Pohle, Rolf

bearbei­tet von
Hartmut Wächtler

Deutsch­land 1974
Krimi­nel­le Vereinigung
Unerlaub­ter Waffenbesitz
Rote Armee Fraktion


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Der Prozess gegen Rolf Pohle
Deutschland 1973–1974

1. Die Vorgeschichte
Rolf Pohle, geboren am 4. Januar 1942, ist für die Münch­ner Studen­ten­be­we­gung vielleicht die wichtigs­te Person. Seine Geschich­te ist exempla­risch für viele seiner Alters­ge­nos­sen, die – von der gemäßig­ten Linken in Westdeutsch­land kommend – sich immer mehr radika­li­sier­ten, bis sie vor der Entschei­dung standen, mit ihrem bishe­ri­gen Leben zu brechen oder sich anzupassen.
Pohles Eltern­haus war gutbür­ger­lich. Sein Vater ein renom­mier­ter Univer­si­täts­pro­fes­sor für Bürger­li­ches Recht und Zivil­pro­zess­recht, seine gebil­de­te Mutter war Hausfrau und sorgte für ihre vier Kinder. Rolf war der Jüngste.
Politisch kam Pohle aus der linken Sozial­de­mo­kra­tie. Er trat jedoch aus der SPD aus, als diese 1966 eine Große Koali­ti­on unter Kanzler Kurt-Georg Kiesin­ger einging. Als Student organi­sier­te er sich im LSD, dem frühe­ren Studen­ten­ver­band der FDP, der jedoch, ebenso wie der SDS aus der SPD aus seiner Mutter­par­tei ausge­schlos­sen wurde. Im LSD waren „heimat­lo­se“ Linke, die keine organi­sier­ten Kommu­nis­ten sein wollten, aber eben auch mit den herrschen­den Partei­en nichts mehr anzufan­gen wussten.
Als Jurastu­dent polari­sier­te Pohle die eher konser­va­ti­ve Münch­ner Studen­ten­schaft und ihre zum Teil reaktio­nä­ren Profes­so­ren. Er trat in teach-ins der begin­nen­den Studen­ten­be­we­gung auf und wurde 1968 Vorsit­zen­der der Studen­ten­ver­tre­tung, des AStA, der für sich ein allge­mei­nes „politi­sches Mandat“ in Anspruch nahm, also das Recht, sich zum Vietnam­krieg, zum griechi­schen Militär­putsch und zu den anste­hen­den Notstands­ge­set­zen der Großen Koali­ti­on zu äußern.
Ostern 1968 kam es wie in anderen Städten auch in München zu hefti­gen Studen­ten­un­ru­hen, ausge­löst durch das Atten­tat auf Rudi Dutsch­ke. Viele machten die Zeitun­gen aus dem Verlags­haus Axel Sprin­ger dafür mitver­ant­wort­lich. Vor allem die BILD-Zeitung mit ihrer Millio­nen­auf­la­ge hatte gegen die linken Studen­ten allge­mein und gegen Rudi Dutsch­ke als Symbol­fi­gur der Studen­ten­be­we­gung Stimmung gemacht. In München kam es bei der Ausein­an­der­set­zung mit der Polizei zu zwei bis heute ungeklär­ten Todes­fäl­len. Direkt nach den Oster­ta­gen gründe­te Rolf Pohle mit anderen die Rechts­hil­fe der APO (Außer­pa­la­men­ta­ri­sche Opposi­ti­on). Hunder­te von Demons­tran­ten waren im Verlauf der drei Demons­tra­ti­ons­ta­ge festge­nom­men worden und sahen nun Ankla­gen wegen Wider­stands, Landfrie­dens­bruchs und „Auflaufs“ (ein Delikt, das aus der Kaiser­zeit stamm­te und bestraf­te, wer sich nach Auffor­de­rung der Polizei nicht entfern­te) entge­gen. In Pohles Einzim­mer­apart­ment häuften sich die Akten von Betrof­fe­nen, die Rechts­rat und ‑beistand suchten. Er organi­sier­te regel­mä­ßi­ge Sprech­stun­den, die Erfas­sung der Perso­na­li­en und Kurzpro­to­kol­le sowie Zeugen­aus­sa­gen zu den einzel­nen Ausein­an­der­set­zun­gen. Über die zwei Todes­fäl­le veröf­fent­lich­te die Rechts­hil­fe eine eigene Dokumen­ta­ti­on mit unabhän­gi­gen Zeugen­be­rich­ten, aus denen sich ergab, dass die Polizei­ver­si­on, die alle Schuld den Demons­tran­ten gab, nicht aufrecht­zu­er­hal­ten war. Die Rechts­hil­fe vermit­tel­te auch Vertei­di­ger, die mit den Zielen der Demons­tran­ten sympa­thi­sier­ten. Sie wurde später im Rahmen der Studen­ten­ver­tre­tung fortge­führt und bestand bis zur Auflö­sung der APO fort. Die Reihe ihrer Klien­ten reich­te vom späte­ren Filme­ma­cher Wim Wenders bis zu Fritz Teufel, dem anarchi­schen Rebel­len. Sie war für viele, die sich plötz­lich mit der Staats­ge­walt in Form von Polizei und Justiz ausein­an­der­set­zen mussten, von großer Bedeu­tung und für die andere Seite ein Ärger­nis. Rolf Pohle war der Gründer und ihr Gesicht.
Wie viele andere wurde Pohle 1969 wegen der Betei­li­gung an den Anti-Sprin­ger-Protes­ten und der Belage­rung der Bild-Zeitung angeklagt, in seinem Fall aller­dings gleich wegen schwe­rem Landfrie­dens­bruchs. Es ging um den konkre­ten Vorwurf, er habe einen tonnen­ar­ti­gen Gegen­stand zum Zwecke des Barri­ka­den­baus auf die Barer­stra­ße in München gerollt. Das Schöf­fen­ge­richt verur­teil­te ihn auf der Grund­la­ge äußerst dürfti­ger Bewei­se am 27. Mai 1969 zu 15 Monaten Gefäng­nis ohne Bewäh­rung (2 Ls 7/69). Zu dieser Zeit war er schon Rechts­re­fe­ren­dar und hatte sich als Vertei­di­ger von Demons­tran­ten durch seine unkon­ven­tio­nel­le und die Justiz­ri­tua­le lächer­lich machen­de Art als Schre­cken der Münch­ner Justiz hervor­ge­tan Da er aber klug und wortge­wandt war, hatte man ihm nichts anhaben können. Das wurde jetzt anders. Das Urteil des Schöf­fen­ge­richts bedeu­te­te das Ende seiner juris­ti­schen Karrie­re, wenn es rechts­kräf­tig würde.
Kurze Zeit danach verwei­ger­te ihm das bayeri­sche Justiz­mi­nis­te­ri­um 1969/II noch vor Prüfungs­be­ginn am 10. Septem­ber 1969 den Zugang zum zweiten juris­ti­schen Staats­examen mit der Begrün­dung, mit dieser noch nicht rechts­kräf­ti­gen Verur­tei­lung könne er ohnehin nicht mehr als Jurist arbei­ten. Diese Begrün­dung war so hanebü­chen, dass das zustän­di­ge Verwal­tungs­ge­richt München am 20. Januar 1970 die Entschei­dung aufhob (Nr. 5159/69), aber es war wieder Zeit vergan­gen und der Prüfungs­ter­min vorbei. Als er dann 1970 doch zugelas­sen werden musste, fiel er mit der höchst­mög­li­chen Punkt­zahl durch. Ausschlag­ge­bend war eine verhee­ren­de Note in einer Klausur mit dem Titel „Rechts­staat oder Rechts­we­ge­staat“. Er hatte mit seinen inzwi­schen radika­len Ansich­ten nicht hinterm Berg gehal­ten. Die Klausur, die ich später einse­hen konnte, zeigte, dass er zu diesem Zeitpunkt keine Hoffnung mehr hatte, als Anwalt die Welt verbes­sern zu können.
Dann verschwand er Ende 1970 nach einer Zeit, in der er zuneh­mend den Eindruck hatte, vom Staats­schutz beschat­tet zu werden, auch wegen seiner engen Freund­schaft zu Fritz Teufel, der ein laufen­des Verfah­ren wegen eines Spreng­stoff­de­likts hatte.
Das nächs­te, was wir von ihm hörten, war die öffent­li­che Fahndung nach ihm wegen angeb­li­cher Mitglied­schaft in der RAF. Die neue Regie­rung unter Kanzler Willy Brandt hatte inzwi­schen die anhän­gi­gen ca. 5000 (Spiegel 18.1.71) Demons­tra­ti­ons­ver­fah­ren amnes­tiert, auch das von Rolf Pohle. Für seine Entschei­dung kam das Angebot an die 68er Genera­ti­on, das viele nutzten, zu spät.

