Bucharin, Nikolai
Iwanowitsch,
Grigori Jewsejewitsch Sinowjew,
Lew Borissowitsch
Kamenew,
Alexei Iwanowitsch Rykow,
Leo Trotzki,
Georgi Leonidowitsch Pjatakow
und Karl Radek, u.a.

bearbei­tet von
Prof. Dr. Steffen Dietzsch

Sowjet­uni­on 1936–1939
Verschwörung
Moskau­er Prozesse
Schauprozess


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Die Moskauer Prozesse
Sowjetunion 1936–1939

1. Prozess­ge­schich­te

Die Moskau­er Prozes­se waren nicht das Resul­tat polizei­li­cher und staats­an­walt­li­cher Ermitt­lun­gen auf Grund empirisch nachweis­ba­rer, sankti­ons­fä­hi­ger Straf­de­lik­te oder auch nur berech­tig­ter Verdachts­mo­men­te, sondern sie wurden begrün­det und vorbe­rei­tet in den höchs­ten politi­schen Gremi­en der Sowjet­uni­on, im Volks­kom­mis­sa­ri­at des Inneren und im Polit­bü­ro der KPdSU. Diesen höchs­ten Partei­in­sti­tu­tio­nen unter­stan­den u.a. die „Kommis­si­on für Partei­kon­trol­le“ und die „Kommis­si­on für Strafsachen“.

Nikolai Bucha­rin mit Arbei­tern, Passan­ten, Repor­tern, 1926, Foto von Samso­nov, © s.u.

Hier bekam das im Febru­ar 1934 (XVII. Partei­tag) gewähl­te ZK-Mitglied Nikolaj Ivano­vič Ežov (1895–1940) ein neues Tätig­keits­feld zugewie­sen. Er wurde mit der Organi­sa­ti­on einer umfas­sen­den Partei­rei­ni­gung (Čistka) beauf­tragt. Anlass dieser sog. Partei­rei­ni­gun­gen war das Atten­tat auf den Lenin­gra­der Partei­chef Sergej Mirono­vič Kirov (1886–1934) vom Dezem­ber 1934. Das Atten­tat war der erste tödli­che Anschlag auf einen hohen Partei­füh­rer im Inland seit der Ermor­dung des Petro­gra­der Čeka-Chefs, Moissei Solomo­no­witsch Urickij (1873–1918), im August 1918.

Seit 1935 schrieb Ežov an einer immer wieder präzi­sier­ten Vorla­ge „Von der Frakti­ons­ma­che­rei zur offenen Konter­re­vo­lu­ti­on“. „In den Entwurf des Typoskripts wurde aufge­nom­men, daß die ‚Rechten, anstatt die Waffen zu strecken, eine Unter­grund­or­ga­ni­sa­ti­on geschaf­fen haben‘. Stalin stimm­te dieser Lesart zu und ordne­te an, die ‚Rechts­ab­weich­ler‘ zusam­men mit den ‚Trotz­kis­ten‘ zu verur­tei­len“ (Hedeler, Schau­pro­zeß, S. 15, S. 22–27). In seiner ersten Plenar­re­de im Juni 1935 klagte Ežov einen der ältes­ten und höchs­ten Partei­funk­tio­nä­re der Verschwö­rung an: Avel‘ Safro­no­vič Enukid­se (1877–1937), seit 1922 Sekre­tär des staat­li­chen Zentra­len Exeku­tiv­ko­mi­tees der UdSSR. Ende Septem­ber 1936 übernahm Ežov, als Nachfol­ger Jagodas, der im Dritten Moskau­er Prozess angeklagt wurde, das Volks­kom­mis­sa­ri­at des Inneren (NKWD). Im ständi­gen Kontakt mit Stalin entwarf Ežov die Struk­tur und den Ablauf der beabsich­tig­ten Prozes­se. Ežov erfand dafür entspre­chen­de Delik­te und die dazu passen­den Täter­grup­pen, z.B. Industrie‑, Trans­port- und Verkehrs­ver­bre­chen oder Tötun­gen (zumeist Vergif­tun­gen und „Unfäl­le“) von Promi­nen­ten, wie Men’žinskij (gest. 10. Mai 1934), Kujby­šev (gest. 25. Januar 1935) oder Gork’ij (gest.18. Juni 1936), deren Tod angeb­lich durch ihre Kremlärz­te verur­sacht worden sei. Es wurde ein ‚Netz terro­ris­ti­scher Gruppie­run­gen‘ konstru­iert, das je verschie­de­nen Regierungs‑, Sicher­heits- und Partei­in­sti­tu­tio­nen zugeord­net war. Außer­dem wurde ein „Drehbuch“ für die Prozes­se verfasst, in dem die Ankla­ge­fra­gen und Täter­ant­wor­ten als Dialo­ge vorge­ge­ben waren. Geständ­nis­se konnten aus „einem mitge­brach­ten Heftchen abgele­sen werden“ (Hedeler, Schau­pro­zeß, S. 49).

Nach dem zweiten Prozess kam es auf dem Febru­ar-Plenum der Partei 1937 zu einer bemer­kens­wer­ten „rechts­theo­re­ti­schen“ Äußerung Stalins. Er „forder­te die Beschul­dig­ten auf, sich in die Lage der Anklä­ger zu verset­zen und endlich aufzu­hö­ren, immer wieder neue Fragen zu stellen. Nur weil sie nichts zu ihrer Vertei­di­gung vorbrin­gen könnten, erfin­den sie Wider­sprü­che in den sie belas­ten­den Aussa­gen“ (Hedeler, Schau­pro­zeß, S. 32). Diese Wider­sprü­che betra­fen z.B. Orte verschwö­re­ri­scher Zusam­men­künf­te wie ein angeb­li­ches Treffen mit einem Trotz­ki-Sendbo­ten im Kopen­ha­ge­ner Hotel Bristol im Herbst 1932, ein Hotel das es aber zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr gab.

