen die Forderung nach einer „Selbstbefreiung von Autoritäten“ entgegen. Andere wiederum erinnerten an die möglichen Folgen einer strafgerichtlichen Verurteilung für die „materielle Existenz“ der Angeklagten (dazu Buback-Prozess info Nr. 1 v. 2.2.1979, S. 5 f.). Auch die Verteidigung beteiligte sich vereinzelt an den hitzigen Diskussionen innerhalb der Unterstützerszene, die regelmäßig im Oldenburger Jugendclub „Alhambra“ stattfanden. Sie warnte aus taktischen Erwägungen vor einer allzu konfrontativen Haltung des Publikums und reklamierte die inhaltliche Auseinandersetzung für sich und die Angeklagten. Diese Sicht setzte sich schließlich durch und führte zu einem weitgehend ungestörten Verfahrensablauf. Der Journalist Teske, der an einem Organisationstreffen der Prozessbeteiligten und ihrer Anhängerschaft im „Alhambra“ teilgenommen hatte, berichtet in diesem Zusammenhang von der „Prozeßtaktik“ der Anhängerschaft, „dem Gericht in einem Klima der ‚schleichenden Angepaßtheit‘ ein Zugeständnis nach dem anderen abzuringen“ (Teske, Die Welt v. 9.2.1979). Soweit es vereinzelt zu Episoden unangepassten Verhaltens von Seiten des Publikums sowie der Angeklagten kam, wurden diese vom Oldenburger Gericht weitgehend kommentar- und beanstandungslos hingenommen. Erklärungen von Anklagten und Verteidigung wurden beklatscht, während Äußerungen der Staatsanwaltschaft mit Unmutsäußerungen bedacht wurden. Das heiße Interesse trieb zuweilen, sprichwörtlich, Blüten: So fanden etwa die Angeklagten und das Gericht eines Tages nach einer Verhandlungspause Blumensträuße an ihren Plätzen vor, während die Staatsanwaltschaft sich einem blütenlosen Kaktus gegenübersah (HAZ v. 15.2.1979, ein Foto findet sich bei Blanke u.a., Der Oldenburger Buback-Prozess, 1979, S. 22). Auf Angeklagtenseite sorgte insbesondere die einzige Frau, die Biologie-Professorin Sigrid Jannsen aus Oldenburg, für Aufsehen, als sie ihre Auskunft zur Person stoppte und das Gericht ihrerseits aufforderte, sich vorzustellen, was das Gericht dann auch tat (NWZ v. 2.2.1979, S. 3).
Ein weiterer Streitpunkt zwischen Unterstützerszene und Verteidigung war der Informationsaustausch. Die Unterstützerszene hielt diesen für unzureichend und empfand eine „Barriere“ (Buback-Prozess info Nr. 2 v. 3.2.1979, S. 4). Bezeichnend für die Erwartungshaltung der Anhängerschaft ist ein Kommentar, der in der ersten Ausgabe des Buback-Prozess info erschien: „Wenn wir die Sache der ‚Angeklagten‘ durch den Besuch des Prozesses zu unserer eigenen machen, so können wir erwarten, daß die ‚Angeklagten‘ und Verteidiger unsere Sache (Zwangsräumung, geringe Platzwahl usw.) zu der ihrigen machen.“ (Buback-Prozess info Nr. 1 v. 2.2.1979, S. 3). Obwohl die Verteidigung sich um einen besseren Informationsaustausch mit der Anhängerschaft bemühte, etwa durch das Verlesen von Erklärungen auf dem Gerichtsflur oder Gesprächen in den Verhandlungspausen, bestand bis zum Ende des Verfahrens eine gewisse Distanz. Der Oldenburger Mitverteidiger Thomas Blanke erinnerte sich später:
„Angesichts der Unmöglichkeit, die rigiden Rollenzumutungen aufzusprengen und einer vernünftigen und gewohnten Kommunikationsstruktur anzugleichen, erscheint eine rationale Bewältigung dieser Prozeßsituation kaum möglich: Nicht nur das Gericht […], auch die […] Verteidiger, die sich professionell versiert in diesem Klima bewegen und für ‚ihre Mandanten‘ sprechen, wurden mit zunehmender Verfahrensdauer als bedrohliche Agenten in diesem Prozeß fortschreitender Entsubjektivierung der Angeklagten empfunden“ (Blanke, Prozeßbericht, S. 13).