2. Perso­nen
Mitwir­ken­de Richter: Vorsit­zen­der Richter Dr. Rudolf Mayer, ein souve­rä­ner Patri­arch, der mehrmals auf seine Weltkrieg II-Erfah­rung in Russland hinwies, um klarzu­ma­chen, dass ihn die Unruhe im Gerichts­saal nicht aus der Fassung bringen konnte. Er führte den Vorsitz der 5. Großen Straf­kam­mer als Staats­schutz­kam­mer des LG München I bis zu seiner Pensionierung.
Beisit­zer waren: Dr. Gehrig und Dr. Fuchs, die wenig hervor­tra­ten. Dr. Gehrig lande­te später am OLG München, Dr. Fuchs saß einer Straf­kam­mer vor.
Die Schöf­fen Franz Probst und Fritz Böhm traten nicht weiter in Erscheinung.
Mitwir­ken­de Staats­an­wäl­te: Erster Staats­an­walt Trutz Lancel­le, später Vizeprä­si­dent des OLG München, und Staats­an­walt Wolfgang Wahl, später Vorsit­zen­der einer Großen Straf­kam­mer und am Ende seiner Karrie­re dadurch aufge­fal­len, dass er während eines laufen­den Prozes­ses einer Zeugin, die zugleich die Freun­din des Angeklag­ten war, per Smart­pho­ne Avancen machte. Dies führte zu seinem Ausschei­den aus der Strafjustiz.
Die Vertei­di­ger: Frank Niepel, damals einer der wenigen erfah­re­nen jungen Straf­ver­tei­di­ger, die für Angehö­ri­ge der APO in Demons­tra­ti­ons­pro­zes­sen auftra­ten. Eggert Langmann, ebenfalls in politi­schen Verfah­ren in München tätig und mit Rolf Pohle aus der gemein­sa­men SPD- und LSD-Zeit befreun­det. Hartmut Wächt­ler, ich war damals ein knappes halbes Jahr Anwalt, und der Pohle-Prozess war mein erstes größe­res Verfah­ren. Mit Rolf Pohle war ich aus der LSD-Zeit befreun­det und arbei­te­te jahre­lang in der Rechts­hil­fe mit.
Der Vorsit­zen­de Dr. Mayer hatte uns auf unseren Wunsch alle drei zu Pflicht­ver­tei­di­gern bestellt, angesichts der zu erwar­ten­den Länge des Verfah­rens eine sinnvol­le Maßnah­me. Zwangs­ver­tei­di­ger wie später in Stamm­heim waren kein Thema.
Dauer des Prozes­ses: Vom 24.9.1973 bis zum 1.3.1974. An 55 Tagen wurde verhandelt.