Das Gericht tagte bei allen drei Prozes­sen in Moskau im Haus der Gewerk­schaf­ten, in der Großen Dimitrow­ka-Straße, Nr. 1 (bis 1993 Pusch­kin­stra­ße). Der Verhand­lungs­raum war der Oktober­saal mit 470 Plätzen.

Der erste Prozess: „Über die Straf­sa­che das trotz­kis­tisch-sinowje­wis­ti­sche terro­ris­ti­sche Zentrum“ fand vom 19.–24. August 1936 statt, der zweite Prozess über „Über die Straf­sa­che des sowjet­feind­li­chen trotz­kis­ti­schen Zentrums“ vom 23.–30. Januar 1937 und der abschlie­ßen­de dritte Prozess „Über die Straf­sa­che des antiso­wje­ti­schen Blocks der Rechten und Trotz­kis­ten“ vom 2.–13. März 1938. Für den dritten Prozess waren 18 Sitzun­gen vorge­se­hen. Die Verhand­lun­gen began­nen um die Mittags­zeit und dauer­ten bis in den frühen Morgen des nächs­ten Tages. Schon vor den in offizi­el­len Medien publi­zier­ten Proto­kol­len des ersten Prozes­ses machte sich auch bei sowjet­treu­en Beobach­tern Skepsis breit. So beispiels­wei­se bei Georgi Dimitroff (1882–1949), der selber in einem politi­schen Prozess angeklagt und freige­spro­chen worden war, nämlich im Reichs­tags­brand­pro­zess 1934 in Leipzig. Dimitroff, jetzt Chef der „Kommu­nis­ti­schen Inter­na­tio­na­le“ (Komin­tern), notier­te in sein Tagebuch: „Die Proto­kol­le des Prozes­ses sind nachläs­sig zusam­men­ge­stellt, voller Wider­sprü­che und nicht überzeu­gend.“ Für den zweiten Prozess hielt er fest: „Es gibt keiner­lei Bewei­se! […] Belas­tend ist der Eindruck, den die unflä­ti­ge Beschimp­fung der Angeklag­ten hervor­ruft. […] Der Trotz­kis­mus ist tot, wozu eine solche Kampa­gne?“ (Dimitroff, S. 140, 148).

2. Perso­nen

a) Die Angeklagten

aa) Im ersten Prozess waren angeklagt: Ivan Petro­vič Bakaev (1887–1936), Chef der Lenin­gra­der GPU; Konon W. Berman-Jurin (Pseud. Hans Stauer) (1901–1936), deutscher Komin­tern-Funktio­när, seit 1933 in der Sowjet­uni­on; Efim Alexand­ro­vič Drejcer (1894–1936), Komman­deur der Roten Armee; Grigo­rij Ermee­vič Evdoki­mov (1884–1936), Volks­kom­mis­sar f. Lebens­mit­tel­in­dus­trie; Eduard Salomo­ni­vič Gol’cman (1882–1936), Diplo­mat in Berlin; Lev Boris­ovič Kamen­ev (Rozenfel’d) (1883–1936), seit 1928 Direk­tor des Insti­tuts f. Weltli­te­ra­tur und des Akade­mie-Verlags; Ilja Krugl­jan­ski (Pseud. Fritz David) (1897–1936), seit 1929 Redak­teur der Berli­ner „Roten Fahne“; Nathan Lur’e (1901–1936), Chefarzt in Čel’jabinsk; Moisej Il‘ič Lur’e (Pseud. Aleksan­der Emel) (1897–1936), seit 1934 Histo­ri­ker an der Moskau­er Univer­si­tät; Sergej Vasil‘evič Mračkovs­kij (1888–1936), Armee­kom­man­deur im Bürger­krieg; Valen­tin Ol’berg (1907–1936), seit 1935 Pädago­gik­do­zent in Gor’kij; Richard Vitol‘dovič Pikel‘ (1896–1936), Litera­tur- u. Theater­kri­ti­ker; Isaak Isaevič Rejngol’d (1897–1936), Volks­kom­mis­sar f. Landwirt­schaft; Ivan Nikito­vič Smirnov (1881–1936), Militär­füh­rer im Bürger­krieg, Volks­kom­mis­sar f. Schwer­indus­trie; Vargaršak Arutju­n­o­vič Ter-Vagan’jan (1893–1936, Journa­list u. Heraus­ge­ber; Grigo­ri Evsee­vič Zinov’ev (Radomyl­skij) (1883–1936); 1919 Gründer und bis 1926 Chef der Komintern.

Nicolai Bucha­rin und Alexan­der I. Rykov, 1938,
Fotograf unbekannt, © s.u.

bb) Im zweiten Prozess waren angeklagt: Valen­tin Vol’fridovič Arnol’d (1896–?), Wirtschafts­füh­rer; Michail Solomo­no­vič Bogus­lavs­kij (1886–1937), Moskau­er Partei­funk­tio­när; Jakov Naumo­vič Drobnis (1891–1937), Vorsit­zen­der des Kleinen Rats der Volks­kom­mis­sa­re; Ivan Iosifo­vič Graše (1886–1936), Komin­tern­funk­tio­när; Ivan Aleksand­ro­vič Knjazev (1893–1937), Volks­kom­mis­sar f. Eisen­bah­nen; Jakov Abrammo­vič Lifšic (1896–1937), Volks­kom­mis­sar f. Eisen­bah­nen; Nikolaj Ivano­vič Mural­ov (1877–1937), seit 1925 Rektor der Timir­ja­zev-Akade­mie für Landwirt­schaft; Boris Osipo­vič Norkin, Wirtschafts­füh­rer in der Chemie­in­dus­trie; Jurij Leoni­do­vič Pjata­kov (1890–1937), seit 1929 Chef der Staats­bank; Gavri­il Efremo­vič Pušin (1896–1937), Chefinge­nieur; Karl Radek (Sobel­sohn) (1885–1939), Vertrau­ter Lenins seit dem Schwei­zer Exil, seit 1920 Komin­tern­funk­tio­när; Stanis­lav Antono­vič Ratajčak (1894–1937), Volks­kom­mis­sar f. Schwer­indus­trie; Leonid Petro­vič Serebrja­kov (1890–1937), Chef der Zentral­ver­wal­tung f. Verkehrs­we­sen; Aleksej Aleksand­ro­vič Šestov (1896–1937), Wirtschafts­füh­rer in der Montan­in­dus­trie; Grigo­rij Jakov­le­vič Sokol’nikov (Girš Brilli­ant) (1888–1939), seit 1934 Kandi­dat des ZK; Michail Stepa­no­vič Stroi­l­ov (1899–?), Wirtschafts­füh­rer in der Montan­in­dus­trie; Iosif Dimitrie­vič Turok (1900–1937), Eisenbahnfunktionär.