6. Das Urteil
Das Ende des Oldenburger Verfahrens war glimpflich; die Angeklagten wurden nach acht Verhandlungstagen freigesprochen (LG Oldenburg, Urt. v. 23.2.1979, Az. KLs 3/78). Nach Ansicht der Strafkammer habe es sich bei „Mescalero“ zwar um strafbare Inhalte gehandelt. Es sei den Angeklagten aber schon objektiv nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachzuweisen gewesen, dass sie sich diesen Inhalt auch durch die Herausgabe der Dokumentation in strafbarer Weise zu eigen gemacht hätten. So konnte, zumindest symbolisch, die Hypothese der Anklage ins Ziel gerettet werden, ohne dafür die Angeklagten zu einem individuellen Strafübel verurteilen zu müssen. Die Revision der Staatsanwaltschaft wurde im Folgejahr durch den Bundesgerichtshof verworfen (BGH, Urt. v. 26.2.1980 – 5 StR 621/79).
Auf die Suspendierung Peter Brückners hatte dies zunächst keinen Einfluss – sie wurde erst im Oktober 1981 aufgehoben. Brückner kehrte nicht an die Universität zurück. Er beantragte die Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand, erlag aber schon wenig später im April 1982, kurz vor seinem 60. Geburtstag, einem langjährigen Herzleiden. Die Weggefährten beklagten in ihrer Traueranzeige ein „weiteres Opfer der deutschen Verhältnisse“ (Frankfurter Rundschau v. 16.4.1982).
7. Würdigung des Prozesses
Trotz des spannungsreichen politischen Hintergrundes blieb ein konfrontatives Verfahren in Oldenburg aus. Prozessberichterstatterinnen und ‑berichterstatter, die die Stammheimer Hauptverhandlung erlebt hatten, sprachen von einer Prozessidylle. Die Prozessroutine wurde zuweilen unterbrochen durch Unangepasstheiten und ironische Brechungen des juristischen Zeremoniells wie die Blumen- und Kaktusgeschenke (oben 5.), aber in der Hauptlinie folgte man dem Interesse der Angeklagten aus der Wissenschaft, den juristischen Kampf der inhaltlichen Auseinandersetzung zu widmen.
Ein durchgehendes Charakteristikum des Oldenburger Verfahrens war das immense Partizipationsinteresse der Unterstützerszene, das sich nicht nur an das Gericht richtete, sondern auch an die Angeklagten und die Verteidigung. Es bestand insbesondere die Erwartung von Teilhabe (als „soziale Gegenmacht“), obwohl das Prozessrecht diesem Wunsch keinen Raum bot. In Blankes Prozessbericht heißt es dazu: Das Strafverfahrensrecht sei durch „rigide Kommunikationsformen“ gekennzeichnet, „nach denen Öffentlichkeit zwar unverzichtbar zum Prozeß dazugehört, jedoch nur zum Preis ihrer Darstellung als teilnahmslose, nicht beteiligte, und nicht betroffene.“ (Blanke, Prozessbericht, S. 17)
8. Quellen und Literatur (Auswahl)
Zentrale Verfahrensdokumente des Oldenburger Verfahrens (u. a. die Anklageschrift, verschiedene Prozesserklärungen der Angeklagten, die Verteidigerplädoyers, eine Abschrift der – heimlich mitgeschnittenen – mündlichen Urteilsbegründung und das Urteil) sowie weitere Zeitdokumente (z.B. der verfahrensgegenständliche Mescalero-Artikel, Presseartikel und ein Prozessbericht von Thomas Blanke) finden sich in einer von den Angeklagten und ihren Verteidigern herausgegebenen Dokumentation (Blanke u.a., Der Oldenburger Buback-Prozess, Berlin 1979). Weitere Quellenbestände befinden sich im Vorlass von Utz Maas, der im Archiv des Instituts für Zeitgeschichte München aufbewahrt wird (Signatur ED 429), sowie im Nachlass von Peter Brückner, der sich in einem an der Technische Informationsbibliothek in Hannover eingerichteten Peter-Brückner-Archiv befindet.
Ein Göttinger Mescalero [d.h. Klaus Hülbrock], Buback† – Ein Nachruf, in: Göttinger Nachrichten. Meldungen und Meinungen aus der Studentenschaft, 25.04.1977, S. 10–12; wiederabgedruckt in Thomas Blanke u.a. (Hrsg.), Der Oldenburger Buback-Prozess, Berlin 1979, S. 265–268.
