Spanien 1940
Bürgerkrieg
Diktatur
Katalonien
Faschismus
Militärprozess / Militärgerichtsbarkeit
Der Militärprozess gegen Lluís Companys
Spanien 1940
1. Prozessgeschichte
Am 14. Oktober 1940 fand die Prozessverhandlung gegen den Präsidenten der katalanischen Generalitat Lluís Companys i Jover vor einem Militärgericht in der Festung Montjuïc in Barcelona statt.
Der Vorwurf lautete militärische Rebellion. Das Gerichtsurteil – Todesstrafe –wurde am Tag darauf vollzogen. Companys verkörpert wie kein anderer die Repression im Franco-Regime unmittelbar nach dem Ende des spanischen Bürgerkriegs, die sich in Katalonien besonders grausam gestaltete. Seit dem Ende der Diktatur genießt Companys Kultstatus in Katalonien und gilt als Märtyrer des katalanischen Regionalismus auch über seine Partei hinaus.
2. Prozessbeteiligte
a) Der Angeklagte
Lluís Companys i Jover (1882–1940)
Companys wurde am 21. Juni 1882 in El Tarrós (Provinz Lleida) geboren. Er entstammte einer bürgerlich-aristokratischen Familie mit liberalen Ansichten aus der Comarca Urgell. Während seines Studiums der Rechtswissenschaften an der Universität Barcelona kam er mit republikanischem Gedankengut in Kontakt. 1910 wurde er zum Vorsitzenden der Jugendpartei der Unió Federal Nacionalista Republicana gewählt. Ferner war er als Journalist tätig und gründete mehrere linksrepublikanische Zeitungen.
Ab 1916 praktizierte er als Rechtsanwalt in der Anwaltskammer Barcelonas und übernahm die Strafverteidigung von Arbeitern und mittellosen Mandanten. 1917 entstand die Partit Republicà Català (Katalanische Republikanische Partei) und Companys wurde damit ins Stadtparlament Barcelonas gewählt.
Im Jahre 1920 wurde Companys zusammen mit weiteren Gewerkschaftsführern aufgrund seiner politischen Aktivität verhaftet und auf die Balearen deportiert, doch noch im selben Jahr wieder entlassen, da er als Abgeordneter ins spanische Parlament gewählt worden war. 1922 war er einer der Initiatoren der landwirtschaftlichen Gewerkschaft Unió de Rabassaires. Aus einer Konferenz im März 1931 entstand die Partei Esquerra Republicana de Catalunya (ERC, dt. Republikanische Linke Kataloniens), die in den Kommunalwahlen vom 12. April desselben Jahres einen wichtigen Sieg erlangte. Im Juni wurde er als Abgeordneter in den verfassungsgebenden Rat in Madrid gewählt, wo seine Partei zu einer Stütze der Regierung des sozialradikalen Ministerpräsident Manuel Azañas wurde. Companys setzte sich in den Verfassungsdebatten für die Einschränkung der katholischen Kirche im öffentlichen Leben, die katalanische Autonomie und das Frauenwahlrecht in der Verfassung der Spanischen Republik ein. Die Parlamentswahlen in Katalonien im November 1932 brachten ihn als Vorsitzenden des Parlaments zurück nach Barcelona. Doch bereits im Juni 1933 wurde Companys zum Marineminister in Madrid ernannt, ein Posten, den er bis September innehatte (Poblet, S. 31–168; Gonzàlez i Vilalta, S. 119–150).
b) Der Verteidiger
Artillerie-Hauptmann Ramón de Colubí i de Chánez (1910–2007)
Colubí war kein Jurist. Am 19. Juli 1936 hatte er als Artillerie-Leutnant in der Kaserne Sant Andreu del Palomar in Barcelona am Putsch gegen die Republik teilgenommen. Am 3. Oktober wurde er von der republikanischen Seite zum Tode verurteilt; später wurde das Urteil in eine dreissigjährige Haftstrafe umgewandelt. Im Januar 1938 wurde er zusammen mit anderen Gefangenen gegen inhaftierte Republikaner ausgetauscht. Von Frankreich aus gelang ihm die Flucht in die von General Franco kontrollierte Zone. Zum Hauptmann befördert, nahm er dann an den Kampfhandlungen im Norden teil (Solé i Sabaté/Dueñas Iturbe, S. 181). Spätere Nachforschungen haben ergeben, dass Colubí und Companys entfernt miteinander verwandt waren (El Punt Avui, 8. Oktober 2015).
