Kapp-Putsch-Prozess

bearbei­tet von
Klaus Körner

Deutsch­land 1921
Briga­de Erhardt
Hochverrat
Politi­sche Justiz in der Weima­rer Zeit

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Der Prozess gegen die Kapp-Putschisten vor dem Reichsgericht
Deutschland 1921

1. Prozessgeschichte/Prozessbedeutung

Der Prozess gegen die Kapp-Putschis­ten von 1921 war der erste Hochver­rats­pro­zess vor dem Reichs­ge­richt nach der Revolu­ti­on von 1918. Der Prozess gilt als Beispiel für die politi­sche Justiz der Weima­rer Republik, die auf dem rechten Auge blind war. Die Richter hatten aus der Kaiser­zeit ihr Bild von Staat, Bürokra­tie und Armee, die es vor allem gegen linke Angrif­fe zu schüt­zen galt. Folge­rich­tig musste am Ende keiner der Täter des von Wolfgang Kapp und Walther von Lüttwitz angeführ­ten versuch­ten Militär­put­sches vom 13. bis 17. März 1920 ins Gefängnis.

Am 13. März 1920 erstat­te­te Reichs­kanz­ler Gustav Bauer (SPD) bei der Reichs­an­walt­schaft in Leipzig Anzei­ge wegen Hochver­rats gegen General­land­schafts­di­rek­tor Wolfgang Kapp, General Walter von Lüttwitz, Kapitän­leut­nant Hermann Ehrhardt, Oberst Bauer, Haupt­mann Walde­mar Pabst und andere. Das Reichs­ge­richt in Leipzig war für Hochver­rats­ver­fah­ren allein­zu­stän­dig. Die Regie­rung verlang­te die Bestra­fung aller Teilneh­mer an der Militär­ak­ti­on. Doch der im Juni 1920 neu gewähl­te Reichs­tag, in dem die bishe­ri­gen Regie­rungs­par­tei­en SPD, Zentrum und Demokra­ten keine Mehrheit mehr besaßen, beschloss im August 1920 ein Amnes­tie­ge­setz, das die Straf­ver­fol­gung auf die Urheber und Führer beschränk­te. Zweck war eine politi­sche Befriedung.

Diesem Zweck diente auch die Abtren­nung des Verfah­rens gegen die flüch­ti­gen Haupt­tä­ter Kapp, Lüttwitz, Ehrhardt, Pabst und Bauer. Angeklagt wurden drei als Mittä­ter einge­stuf­te Beschul­dig­te, Traugott von Jagow, Georg Wilhelm Schie­le und Konrad von Wangen­heim. Der Prozess vor dem Reichs­ge­richt endete im Dezem­ber 1921 nach einer umfang­rei­chen Beweis­auf­nah­me mit der Einstel­lung des Verfah­rens gegen Schie­le und von Wangen­heim und der Verur­tei­lung von Jagowos wegen Hochver­rats zur Mindest­stra­fe von fünf Jahren Festungshaft.