Agnoli, Johannes u. a. (Hrsg.), „Buback-Nachruf“. Eine Dokumentation, Berlin 1977.
Ahrens, Jürgen / Mückenberger, Ulrich, Dokumentation zu den Prozessen wegen des „Buback-Nachrufs“ [I], in: KJ 1978, S. 280–301.
Arnold, Jörg, Werner Holtfort (1920–1992). Freiheitlich gesinnter Sozialist und unermüdlicher Kämpfer für die freie Advokatur in einer demokratisierten Gesellschaft, in: Kritische Justiz (Hrsg.), Streitbare JuristInnen. Eine andere Tradition, Bd. 2, Baden-Baden 2016, S. 219–246.
Blanke, Thomas, Prozeßbericht [zum Oldenburger Buback-Prozess], in: ders. u.a. (Hrsg.), Der Oldenburger Buback-Prozess, Berlin 1979, S. 8–18.
Brückner, Peter, Die Mescalero-Affäre: ein Lehrstück für Aufklärung und politische Kultur, 4. Aufl. Hannover 1981 (zuerst erschienen 1977).
Brückner, Peter, “Nein”: eine Begründung, 4–5/1977, in: Redaktion diskus (Hrsg.), Küss den Boden der Freiheit: Texte der Neuen Linken, Berlin u.a. 1992, S. 369–373 (der Originaltext erschien 1977)
Buback Prozess Info / Oldenburger Studentenzeitung Extra, hrsg. von der Studentenschaften der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg.
Glotz, Peter, Offener Brief vom 3. Juli 1977 an zwölf Berliner Professoren, in: Die Welt, 03.07.1977, wiederabgedruckt in: Peter Brückner, Die Mescalero-Affäre: ein Lehrstück für Aufklärung und politische Kultur, 3. Aufl. Hannover 1978 (Orig. 1977), S. 52 f.
Golzem, Armin, Die Mescalero-Affäre, in: Deutscher Beirat und Sekretariat des 3. Internationalen Russell-Tribunal (Hrsg.), Drittes Internationales Russell-Tribunal. Zur Situation der Menschenrechte in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 3: Gutachten, Dokumente, Verhandlungen der 2. Sitzungsperiode, Teil 1: Zensur, Berlin 1979, S. 70–101.
Hannover, Heinrich, Die Republik vor Gericht: Erinnerungen eines unbequemen Rechtsanwalts, Bd. 2: 1975–1995, Berlin 1999.
Holtfort, Werner, „Politische Attentate sind Sternstunden der Reaktion“ [Plädoyer im Oldenburger Buback-Prozess], abgedruckt in: Thomas Blanke u.a. (Hrsg.), Der Oldenburger Buback-Prozess, Berlin 1979, S. 134–140.
Holtfort, Werner, Ein Stück sozialer Gegenmacht: Zur Rollenfindung des Rechtsanwalts, in: KJ 1977, S. 313–316.
Jahn, Matthias / Ziemann, Sascha, Vom Streit der Worte zum Kampf bis auf das Wort. Der Oldenburger Buback-Prozess gegen Peter Brückner und andere, in: NJW 2024, S. 718–721.
Jahn, Matthias / Ziemann, Sascha, Der Anwalt „als Rechtshelfer sozialer Gegenmacht“. Werner Holtfort und die Verteidigung im Oldenburger Buback-Prozess, in: Brosig, Jonas / Borgstedt, Angela, Organe der Rechtspflege – Organe der Revolution? „Linksanwälte“ im Lichte von APO und sozialrevolutionärem Terrorismus der späten 1960er und 1970er Jahre in der Bundesrepublik (Band zur Tagung am 1.–3. Juni 2022 in Mannheim) (erscheint demnächst)
Maas, Utz, Das Indianerspiel. Sprachpolitik in der BRD anno 1977, in: ders., Sprachpolitik und politische Sprachwissenschaft. Sieben Studien, Frankfurt am Main 1989, S. 190–304 (der Originaltext erschien 1978).
Maas, Utz, Indianerspiel und Ernst. Die Mescalero-Affäre ist nicht nur eine Anekdote, in: Maas, Sprachpolitik und politische Sprachwissenschaft, in: ders., Sprachpolitik und politische Sprachwissenschaft. Sieben Studien, Frankfurt am Main 1989, S. 311–351 (der Originaltext erschien 1979).