3. Ankla­ge
Die Ankla­ge laute­te auf Unter­stüt­zung der Roten Armee Frakti­on (RAF) durch den Kauf von Waffen, durch Anmie­tung von konspi­ra­ti­ven Garagen und durch Beschaf­fung von Polizei­uni­for­men aus einem Kostüm­ver­leih, dazu einige Delik­te zur Verschleie­rung seiner Identi­tät im Unter­grund und zum Erwerb der Waffen wie Urkun­den­fäl­schun­gen und unbefug­tes Titel­füh­ren und schließ­lich ein nicht erheb­li­cher Wider­stand bei seiner erken­nungs­dienst­li­chen Behand­lung. Die Waffen waren zum Teil bei der RAF und der Bewegung 2. Juni aufge­taucht, zum Teil blieben sie verschwun­den. Die Unifor­men wurden in Wohnun­gen gefun­den, die der RAF gedient haben sollen.

4. Der Prozess
Rolf Pohle war am 17.12.1971 in Ulm festge­nom­men worden, wo er mit falschen Papie­ren versucht hatte, eine Waffe zu kaufen. Der Verkäu­fer war misstrau­isch gewor­den und hatte die Polizei gerufen. Pohle hatte versucht, zu fliehen. Er war im Besitz einer Pisto­le, die er jedoch nicht einge­setzt hatte.
Zum Beginn des Prozes­ses am 24.9.73 saß Pohle seit 21 Monaten in U‑Haft. Die meiste Zeit hatte er in Einzel­haft in dem frühe­ren Zucht­haus Strau­bing verbracht, völlig isoliert von allen Mitge­fan­ge­nen. Acht Monate davon hatte er in der sogenann­ten psych­ia­tri­schen Abtei­lung zugebracht, weil er sich an einem Hunger­streik von Mitge­fan­ge­nen betei­ligt hatte, bei dem es allge­mein um eine Verbes­se­rung der Haftbe­din­gun­gen ging. Die Vollzugs­be­am­ten hatten Sprech­ver­bot. Außer seiner Mutter und seinen Anwäl­ten durfte ihn niemand besuchen. Die Behand­lung Pohles war entwür­di­gend. Regel­mä­ßig vollstän­di­ges Entklei­den, auch vor und nach Besuchen, Unter­bin­dung aller Kontak­te zur unmit­tel­ba­ren Außen­welt, auch akusti­sche Abschir­mung vom üblichen Betrieb in der JVA. Die Folge dieser Haftbe­din­gun­gen war ein psychi­scher Zustand, der jede ordent­li­che Vorbe­rei­tung auf das Verfah­ren unmög­lich machte. Er war fahrig, unkon­zen­triert und nicht imstan­de, einen Gedan­ken zu Ende zu denken oder zu formu­lie­ren. Das stell­te uns Vertei­di­ger vor das Problem, wie man ihn vertei­di­gen sollte in einem Verfah­ren, in dem man ihm vorwarf, eine revolu­tio­nä­re und bewaff­ne­te Gruppe unter­stützt zu haben, das also ein genuin politi­sches Delikt zum Gegen­stand hatte.
Der Prozess war eines der ersten Verfah­ren, bei denen es darum ging, den Charak­ter der RAF als krimi­nel­le Verei­ni­gung gem. § 129 StGB (heute: terro­ris­ti­sche Verei­ni­gung gem. § 129a) festzu­schrei­ben. Für die Justiz eine Art Blaupau­se für den im folgen­den Jahr begin­nen­den Stamm­heim-Prozess in Stutt­gart, aller­dings noch zu den alten prozes­sua­len Bedin­gun­gen der Ankla­ge zur Staats­schutz­kam­mer des LG durch die örtli­che Staats­schutz­ab­tei­lung der Staats­an­walt­schaft München und nicht durch die Bundes­an­walt­schaft zum OLG wie später in Stamm­heim. Die Sankti­ons­mög­lich­kei­ten gegen die Vertei­di­ger gem. §§ 138a ff. StPO, die Beschrän­kung der Zahl der Vertei­di­ger, die Kommu­ni­ka­ti­ons­ein­schrän­kun­gen und das Verbot der Mehrfach­ver­tei­di­gung bestan­den noch nicht.
Für die Vertei­di­gung stell­te sich die Frage, wie der Prozess unter den gegebe­nen außer­ge­wöhn­lich widri­gen Umstän­den zu führen war. Rolf Pohle selbst wollte sich in keiner Weise äußern. Abgese­hen davon, dass er gesund­heit­lich wegen der Folgen der Isola­ti­on kaum dazu in der Lage gewesen wäre, war für uns auch klar, dass er weder bereit war, sich mit der Politik der RAF öffent­lich zu solida­ri­sie­ren noch, sich von ihr zu distan­zie­ren, was ihm sicher zugute­ge­kom­men wäre.
Selbst­ver­ständ­lich war, die Zeugen ausführ­lich zu befra­gen. Es handel­te sich meist um Angestell­te der Waffen­ge­schäf­te, um Garagen­ver­mie­ter und sonsti­ge „Wieder­erken­nungs­zeu­gen“. Es ging aber auch darum, der Behaup­tung der Ankla­ge, man habe es mit einem gewöhn­li­chen Verbre­chen zu tun, etwas entge­gen­zu­set­zen. Da Pohle weder in der Lage noch Willens war, sich zu seiner Motiva­ti­on oder auch nur zum Hinter­grund seiner bishe­ri­gen Konflik­te mit der Justiz zu äußern, entschlos­sen wir Vertei­di­ger uns, wenigs­tens in allge­mei­ner Form zum politi­schen Background Stellung zu nehmen. Wir schil­der­ten aus unserer Sicht die Entste­hungs­be­din­gun­gen der RAF und ähnli­cher Gruppen und wiesen auf den Anteil der Gesell­schaft und des Staates daran hin. Dies sollte in Form einer Erwide­rung auf die Verle­sung der Ankla­ge geschehen.
Am ersten Tag kam es bereits zu Zwischen­ru­fen und Unruhe im Saal, als Pohle erschien und auf den ersten Blick seine desola­te Verfas­sung sicht­bar wurde. Der Vorsit­zen­de ließ den Saal räumen, was nicht ohne Lärm und Protest vonstat­ten­ging. StA Wahl, der als zweiter StA neben dem erfah­re­ne­ren EStA Lancel­le die Ankla­ge vertrat, wollte dabei den Vertei­di­ger RA Niepel festneh­men lassen, auf Frage fiel ihm nichts Besse­res ein als „zur Feststel­lung seiner Perso­na­li­en wegen Störung einer Amtshand­lung“ anzuge­ben. Niepel war nämlich aufge­stan­den und wollte beruhi­gend auf eine Zuhöre­rin einwir­ken, die gerade hinaus­ge­scho­ben wurde. Die dann einge­tre­te­ne Pause ließ die Gemüter abkühlen.