2. Perso­nen
a) Angeklag­te
Der Beschul­dig­te Wolfgang Kapp war der Sohn des libera­len Freiheits­kämp­fers von 1848 in Baden, Ludwig Kapp. Sohn Wolfgang war in Berlin aufge­wach­sen, hatte während des Jura-Studi­ums einer schla­gen­den Verbin­dung angehört und war 1886 preußi­scher Finanz­be­am­ter gewor­den. Durch Heirat wurde er Besit­zer eines Ritter­gu­tes in Ostpreu­ßen. Bald geriet er in die Gesell­schaft kleri­kal-konser­va­ti­ver Großgrund­be­sit­zer, der so genann­ten Ostel­bier, der führen­den Schicht in Ostpreu­ßen. Wegen seiner Verbin­dung zur Landwirt­schaft wechsel­te Kapp ins preußi­sche Landwirt­schafts­mi­nis­te­ri­um über. Vergeb­lich bemüh­te er sich um das Amt eines Regie­rungs­prä­si­den­ten. Aus Protest quittier­te er den Staats­dienst und wurde in Königs­berg General­land­schafts­di­rek­tor. General­land­schaf­ten waren genos­sen­schaft­lich organi­sier­te landwirt­schaft­li­che Versi­che­run­gen. Politisch organi­sier­te Kapp sich in der Deutsch-Konser­va­ti­ven Partei. In das Blick­feld der Berli­ner politi­schen Szene geriet er 1916 mit einer harten Attacke gegen den Reichs­kanz­ler von Bethmann Hollweg. In der Reichs­re­gie­rung und im Reichs­tag hatte man erkannt, dass der im August 1914 erhoff­te schnel­le deutsche Sieg in dem Krieg nicht zu errei­chen war und überleg­te, wie ein Verstän­di­gungs­frie­den mit den Feind­mäch­ten ausse­hen könnte. Kapp forder­te den angeb­lich schwäch­li­chen Reichs­kanz­ler zum Duell heraus und propa­gier­te einen Siegfrie­den, der umfang­rei­che Annexio­nen und hohe Repara­ti­ons­for­de­run­gen vorsah. Unter der Führung von Großad­mi­ral Tirpitz wirkte Kapp in der 1917 gegrün­de­ten Deutschen Vater­lands­par­tei mit, die für diese utopi­schen Ziele warb. Kapp gelang es, 1918 bei einer Nachwahl in den letzten Reichs­tag des Kaiser­reichs gewählt zu werden. Nach dem Waffen­still­stand und der Novem­ber­re­vo­lu­ti­on von 1918 gründe­te der für die bruta­le Krieg­füh­rung im Ersten Weltkrieg verant­wort­li­che frühe­re Chef der Obers­ten Heeres­lei­tung General Erich Luden­dorff Anfang 1919 mit Wolfgang Kapp in Berlin die Natio­na­le Verei­ni­gung, die sich das nicht offen ausge­spro­che­ne Ziel gesetzt hatte, das politi­sche System der Weima­rer Republik zu stürzen und den durch ein Zustim­mungs­ge­setz des Reichs­tags verbind­lich gewor­de­nen Versail­ler Vertrag zu besei­ti­gen. Luden­dorff gilt auch als Erfin­der der Dolch­stoß­le­gen­de. Danach wurde der Erste Weltkrieg nicht an der militä­ri­schen Front verlo­ren, sondern an der Heimat­front. Die Meute­rei der Matro­sen und die Streiks in den Muniti­ons­fa­bri­ken hätten die kämpfen­de Truppe von hinten erdolcht. Der zweite Beschul­dig­te Walther von Lüttwitz hatte sich vom Kadet­ten­korps zum General hochge­dient. Nach 1918 hatte er sich dem sozial­de­mo­kra­ti­schen Reichs­wehr­mi­nis­ter angedient, um die links­ra­dikal­ten Kräfte in Berlin nieder­zu­kämp­fen. Die Reichs­wehr, wie die ehemals kaiser­li­che Armee jetzt hieß, bestand aus regulä­ren Truppen­ver­bän­den und den Freikorps, das waren Privat­ar­me­en, die vom Staat finan­ziert und gleich­sam als militä­ri­sche Feuer­wehr in Krisen­ge­bie­ten einge­setzt wurden, das konnte zum Beispiel der Schutz der Natio­nal­ver­samm­lung in Weimar, die Siche­rung des Regie­rungs­vier­tels in Berlin oder die Bekämp­fung polni­scher Aufstän­di­scher in Oberschle­si­en sein. Lüttwitz war mit dem Ehren­ti­tel „Vater der Freikorps“ bedacht worden, weil er sich um die Einglie­de­rung dieser Einhei­ten in die Reichs­wehr und ihre Bezah­lung geküm­mert hatte. Lüttwitz gehör­te politisch zu den Konser­va­ti­ven und hielt die geplan­te Auflö­sung der Freikorps und die Reduzie­rung der Reichs­wehr für verhäng­nis­voll. Der Beschul­dig­te Hermann Ehrhardt war der Befehls­ha­ber des Freikorps „Briga­de Ehrhardt“, deren Kämpfer durch ein Haken­kreuz am Stahl­helm und schwarz-weiß-rote Armbän­der als Rechts­ra­di­ka­le und Antise­mi­ten ausge­wie­sen waren. Die Briga­de war in Döberitz, 20 Kilome­ter vor Berlin, statio­niert, wurde 1920 der Reichs­wehr unter­stellt und sollte aufge­löst werden. Vergeb­lich hatte sich von Lüttwitz bei Reichs­wehr­mi­nis­ter Gustav Noske für den Erhalt dieser Einheit einge­setzt. Weite­re Beschul­dig­te waren Oberst Hermann Bauer, ein enger Ratge­ber Luden­dorffs, und der Geschäfts­füh­rer der Natio­na­len Verei­ni­gung Walde­mar Pabst, der unrühm­lich durch die von Noske gedeck­te Ermor­dung der Sparta­kis­ten Karl Liebknecht und Rosa Luxem­burg in die Geschich­te einge­gan­gen ist. Beschul­digt wurden außer­dem drei neben Kapp in der Reichs­kanz­lei ehemals tätige Aufrüh­rer, der Medizi­ner Dr. Georg Wilhelm Schie­le, der frühe­re Vorsit­zen­de des Bundes der Landwir­te, Konrad von Wangen­heim, und der frühe­re Polizei­prä­si­dent von Berlin, Traugott von Jagow.