c) Das Gericht
Das Gericht unter dem Vorsitz des Brigade-Generals Ramón de Puig Ramón als Untersuchungsrichter und des „Vorsitzenden des Tribunals“, Divisions-General Manuel González González, setzte sich zusätzlich aus fünf Brigadegenerälen, zwei Ersatzmitgliedern und einem Rechtsberater, dem Brigade-Auditor Adriano Coronel Velázquez, zusammen. Während des Bürgerkriegs hatten sich diese Generäle heimlich in Katalonien aufgehalten und waren nicht an den Kampfhandlungen beteiligt gewesen.
d) Ankläger (Staatsanwalt):
Brigade-Auditor Enrique de Querol y Durán
3. Zeitgeschichtliche Einordnung
Nach dem Sieg der republikanischen Parteien in den spanischen Kommunalwahlen von 1931 wurde am 14. April die Zweite Republik ausgerufen. Die neue Verfassung gewährte Katalonien eine weitgehende Autonomie mit der (Neu-)Gründung von Institutionen der Selbstverwaltung, allen voran eine eigene Regierung – die Generalitat de Catalunya – und ein Parlament. Zum ersten Präsidenten der Generalitat wurde 1932 Francesc Macià, Mitglied der ERC, gewählt. Nach Maciàs Tod im Dezember 1933 folgte sein Parteifreund Companys.
Als Antwort auf den reaktionären Kurs der bürgerlich-konservativen Zentralregierung in Madrid rief Companys am 6. Oktober 1934 den unabhängigen katalanischen Staat innerhalb einer (fiktiven) „Bundesrepublik Spanien“ aus (Fontana, S. 347; Preston, Guerra Civil, S. 89). Die Zentralregierung ließ daraufhin Companys verhaften; das Gericht verurteilte ihn zu dreißig Jahren Haft. Das katalanische Autonomiestatut wurde daraufhin außer Kraft gesetzt.
Der Sieg der linken Volksfront im Februar 1936 brachte auch die Amnestie für Companys und die Rückkehr der katalanischen Selbstverwaltung mit sich. Es folgte eine Zeit der politischen Radikalisierung und Polarisierung zwischen Linksparteien und der faschistischen Falange mit Gewaltakten auf beiden Seiten. Zwischen dem 17. und 18. Juli 1936 putschten die Generäle Emilio Mola, Gonzalo Queipo de Llano, Miguel Cabanellas, Francisco Franco, Manuel Goded und Joaquín Fanjul in unterschiedlichen Teilen des spanischen Territoriums gegen die rechtmäßige republikanische Regierung. Der misslungene Putsch löste einen blutigen Bürgerkrieg aus. Companys blieb der spanischen Republik treu. Das Todesurteil gegen den aufständischen General Goded in Barcelona zu verhindern, gelang ihm nicht (Ossorio y Gallardo, S. 204–206).
Companys blieb fortan die Aufgabe, Katalonien in einer unmöglichen politischen Situation zu regieren, die einerseits durch den Krieg gegen das aufständische faschistische Lager und andererseits durch die Revolution und eine zerstrittene, in Gewaltexzessen versunkene Linke, bestehend aus Anarcho-Syndikalisten, Sozialisten und Kommunisten, gekennzeichnet war (Gonzàlez i Vilalta, S. 23).
Als die Niederlage der Republik und die Besetzung Kataloniens durch die franquistischen Truppen absehbar wurden, floh Companys Ende Januar 1939 zusammen mit Angehörigen der katalanischen Regierung über die Pyrenäen nach Frankreich (Benet, S. 26–30). Dort ließ er sich zunächst in Paris nieder. Die französische Niederlage und die Besetzung Frankreichs durch Nazi-Deutschland erschwerte das Los der republikanischen Flüchtlinge. Der spanische Botschafter in Frankreich bemühte sich um ihre Auslieferung an Spanien. Am 13. August 1940 wurde Companys in der bretonischen Ortschaft La Baule von der Geheimen Feldpolizei auf Ersuchen der spanischen Behörden inhaftiert und an diese ausgeliefert, die ihn nach Madrid brachten (Benet, S. 196). Der spanische Innenminister Ramón Serrano Súñer, General Francos Schwager, hatte in Berlin Druck für diese Auslieferung gemacht (Solé i Sabaté/Dueñas Iturbe, S. 173). Hier wurde Companys in den Kerkern der Dirección General de Seguridad, an der Plaza del Sol, festgehalten, wo er verhört, gedemütigt und gefoltert wurde (Benet, S. 217–219, Solé i Sabaté/Dueñas Iturbe, S. 175). Später wurde er nach Barcelona deportiert, wo er am 3. Oktober in der Festung Montjuïc eintraf.