cc) Im dritten Prozess waren angeklagt: Sergej Aleksee­vič Besso­nov (1892–1941), Handels­rat bei der Botschaft in Berlin; Nikolai Ivano­vič Bucha­rin (1888–1938), seit Febru­ar 1934 Chefre­dak­teur der ‚Izves­ti­ja‘; Pavel Petro­vič Bulanov (1895–1938), seit 1921 Čeka-Mitar­bei­ter; Michail Aleksand­ro­vič Černov (1891–1938), seit April 1934 Volks­kom­mis­sar f. Landwirt­schaft; Fajzu­l­la Ubajdul­la­e­vič Chodža­ev (1896–1938), seit 1925 Vorsit­zen­der des Rats der Volks­kom­mis­sa­re in Usbeki­stan; Grigo­ri Fedoro­vič Grinko (1890–1938), seit 1930 Volks­kom­mis­sar f. Finan­zen; Akmal Ikramo­vič Ikramov (1898–1938), seit 1929 KP-Chef in Usbeki­stan; Vladi­mir Ivano­vič Ivanov (1893–1938), seit 1931 KP-Chef für die Nordge­bie­te der UdSSR; Genrich Georgi­e­vič Jagoda (1891–1938), seit Juli 1934 Volks­kom­mis­sar für Inneres; Ignatij Nikola­e­vič Kazakov (1891–1938), ‚Alternativ‘mediziner im Čeka-Apparat; Nikolaj Nikola­e­vič Krestins­kij (1883–1938), seit 1930 stellv. Außen­mi­nis­ter; Pjotr Petro­vič Krjučkov (1889–1938), seit 1918 Sekre­tär von Maxim Gor’kij; Lev Grigor‘evič Levin (1870–1938), Arzt am Kreml-Kranken­haus; Venia­min Adamo­vič Maksi­mov-Dikovs­kij (1900–1938), seit 1932 im Sekre­ta­ri­at des Rats der Volks­kom­mis­sa­re; Dmitrij Dmitrie­vič Pletnev (1872–1938), Medizin­pro­fes­sor, bedeu­tends­ter Medizi­ner Russlands; Chris­ti­an Georgi­e­vič Rakovs­kij (1873–1941), Januar 1919 Regie­rungs­chef der Ukrai­ne, Komin­tern­mit­ar­bei­ter; Arkadi Pavlo­vič Rozengol’c (1889–1938), seit 1930 Volks­kom­mis­sar f. Außen­han­del; Aleksej Ivano­vič Rykov (1881–1938), von 1924–1930 Vorsit­zen­der des Rats der Volks­kom­mis­sa­re, d.i. der Nachfol­ger Lenins; Vasilij Fomič Šaran­go­vič (1897–1938), seit 1934 Partei­kon­troll­kom­mis­si­on, ab März 1937 KP-Chef von Weißruss­land; Isaak Abramo­vič Zelins­kij (1890–1938), seit 1934 Chef der Konsum­ge­nos­sen­schaf­ten; Proko­pij Timofee­vič Zubarev (1886–1938), seit 1934 stellv. Volks­kom­mis­sar f. Landwirt­schaft.

b) Das Gericht

Den Vorsitz aller drei Prozes­se führte der Armee-Militär­ju­rist Vasilij Vasil’evič Ulrich (1889–1951), seit 1920 Leiter des Militär­kol­le­gi­ums beim Obers­ten Gericht. Die übrigen Mitglie­der des Gerichts waren: Korps-Militär­ju­rist I. O. Matule­vič, Divisi­ons-Militär­ju­rist Iona Timofee­vič Nikitčen­ko (1895–1967), Divisi­ons­mi­li­tär­ju­rist B. I. Ievlev und Divisi­ons-Militär­ju­rist N. M. Rytsch­kow. Die Sekre­tä­re des Gerichts waren die Militär­ju­ris­ten I. Ranges A. F. Kostjusch­ko und A. Batner. 

c) Die Verteidiger

Im ersten Prozess verzich­te­ten alle Angeklag­ten auf eine Vertei­di­gung. Im zweiten Prozess wurde die Vertei­di­gung von drei Mitglie­dern des Moskau­er Vertei­di­ger­kol­le­gi­ums übernom­men: Il‘ja Davido­vič Braude (1885–1955) vertei­dig­te den Angeklag­ten I. A. Knjazev. Der Angeklag­te G. E. Pušin wurde von Nikolai Vasil’evič Kommo­dov und der Angeklag­te V. V. Arnol’d von S. K. Kasnadshe‘ev vertei­digt. Im dritten Prozess vertei­dig­te I. D. Braude den Angeklag­ten Medizin­pro­fes­sor L. G. Levin, während die beiden anderen Medizi­ner I. N. Kazakov und D. D. Pletnev von N.V. Kommo­dov vertei­digt wurden.