b) Vertei­di­gung
Um ein Großver­fah­ren zu vermei­den und dem Regie­rungs­ziel einer politi­schen Befrie­dung zu dienen, beschloss die Reichs­an­walt­schaft, das Verfah­ren gegen die flüch­ti­gen Haupt­tä­ter Kapp, Lüttwitz und Ehrhardt abzutren­nen und die Ankla­ge wegen Hochver­rat auf die drei sicht­bar am Gesche­hen im Berli­ner Regie­rungs­vier­tel Betei­lig­ten und in Berlin präsen­ten Mittä­ter von Jangow, Schie­le und von Wangen­heim zu beschränken.

Die Vertei­di­gung übernah­men die bekann­ten Berli­ner Rechts­an­wäl­te Grünspach, Martin, Geute­brück und Görres sowie Rechts­an­walt Böttcher aus Halle. Den Vorsitz vor dem verein­ten dritten und vierten Straf­se­nat hatte Senats­prä­si­dent von Pelagius, die Ankla­ge wurde durch Oberreichs­an­walt Ebermay­er vertreten.

3. Zeitge­schicht­li­che Einordnung
Der Kapp-Putsch und der Prozess gegen die Putschis­ten sind Folgen von Revolu­ti­on und Gegen­re­vo­lu­ti­on nach Ende des Ersten Weltkriegs 1918. Nahezu überall in Europa gab es Protest und Aufruhr gegen die bestehen­de konser­va­ti­ve Ordnung. Die Revolu­tio­nen – sofern sie erfolg­reich waren – hatten zwar das politi­sche System zerstört, aber nicht die Gesell­schaft, ausge­nom­men in Russland. Nach der revolu­tio­nä­ren Flut kam fast überall die konser­va­ti­ve Ebbe.

Deutsch­land bilde­te insofern einen Sonder­fall, als infol­ge der militä­ri­schen Nieder­la­ge das monar­chi­sche System zwar durch eine parla­men­ta­ri­sche Demokra­tie ersetzt worden, die Republik aber auf den Schutz der fortbe­stehen­den Armee angewie­sen war. „Der Kaiser ging, die Generä­le blieben.“, laute­te eine populä­re Deutung, die auch Theodor Plivi­er als Roman­ti­tel diente. Durch den Versail­ler Vertrag wurde Deutsch­land verpflich­tet, die Reichs­wehr zu einer Berufs­ar­mee mit langfris­tig dienen­den Solda­ten umzubau­en. Die Reichs­wehr entwi­ckel­te sich so zu einer Art Staat im Staate. Justiz und Behör­den hielten sich für verpflich­tet, diese Ordnungs­macht beson­ders zu schüt­zen. Daher beschränk­ten sich das Reichs­ge­richt und die unteren Gerich­te darauf, Offizie­re und Solda­ten möglichst unbehel­ligt zu lassen, wenn sie gegen Straf­ge­set­ze versto­ßen hatten. Dafür wurde aber Carl von Ossietz­ky 1931 vom Reichs­ge­richt wegen Landes­ver­rats und Verrats militä­ri­scher Geheim­nis­se zu einer Freiheits­stra­fe verur­teilt, weil er verant­wort­lich war für einen Bericht in der Zeitschrift „Die Weltbüh­ne“. Darin wurde die gehei­me Luftrüs­tung der Reichs­wehr in Russland offen­ge­legt, die nach dem Versail­ler Vertrag ausdrück­lich verbo­ten war.