Die separatistischen Tendenzen im Baskenland und Katalonien sowie der starke Widerstand gegen die franquistischen Truppen und die Bedeutung des Anarchismus in dieser Region rechtfertigten in den Augen der Faschisten eine unerbittliche Repression. General José Millan Astray, ein militärischer Weggefährte General Francos, sprach in einer Rede am 12. Oktober 1936 von „zwei Krebsgeschwüren im Körper der Nation“, die durch den Faschismus beseitigt würden (Preston, Botxins, S. 139; Preston, Guerra civil, S. 225).
Das Franco-Regime griff für die Repression auf zwei Rechtsmittel zurück: Das Militärgesetzbuch (sp. Código de justicia militar) von 1890 und das „Gesetz über politische Verantwortung“ (sp. Ley de responsabilidades políticas), das General Franco bereits am 9. Februar 1939, notabene vor der Kapitulation der spanischen Republik, erlassen hatte.
Die Putschisten münzten das seit 1931 auf die Republik angepasste Militärgesetzbuch wieder auf die monarchische Version um. Zusätzlich erließ der rebellische General Miguel Cabanellas am 28. Juli 1936 eine Ergänzung, wonach Delikte gegen die öffentliche Ordnung, wie sie im gewöhnlichen Strafgesetzbuch aufgelistet wurden – namentlich Rebellion, Aufruhr, Attentat, Widerstand gegen die staatliche Autorität – fortan der militärischen Jurisdiktion unterstanden, also im Sinne des Militärgesetzbuchs zu handhaben waren (Benet, S. 423–425). Dies ermöglichte die schnelle Aburteilung von Zivilisten durch die Militärgerichtsbarkeit, was allerdings bereits in den ersten Monaten des Bürgerkriegs zu einer Überforderung der Militärtribunale durch die Tausende von Rebellionsklagen gegen Zivilisten führte. Hierfür wurden deshalb auch juristische Laien für die Verwaltung der Militärjustiz eingesetzt (Marco, S. 192–194).
Die Rechtspraxis der aufständischen Faschisten kehrte den Begriff der Rebellion um: Nicht sie waren die Rebellen, sondern die Republikaner, die sich gegen die Putschisten zur Wehr gesetzt hatten.
Das Militärgesetzbuch von 1890 unterschied zwei Anwendungsmöglichkeiten für summarische Verfahren: Erstens, die frische oder unmittelbare Tat und, zweitens, die besondere Art des Verbrechens, d.h. wenn die Moral oder die Disziplin der Truppe, die Sicherheit des Waffenplatzes oder die Unversehrtheit von Gegenständen und Personen beeinträchtigt wurden. Für die Repression im Lager der Aufständischen war der zweite Fall maßgebend. Aufgrund des beschleunigten Charakters des Verfahrens, des Fehlens von Rechten sowie der Vorteile der Anklage gegenüber der Verteidigung galten summarische Verfahren innerhalb der spanischen Gerichtspraxis als diejenigen mit den wenigsten Garantien für den/die Angeklagte(n) (Prieto, Burgos-Prozess; Marco, S. 198–200).
Das Gesetz über politische Verantwortung verstand sich als Ergänzung zur militärgerichtlichen Repression. Ziel des Gesetzes war es, insbesondere republikanische Amtsträger, die sich seit Oktober 1934 oder seit dem 18. Juli 1936 subversiv gegen die staatliche Ordnung bzw. gegen die „nationale Bewegung“ – sprich die Putschisten – durch Widerstand oder starke Passivität zur Wehr gesetzt hatten, zu säubern und diese mit unterschiedlichen Sanktionen wie Enteignung, Verbannung oder Entzug der spanischen Nationalität zu bestrafen (Marco, S. 217–218; Fontana, S. 367). Das Gesetz hatte also einen rückwirkenden Charakter.