5. Die Verteidigung
Wir Vertei­di­ger verla­sen unsere Eröff­nungs­er­klä­run­gen. Wir schil­der­ten die skanda­lö­sen Haftbe­din­gun­gen und versuch­ten, aus unserer Sicht zu erklä­ren, weshalb es zu Bewegun­gen wie der RAF (die damals noch Baader-Meinhof-Bande genannt werden sollte), gekom­men war. Der Vorsit­zen­de reagier­te auf die offen­ba­ren Haftschä­den Pohles, indem er mit sofor­ti­ger Wirkung die Isola­ti­ons­be­din­gun­gen aufhob. Die StA reagier­te auf unseren politi­schen Erklä­rungs­ver­such, den sie erstaun­li­cher­wei­se „anarchis­tisch“ nannte, indem sie den Text an das damals noch „Ehren­ge­richt“ genann­te Berufs­ge­richt für Anwäl­te übergab. Die Anschul­di­gungs­schrift gegen alle drei Vertei­di­ger mit dem Ziel der Entfer­nung aus dem Beruf folgte in Kürze.
Pohle selbst verlas statt einer Einlas­sung ein Gedicht, das sich auch zur Gänze im Urteil findet:

„Mein Name ist Mensch
Und ich habe viele Schwes­tern und ich habe viele Brüder;
Meine Väter sind schwarz und meine Mütter sind gelb
meine Brüder sind rot und meine Schwes­tern sind hell
Ich bin über zehntau­send Jahre alt und mein Name ist Mensch …“

Der Text war 1970 von der Band Ton Steine Scher­ben für einen Song Rio Reisers verwandt worden. Das Gericht ist dem offen­bar nachge­gan­gen, denn in den Gründen wird angemerkt, er stamme ursprüng­lich von Eldridge Cleaver, dem Mitbe­grün­der der Black Panther Party. Heute findet sich der Text auf Pohles Grabstein auf dem Fried­hof in Athen.

Nachdem ein Antrag der Vertei­di­gung, die Verhand­lung auf Band zu proto­kol­lie­ren, abgelehnt worden war, begann die Beweis­auf­nah­me. Vernom­men wurden 65 Zeugen, zehn Sachver­stän­di­ge, verle­sen und in Augen­schein genom­men wurden eine Unmen­ge von Urkun­den (u.a. Auszü­ge aus dem Minihand­buch der Stadt­gue­ril­la von Carlos Marig­hel­la, in dem erklärt wurde, weshalb es in Südame­ri­ka gerecht­fer­tigt und notwen­dig war, bewaff­ne­ten Wider­stand gegen die herrschen­den Dikta­tu­ren zu leisten. Das Buch wurde tatsäch­lich unter den Linken viel disku­tiert) und Licht­bil­der. Rolf Pohle wurde wegen zahlrei­cher Belei­di­gun­gen des Gerichts, der StA und der als Zeugen anwesen­den Polizei­be­am­ten elfmal von der Verhand­lung ausgeschlossen.

Aus dem Umkreis der RAF wurden einige wenige „Überläu­fer“ gehört, nament­lich Heinz Ruhland und Hans-Peter Konie­cz­ny und einige gestän­di­ge Unter­stüt­zer, deren Aussa­ge vor den Ermitt­lungs­rich­tern verle­sen wurde. Die Zugehö­rig­keit einiger bekann­ter RAF-Angehö­ri­ger zur Gruppe wurde anhand von Aussa­gen der „Überläu­fer“ sowie von Spuren festge­stellt, die sie hinter­las­sen hatten.

Das Gericht stand vor dem Problem, dass alle unmit­tel­bar an den vorge­wor­fe­nen Waffen­käu­fen betei­lig­ten Perso­nen – mit Ausnah­me des letzten, bei der Pohle festge­nom­men worden war und eines weite­ren Falles, bei dem der Zeuge jedoch nur mittel­bar am Kauf der Waffe betei­ligt war – Rolf Pohle in der Haupt­ver­hand­lung nicht wieder­erkann­ten oder sich jeden­falls nicht sicher waren. Es gab jedoch eine Reihe von Indizi­en wie Unter­schrif­ten, ähnli­che Licht­bil­der auf den gefälsch­ten Waffen­schei­nen und Angaben der Verkäu­fer zur Person des Käufers, die auf Pohle zutra­fen. Im Urteil heißt es, jedes Indiz für sich hätte nicht für alle Verur­tei­lun­gen ausge­reicht, in „ihrem Zusam­men­tref­fen“ seien sie jedoch „voll ausrei­chend“ gewesen für eine Verurteilung.
Freige­spro­chen wurde Pohle in einem bedeut­sa­men Waffen­kauf­fall, bei dem es um einen Revol­ver ging, mit dem im Zusam­men­hang mit der Festnah­me des RAF-Mitglieds Manfred Grashof am 2.3.1972 ein Polizei­be­am­ter erschos­sen wurde. Hier reich­ten die Indizi­en dem Gericht nicht aus.