4. Ankla­ge
Dem wesent­li­chen Ergeb­nis der Ermitt­lun­gen der Reichs­an­walt­schaft zufol­ge bildet die geplan­te Auflö­sung der Marine­bri­ga­de Ehrhardt den unmit­tel­ba­ren Anlass für den Kapp-Putsch. Die Sieger­mäch­te bedräng­ten die deutsche Regie­rung, die Reichs­wehr­stär­ke auf die im Versail­ler Vertrag festge­schrie­be­ne Zahl von 100.000 Mann abzusen­ken. Die beamten­recht­lich nicht abgesi­cher­ten Freikorps­ver­bän­de fürch­te­ten zunächst einfach um ihren Sold. Vergeb­lich hatte von Lüttwitz bei Reichs­prä­si­dent Ebert am 10. März 1920 gegen die geplan­te Auflö­sung der nicht auf die Weima­rer Verfas­sung verei­dig­ten Briga­de Ehrhardt protes­tiert. Auf seine Weige­rung, die Auflö­sung durch­zu­set­zen, wurde er am 11. März von Reichs­wehr­mi­nis­ter Gustav Noske (SPD) aus seinem Amt als Komman­deur des General­kom­man­dos I Berlin und Branden­burg entlas­sen. Damit war für Lüttwitz das Signal zum Handeln gegeben. Lüttwitz beriet sich mit Luden­dorff, Ehrhardt und anderen Vertrau­ten über ein sofor­ti­ges Losschla­gen. Zufäl­lig war gerade Kapp aus Königs­berg angereist und wurde von Lüttwitz dafür gewon­nen, sofort die Regie­rung Bauer durch einen Putsch zu besei­ti­gen und eine neue Regie­rung zu bilden. Doch hatte Kapp keine konkre­ten Vorbe­rei­tun­gen für eine neue Regie­rung getrof­fen, die Auffor­de­rung kam für ihn zu früh. Auf einen Überra­schungs­coup binnen weniger Stunden war auch die Briga­de nicht vorbe­rei­tet. Logis­tisch war ein Marsch der Briga­de Ehrhardt vom Stand­ort Döberitz nach Berlin erst am Abend des 12. März möglich. Die sollte dann am 13. März in Berlin eintref­fen, das Regie­rungs­vier­tel beset­zen und die Reichs­re­gie­rung sowie die preußi­sche Landes­re­gie­rung verhaften.
Die Regie­rung hatte von dem Vorha­ben Wind bekom­men und Haftbe­feh­le gegen die Putschis­ten erwirkt, die jedoch nicht vollstreckt werden konnten, weil die Sicher­heits­po­li­zei in Berlin nur bedingt zuver­läs­sig war. Noske verlang­te von der Reichs­wehr­füh­rung, Militär gegen die Briga­de Ehrhardt einzu­set­zen. Die Generä­le wichen aus. „Truppe schießt nicht auf Truppe“, erklär­te der Chef des Truppen­amts General von Seeckt. Die Regie­rung flüch­te­te darauf­hin von Berlin nach Dresden und weiter nach Stutt­gart, weil sie sich in Dresden nicht sicher fühlte, denn der Komman­dant des Wehrkrei­ses IV General Georg Maerker war mit Lüttwitz befreun­det und ließ nicht erken­nen, ob er sich auf die Seite der legalen Regie­rung oder die der Putschis­ten schla­gen wollte. Der Presse­chef der Regie­rung gab einen Aufruf zum General­streik heraus. Tatsäch­lich hatten nur die sozial­de­mo­kra­ti­schen Minis­ter der Koali­ti­ons­re­gie­rung Bauer dafür votiert, nicht aber die des Zentrums und die der Deutschen Demokra­ti­schen Partei (DDP).

Am 13. März 1920 gegen 7 Uhr morgens traf die Briga­de in Berlin zu einer Parade vor dem Branden­bur­ger Tor ein und traf dort den vorge­se­he­nen neuen Regie­rungs­chef Kapp und Luden­dorff, der sich später als zufäl­li­ger Spazier­gän­ger ausgab. Anschlie­ßend wurde das Regie­rungs­vier­tel besetzt, doch kein Regie­rungs­mit­glied konnte verhaf­tet werden. Kapp erließ eine Prokla­ma­ti­on, in der er den Reichs­prä­si­den­ten Ebert, die amtie­ren­de Reichs­re­gie­rung Bauer und die preußi­sche Landes­re­gie­rung für abgesetzt, die deutsche Natio­nal­ver­samm­lung und die preußi­sche Landes­ver­samm­lung für aufge­löst erklär­te und sich zum Reichs­kanz­ler und preußi­schen Minis­ter­prä­si­den­ten. Den gerade entlas­se­nen General von Lüttwitz ernann­te er zum Oberbe­fehls­ha­ber und Reichs­wehr­mi­nis­ter. Von Lüttwitz versi­cher­te den Solda­ten, dass keiner entlas­sen würde und versprach ihnen eine Solder­hö­hung. Doch da gab es die erste Panne. Die Reichs­bank wollte die Zahlungs­an­wei­sung des „nicht autori­sier­te Herrn Kapp“ nicht bedie­nen. Der enttäusch­te Ehrhardt erklär­te, er sei kein Bankräu­ber und verzich­te­te auf die in Aussicht gestell­ten Solder­hö­hun­gen. Auch die höhere Beamten­schaft weiger­te sich, Anord­nun­gen von Kapp und Lüttwitz zu befol­gen. In weiten Teilen des Landes wurde der Aufruf zum General­streik von den Fabrik­ar­bei­tern befolgt. Die Drohung, wer strei­ke, werde erschos­sen, verfehl­te ihre Wirkung.