3. Zeitge­schicht­li­che Bedeutung

Die Moskau­er Prozes­se verän­der­ten die Herrschafts- und Legiti­ma­ti­ons­kul­tur in der Sowjet­uni­on grund­le­gend. Sie justi­fi­zier­ten und beende­ten die Varia­bi­li­tät, die gesell­schafts­po­li­ti­schen Diffe­ren­zen und die unter­schied­li­chen sozial­tech­ni­schen Strate­gien, die vor dem XV. Partei­tag der KPdSU im Dezem­ber 1927 noch offen disku­tiert und in klaren Gruppie­run­gen perso­nell und program­ma­tisch erkenn­bar waren.

Die natio­nal­öko­no­mi­sche Haupt­fra­ge nach dem ersten Dezen­ni­um der Sowjet­ge­sell­schaft (seit 1917) war: sollte man weiter den Krite­ri­en der „Neuen Ökono­mi­schen Politik“ (NEP), seit 1921, folgen? Oder sollte eine umfas­sen­de „Planwirt­schaft“, welche bislang nur in Not- also Kriegs­zei­ten aktivier­te wurde, beginnen?

Mit der NEP, einer wirtschafts­po­li­ti­schen Wende, um den Kriegs­kom­mu­nis­mus zu beenden, kam es zu einer Libera­li­sie­rung in der Landwirt­schaft, im Handel und in der Indus­trie, die den Betrie­ben und Bauern teilwei­se markt­wirt­schaft­li­che Metho­den zugestand. Die NEP stell­te damit in Maßen die ökono­mi­sche Freizü­gig­keit in den Dörfern und die Handels­frei­heit in den Städten wieder her. Auf der Alltags­ebe­ne der sich nun wieder ausdif­fe­ren­zie­ren­den Gesell­schaft erschien das vielen wie eine Wieder­kehr „kapita­lis­ti­scher“ Struk­tu­ren in der Wirtschaft und bei den Menschen. Denn die heroi­sche Menta­li­tät wurde zuguns­ten bilan­zie­ren­der und rechnen­der Klugheit und Selbst­ver­ant­wor­tung margi­na­li­siert. Der „NEP-Mann“ war ein bevor­zug­tes Hassob­jekt der linken Propaganda.

Dieser Kurs endete als Stalin die politisch-morali­sche Situa­ti­on neu definier­te: „Man mußte offen­bar zwischen zwei Plänen wählen: zwischen dem Plan des Rückzugs, der zur Nieder­la­ge des Sozia­lis­mus geführt hätte, und dazu hätte führen müssen, und dem Plan des Angriffs, der zum Sieg des Sozia­lis­mus in unserem Lande führte, und, wie ihr wißt, bereits geführt hat“ (Stalin, Rede v. 4. Mai 1935). Damit war ein ordnungs­phi­lo­so­phi­sches Prinzip aufge­stellt, dem auch die Rechts­pra­xis zu folgen hatte: Unter Gleich­ge­sinn­ten konnte es nicht zwei unter­schied­li­che Meinun­gen oder gar zwei unter­schied­li­che Wege zum selben sozial­po­li­ti­schen Ziel geben. Eine abwei­chen­de Meinung war nach dieser Defini­ti­on ein Rückweg, der zur Restau­ra­ti­on führte und damit konter­re­vo­lu­tio­när und hochver­rä­te­risch war. Damit war eine abwei­chen­de Haltung eben keine „Meinung“, sondern wurde zum Verbre­chen. Deshalb brauch­te dem Verdäch­tig­ten auch nicht eine konkre­te krimi­nel­le Tat, ein realer Sachbe­weis nachge­wie­sen werden, sondern es genüg­te bereits, eine abwei­chen­de, andere – nicht „linien­treue“ – Meinung (= Agita­ti­on) zu artiku­lie­ren (Artikel 58–10 des Straf­ge­setz­buchs der RSFSR vom 25. Febru­ar 1927).

Ab 1928 begann das Wirtschaf­ten nach Fünfjah­res­plä­nen. Damit wurde der „Sozia­lis­mus-in-Einem-Land“ als geschlos­se­ner Militär­staat (Kaser­nen­so­zia­lis­mus, Befehls­wirt­schaft) weltmarkt­wirt­schaft­lich von der globa­len Kommu­ni­ka­ti­on ausge­glie­dert. Das machte sich sofort katastro­phal bemerk­bar: Für die Gesamt­pla­nung musste (ohne hinrei­chen­des Ingenieurs- und Verwal­tungs­wis­sen) ein so noch nie dagewe­se­nes totales Produk­ti­ons­ge­fü­ge geschaf­fen werden, mit erstens ortsfes­ten Indus­trie­ar­bei­tern, zweitens mit Bauern, die als Landar­bei­ter (zwischen 1928 und 1933) vom Eigen­tum und vom Land getrennt wurden, drittens einer „Arbeits­ar­mee“ (Trudarm­i­ja) als milita­ri­sier­te Form der Arbeit, und viertens mit der Zwangs­ar­beit aller Straf­ge­fan­ge­nen, die durch die „Haupt­ver­wal­tung Lager“ (Главное управление лагерей, seit 1934 GULag) organi­siert wurde. In der Indus­trie wurden die alten und veral­te­ten Produk­ti­ons- und Verkehrs­sys­te­me auf Hochtou­ren gefah­ren bzw. Neues mit ungeheu­rem Furor, aber ohne neues­te Technik, Erfah­rung und Ressour­cen, „auf die grüne Wiese“ gesetzt. Dabei war abzuse­hen, dass es massen­haft zu Störun­gen, Ausfäl­len, Unfäl­len und Zusam­men­brü­chen kommen musste, verur­sacht durch menta­le Inkom­pe­tenz, Schlu­de­rei, Überfor­de­rung, Impro­vi­sa­ti­on, Rat- und Verant­wor­tungs­lo­sig­keit, kurz: durch ein schon von Lenin auch an seinen Genos­sen kriti­sier­tes „Oblomov­tum, das die Sache zugrun­de richtet“ (Lenin, 24. Januar 1922).