Mückenberger, Ulrich / Ahrens, Jürgen, Dokumentation zu den Prozessen wegen des „Buback-Nachrufs“ (II), in: KJ 1978, S. 432–438.
Mückenberger, Ulrich, Dokumentation zu den Prozessen wegen des „Buback-Nachrufs“ (III), in: KJ 1979, S. 312–320.
Mückenberger, Ulrich, Dokumentation zu den Prozessen wegen des „Buback-Nachrufs“ (IV), in: KJ 1980, S. 208–216.
Remé, Sylvia, Werner Holtfort – Biographie eines Anwalts und Politikers in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts in Niedersachsen, München 2011.
Spiller, Stefan, Der Sympathisant als Staatsfeind. Die Mescalero-Affäre, in: Wolfgang Kraushaar (Hrsg.), Die RAF und der linke Terrorismus, Bd. 2, Hamburg 2006, S. 1227–1257.
Teske, Knut, Klatschen, sprengen oder ausknipsen? So wird die Prozeßtaktik festgelegt, Die Welt v. 9.2.1979, wiederabgedruckt in: Thomas Blanke u.a. (Hrsg.), Der Oldenburger Buback-Prozess, Berlin 1979, S. 131–132.
Wernstedt, Rolf, Mitgift oder Erblast? Kultur, Geschichte, Religion in der deutsch-deutschen Bildungslandschaft: Peter Brückner und die Wissenschaftspolitik des Landes Niedersachsen, Hannover 1997.
Matthias Jahn und Sascha Ziemann
März 2025
Anhang:
„BUBACK – EIN NACHRUF“. Eine Dokumentation (Auszug)*
Herausgeber:
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Erklärung
Wir sehen uns veranlasst, einen Nachruf zu veröffentlichen einen Nachruf, den zu veröffentlichen unter Strafe gestellt worden ist: es geht um den erstmals in der Göttinger Studentenzeitung publizierten Nachruf auf Buback. Dieser Nachruf hat heftige Reaktionen ausgelöst: seine Verbreitung wird von Justiz und Polizeiorganen sowie von Hochschulleitungen verfolgt; in den Massenmedien, auch in den bürgerlich-liberalen Zeitungen, wird dieser Nachruf als Ausgeburt „kranker Gehirne“ und als Musterbeispiel für „blanken Faschismus“ (Frankf. Rundschau) deklariert. Der vollständige Text wird nirgends veröffentlicht im Gegenteil, die zentrale Intention des Artikels – seine Absage an Gewaltanwendung – wird unterschlagen.
Warum wird dieser Artikel unterdrückt? Die Publikation der unbotmäßigen Gefühle eines Studenten trifft auf eine Situation, in der der Staat Trauer für einen seiner Repräsentanten verordnet und in Szene setzt. Der Artikel verletzt in Form und Inhalt staatsbürgerliche Anstandsregeln – der Bundesjustizminister zeigt die „Verunglimpfung des Andenkens Toter“ an. Der Artikel aber will auf seine Weise nichts weiter, als verordnete Gefühlsregungen infragestellen und einen Denkprozeß über die Gewaltverhältnisse in unserer Gesellschaft in Gang setzen.
Wir halten diesen Denkprozeß für notwendig. Die Unterdrückung und Verfolgung des Artikels ist selbst Ausdruck dieser Gewaltverhältnisse: während jeder Ansatz sozialistischer Kritik und Praxis erstickt werden soll, können sich faschistoide Tendenzen ungehindert breit machen. Die politische Öffentlichkeit in der Gesellschaft und speziell an den Hochschulen wird weiter eingeschränkt. Durch die exemplarische Kriminalisierung einzelner Studentenvertreter wird an den Hochschulen ein Klima der Angst erzeugt, in dem viele politische Diskussionen nicht mehr geführt werden und Äußerungen, die möglicher Weise politischen Charakter haben könnten, nur noch hinter vorgehaltener Hand gemacht werden.
Wir sind der Auffassung, daß eine öffentliche Diskussion des gesamten Artikels möglich sein muß. Mit seiner Veröffentlichung wollen wir zugleich dazu beitragen, der Kriminalisierung, der Illegalisierung und dem politischen Äußerungsverbot entgegenzutreten, indem wir das Recht auf freie politische Meinungsäußerung praktisch wahrnehmen.