Kapp war sich klar, was er bekämpf­te, hatte aber keine Kandi­da­ten für Minis­ter­äm­ter und wusste nicht, wie sich die Zusam­men­ar­beit mit den konser­va­ti­ven Partei­en ins Werk setzen ließe. Wie er sich eine Zusam­men­ar­beit oder ein Auskom­men mit den Sieger­mäch­ten vorstell­te, war ebenfalls ungeklärt. In der Reichs­kanz­lei fanden pausen­los Beratun­gen mit konser­va­ti­ven Politi­kern statt, aber kaum einer wollte in ein Kabinett Kapp eintre­ten. Ihre politi­sche Karrie­re wäre beim Schei­tern des Unter­neh­mens beendet gewesen. Es herrsch­te ein unbeschreib­li­ches Tohuwa­bo­hu. Nur der frühe­re Berli­ner Polizei­prä­si­dent Konrad von Jagow fand sich bereit, preußi­scher Innen­mi­nis­ter zu werden und erließ gleich ein paar Anord­nun­gen, etwa die erneu­te Zusam­men­le­gung von preußi­schen und Reichs­mi­nis­te­ri­en. Der Wirtschafts­be­ra­ter Kapps, Dr. Georg Wilhelm Schie­le, der gehei­me Verbin­dungs­mann zu Luden­dorff, war bei den Beratun­gen stets dabei, wollte aber abwar­ten, bevor er das Amt des Wirtschafts­mi­nis­ters übernäh­me. Ebenso verhielt sich der frühe­re Vorsit­zen­de des Bundes der Landwir­te, Konrad von Wangen­heim, für den das Amt des preußi­schen Landwirt­schafts­mi­nis­ters vorge­se­hen war. Um weite­re Minis­ter für ein Kabinett Kapp zu gewin­nen, wandte sich Lüttwitz an den Putsch-Sympa­thi­san­ten Gustav Strese­mann (Deutsche Volks­par­tei) mit der Bitte, er möge den Ältes­ten­rat der für aufge­löst erklär­ten Natio­nal­ver­samm­lung auffor­dern, Perso­nal­vor­schlä­ge für die neue Regie­rung zu machen. Gustav Strese­mann weiger­te sich als Vorsit­zen­der der Deutschen Volks­par­tei zwar, den Putsch zu verur­tei­len, wollte aber auch keine Mitar­beit leisten.
Nicht zum Ermitt­lungs­er­geb­nis gehör­ten die Kolla­te­ral­schä­den des Putsches. In Thürin­gen ergrif­fen Anarchis­ten die Gelegen­heit, um ihrer­seits zu putschen, im Ruhrge­biet entstand die Rote Ruhr-armee, die nicht nur gegen die Putschis­ten, sondern auch für eine kommu­nis­ti­sche Republik kämpf­te. Jetzt wurden Forde­run­gen laut, die abgebro­che­ne Revolu­ti­on von 1918 durch echte Betriebs­rä­te, verstärk­te Rechte der Gewerk­schaf­ten und sogar eine Rätede­mo­kra­tie zu „vollenden“. Das war dann wieder die Stunde der Reichs­wehr, die alle linken Aufstands­ver­su­che nieder­kämpf­te. Von den gewerk­schaft­li­chen Forde­run­gen wurde später nichts realisiert.

Angesichts des Schei­terns einer „ordent­li­chen“ Regie­rungs­bil­dung und bürger­kriegs­ähn­li­cher Zustän­de resignier­ten Kapp und von Lüttwitz am 17. März 1920. Die Entschei­dung wurde ihnen durch die Zusage von Partei­ver­tre­tern der Deutsch­na­tio­na­len Volks­par­tei (DNVP) und der Deutschen Volks­par­tei (DVP) in Berlin erleich­tert, sie würden sich für baldi­ge Neuwah­len und eine Amnes­tie einset­zen. Von der Berli­ner Polizei unbehel­ligt, konnte Kapp per Flugzeug nach Schwe­den ausrei­sen, von Lüttwitz ins Exil nach Ungarn flüch­ten und Ehrhardt in der „Ordnungs­zel­le“ Bayern unter­tau­chen. Auch Bauer und Pabst verschwan­den aus Berlin.

Die Reichs­an­walt­schaft konzen­trier­te ihre Ermitt­lun­gen auf das sicht­ba­re Gesche­hen im Berli­ner Regie­rungs­vier­tel, nicht aber auf den in der Natio­na­len Verei­ni­gung entstan­de­nen Verschwö­rer­kreis um Ludendorff.