Beson­ders gravie­rend wirkte sich im Agrar­land Russland die Verwand­lung von Bauern in Landar­bei­ter aus: Die politisch gewoll­te Gewalt-Kampa­gne, die Bauern in kürzes­ter Zeit und massen­haft aus ihrem Arbeits­mi­lieu heraus­zu­neh­men, hatte aller­dings unter Sowjet-Bedin­gun­gen sofort einen Verwaltungs‑, Verkehrs- und Ernäh­rungs­kol­laps zu Folge, der von „oben“ her kaum zu beherr­schen war. Ein Versuch der Gegen­steue­rung aus dem Jahr 1930 von Stalin selbst kam zu spät. Die grauen­haf­ten Folgen mit Millio­nen von Hunger­to­ten (1931/1932) hatte das ganze Land zu tragen und nicht nur die „Zielgrup­pe“ der Enteigneten.

Diese Versor­gungs- und Produk­ti­ons­ka­ta­stro­phen mussten erklärt und geklärt und die Schul­di­gen daran zur Rechen­schaft gezogen werden. Aber: Wer war an der Misere schuld? Aus Sicht der Macht­ha­ber war das nicht das ungestü­me Aufbau­stre­ben der „Erbau­er des Kommu­nis­mus“, sondern die, die immer schon – mit „spitzer Feder“ – gegen die ausufern­de Planstra­te­gie opponiert hatten, und die jetzt nicht nur eine syste­ma­ti­sche „Fehler­dis­kus­si­on“ began­nen, sondern inzwi­schen offen­sicht­lich auch vor Hochver­rat und (Prominenten-)Mord nicht zurückschreckten.

Weil sich nach 1927 die alten Opposi­ti­ons­grup­pen – als ‚Rechte‘ (um Bucha­rin) oder ‚Linke‘ (um Trotz­ki) stigma­ti­siert – entschie­den selbst­kri­tisch zur Einheit der Partei und einer einheit­li­chen Strate­gie bekann­ten – (mit exempla­ri­schen Loyali­täts­er­klä­run­gen, wie 1927 die „Erklä­rung der 121“), und die Mehrhei­ten der Partei­ba­sis anerkann­ten, blieben sie größe­ren­teils noch weiter in der Partei‑, Staats‑, Militär- und Wirtschafts­füh­rung tätig, wenn auch nicht mehr in Führungs­po­si­tio­nen. Jetzt aber, zehn Jahre später, saßen alle Redner des Partei­ta­ges von 1927 (außer Stalin und der Krups­ka­ja, Lenins Witwe) auf der Ankla­ge­bank oder waren bereits tot. Mit ihren weitver­zweig­ten gesell­schaft­li­chen Bezie­hun­gen – sie hatten schließ­lich den Bürger­krieg und das erste Aufbau­jahr­zehnt organi­siert, – wurden sie nun als die Urheber und Auslö­ser aller Mängel, Fehler, Ineffek­ti­vi­tät und vor allem Sabota­ge der Planwirt­schaft namhaft gemacht. Die neuen Propa­gan­da­fi­gu­ren dafür waren: der Doppel­züng­ler und die Fünfte Kolonne.

In der Herrschafts­kul­tur, so wie sie seit 1927 von Stalin dominiert wurde, bahnte sich eine Krise an, als Sergej Mirono­vič Kirov (1886–1934), seit Febru­ar 1926 Lenin­gra­der Partei­chef, auf dem XVII. Partei­tag im Frühjahr 1934 ins höchs­te Führungs­gre­mi­um der Partei gewählt wurde. Dieser, so heißt es im Schrift­tum, habe „teilwei­se wieder den alten libera­len Geist (belebt), der Lenin­grad in der Zeit nach der Revolu­ti­ons­pe­ri­ode zu einem kultu­rel­len und wissen­schaft­li­chen Mittel­punkt gemacht hatte, und er führte die Versöh­nungs­po­li­tik in seinem eigenen Bezirk, soweit es nur irgend ging, durch.“ (Barmi­ne, S. 353). Am 1. Dezem­ber 1934 wurde Kirov im Smol’nyj, der alten Zentra­le der Revolu­ti­on, in Lenin­grad von einem Atten­tä­ter getötet. Das bot die Gelegen­heit, die Partei­rei­ni­gung jetzt nicht mehr bloß politisch-organi­sa­to­risch, sondern auch rechts­för­mig zu exeku­tie­ren. Die offizi­el­len Unter­su­chun­gen zum Kirov-Atten­tat sind weder in den 1930er Jahren noch nach dem XX. Partei­tag (1956) zu einem überprüf­ba­ren und belast­ba­ren Ergeb­nis gekommen.

Die Prozes­se korri­gier­ten mit ihren Verur­tei­lun­gen zugleich auch die in gehei­mer Wahl getrof­fe­nen Perso­nal­ent­schei­dun­gen des XVII. Partei­tags, des „Partei­ta­ges des Sieges“ (26. Januar–10. Febru­ar 1934). Nicht nur, dass hier die ehema­li­gen Moskau­er bzw. Lenin­gra­der Sowjet­chefs Kamen­ev und Zinov’ev angeklagt wurden, auch ihre Nachfol­ger Konstan­tin Vasil’evič Uchanov (1891–1937) und Nikolaj P. Komarov (F.J. Sobinov) (1886–1937) wurden liqui­diert. Von 139 gewähl­ten Mitglie­dern und Kandi­da­ten dieses Partei­tags wurden in den drei Prozes­sen und mehre­ren nicht­öf­fent­li­chen Nachfol­ge­pro­zes­sen 99 Perso­nen angeklagt und verur­teilt, davon 44 Mitglie­der von 71, und 55 Kandi­da­ten von 68 der Parteiführung.