In den „Garagen­fäl­len“ erfolg­te die Verur­tei­lung im Wesent­li­chen aufgrund von Schrift­gut­ach­ten der Einzah­lungs­be­le­ge, mit denen die Mieten gezahlt worden waren.

Etwa in der Mitte des Prozes­ses zeich­ne­te sich ab, dass die Staats­an­walt­schaft in einer gewis­sen Beweis­not war. Die vorge­la­de­nen Waffen­ver­käu­fer waren bei ihren Aussa­gen unsicher, was die Person Pohles als Käufer betraf. Zur Frage einer Verbin­dung zur RAF wusste man nur, dass die Waffen zum Teil dort gelan­det waren und die angemie­te­ten Garagen und Unifor­men von der RAF benutzt wurden.
Dann tauch­te der Zeuge Brock­mann auf. Seine polizei­li­chen Angaben waren den Prozess­be­tei­lig­ten bisher unbekannt. In den Akten gab es keinen Hinweis auf ihn. Es stell­te sich heraus, dass Brock­mann angab, nicht selbst in der RAF tätig gewesen zu sein, sondern mit einer Berli­ner Aktivis­tin namens Ina Siepmann und anderen eine eigene Gruppe gebil­det zu haben. Bezüg­lich Pohle wusste er zu berich­ten, dieser habe wohl Waffen beschafft, sei aber im Herbst 1971 wegen „Unzuver­läs­sig­keit“ aus der RAF gewor­fen worden. Dies habe er von jemand aus dem Umkreis mitge­teilt bekom­men, von wem, wisse er nicht mehr. Pohle habe dann die neue Berli­ner Gruppe, die angeb­lich keinen Namen hatte, noch mit einigen Waffen versorgt. Der Vorsit­zen­de kommen­tier­te diese Aussa­ge mit dem trocke­nen Satz „Wer rausge­wor­fen wird, muss vorher drin gewesen sein“ und gab einen Hinweis nach § 265 StPO, statt Unter­stüt­zung käme nun auch Mitglied­schaft in der RAF in Betracht.
Die Bedeut­sam­keit des Zeugen Brock­mann ergab sich aus den Umstän­den: Das erste und einzi­ge Mal in meiner Laufbahn als Vertei­di­ger wurde eine Haupt­ver­hand­lung am Samstag angesetzt, da man offen­bar annahm, den Zeugen besser schüt­zen zu können. Er wurde mit dem Hubschrau­ber an- und abtrans­por­tiert, der in einem abgesperr­ten Gelän­de lande­te. Es gab keine anderen Aussa­gen von ihm in anderen Verfah­ren, obwohl er mehrfach als Kronzeu­ge aufge­tre­ten war. Die Vertei­di­ger wussten nichts zu seiner Vorge­schich­te und konnten ihn dazu nicht befra­gen. Alle Fragen der Vertei­di­ger nach den Umstän­den seiner eigenen Verhaf­tung und Verstri­ckung in die RAF oder späte­re Taten wurden von ihm nach § 55 StPO abgeblockt, alle Auskünf­te über ihn von der StA verwei­gert, die darin vom Gericht gestützt wurde. Es war klar, dass Brock­mann für diese Ankla­ge und weite­re Verfah­ren einer der wichtigs­ten Belas­tungs­zeu­gen war, da er angab, selbst Teil der später sich bilden­den Berli­ner Gruppie­rung mit Kontakt zur RAF gewesen zu sein und damit über Insider­wis­sen zu verfü­gen. Man wollte ihn ganz offen­sicht­lich nicht „verschlei­ßen” sondern schonen und „frisch halten“, denn er wurde noch in anderen Verfah­ren gebraucht. Nur damit ist zu erklä­ren, dass unsere Anträ­ge, seine Aussa­gen in den anderen Verfah­ren beizu­zie­hen, als „bedeu­tungs­los“ abgewie­sen wurden. Das Gericht argumen­tier­te, nach Auskunft der StA habe Brock­mann in den anderen Verfah­ren nichts über Pohle gesagt, da man ihn nicht dazu befragt hatte. Unsere Anträ­ge seien deshalb reine „Beweis­er­mitt­lungs­an­trä­ge“, denen nachzu­ge­hen die Aufklä­rungs­pflicht nicht gebiete.
Die Straf­kam­mer hielt Brock­mann für unein­ge­schränkt glaub­wür­dig, obwohl sie natür­lich über ihn und seine Vergan­gen­heit genau­so wenig wusste wie die Vertei­di­gung. Die Hilflo­sig­keit bei der Beurtei­lung des Zeugen wird beson­ders deutlich bei der Erörte­rung seiner Aussa­gen in Bezug auf die Bewegung 2. Juni. Brock­mann gab vor dem LG München an, nicht Mitglied dieser Gruppe gewesen zu sein. Seine Gruppe habe keinen Namen gehabt. Tatsäch­lich war er soeben wegen Mitglied­schaft im 2. Juni von einem Berli­ner Gericht verur­teilt worden und zwar sollte die Gruppe aus eben den Perso­nen bestehen, mit denen er eine Gruppe „namen­los“ gegrün­det haben wollte. Es war eindeu­tig, dass Brock­mann auf diese Weise verhin­dern wollte, dass ihm alle Taten des 2. Juni zugerech­net würden. Statt diesen nahelie­gen­den Schluss zu ziehen, der natür­lich die Glaub­wür­dig­keit Brock­manns beein­träch­tigt hätte, zieht sich die Straf­kam­mer hinter das Argument zurück, sie kenne ja die Berli­ner Urteils­be­grün­dung nicht und wisse nicht, was es damit auf sich habe. Die Beizie­hung der Brock­mann-Verfah­rens­ak­ten und der anderen Verfah­rens­ak­ten, in denen er als Zeuge aufge­tre­ten ist, lehnte das Gericht ab. Damit verschloss es sich auch selbst die Möglich­keit, nachzu­for­schen, ob die Brock­mann-Aussa­gen glaub­wür­dig waren oder nicht. In einem Revisi­ons­ver­fah­ren wäre diese Frage mögli­cher­wei­se relevant geworden.
Zur Struk­tur und den Zielen der RAF stütz­te sich das Gericht wesent­lich auf den Zeugen Karl-Heinz Ruhland. Der war selbst wegen seiner RAF-Betei­li­gung verur­teilt aber schon wieder auf freiem Fuß. Im Urteil findet sich die denkwür­di­ge Bemer­kung, er werde „von seinem Vertei­di­ger finan­zi­ell unter­stützt“. Er wurde trotz zahlrei­cher Verbre­chen wegen seiner Hilfe bei der Überfüh­rung von RAF-Mitglie­dern 1974 begna­digt. Das Gericht hatte keine Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit.