5. Das Gericht
Der Prozess fand vom 7. bis 21. Dezem­ber 1921 vor den Verei­nig­ten Zweiten und Dritten Straf­se­nat des Reichs­ge­richts in Leipzig statt. Das Gericht vernahm zahlrei­che Zeugen, die den äußeren Ablauf des Putsches schil­der­ten, darun­ter Reichs­wehr­mi­nis­ter Noske, General Maercker, Gustav Strese­mann und General Luden­dorff. Zahlrei­che Putsch­be­tei­lig­te, denen ein erheb­li­cher Tatbei­trag nicht unter­stellt werden konnte, fanden sich in der Rolle von Zeugen wieder, darauf bedacht, die Hinter­grün­de zu verschlei­ern, Luden­dorff zu schonen und nur das bekann­te Haupt­ge­sche­hen an den Chaos­ta­gen im Berli­ner Regie­rungs­vier­tel zu schil­dern. Die konser­va­ti­ven Zeugen luden alle Verant­wor­tung auf die Haupt­tä­ter des Putsches, auf Kapp und von Lüttwitz, ab, die als „verbrannt“ galten. Die Beweis­erhe­bung förder­te keine neuen Erkennt­nis­se, die über das Ermitt­lungs­er­geb­nis hinaus­ge­gan­gen wären, zu Tage.

6. Die Verteidigung/ Konzept der Verteidigung
Die Vertei­di­gung in einem Straf­pro­zess wird häufig als Kampf­platz beschrie­ben, in dem Ankla­ge und Vertei­di­gung hart gegen­ein­an­der mit Tatsa­chen­schil­de­run­gen und Recht­s­ar­gu­men­ten streiten.

Vor dem Reichs­ge­richt fand 1921 aller­dings ein nahezu kolle­gia­ler Dialog über Rechts­fra­gen statt. Über die Würdi­gung von Bewei­sen brauch­te man nicht zu strei­ten. Die Vertei­di­ger nutzten die von der Regie­rung und der Reichs­an­walt­schaft vorge­ge­be­ne Linie, mit dem Prozess zur politi­schen Befrie­dung beizu­tra­gen oder einfach die natio­na­le Rechte schonen, indem sie keine Fragen an die Zeugen zu den Planun­gen der Natio­na­len Verei­ni­gung und zu Luden­dorff und seinen Gefolgs­leu­ten stell­ten. Die Anwäl­te konzen­trier­ten ihre Plädoy­ers auf vier Punkte: Die Angeklag­ten hätten keinen Hochver­rat begehen können, denn durch den gelten­den Hochver­rats­pa­ra­gra­fen, § 81 Abs. 1, Nr. 2 StGB, werde die alte Bismarck­sche Reichs­ver­fas­sung von 1871 geschützt, nicht aber die neue Weima­rer Verfas­sung von 1919. Das zweite juris­ti­sche Argument laute­te, die Angeklag­ten hätten in Notwehr gehan­delt, ihnen sei es nicht um einen Umsturz gegan­ge­nen, sondern darum, die in der Weima­rer Verfas­sung vorge­se­he­ne Volks­wahl des Reichs­prä­si­den­ten und um ordent­li­che Reichs­tags­wah­len, was die Natio­nal­ver­samm­lung bisher verwei­gert hätte. (Bis 1920 hatte die Anfang 1919 gewähl­te Natio­nal­ver­samm­lung auch nach der Verab­schie­dung der neuen Verfas­sung im August 1919 die Rechte des Reichs­tags wahrgenommen. 

Reichs­prä­si­dent Ebert war ebenfalls von der Natio­nal­ver­samm­lung gewählt worden.) Die Vertei­di­gung erklär­te ferner, die Angeklag­ten von Jagow, Schie­le und von Wangen­heim seien erst nach Vollendung des Umstur­zes durch Kapp und von Lüttwitz hinzu­ge­kom­men, seien also keine Urheber. Drittens hätten Schie­le und von Wangen­heim keine Ämter unter Kapp übernom­men, sondern nur die Bereit­schaft dazu erklärt, könnten also weder als Urheber noch als Führer angese­hen werden, ihre Betei­li­gung falle also unter das Amnes­tie­ge­setz. Von Jagow versi­cher­te, er sei in den Umsturz­plan nicht einge­weiht gewesen und habe aus patrio­ti­scher Gesin­nung letzt­lich das Regie­rungs­amt übernom­men. Etwas eigen­sin­nig konter­ka­riert er die Argumen­ta­ti­on seiner Vertei­di­ger, man habe aus Notwehr für die Verfas­sung gekämpft, mit dem Argument, er habe nur „das Recht des 9. Novem­ber 1918“ für sich in Anspruch genom­men, also das Recht auf Revolu­ti­on. Man könne ihn erschie­ßen, aber nicht nach einem Paragra­fen verur­tei­len. Aus dem schwe­di­schen Exil fuhr Kapp den Vertei­di­gern mit einem Zeitungs­bei­trag im “Berli­ner Tageblatt“ in die Parade. Durch die Novem­ber­re­vo­lu­ti­on seien Journa­lis­ten und Gewerk­schaf­ter an die Spitze gekom­men, die „ein jüdisches Regiment“ errich­tet hätten. Das habe man mit einem Ruck besei­ti­gen wollen. Das Gericht ließ Kapps Einlas­sung unberück­sich­tigt. Das im Prozess entstan­de­ne Bild des dilet­tan­ti­schen Unter­neh­mens, das der Vertei­di­gung zufol­ge allein der Verfas­sungs­le­ga­li­tät gedient habe, war für Kapp so nieder­schmet­ternd, dass er sich 1922 entschloss, als kranker Mann nach Deutsch­land zurück­zu­keh­ren und sich der Justiz zu stellen. Er starb in der Unter­su­chungs­haft, bevor es zur Ankla­ge kommen konnte.