4. Ankla­ge

Die Ankla­ge vertrat der General­staats­an­walt der Union der Sozia­lis­ti­schen Sowjet­re­pu­bli­ken, Andrei Januar‘evič Vyšins­kij (1883–1954). Er war seit 1935 in diesem Amt. Sein Vorgän­ger war Ivan Aleksee­vič Akulov, der 1937 selbst von einem Militär­ge­richt zum Tode verur­teilt wurde. Nach dem Mord an Kirow wurde durch den Beschluss des Präsi­di­ums des Zentra­len Exeku­tiv­ko­mi­tees noch am Tag des Atten­tats eine Änderung in der Straf­pro­zess­ord­nung der Unions­re­pu­bli­ken angeord­net. Die Straf­pro­zess­ord­nung (StPO) der RSFSR in der revidier­ten Fassung vom 15. Febru­ar 1923 wurde durch Anord­nung des Zentra­len Exeku­tiv­ko­mi­tees am 10. Dezem­ber 1934 um die Artikel 466 bis 470 ergänzt. Das betraf die Erwei­te­rung von Ermitt­lungs­ver­fah­ren wegen terro­ris­ti­scher Organi­sa­tio­nen und Terror­ak­ten gegen Perso­nen und Sachen der Sowjet­macht durch Überga­be an einen Unter­su­chungs­füh­rer der Militär­staats­an­walt­schaft und die schnel­le Durch­füh­rung der Verfah­ren (§§ 466–468), die Nicht­zu­las­sung von Beschwer­den (§ 469) und schließ­lich die schnel­le Exeku­ti­on (§ 470).

Die Haupt­ankla­ge in den drei Prozes­sen bestand in dem Vorwurf der Organi­sa­ti­on einer verrä­te­ri­schen Verschwö­rung, gemäß Artikel 58–1‑a und 58–11 StGB. Das einzi­ge Beweis­ma­te­ri­al der Ankla­ge bestand in den staats­an­walt­li­chen Beschul­di­gun­gen und in den Geständ­nis­se der Angeklag­ten: „Diese Ankla­ge ist bewie­sen“, so hieß es im Schluss­plä­doy­er des dritten Prozes­ses, „durch die Geständ­nis­se aller Angeklag­ten, sogar jener, die sich nicht voll oder teilwei­se irgend­ei­nes anderen Verbre­chens schul­dig bekannt haben“ (Vyšins­kij, S. 714). Obwohl Geständ­nis­se der Königs­weg der Ankla­ge blieben, machte deren Infla­ti­on auch den Anklä­ger gelegent­lich nervös. In seinem Schluss­plä­doy­er zum dritten Prozess unter­strich Vyšins­kij seine Wendung hin zum Objek­ti­ven in einem Tatge­sche­hen mit den Worten: „Das ist eine Tatsa­che, das ist keine Selbst­be­schul­di­gung, das ist eine Tatsa­che“ (Vyšins­kij, S. 614).

5. Vertei­di­gung

Gerade Kommo­dov, Vertei­di­ger von D. D. Plentev im dritten Prozess, leiste­te es sich anfangs noch, die Argumen­ta­ti­on des Staats­an­wal­tes gelegent­lich in Frage zu stellen. Doch bald arbei­te­te die Vertei­di­gung „Hand in Hand mit Vyšins­kij und begann ihr Plädoy­er mit einer prinzi­pi­el­len Zustim­mung zur Ankla­ge­for­mel“ (Hedeler, Schau­pro­zeß, S. 51). Entlas­ten­de Passa­gen aus den Vertei­di­ger­re­den wurden im veröf­fent­lich­ten Prozess­be­richt getilgt.

6. Urteil

Im ersten Prozess wurden alle 16 Angeklag­ten zum Tode verur­teilt, die Todes­stra­fe wurde am 25. August 1936 vollstreckt. Im zweiten Prozess wurde die Todes­stra­fe über 13 Angeklag­te verhängt, das Urteil wurde am 30. Januar 1937 vollstreckt. Die Angeklag­ten Arnol‘d, Sokol’nikov und Radek wurden zu zehn Jahren Gefäng­nis verur­teilt, der Angeklag­te Stroi­l­ov zu acht Jahren; ihnen wurden außer­dem für den Zeitraum von fünf Jahren alle politi­schen Rechte entzogen.

Im dritten Prozess erhiel­ten 18 Angeklag­te die Todes­stra­fe, die am 15. März 1938 vollstreckt wurde. Die Angeklag­ten Rakovs­kij und Pletnev wurden zu zwanzig Jahren Gefäng­nis, der Angeklag­te Besso­nov zu 15 Jahren Gefäng­nis verur­teilt. Für die Dauer von fünf Jahren wurden ihnen die politi­schen Rechte entzogen.

7. Wirkung

Eine bedeu­ten­de inner­par­tei­li­che Folge der Prozes­se war, dass mit dem XVIII. Partei­tag (10.–21. März 1939 in Moskau) eine wichti­ge Änderung im Partei­sta­tut vorge­nom­men wurde, der zufol­ge „Massen­rei­ni­gun­gen“ nicht mehr legitim waren. „Es muß hier betont werden“, sagte der Nachfol­ger Kirovs in seinem Bericht an den Partei­tag (am 18. März 1939), „daß die Massen­rei­ni­gun­gen bei der Festi­gung der Partei eine gewal­ti­ge Rolle gespielt haben. (…) Die negati­ve Seite der Massen­rei­ni­gun­gen besteht darin, daß durch den kampa­gnen­mä­ßi­gen Charak­ter der Massen­rei­ni­gun­gen viele Fehler verur­sacht werden, vor allem im Sinne einer Verlet­zung des Lenin­schen Prinzips des indivi­du­el­len Heran­ge­hens an die Menschen“ (Ždanov, S. 21). Am 25. Novem­ber 1938 hatte Ežov sein Amt als Volks­kom­mis­sar des Inneren verlo­ren, am 10. April 1939 wurde er verhaftet.