Buback – ein Nachruf*
Dies soll nicht unbedingt eine Einschätzung sein oder ein kommentierender Verriss vom Schreibtisch aus, mit päpstlichen Gestus vorgetragen und als „solidarische Kritik“ bezeichnet. Ausgewogenheit, stringente Argumentation, Dialektik und Widerspruch – das ist mir alles piep-egal. Mir ist bei dieser Buback-Geschichte einiges aufgestoßen, diese Rülpser sollen zu Papier gebracht werden, vielleicht tragen sie ein bißchen zu einer öffentlichen Kontroverse bei.
Meine unmittelbare Reaktion, meine „Betroffenheit“ nach dem Abschuß von Buback ist schnell geschildert: ich konnte und wollte (und will) eine klammheimliche Freude nicht verhehlen. Ich habe diesen Typ oft hetzen hören, ich weiß, daß er bei der Verfolgung, Kriminalisierung, Folterung von Linken einer herausragende Rolle spielte. Wer sich in den letzten Tagen nur einmal genau sein Konterfei angesehen hat, der kann erkennen, welche Züge dieser Rechtsstaat trägt, den er in so hervorragender Weise verkörperte. Und der kennt dann auch schon ein paar Züge von Gesichtern jener aufrechten Demokraten, die jetzt wie ein Mann empört und betroffen aufschreien.
Ehrlich, ich bedaure es ein wenig, daß wir dieses Gesicht nun nicht mehr in das kleine rotschwarze Verbrecheralbum aufnehmen können, das wir nach der Revolution herausgeben werden, um der meistgesuchten und meistgehaßten Vertreter der alten Welt habhaft zu werden und sie zur öffentlichen Vernehmung vorzuführen. Ihn nun nicht mehr – enfant perdu …
Aber das ist ja nun nicht alles gewesen, was in meinem und im Kopf vieler anderer nach diesem Ding herumspukte. So eine richtige Freude, wie etwa bei der Himmelfahrt von Carrero Blanco konnte einfach nicht aufkommen. Nicht, daß ich mich von der wirklich gut inszenierten „öffentlichen“ Empörung und Hysterie kirre machen ließ; dieses Spektakel scheint ja wirklich von mal zu mal besser zu funktionieren und daß irgendwo im Konzert dieser politischen Eunuchen, die von der Herstellung der „öffentlichen Meinung“ leben (gut leben), sich eine einzige „kritische“ Stimme erheben würde, daran glaubt von uns wohl keiner mehr.
Aber deswegen ist mir dieser hermetisch wirkende Block gleichgeschalteter Medien, offizieller Verlautbarungen und Kommentare doch nicht so egal, daß ich mich bei irgendwelchen Aktionen überhaupt nicht mehr um ihn zu kümmern bräuchte. Die Wanzenaffäre hat doch gezeigt, daß sich dieser Chor der Aufrechten Läuse in den Pelz gesetzt hat, die ihn kratzen, die sich nicht mit Meinungen und Kommentaren hinwegtuschieren lassen. Da haben sich immerhin Risse und Brüche in dieser scheinbar festgefügten Legitimationsfassade gezeigt, die wir ausnützen müssen. Und können, sogar in bezug auf Stammheim. Da haben wir eine Gelegenheit versäumt, ein öffentliches Gemurmel, ein öffentliches Unbehagen der Nonchalance mit der die Bubacks, Maihofers, Schiess und Benda die dicksten Rechtsbrüche begehen offensiv für uns und die gefangenen zu nutzen. Diese Chance ist vorerst vorbei. Jetzt – nach dem Anschlag – ist nicht nur wieder jedes Mittel recht, um die „Terroristenbrut“ zu zerschlagen, sondern die angewandten Mittel sind gar zu gering.
Das mag ein persönlicher Eindruck sein; ich hatte auch keine Ideen und keine Kraft, bei dieser Affäre einzugreifen. Aber deutlicher wird das, was ich damit kritisieren will, vielleicht am Beispiel des Roth/Otto-Prozesses in Köln. In diesem Prozess war die Strategie der Bubacks, die, Linke, die nachweislich nicht geschossen haben, als Polizisten-Mörder zu verurteilen. Revolutionäre Linke sind Killer, ihre Gesinnung, ihre Praxis prädestiniert sie zu Killern, die vor keinem Mittel zurückschrecken – so die Gleichung der Ankläger und (offensichtlich) der Richter.