Dieses Gesetz kam auch im Fall von Lluís Companys in Abwesenheit zur Anwendung. Mit dem Urteil vom 13. Dezember 1939 wurde sein Hab und Gut beschlagnahmt, ein lebenslängliches Berufsverbot verhängt und der Regierung gemäß Artikel 9 der Entzug der spanischen Nationalität nahegelegt (Generalitat, S. XXIV; Arxiu Nacional de Catalunya, ANC1-471-T-87, 15. März 1940).
4. Anklage
Am 14. Oktober 1940, um 10 Uhr morgens, begann die öffentliche Gerichtsverhandlung des Verfahrens Nr. 23.468 in einem dafür ausgestatteten Saal der Festung Montjuïc. Das Publikum – etwa dreihundert Personen – bestand jedoch tatsächlich vornehmlich aus Offizieren der Armee, Angehörigen der Falange, Polizeibeamten, wenigen ausgewählten Journalisten und etwa zwölf Frauen, darunter der Ehefrau des Staatsanwalts Querol (Solé i Sabaté/Dueñas Iturbe, S. 178 u. 182). Dem Angeklagten wurde militärische Rebellion im Sinne von Artikel 237 des Militärgesetzbuchs bezugnehmend auf seine Handlung in der Zeit vom 19. bis zum 21. Juli 1936 vorgeworfen, d.h. sein Verhalten gegenüber General Goded und den aufständischen Truppen unter dessen Kommando. Der Staatsanwalt machte den strafverschärfenden Umstand der „Perversität des Angeklagten“ laut Artikel 173 geltend und verlangte gemäß Artikel 238, Absatz 2 die Todesstrafe. Hierfür wurden seine durch Denunziationen in Erfahrung gebrachten Liebesaffären, seine juristische Tätigkeit als Verteidiger von Anarchisten, seine Freundschaften zu Gewerkschaftern und seine vielen Gefängnisstrafen zitiert. In seinen Ausführungen verwies der Staatsanwalt auf diverse schriftliche Zeugenaussagen von Militärs, die sich zum Zeitpunkt der zur Last gelegten Taten in Katalonien befanden (Benet, S. 303–314).
5. Verteidigung
Als Rechtsanwalt, der Lluís Companys ursprünglich war, hatte er das Gericht darum ersucht, seine Verteidigung selbst übernehmen zu dürfen, was aufgrund seines Status als Zivilist abgelehnt wurde.
Den Befehl, Companys zu verteidigen, erhielt Hauptmann Colubí am späten Abend des 8. Oktobers. Gemäss Artikel 658 des Militärgesetzbuches von 1890 standen im summarischen Eilverfahren (sp. procedimiento sumarísimo) der Verteidigung drei Stunden für die Akteneinsicht zu; diese ging dann nahtlos in die Gerichtsverhandlung über (Marco, S. 201–202).
Colubí eröffnete sein Plädoyer mit einer persönlichen Aussage. Als Angehöriger des aufständischen Lagers in Katalonien war er nach dem fehlgeschlagenen Putschversuch verhaftet worden. Nur durch das Eingreifen Companys‘ in jener Zeit des Chaos und der Wut der Massen hatte Colubís Leben sowie das von weiteren 250 bis 300 Militärs und Zivilisten gerettet werden können, indem seine Todesstrafe in eine dreißigjährige Haftstrafe umgewandelt worden war.
Colubí fügte hinzu, dass sich Companys als Präsident der Generalitat stets bemüht hatte, das Los der verhafteten Aufständischen zu erleichtern. Unter diesen Umständen, plädierte der Verteidiger, mildernde Umstände im Sinne von Artikel 9 des gewöhnlichen Strafgesetzbuchs geltend zu machen und dem Gericht eine Haftstrafe von zwanzig Jahren nahezulegen.
In seiner Schlussrede entlastete Companys das Gericht bei einer allfälligen Todesstrafe und betonte die Verantwortung als Präsident der Generalitat und als Vorsitzender der ERC für seine eigenen Taten und diejenigen seiner Mitarbeiter.
Um elf Uhr morgens wurde das Verfahren abgeschlossen und die Richter zogen sich zur Beratung zurück. Das Eilverfahren hatte somit nur eine Stunde gedauert.
6. Urteil
Noch am selben Tag wurde das Urteil gefällt, das auf die Argumente und die Forderung des Staatsanwalts einging. Das Gericht verhängte die Todesstrafe. Das Urteil wurde dem Generalkapitän der IV Militärregion, General Luis Orgaz, vorgelegt, der es bestätigte.