Für alle Beobach­ter der Prozes­se waren die ausnahms­lo­sen, fast gleich­gül­tig offen­bar­ten Geständ­nis­se aller Angeklag­ten ein Rätsel. Als einzi­ger hat im dritten Prozess Krestins­kij einmal – eine Verhand­lungs­se­quenz lang – seine Schuld­lo­sig­keit betont. Dass sich hier eine – schreck­li­che – Manipu­la­ti­on finden lassen könnte, war vor allem bei Sympa­thi­san­ten der Sowjet-Idee völlig undenk­bar, so beispiels­wei­se Lion Feucht­wan­ger 1937: „Wenn das gelogen war oder arran­giert, dann weiß ich nicht, was Wahrheit ist“ (Feucht­wan­ger, S. 119). Die Angeklag­ten waren doch alle in Zeiten von Revolu­ti­on und Bürger­krieg gewalt- und terror­er­prob­te Akteu­re gewesen, stolz auf ihre entschlos­se­ne Umkrem­pe­lung des alten Russland. Hier standen offen­sicht­lich keine trotzi­gen Ketzer vor Gericht, die sich mit einem „Sancta Simpli­ci­tas“ oder einem „Eppur si muove!“ verab­schie­de­ten. Machten sich hier erstmals in der neueren europäi­schen Geschich­te wieder Märty­rer einer neuen Politi­schen Theolo­gie bemerkbar?

Im Ausland wurde vor allem disku­tiert, wie und als was man diese Prozes­se zu begrei­fen hätte. Übergrei­fend machte sich der Termi­nus „Schau­pro­zess“ geltend. In der deutschen Presse kam ein neuer Begriff für diese Veran­stal­tun­gen in Moskau auf: „Theater­pro­zess“. Mit dieser Bezeich­nung kam man der Wahrheit schon sehr nahe, obwohl man damals natür­lich noch nicht von dem höchst­in­stanz­li­chen „Drehbuch“ zu diesem Spekta­kel wusste. „Was soll man denken“, notier­te sich Thomas Mann, „von all diesen reuigen Geständ­nis­sen, denen das allge­mei­ne Todes­ur­teil folgte. (…) Üble Rätsel“ (Th. Mann, S. 358 f.).

Im Bild der Sowjet­uni­on machte sich sowohl bei Sympa­thi­san­ten als auch bei Gegnern die ahnungs­vol­le Einsicht Dosto­jew­skis in das „Karamasov“-Syndrom russi­scher Revolu­tio­nä­re geltend, nämlich: sie seien „nicht gewach­sen dem Aufruhr, den sie selber anzet­tel­ten“ (Dosto­jew­skij, S. 468).

8. Würdi­gung

Die Moskau­er Prozes­se sind singu­lär in der neueren europäi­schen Rechts- und Staats­ge­schich­te. Durch ihre Rechts- und Verfah­rens­pra­xis wurden die wichtigs­ten diskur­si­ven Paradig­men verlas­sen, die man neuzeit­lich mit dem Begriff des Rechts verbin­det. Dass ein General­staats­an­walt in seinem Schluss­plä­doy­er Bürger seines Landes, die ihm als Staats­füh­rer, Diplo­ma­ten, Journa­lis­ten oder Militärs gedient hatten, mit dem Satz beschimpft: „Ich forde­re, daß diese tollwü­ti­gen Hunde allesamt erschos­sen werden!“ (Vyšins­kij, S. 543) und damit auch vor die Öffent­lich­keit tritt, ist zugleich auch ein Beleg für den geistig-morali­schen Zustand eines Rechts, wenn es eben bloß Instru­ment des Macht­staats ist. Die Moskau­er Prozes­se wurden folglich von ihren Akteu­ren selbst als „ein Sieg des Stali­nis­mus“ bewer­tet (Kagano­vič, S. 217).

9. Litera­tur

Prozess­be­richt über die Straf­sa­che des trotz­kis­tisch-sinowje­wis­ti­schen terro­ris­ti­schen Zentrums, v. 19.–24. August 1936, Moskau 1936; Prozess­be­richt über die Straf­sa­che des sowjet­feind­li­chen Zentrums, v. 23.–30. Januar 1937, Moskau 1937; Prozess­be­richt über die Straf­sa­che des antiso­wje­ti­schen Blocks der Rechten und Trotz­kis­ten, v. 2.–13. März 1938, Moskau 1938; Bucha­rin-Prozess 1938, hg. v. Sch. W. Artamo­no­va u. N. W. Petrow, Moskau 2013 (russ.); Process antis­ovets­ko­go trockistsko­go centra 23–30 janvar­ja 1937, Hg. Nikolai Stari­kov. Sankt Peter­burg: Piter 2015; Sudebnyj otcet po delu antis­ovets­ko­go pravo-trockistsko­go bloka (1938). Hg. Nikolai Stari­kov. Sankt Peter­burg: Piter 2014; Politi­sches Archiv des Auswär­ti­gen Amtes, Berlin, (PA AA, Fasz. 72, 76, 106: Innen­po­li­ti­sche Verhält­nis­se SU; und 107 A 2m: Trotz­kis­ten-Prozess März 1938).