In mühevoller Kleinarbeit ist es den beteiligten Genossen und Genossinnen wenigstens ansatzweise gelungen, diese Strategie zu durchkreuzen und zwar so zu durchkreuzen, daß selbst die gleichgeschalteten Medien über die Sauereien, unmenschlichen Haftbedingungen, Verfahrensfehler etc. zu berichten gezwungen sind. Das kleine Stammheim in Köln hat so auch ein Schlaglicht auf das echte Stammheim werfen können. Am letzten Mittwoch haben die Anwälte von Roth und Otto Antrag auf Haftentlassung gestellt, weil einfach von der Beweislage her der Vorwurf des gemeinschaftlichen Mordes am Polizisten Pauli nicht mehr aufrecht zu erhalten war. Die Gleichung „Linke sind Killer“ war durchkreuzt. Ich befürchte aber, daß mit dem Anschlag auf Buback den Genossen die guten Karten aus der Hand geschlagen worden sind, daß hierdurch eine unfreiwillige Amtshilfe für die Justiz geleistet wurde, die vielleicht sogar den Urteilsspruch negativ beeinflussen wird.
Der Blindheit jener, für die sich die politische Welt auf Stammheim reduziert und die völlig unabhängig von der jeweiligen „politischen Konjunktur“ den Kampf führen und ihre Mittel wählen, könnte so andere Genossinnen und Genossen entwaffnen und wäre ein unfreiwilliger Beitrag dazu, sie fertig zu machen, „Counterinsurgency“ andersherum …
Diese Überlegungen alleine haben ausgereicht, ein inneres Händereiben zu stoppen. Aber es kommt noch doller. Ich habe auch über eine Zeit hinweg (wie so viele von uns) die Aktionen der bewaffneten Kämpfer goutiert; ich, der ich als Zivilist noch nie eine Knarre in der Hand hatte, eine Bombe habe hochgehen lassen. Ich habe mich schon ein bißchen dran aufgegeilt, wenn mal wieder was hochging und die ganze kapitalistische Schickeria samt ihren Schergen in Aufruhr versetzt war. Sachen, die ich im Tagtraum auch mal gern tun tät, aber wo ich mich nicht getraut habe sie zu tun.
Ich habe mir auch jetzt wieder vorgestellt, ich wäre bei den bewaffneten Kämpfern, werde gesucht, gejagt, lebe irgendwo in einem konspirativen Zusammenhang von einigen Leuten, muß aufpassen, daß meine alltäglichen Verrichtungen (einkaufen gehen, Papierkörbe leeren, einen Film sehen) mir nicht schon den Garaus machen.
Ich frage mich, wie ich – abgeschnitten von alltäglichen persönlichen und politischen Zusammenhängen – mit meinen Leuten die Entscheidung über solch eine Aktion fällen könnte. Wie ich mich monatelang darauf vorbereiten müßte, daß Buback weg muß, wie mein ganzes Denken von Logistik und Ballistik bestimmt wird. Wie ich mir sicher sein kann, daß dieser und kein anderer sterben muß, wie ich in Kauf nehme, daß auch ein anderer dabei draufgeht, ein dritter vielleicht querschnittsgelähmt sein wird etc. etc.
Ich müßte völlig umdenken: ich denke immer noch, daß die Entscheidung zu töten oder zu killen bei der herrschenden Macht liegt, bei Richtern, Bullen, Werkschützern, Militärs, AKW-Betreibern. Daß ich dafür extra ausgebildet sein müßte; kaltblütig wie Al Capone, schnell, brutal, berechnend.
Wie soll ich mich entscheiden, daß Buback wichtig ist, nicht für mich und meine Leute, sondern auch für die anderen Leute. Daß er wichtiger ist, als der Richter X am Gefängnis Y oder einer seiner Wärter. Oder daß der Verkäufer an der Ecke, der dauernd „Kopf ab“ brüllt eine geringere „Schuld“ trägt als Buback. Nur, weil er weniger „Verantwortung“ hat? Warum diese Politik der Persönlichkeiten? Könnten wir nicht mal zusammen eine Köchin entführen und sehen, wie sie dann reagieren, die aufrechten Demokraten?
Sollten wir uns überhaupt mehr auf die Köchinnen konzentrieren?
Wenn in Argentinien oder gar in Spanien einer dieser staatlich legitimierten Killer umgelegt wird, habe ich diese Probleme nicht. Ich glaube zu spüren, daß der Haß des Volkes gegen diese Figuren wirklich ein Volkshaß ist. Aber wer und wieviele Leute haben Buback (tödlich) gehaßt. Woher könnte ich, gehörte ich den bewaffneten Kämpfern an, meine Kompetenz beziehen, über Leben und Tod zu entscheiden?