Ferner war ein Gnadengesuch seit dem Zirkularschreiben vom Januar 1940 rechtlich nicht mehr möglich, da Mitglieder der republikanischen Regierung, Abgeordnete und Inhaber anderer Ämter der Republik von diesem Recht nicht mehr Gebrauch machen durften. Das Urteil war somit rechtskräftig.
Am darauf folgenden Morgen, kurz nach sechs Uhr, wurde Lluís Companys i Jover im Festungsgraben von Santa Eulàlia von einem Kommando, bestehend aus Soldaten des Heeres, erschossen. Er verzichtete auf die Augenbinde und rief vor der Hinrichtung: „Per Catalunya!“ („Für Katalonien“).
7. Wirkung und Wirkungsgeschichte
Der Prozess und die Hinrichtung verankerten sich im kollektiven Gedächtnis Kataloniens. Der Fall gilt als eines der Hauptverbrechen des Franquismus und reiht sich als Justizfarce in das Repertoire der antirepublikanischen und antikatalanischen Repression ein: Vom 20. Februar 1939 bis zur Hinrichtung Companys‘ wurden in Katalonien 2.761 Personen erschossen (Benet, S. 427–434). Wird die Zeitspanne bis zum Jahr 1943 berücksichtigt, so zählt man allein für die Provinz Barcelona bis zu 54 Massengräber mit insgesamt 4.000 Leichen (Preston, Botxins, S. 21). Zu diesem systematischen Massenmord gesellte sich eine sprachliche und kulturelle Unterdrückung, wonach der Gebrauch der katalanischen Sprache aus der Öffentlichkeit verbannt wurde.
Doch selbst im franquistischen Lager betrachtete man die Aburteilung des katalanischen Präsidenten als eine unkluge Maßnahme, wodurch dem katalanischen Nationalismus ein Märtyrer beschert, oder der Akt als extreme Gewalt gegen einen moralisch integren Gegner interpretiert wurde.
8. Würdigung
Mit der Demokratisierung Spaniens nach 1975 und der Neuschaffung der katalanischen Autonomieinstitutionen erstarkte auch der öffentliche Kult um die Person Lluís Companys, der hagiographische Züge annahm. Eine der Prachtstraßen Barcelonas wurde 1979 in Passeig Lluís Companys umbenannt und in praktisch jeder Gemeinde Kataloniens erinnern Straßen und Plätze an ihn. Am 27. Oktober 1985 wurden die sterblichen Überreste Companys‘ in einer vom katalanischen Präsidenten Jordi Pujol geleiteten feierlichen Zeremonie in ein speziell erbautes Mausoleum auf dem Friedhof Montjuïc überführt (Benet, S. 371). Das Olympia-Stadion in Barcelona trägt seit 2001 ebenfalls seinen Namen. Kranzniederlegungen durch den jeweiligen amtierenden Präsidenten der Generalitat in der Festung Montjuïc am Todestag gehören zu einem weiten Repertoire an Traditionen, die Companys den Status eines lieu de mémoire verleihen.
Auch in der Filmbranche fand eine historische Aufarbeitung statt. Im Jahre 1979 erschien unter der Regie von Josep Maria Forn «Companys, proceso a Cataluña» (dt. Companys, Prozess gegen Katalonien). Der katalanische Sender TV3 produzierte 2015 den Spielfilm «13 dies d’octubre» (dt. 13 Tage im Oktober) von Carlos Marqués-Marcet. Beide Filme zeigen Companys‘ letzte Tage bis zu seiner Hinrichtung.
Bereits seit den 1990er Jahren wurden in der ERC, der Partei Companys‘, Stimmen laut, die eine Rehabilitierung ihres einstigen Parteivorsitzenden und eine Aufhebung des Urteils forderten. Ministerpräsident Pedro Sánchez ließ im Dezember 2018 verlautbaren, dass Companys Anerkennung und Würde zurückerlangt habe und dass die Regierung das militärgerichtliche Verfahren als für nicht rechtmäßig hielt (El Diario, 22. Dezember 2018). Indessen steht eine formelle Rehabilitierung noch aus, wofür eine Gesetzesreform nötig ist.