7. Urteil
Das Gericht stell­te in seinem Urteil vom 21. Dezem­ber 1921 fest, dass nach der einhel­li­gen Auffas­sung der Staats­rechts­leh­re, die gelun­ge­ne Revolu­ti­on den Staat auf neue Grund­la­gen stelle. Der neue Staat werde also durch den Hochver­rats­pa­ra­gra­fen automa­tisch geschützt. Die bekun­de­te Absicht der Angeklag­ten, Neuwah­len für den Reichs­tag und das Amt des Reichs­prä­si­den­ten durch­zu­set­zen, recht­fer­ti­ge keinen Militär­putsch. Dem deutschen Recht sei die Vorstel­lung fremd, dass der Zweck die Mittel heili­ge. Den Tatbei­trag der Angeklag­ten Schie­le und von Wangen­heim werte­te das Gericht als unter­ge­ord­net und stell­te das Verfah­ren gegen sie mit Hinweis auf das Amnes­tie­ge­setz ein. Von Jagow wurden mildern­de Umstän­de zuerkannt, weil er aus patrio­ti­scher Gesin­nung gehan­delt habe, so dass er nur zur Mindest­stra­fe von fünf Jahren Festungs­haft verur­teilt wurde.

8. Wirkung
Das Reichs­ge­richt hatte nur ein gerin­ges Aufklä­rungs­in­ter­es­se an den Hinter­grün­den des Putsches gezeigt, um die angestreb­te politi­sche Befrie­dung nicht zu gefähr­den. Das Gericht hätte einen Skandal ausge­löst, wenn es entge­gen der herrschen­den Staats­rechts­leh­re und Straf­rechts­leh­re den Putsch nicht als Hochver­rat beurteilt hätte. Die Verur­tei­lung von Jagows, der mit der Verab­re­dung zum Umsturz durch Luden­dorff, Kapp und von Lüttwitz nichts zu tun hatte, hatte den einfa­chen Grund, dass das Gericht schließ­lich einen „Aufhän­ger“ brauch­te, um die Ausfüh­run­gen über einen straf­ba­ren Hochver­rat anbrin­gen zu können. Von Jagow wurde aller­dings auch geschont, er brauch­te „aus gesund­heit­li­chen Gründen“ die Festungs­haft nicht anzutre­ten und wurde später amnes­tiert. Ein weite­rer Grund für die milde Bestra­fung von Jagows dürfte gewesen sein, dass sein Bruder als aktiver General in der Reichs­wehr war. Und die hatte gerade die Republik vor den Aufstän­di­schen in Thürin­gen und im Ruhrge­biet geschützt. Von Jagow konnte später seine Pensi­on einkla­gen. Lüttwitz kehrte nach zwei Jahren nach Deutsch­land zurück, blieb unbehel­ligt und konnte ebenfalls seine Pensi­on einklagen.