6. Urteil
So kam es schließ­lich am 1. März 1974 nach 55 Verhand­lungs­ta­gen zum Urteil. Rolf Pohle wurde wegen fast aller angeklag­ter Delik­te und zusätz­lich noch wegen Mitglied­schaft statt nur der angeklag­ten Unter­stüt­zung der RAF zu einer Freiheits­stra­fe von sechs Jahren und fünf Monaten verur­teilt. Im Urteil finden sich Angaben zur Struk­tur und Motiva­ti­on der RAF. Die Gruppe „verstand sich als revolu­tio­nä­re politi­sche Organi­sa­ti­on, die zusam­men mit den Unter­drück­ten in aller Welt den Kampf gegen den Imperia­lis­mus und Monopol­ka­pi­ta­lis­mus führen, die Massen für die Revolu­ti­on mobili­sie­ren und den bewaff­ne­ten Kern der revolu­tio­nä­ren Bewegung schon jetzt aufbau­en müsse.“ (Urteil, S.7)
Mit dieser Defini­ti­on wären die Mitglie­der der RAF vermut­lich einver­stan­den gewesen. Still­schwei­gend ließ das Gericht damit auch die These der Ankla­ge fallen, es habe sich um „rein krimi­nel­le“ Taten gehan­delt. Im Übrigen subsu­mier­te das Urteil die geschil­der­ten Taten unter die einschlä­gi­gen Paragra­fen des StGB, was nicht beson­ders schwer­fiel, und enthielt sich jeden Kommen­tars zu den Taten und Zielen oder der Motiva­ti­on des Angeklag­ten. Der Prozess war – abgese­hen von der Behand­lung des Zeugen Brock­mann – einiger­ma­ßen geord­net und im Rahmen der bis dahin gelten­den StPO über die Bühne gegan­gen. Wenige Monate später, im Dezem­ber 1974 verab­schie­de­te der Deutsche Bundes­tag im Hinblick auf den unmit­tel­bar bevor­ste­hen­den Prozess gegen die führen­den RAF-Mitglie­der in Stutt­gart-Stamm­heim einstim­mig eine Serie von neuen Verfah­rens­vor­schrif­ten, die sämtlich darauf abziel­ten, die Vertei­di­gung in derar­ti­gen politi­schen Verfah­ren zu schwä­chen und im Falle Stamm­heim sogar zu zerschlagen.