Das zusätzliche Erstarken des politischen Kampfes für ein unabhängiges Katalonien seit den 2010er Jahren und insbesondere das Handeln des früheren katalanischen Präsidenten Carles Puigdemont mithilfe des Unabhängigkeitsreferendums vom 1. Oktober 2017, die einstweilig ausgesetzte Ausrufung der Unabhängigkeit in der Plenarsitzung des katalanischen Parlaments vom 10. Oktober und die unilaterale Erklärung der Unabhängigkeit als Reaktion auf die Anwendung des Artikels 155 der spanischen Verfassung am 27. Oktober, wonach die katalanische Autonomie außer Kraft gesetzt und der Präsident der Generalitat seines Amtes enthoben wurde, zeigen, wie sehr der Fall Companys noch immer präsent ist.
Am 9. Oktober 2017 warnte der damalige stellvertretende Vorsitzende der regierenden konservativen Partido Popular, Pablo Casado, den katalanischen Präsidenten davor, denselben Weg wie Lluís Companys zu beschreiten. Kurz darauf sah sich Casado gezwungen, seine Aussage zu berichtigen: gemeint war nicht die Erschießung Companys‘ im Jahre 1940, sondern seine Verhaftung und Verurteilung 1934, als er den katalanischen Staat ausrief (La Vanguardia, 9. Oktober 2017).
Als Puigdemont nach seiner Flucht ins Exil am 26. März 2018 in Schleswig-Holstein aufgrund eines internationalen Haftbefehls verhaftet wurde, meldete sich der Politaktivist Julian Assange via Twitter und beschwor eine Analogie zwischen der Auslieferung Companys‘ durch die Nazis an Franco-Spanien und dem aktuellen Auslieferungsbegehren für Puigdemont. Ein ganz anderes Bild des katalanischen Politikers zu vermitteln, versucht eine den Unabhängigkeitsbestrebungen feindlich gesinnte, katholisch-nationalkonservative Publizistik (z. B. die des Philosophen Javier Barraycoa). Hier ist die Rede von Companys als Henker und Hauptverantwortlichem für den roten Terror während des Bürgerkriegs.
Sieben Jahre nach Companys‘ Hinrichtung verfasste der chilenische Dichter Pablo Neruda sein Gedicht «Canto en la muerte y resurrección de Lluís Companys» (dt. Lied auf den Tod und die Auferstehung von Lluís Companys). Neruda würdigte den Hingerichteten vor allem als republikanischen Politiker, als Katalanen, dessen Nimbus auch auf Spanien ausstrahlt, den er mit Federico García Lorca vergleicht (Gonzàlez i Vilalta, S. 18–19). Diese Interpretation weicht von Companys‘ spätererer Deutung als katalanischem Opfer der spanischen Diktatur ab. Als 1977 der Exil-Präsident der Generalitat, Josep Tarradellas, ein politischer Weggefährte und Parteikollege Companys, mit dem Segen der spanischen Regierung provisorisch die Nachfolge Companys antrat, knüpfte man an eine republikanische, präfranquistische Tradition an, während der spanische Übergang zur Demokratie sich durch nahtlose Reformen des franquistischen Staatsapparates und Kompromisse wie die Annahme der Monarchie als Staatsform durch die oppositionellen Parteien – allen voran die Sozialisten – kennzeichnete. Der Kult um Lluís Companys in Katalonien dürfte auf die stärker verwurzelte republikanische Tradition dieser Region und deren Wahrnehmung als von den Franco-Truppen besetztes Land zurückzuführen sein. Companys bleibt bis heute eine ambivalente historische Persönlichkeit, die für Spannung zwischen linken und rechten, zwischen Befürwortern der Unabhängigkeit und Gegnern sorgt. Am 15. Oktober 2019, anlässlich des Gedenktages für Companys, verweigerte die Sozialistische Partei Kataloniens ihre Teilnahme mit der Begründung, der Anlass würde seitens der Unabhängigkeitsbefürworter für ihre politischen Ziele missbraucht (El Español, 15. Oktober 2019). Am Vortag hatte das Höchste Gericht zwölf katalanische Politiker und Aktivisten z.T. wegen Rebellion, Ungehorsams und Veruntreuung im Zusammenhang mit dem Unabhängigkeitsreferendum vom 1. Oktober 2017 zu Freiheitsstrafen von neun bis dreizehn Jahren verurteilt.
9. Literatur (Auswahl)
Arxiu Nacional de Catalunya, FONS ANC1-471, Tribunal Regional de Responsabilitats polítiques de Catalunya-Barcelona.