Alexan­der G. Barmi­ne, Einer der entkam, Wien (1948), S. 353; Ernst Bloch, Kritik einer Prozess­kri­tik. Hypno­se, Mesca­lin und die Wirklich­keit, in: Die neue Weltbüh­ne (Prag), Nr. 10, v. 4. März 1937, S. 294–299; Ernst Bloch, Bucharins Schluss­wort, in: Die neue Weltbüh­ne, Nr. 18, v. 5. Mai 1938, S. 558–563; Boris Souva­ri­ne, Stalins Schwei­gen, in: Das Neue Tage-Buch, 6 (1938), Heft 45 (v. 5. Novem­ber 1938), S. 1066–1071; John Dewey u. a., The Case of Leon Trots­ky. Report of Hearings on the charges made against him in the Moscow Trials. Harper & Brothers, London / New York 1937; Georgi Dimitroff, Tagebü­cher 1933–1943, hg. v. Bernhard H. Bayer­lein, Berlin 2000, Bd. 1; Fjodor M. Dosto­jew­skij, Die Brüder Karama­sov, Sämtli­che Romane u. Novel­len, Bd. 23, Leipzig 1921, S. 468; Lion Feucht­wan­ger, Moskau 1937, Amster­dam 1937, S. 119; Wladis­law Hedeler, Chronik der Moskau­er Schau­pro­zes­se 1936, 1937 und 1938. Mit einem Essay von Steffen Dietzsch, Planung, Insze­nie­rung und Wirkung, Berlin 2003; Wladis­law Hedeler, Die Szena­ri­en der Moskau­er Schau­pro­zes­se 1936–1938, in: Utopie kreativ [Berlin], Heft 81/82 (Juli/August) 1997, S. 58–75; Wladis­law Hedeler, Moskau­er Schau­pro­zeß gegen den ‚Block der Rechten und Trotz­kis­ten‘. Von Jeshows Szena­rio bis zur Verfäl­schung des Steno­gramms zum ‚Prozeß­be­richt‘, Berlin 1998; Moskau 1938. Szena­ri­en des Großen Terrors, Hg. v. Klaus Kinner, Leipzig 1999; Wladi­mir I. Lenin an Alexan­der D., Zjuru­pa, v. 24. Januar 1922, in: Lenin, Werke, Bd. 35, Berlin 1979, S. 515 (erstmals ediert 1927); Thomas Mann, Tagebü­cher 1935–1936, Hg. v. Peter de Mendels­sohn, Frankfurt/M. 1978, S. 358 f. (Eintrag v. 25. August 1936); Lazar‘ Moise­e­vič Kagano­vič an Grigo­rij Konstan­ti­no­vič (Sergo) Ordžo­nikid­se v. 4. Septem­ber 1935, in: Oleg Chlevnjuk, Das Polit­bü­ro, Hamburg 1998, S. 217; Willi Schlamm, Dikta­tur der Lüge. Eine Abrech­nung, Zürich 1937; Leopold Schwarz­schild, Der ‚Gesta­po­mann Trotz­ki‘, in: Das Neue Tage-Buch [Paris], 4 (1936), Heft 35 (v. 29. August 1936), S. 824–828; Rotbuch über den Moskau­er Prozess. Dokumen­te, gesam­melt und redigiert von L(eo). Sedow, Antwer­pen 1937 (Neudruck: Frankfurt/M. 1972 u. 1988); Josef W. Stalin, Die Technik und die Menschen (Rede am 4. Mai 1935), in: Sowjet­uni­on 1935. Reden und Berich­te, Moskau/Leningrad 1935, S. 17; Andrej J. Vyšins­kij, Gerichts­re­den, 1948, (dt. 1951), (d.i.: Schluß­p­lä­doy­ers: am 24. August 1936: S. 494–543; am 30. Januar 1937: S. 550–620; am 13. März 1938: S. 628–718); Andrej A. Ždanov, Abände­run­gen am Statut der KPdSU (B), Moskau 1939, S. 21; Russi­sche Dokumen­te zum ‚Gesta­po­mann Trotz­ki‘, in: Das Neue Tage-Buch, 4 (1936), Heft 37, S. 871–873. https://gedenkbibliothek.de/download/Dr_Otto_Wenzel_Die_Moskauer_Schauprozesse_1936_1937_und_1938_vom_25_01_2011.pdf

Steffen Dietzsch
Septem­ber 2015

Steffen Dietzsch ist Gründungs­di­rek­tor des Kondy­lis-Insti­tuts für Kultur­ana­ly­se in Berlin. 2001/02 war er erster „Fellow-in-Residence“ am Kolleg Fried­rich Nietz­sche in Weimar. Arbeits­schwer­punk­te sind Themen zu Kant & Deutschem Idealis­mus, zur Kultur­phi­lo­so­phie des XX. Jh. Zu seinen neueren Buchpu­bli­ka­tio­nen gehört „Nietz­sches Perspek­ti­ven“ (2014) und „Denkfrei­heit“ (2016).

Zitier­emp­feh­lung:

Dietzsch, Steffen: „Die Moskau­er Prozes­se, Sowjet­uni­on 1936–1939“, in: Groenewold/ Ignor / Koch (Hrsg.), Lexikon der Politi­schen Straf­pro­zes­se, https://www.lexikon-der-politischen-strafprozesse.de/glossar/bucharin-nikolai-iwanowitsch-grigori-jewsejewitsch-sinowjew-lew-borissowitsch-kamenew-alexei-iwanowitsch-rykow-leo-trotzki-georgi-leonidowitsch-pjatakow-und-karl-radek-u‑a, letzter Zugriff am TT.MM.JJJJ. ‎

Abbil­dun­gen

Verfas­ser und Heraus­ge­ber danken den Rechte­inha­bern für die freund­li­che Überlas­sung der Abbil­dun­gen. Rechte­inha­ber, die wir nicht haben ausfin­dig machen können, mögen sich bitte bei den Heraus­ge­bern melden.

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© Bukha­rin with news repor­ters, Photo by Samso­nov, verän­der­te Größe von lexikon-der-politischen-strafprozesse.de, CC0 1.0

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