9. Würdi­gung
Der libera­le Journa­list Karl Brammer, der die erste Dokumen­ta­ti­on über den Prozess heraus­gab, lobte die meister­haf­te Verhand­lungs­füh­rung des Gerichts. Der Oberreichs­an­walt Ludwig Ebermay­er beurteil­te den Prozess kriti­scher. Es sei das Versäum­nis des Reichs­tags gewesen, die Begrif­fe „Urheber“ und „Führer“ im Amnes­tie­ge­setz nicht genau­er definiert zu haben, so dass das Gericht das Verfah­ren gegen zwei Angeklag­te habe einstel­len können. Die regel­mä­ßig ergan­ge­nen Amnes­tien hätten die abschre­cken­de Wirkung des Straf­rechts beein­träch­tigt. Tatsäch­lich glich der Prozess eher einer Farce. Zieht man die Bilanz zwischen den direk­ten Folgen des Putsches (3000 Tote und eine Milli­ar­de Mark materi­el­ler Schäden) und der Verur­tei­lung nur eines Täters zu einer Strafe von fünf Jahren Festung, die er nicht verbü­ßen musste, dann ergibt sich ein grobes Missver­hält­nis. Hätten die mittel­ba­ren Folgen des Putsches nicht bei der Straf­zu­mes­sung berück­sich­tigt werden müssen? Eine Erklä­rung lautet, das milde Urteil sei nur durch die beson­de­re Konstel­la­ti­on der Frühzeit der Weima­rer Republik zustan­de gekom­men. Der neue Staat sei gleich­sam auf der Basis der kaiser­li­chen Armee, der Bürokra­tie und Justiz aufge­baut worden. Zu den Übernah­men aus der Kaiser­zeit habe auch die Trennung von militä­ri­scher und ziviler Gewalt gehört. So hätte das Militär die Rolle eines Staats im Staate spielen können. Obers­tes Ziel war für das Gericht die Erhal­tung eines starken Staates, den auch die politi­sche Rechte favori­sier­te. Der Prozess ist ein Beispiel für die politi­sche Straf­jus­tiz, die auch später in der Bundes­re­pu­blik der Adenau­er-Ära stets auf den starken konser­va­ti­ven Staat setzte und die mögli­che positi­ve Reakti­on der konser­va­ti­ven Regie­run­gen im Blick hatte. Bei der Debat­te über die Notsands­ge­set­ze 1968 argumen­tier­te der Deutsche Gewerk­schafts­bund, der General­streik von 1920 habe die Republik geret­tet, daher dürfe das Streik­recht nicht durch die Notstands­ge­set­ze aufge­ho­ben werden. Starke Gewerk­schaf­ten seien in Krisen­zei­ten die beste Garan­tie für den Fortbe­stand der Demokratie.
Der Prozess zeigte, dass das Reichs­ge­richt in politi­schen Verfah­ren auf dem rechten Auge blind war.

10. Litera­tur
Stefan Bollin­ger (Hrsg.): Nur eine Episo­de? Das gemein­sa­me Handeln von Linken und Demokra­ten gegen den Kapp-Putsch 1920. Konfe­renz­bei­trä­ge. Pankower Vorträ­ge Heft 234/235, Berlin 2021
Karl Brammer: Verfas­sungs­grund­la­gen und Hochver­rat. Beiträ­ge zur Geschich­te des neuen Deutsch­lands. Nach steno­gra­phi­schen Verhand­lungs­be­rich­ten und amtli­chen Urkun­den des Jagow-Prozes­ses, Berlin 1922
James Caval­lie: Luden­dorff und Kapp in Schwe­den. Aus dem Leben zweier Verlie­rer, Frank­furt am Main 1995 (Überset­zung aus dem Schwedischen)
Ludwig Ebermay­er: Fünfzig Jahre Dienst am Recht, Leipzig und Zürich 1930
Fried­rich Karl Kaul: Geschich­te des Reichs­ge­richts, Bd. 4 (1933–1945), Berlin 1971
Erwin Könne­mann und Gerhard Schul­ze (Hrsg.): Der Kapp-Lüttwitz-Luden­dorff-Putsch. Dokumen­te, München 2002
Gustav Noske: Erleb­tes aus Aufstieg und Nieder­gang einer Demokratie,
Adolf Stein: Sieben-Tage-Buch. Kappre­gie­rung und General­streik 12. – 18. März 1920, Berlin 1920
Heinrich August Winkler: Arbei­ter und Arbei­ter­be­we­gung in der Weima­rer Republik, Bd. 1: Von der Revolu­ti­on zur Stabi­li­sie­rung (1918–1924), Bonn 1983

Klaus Körner
April 2023

Klaus Körner studier­te Rechts­wis­sen­schaf­ten und Politik­wis­sen­schaf­ten. Von 1969 bis 1975 war er am Insti­tut für Politik­wis­sen­schaft der Univer­si­tät Hamburg tätig. Zahlrei­che Publi­ka­tio­nen zur deutschen Kultur­ge­schich­te, spezi­ell zur Verlags­ge­schich­te der Bundes­re­pu­blik sowie eine Karl Marx Biogra­phie (2008) und ein Karl Marx Lesebuch (2018).

Zitier­emp­feh­lung:

Körner, Klaus: „Der Prozess gegen die Kapp-Putschis­ten vor dem Reichs­ge­richt, Deutsch­land 1921“, in: Groenewold/ Ignor / Koch (Hrsg.), Lexikon der Politi­schen Straf­pro­zes­se, https://www.lexikon-der-politischen-strafprozesse.de/glossar/kapp-putsch-prozess/, letzter Zugriff am TT.MM.JJJJ.