Anular la condena a Companys y los juicios del franquismo: ¿cómo, cuándo y para qué?, El Diario, 22. Dezember 2018, https://www.eldiario.es/sociedad/Anular-condena-Companys-juicios-franquismo_0_849015508.html.
Benet, Josep: La mort del president Companys, 1998.
El PP blande el Código Penal y recuerda a Puigdemont que puede acabar como Companys, La Vanguardia, 9. Oktober 2017, https://www.lavanguardia.com/politica/20171009/431922539247/pp-puigdemont-acabar-lluis-companys-dui.html.
Fontana, Josep: La formació d’una identitat. Una història de Catalunya, 2014.
Generalitat de Catalunya (Hrsg.), Consell de guerra i condemna a mort de Lluís Companys, President de la Generalitat de Catalunya (octubre de 1940), edició facsímil, 1999 [Faksimile-Ausgabe sämtlicher Gerichtsakten].
Gonzàlez i Vilalta, Arnau: Lluís Companys. Un home de Govern, 2009.
Un llibre revela el parentiu entre Companys i Colubí, El Punt Avui, 8. Oktober 2015, https://www.elpuntavui.cat/politica/article/17-politica/903366-un-llibre-revela-el-parentiu-entre-companys-i-colubi.html.
Marco, Jorge: “Debemos condenar y condenamos”… Justicia militar y represión en España (1936–1948), S. 190–229, in: Julio Aróstegui (Hrsg.), Franco: la represión como sistema, 2012.
Ossorio y Gallardo, Ángel: Vida y sacrificio de Companys, 2010.
Poblet, Josep M.: Vida i mort de Lluís Companys, 1976.
Preston, Paul: Botxins i repressors. Els crims de Franco i dels franquistes, 2006.
Preston, Paul: La Guerra Civil española, 2006.
Prieto, Moisés: Der Burgos-Prozess (1970), in: Groenewold/ Ignor / Koch (Hrsg.), Lexikon der Politischen Strafprozesse, https://www.lexikon-der-politischen-strafprozesse.de/glossar/burgos-prozess-1970/, letzter Zugriff am 24. August 2019.
El PSC ‘pasa’ del acto ante la tumba de Companys, El Español, 15. Oktober 2019, https://cronicaglobal.elespanol.com/politica/psc-pasa-acto-tumba-companys_283710_102.html.
Sole i Sabaté, Josep Maria und Oriol Dueñas Iturbe: El franquisme contra Esquerra. Els alcaldes i diputats afusellats d’Esquerra Republicana de Catalunya, 2007.
Tusell, Javier: Los grandes procesos penales de la época de Franco. Desde la posguerra a Grimau y el proceso de Burgos, S. 485–493, in: Muñoz Machado (Hrsg.), Los grandes procesos de la historia de España, 2002.
Moisés Prieto
Dezember 2019
Moisés Prieto ist assoziierter Forscher am Historischen Institut der Universität Bern. Forschungsschwerpunkte sind die Diktatur im 19. und 20. Jahrhundert, die Migrations- und die Mediengeschichte sowie die Geschichte der Emotionen. Er ist Autor von «Zwischen Apologie und Ablehnung. Schweizer Spanien-Wahrnehmung vom späten Franco-Regime bis zur Demokratisierung (1969–1982)» (Böhlau 2015) und publiziert in diversen Zeitschriften. 2016 bis 2018 Forschungsstipendiat der Stiftung Alexander von Humboldt.
Prieto, Moisés: „Der Militärprozess gegen Lluís Companys, Spanien 1940“, in: Groenewold/ Ignor / Koch (Hrsg.), Lexikon der Politischen Strafprozesse, https://www.lexikon-der-politischen-strafprozesse.de/glossar/companys-lluis-i-jover/ , letzter Zugriff am TT.MM.JJJJ.
Abbildungen
Verfasser und Herausgeber danken den Rechteinhabern für die freundliche Überlassung der Abbildungen. Rechteinhaber, die wir nicht haben ausfindig machen können, mögen sich bitte bei den Herausgebern melden.
© Archiv Arxiu Montserrat Tarradellas, CR ANC:170726, Portrait Lluis Companys i Jover, Zweiter
Präsident der Generalität von Katalonien (1933–1940), Fotograf unbekannt, Datum zwischen 1933 und 1936
© Archiv Arxiu Nacional de Catalunya, CR ANC: 304589, Lluis Companys, Foto von Pedro Urraca Rendueles, Datum unbekannt (vermutlich September 1940)