Wir alle müssen davon runterkommen, die Unterdrücker des Volkes stellvertretend für das Volk zu hassen, so wie wir allmählich schon davon runter sind, stellvertretend für andere zu handeln oder eine Partei aufzubauen. Wenn Buback kein Opfer des Volkszornes wird (oder wegen mir auch des Klassenhasses, damit kein falscher Verdacht aufkommt), dann geht die Gewalt, die so ausgeübt wird, ebensowenig vom Volk aus, wie Bubacks Gewalt vom Volke ausging.
Wir brauchen nur die Zeitungen aufzuschlagen und die Tagesmeldungen zu verfolgen: die Strategie der Liquidierung, das ist eine Strategie der Herrschenden. Warum müssen wir sie kopieren? Die Leute (das Volk!) haben Angst davor, sie haben ihre Erfahrungen damit gemacht, genauso wie mit Einkerkerung und Arbeitslager. Was wir auch tun: es wirft immer ein Licht auf das, was wir anstreben. Wir werden unsere Feinde nicht liquidieren. Nicht in Gefängnisse und nicht in Arbeitslager sperren und deswegen gehen wir doch nicht sanft mit ihnen um.
Unser Zweck, eine Gesellschaft ohne Terror und Gewalt (wenn auch nicht ohne Aggression und Militanz), eine Gesellschaft ohne Zwangsarbeit (wenn auch nicht ohne Plackerei), eine Gesellschaft ohne Justiz, Knast und Anstalten (wenn auch nicht ohne Regeln und Vorschriften oder besser: Empfehlungen) dieser Zweck heiligt eben nicht jedes Mittel, sondern nur manches. Unser Weg zum Sozialismus (wegen mir: zur Anarchie) kann nicht mit Leichen gepflastert werden.
Warum liquidieren? Lächerlichkeit kann auch töten, zum Beispiel auf lange Sicht und Dauer. Unsere Waffen sind nicht lediglich Nachahmungen der militärischen, sondern solche, die sie uns nicht aus der Hand schießen können. Unsere Stärke braucht deswegen nicht in einer Phrase zu liegen (wie in der „Solidarität“). Unsere Gewalt endlich kann nicht die Al Capones sein, eine Kopie des offenen Straßenterrors und des täglichen Terrors; nicht autoritär, sondern antiautoritär und deswegen umso wirksamer. Um der Machtfrage willen (o Gott!), dürfen Linke keine Killer sein, keine Brutalos, keine Vergewaltiger, aber sicher auch keine Heiligen, keine Unschuldslämmer. Einen Begriff und eine Praxis zu entfalten von Gewalt/Militanz, die fröhlich sind und den Segen der beteiligten Massen haben, das ist (zum praktischen Ende gewendet) unsere Tagesaufgabe. Damit die Linken, die so handeln, nicht die gleichen Killervisagen wie die Bubacks kriegen.
Ein bißchen klobig, wie? Aber ehrlich gemeint …
Ein Göttinger Mescalero
Anhang
(Anm. d. Verf: von einem Wiederabdruck wurde abgesehen)
1. Erklärung der Basisgruppenfraktion in den VDS (Verband Deutscher Studentenschaften, Anm. d. Verf.)
2. Presseausschnitte
3. Göttinger Stellungnahme
4. Offener Brief der Betriebsgruppe der Gew-Berlin der PH Berlin (d.h. Landesverband Berlin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Betriebsgruppe Pädagogische Hochschule Berlin, Anm. d. Verf.)
5. Rosa Luxemburg, Terror; in: Ges. Werke, Band 1, Berlin 1974, S. 519–522.
(…)
* Original erschienen in: Agnoli, Johannes u. a. (Hrsg.), „Buback-Nachruf“. Eine Dokumentation, Berlin 1977.
Matthias Jahn und Sascha Ziemann
März 2025
Zitierempfehlung:
Jahn, Matthias/ Ziemann, Sascha: „Der Mescalero-Prozess gegen Peter Brückner et al., Oldenburg 1979“, in: Groenewold/ Ignor / Koch (Hrsg.), Lexikon der Politischen Strafprozesse, https://www.lexikon-der-politischen-strafprozesse.de/glossar/mescalero-prozess/, letzter Zugriff am TT.MM.JJJJ.