7. Wirkung und Würdigung
Die Vertei­di­gung wollte in Revisi­on gehen. Vor allem die proble­ma­ti­sche Einfüh­rung des Kronzeu­gen Brock­mann bot sich dafür an. Rolf Pohle verzich­te­te auf eine Revisi­ons­be­grün­dung, so dass das Urteil durch Beschluss des 3. Straf­se­nats unter dem Vorsit­zen­den Schar­pen­seel am 22.1.1975 rechts­kräf­tig wurde. Er hatte jede Hoffnung auf eine Korrek­tur der Entschei­dung aufgegeben.
In der Folge wurde Pohle als Straf­ge­fan­ge­ner wieder in die JVA Strau­bing verlegt. Immer­hin blieben die Haftbe­din­gun­gen ähnlich wie die der Mitge­fan­ge­nen. Er war nicht isoliert, konnte arbei­ten und mit den anderen in der Freizeit zusam­men sein. Das hatte er auch gewollt, da er jede Art von Sonder­haft­be­din­gun­gen für die wegen politi­scher Delik­te Verur­teil­ten ablehn­te. Dass die Leitung der JVA ein beson­de­res Auge auf ihn warf, war klar. Die gesetz­li­chen Hafter­leich­te­run­gen wie Ausgang und Urlaub gab es für ihn während der gesam­ten Haftzeit nicht.
Am 27.2.1975 wurde der Berli­ner CDU-Politi­ker Peter Lorenz entführt. Die Bewegung 2. Juni übernahm die Verant­wor­tung und forder­te die Freilas­sung von sechs politi­schen Gefan­ge­nen sowohl aus der RAF als auch aus der Bewegung 2. Juni, ein Flugzeug und den Berli­ner Pfarrer, SPD-Politi­ker und ehema­li­gen Regie­ren­den Bürger­meis­ter Heinrich Albertz als Beglei­ter der Entlas­se­nen bis zu deren unver­sehr­ter Ankunft an einem noch unbekann­ten Ziel. Außer­dem forder­te man 120.000 DM. Nach einigem Zögern stimm­te die Bundes­re­gie­rung den Bedin­gun­gen des Austau­sches zu, um das Leben von Peter Lorenz zu retten. Der Berli­ner Ex-Anwalt Horst Mahler, der zuvor wegen Banküber­fäl­len im Rahmen der RAF-Aktivi­tä­ten zu einer hohen Haftstra­fe verur­teilt worden war, lehnte den Austausch ab, weil er sich inzwi­schen von der RAF gelöst und sich den Maois­ten angeschlos­sen hatte. Es waren also noch fünf Gefan­ge­ne, die zum Flugha­fen Frankfurt/Main gebracht wurden, von wo aus der Abflug statt­fin­den sollte, unter ihnen auch Rolf Pohle. Ich hatte zuvor Kontakt zu ihm und wusste, dass er von der Entwick­lung völlig überrascht war und zunächst befürch­te­te, es hande­le sich um eine Falle der Sicher­heits­be­hör­den. Seine Zweifel wurden offen­bar in Frank­furt zerstreut, und er trat nun als Sprecher der Gruppe auf. Dabei kam es zu einem skurri­len Zwischen­fall mit erheb­li­chen Folgen: Der BKA-Beamte, der das gefor­der­te Geld überbrin­gen sollte, zweig­te 20.000 DM ab mit dem Argument, ein Gefan­ge­ner sei weniger dabei. Pohle bestand auf der gesam­ten Summe von 120.000 DM, wie es vom 2. Juni gefor­dert worden war, der Beamte gab nach. Die Gruppe flog ab und lande­te nach einiger Irrfahrt in Aden (Südje­men). Heinrich Albertz kehrte zurück, und Peter Lorenz wurde unver­sehrt freige­las­sen. Die fünf Ex-Gefan­ge­nen verschwanden.
Rolf Pohle tauch­te im Juli 1976 wieder auf. Ein Münch­ner hatte ihn auf der griechi­schen Insel Mykonos erkannt und an die deutschen Behör­den gemel­det. Dem sagen­um­wo­be­nen Privat­agen­ten Werner Mauss, der nach Griechen­land entsandt worden war, gelang es in Zusam­men­ar­beit mit den griechi­schen Sicher­heits­be­hör­den, ihn in Athen aufzu­spü­ren und festneh­men zu lassen. Er war unbewaff­net. Deutsch­land beantrag­te seine Auslie­fe­rung. Der griechi­sche Staats­ge­richts­hof Areopag hatte darüber zu entschei­den. Es ist das Schick­sal Rolf Pohles gewesen, dass er erneut im Zentrum eines Verfah­rens stand, das – auf ganz andere Weise als sein Münch­ner Straf­pro­zess – von der Öffent­lich­keit als Pilot­ver­fah­ren angese­hen wurde.
Im Athener Prozess ging es darum, ob Rolf Pohle aufgrund eines politi­schen Delik­tes verur­teilt worden war. Zu dieser Zeit galt in Griechen­land wie in anderen europäi­schen Rechts­staa­ten noch der libera­le Grund­satz, dass kein Mensch an einen anderen Staat ausge­lie­fert werden konnte, wenn er wegen eines politi­schen Delikts verur­teilt oder angeklagt war. Der EU-Grund­satz der gegen­sei­ti­gen Anerken­nung von Entschei­dun­gen anderer Mitglieds­staa­ten galt noch nicht. Der Areopag hatte also diese Frage zu entschei­den. Die Vertei­di­gung berief sich selbst­ver­ständ­lich auf den politi­schen Charak­ter der Taten und des Verfah­rens, die Ankla­ge stütz­te sich auf die von den deutschen Sicher­heits­be­hör­den aufge­stell­te Behaup­tung, Pohles Delik­te seien nicht politisch, sondern gewöhn­li­che Kriminalität.
Die Vertei­di­gung, die aus angese­he­nen Athener Rechts­an­wäl­ten bestand, die später teilwei­se hohe Staats­äm­ter beklei­de­ten, bot RA Chris­ti­an Ströbe­le aus Berlin und mich als sachver­stän­di­ge Zeugen auf. Es fiel uns nicht schwer, anhand des gesam­ten Straf­ver­fah­rens nachzu­wei­sen, dass es sich um genuin politi­sche Delik­te handel­te: Ermit­telt hatte der Staatschutz der Kripo, angeklagt die Staats­schutz­ab­tei­lung der StA, verhan­delt worden war vor der Staats­schutz­kam­mer gem. § 74a GVG a.F. mit ihrer beson­de­ren Zustän­dig­keit vom Hochver­rat bis zur krimi­nel­len Verei­ni­gung. Schließ­lich bot das Urteil selbst die beste Begrün­dung. Wer einer Organi­sa­ti­on angehört, die den Umsturz plant und die Revolu­ti­on mittels bewaff­ne­ten Kampfes voran­trei­ben will, wie es im Urteil heißt, erfüllt in gerade­zu exempla­ri­scher Weise die Defini­ti­on eines „politi­schen“ Delikts, nicht anders als ein des Hochver­rats Angeklag­ter. Wir konnten den hohen Areopag offen­bar überzeu­gen. Die Auslie­fe­rung wurde abgelehnt.
Der Prozess in Athen hatte hohe Wellen geschla­gen. Dazu trug nicht unwesent­lich bei, dass die deutsche Regie­rung ganz offen­sicht­lich Druck ausüb­te. Staats­se­kre­tär Klaus Bölling als Sprecher der Bonner Regie­rung reiste im Auftrag von Kanzler Helmut Schmidt an, um die Griechen auf Linie zu bringen. Wie sich die deutsche Regie­rung das vorge­stellt hatte, wurde schnell klar: In den Athener Zeitun­gen erschien ein Brief des deutschen Kanzlers an die griechi­sche Regie­rung, in dem die Bedeu­tung des Pohle-Verfah­rens für den Kampf gegen den Terro­ris­mus hervor­ge­ho­ben und Griechen­land unmiss­ver­ständ­lich damit gedroht wurde, die bevor­ste­hen­de Aufnah­me in die EG infra­ge zu stellen, wenn Griechen­land nicht koope­rie­re. Der von Bölling überbrach­te Brief schlug ein wie eine Bombe. Die Griechen – ohnehin bis heute wegen ihrer Weltkrieg ‑II – Erfah­run­gen empfind­lich gegen wirkli­che oder vermu­te­te deutsche Übermacht in Europa – waren empört. Das „Modell Deutsch­land“ mit seinen repres­si­ven Stamm­heim-Geset­zen erschien ihnen alles andere als erstre­bens­wert – sie waren gerade einer Militär­dik­ta­tur entron­nen. Überall in Athen erschie­nen Flugblät­ter und Anschlä­ge „Freiheit für Pohle“. Er war zum Symbol derje­ni­gen Griechen gewor­den, die sich gegen die befürch­te­te deutsche Bevor­mun­dung und Dominanz im Falle des EG-Beitritts zur Wehr setzten – ein Gefühl, das auch die letzten Jahre wieder virulent gewor­den ist. Leider war er auch ein Symbol für die Niede­run­gen der Realpo­li­tik. Auf Beschwer­de der StA hob eine andere Kammer des Areopags die Entschei­dung der Vorin­stanz auf, alle Argumen­te der Vertei­di­gung, diesmal unter­stützt von RA Kurt Groene­wold und RA Otto Schily als deutschen Sachver­stän­di­gen, blieben erfolg­los. Unmit­tel­bar danach wurde Pohle ins Flugzeug gesetzt und lande­te wieder in der deutschen JVA. Damit ähnlich peinli­che Entschei­dun­gen wie das erste Urteil des Areopags sich nicht mehr wieder­hol­ten, sorgte die neu entstan­de­ne EU vor: Gem. Art. 1 und 2 des 1977 verab­schie­de­ten Europäi­schen Überein­kom­mens zur Bekämp­fung des Terro­ris­mus wird ausdrück­lich definiert, dass Akte der Gewalt nicht (mehr) unter politi­sche Delik­te fallen, so dass es kein Auslie­fe­rungs­hin­der­nis mehr gibt. Der Hitler-Atten­tä­ter Georg Elser wäre nach dieser Defini­ti­on ein gewöhn­li­cher Krimineller.
Damit war Pohles Geschich­te nicht zu Ende. In Deutsch­land erhob die StA München Ankla­ge gegen ihn wegen räube­ri­scher Erpres­sung. Grund­la­ge war seine Rolle auf dem Frank­fur­ter Flugha­fen in Bezug auf die zurück­ge­hal­te­nen 20.000 DM. Deshalb verur­teil­te ihn eine andere Straf­kam­mer des LG München I zu einer zusätz­li­chen Haftstra­fe von 3 1/2 Jahren. Eine Vertei­di­gung durch Anwäl­te seines Vertrau­ens wollte er nicht, weil er sie nach seinen Erfah­run­gen mit der bayeri­schen Justiz für sinnlos hielt. Beide Strafen saß er bis auf den letzten Tag ab, ohne auch nur einmal Urlaub oder Ausgang erhal­ten zu haben. Eine frühzei­ti­ge Entlas­sung lehnte die bayeri­sche Justiz stets ab.
Nach seiner Entlas­sung ging Pohle nach Athen, wo er sich gut aufge­nom­men fühlte und sich als Überset­zer und priva­ter Deutsch­leh­rer durch­schlug. Er starb 2004 nach langer Krank­heit. Bis zuletzt war er von seinen griechi­schen Freun­den gepflegt und versorgt worden.

8. Quellen und Literatur
Urteil des AG München gegen Rolf Pohle am 27. Mai 1969, in: Zeitschrift für Rechts­po­li­tik (ZRP), 2. Jg. Heft 7., S. 166.
Pohle, Rolf / Zogou, W.: Mein Name ist Mensch, das Inter­view, Berlin 2002.
Rolf Pohle. Der Münch­ner Studen­ten­füh­rer, von D. Schrö­der, BR 2008.

Held, Hans-Peter: Pohle-Prozess, Arbeits­un­ter­la­gen Nr. 4 der Rechts­hil­fe München und des Arbeits­krei­ses Kriti­sche Juris­ten München, München, 1969.
Wächt­ler, Hartmut: Wider­spruch, als Straf­ver­tei­di­ger in politi­schen Prozes­sen, Berlin 2018.
Wächt­ler, Hartmut: Rolf Pohle, ein Leben in der „Bleier­nen Zeit“, in: Geschich­te quer, 10 (2002), S. 47–48.

Hartmut Wächt­ler
Juni 2021

Hartmut Wächt­ler studier­te Jura in Berlin und München. Schon vor seiner Zulas­sung als Anwalt engagier­te er sich in der studen­ti­schen Rechts­hil­fe. Er war Vorstands­mit­glied in der Initia­ti­ve Bayeri­scher Straf­ver­tei­di­ger und Straf­ver­tei­di­ge­rin­nen und im Republi­ka­ni­schen Anwäl­tin­nen- und Anwäl­te­ver­ein. Seit 2019 ist er Richter am Bayeri­schen Verfas­sungs­ge­richts­hof. Er lebt und arbei­tet in München und Niederbayern.

Zitier­emp­feh­lung:

Wächt­ler, Hartmut: „Der Prozess gegen Rolf Pohle, Deutsch­land 1973–1974“, in: Groenewold/ Ignor / Koch (Hrsg.), Lexikon der Politi­schen Straf­pro­zes­se, https://www.lexikon-der-politischen-strafprozesse.de/glossar/pohle-rolf/, letzter Zugriff am TT.MM.JJJJ. ‎

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