Katzenberger, Leo

bearbei­tet von
Dr. Martin Luber

Deutsch­land 1942
Nürnber­ger Rassegesetze
Volksschädlingsverordnung
Rassenschande
Sonder­ge­richt Nürnberg

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Der Prozess gegen Leo Katzenberger
Deutschland 1942

1. Prozessgeschichte/Prozessbedeutung
Das Urteil gegen den jüdischen Schuh­händ­ler Lehmann „Leo“ Katzen­ber­ger durch das Sonder­ge­richt Nürnberg gilt auch heute noch als eines der brutals­ten der NS-Zeit. Katzen­ber­ger wurde wegen „Rassen­schan­de“ in Verbin­dung mit Verstö­ßen gegen die „Verord­nung gegen Volks­schäd­lin­ge“ vom 5. Septem­ber 1939 („Volks­schäd­lings­ver­ord­nung“, RGBl. I, S. 1679) zum Tode verur­teilt und enthaup­tet. Dem Verfah­ren gingen insbe­son­de­re Nachbar­schafts-Gerüch­te und die antise­mi­ti­sche Gesin­nung des Vorsit­zen­den Richters am Sonder­ge­richt Nürnberg, Oswald Rothaug, voraus.
Der Fall schlug nach 1945 hohe Wellen: Da die bekann­tes­ten NS-Juris­ten – unter anderen der Präsi­dent des Volks­ge­richts­hofs Roland Freis­ler – vor ihrer Festnah­me durch die Alliier­ten gestor­ben oder unter­ge­taucht waren, wurde Oswald Rothaug als einer der ranghöchs­ten ehema­li­gen Richter des „Dritten Reichs“ stell­ver­tre­tend für das damals prakti­zier­te Verfah­rens­vor­ge­hen im dritten der sogenann­ten Nürnber­ger Nachfol­ge­pro­zes­se („Juris­ten­pro­zess“) zur Verant­wor­tung gezogen. Rothaug wurde auch aufgrund des Todes­ur­teils gegen Katzen­ber­ger wegen Verbre­chen gegen die Mensch­lich­keit zu lebens­lan­ger Haft verurteilt.
In der Stadt Nürnberg hat der Name Katzen­ber­ger bis heute eine große Bedeu­tung: So wurde eine Straße direkt an der Pegnitz nach ihm benannt („Leo-Katzen­ber­ger-Weg“), daneben befin­det sich am Synago­gen­denk­mal, im Geden­ken an die ehema­li­ge Haupt­syn­ago­ge am Hans-Sachs-Platz erbaut, eine Tafel, welche der Ermor­dung Katzen­ber­gers gewid­met ist.
Das Verfah­ren gegen Katzen­ber­ger und der Nürnber­ger Juris­ten­pro­zess waren weiter­hin Thema einer Vielzahl von Büchern und Filmen. Neben dem Film „Leo und Claire“ von Joseph Vilsmai­er (2001), der auf dem Roman „Der Jude und das Mädchen“ von Chris­tia­ne Kohl (1997) basiert, ist insbe­son­de­re die oscar­prä­mier­te Holly­wood-Produk­ti­on „Das Urteil von Nürnberg“ (1961) von Stanley Kramer hervor­zu­he­ben, die den Nürnber­ger Juris­ten­pro­zess und die Geschich­te Katzen­ber­gers – leicht verän­dert – nacherzählt:
„Das Urteil von Nürnberg“ ist mit der Inten­ti­on entstan­den, daran zu erinnern, dass eine unabhän­gi­ge Justiz Voraus­set­zung eines jeden Rechts­staats ist. Nicht überall fand diese Thema­tik Anklang: Zu einer Zeit, als ein großer Teil der deutschen Bevöl­ke­rung den Nürnber­ger Haupt­kriegs­ver­bre­cher­pro­zess als „Sieger­jus­tiz“ empfand und sich dank des Wirtschafts­wun­ders einen gesell­schaft­li­chen und politi­schen Neuan­fang wünsch­te, schock­ten Autor Abby Mann und Regis­seur Stanley Kramer unter anderem mit Origi­nal­auf­nah­men von Konzen­tra­ti­ons­la­gern – ein Novum in einem Spiel­film. Während der Film in den USA ein großer Erfolg wurde, stieß er in Deutsch­land auf breite Ableh­nung. Kramer empfand die Urauf­füh­rung in West-Berlin gar als „furchterregendste[n] Abend [s]eines Lebens. Der Film wurde völlig abgelehnt; er hat in Deutsch­land keine fünf Pfennig einge­spielt. Er spiel­te vor so vielen leeren Häusern, dass er einfach aus dem Verleih genom­men wurde. Die Leute fragten, wie ich, ein Ameri­ka­ner, versu­chen könnte, die deutsche Schuld wieder aufzu­wär­men? Ich sagte, dass es in der Tat besser gewesen wäre, wenn die Deutschen es gemacht hätten, aber es ist eine Tatsa­che, dass sie es nicht machten. Also tat ich es“ (https://www.lto.de/recht/feuilleton/f/das-urteil-von-nuernberg-furchtbare-juristen-vor-gericht).

2.Prozessbeteiligte

a) Die Angeklagten
Der relativ wohlha­ben­de Leo Katzen­ber­ger war in der Stadt Nürnberg einfluss­reich und bekannt, da er unter anderem Vorsit­zen­der der Jüdischen Gemein­de und Eigen­tü­mer des Wohnhau­ses am Spitt­lertor­gra­ben Nr. 19 war. Daneben betrieb er mit seinen beiden Brüdern David und Max einen Schuhhandel.

Irene Seiler – gebore­ne Scheff­ler – war die Tochter eines Freun­des von Katzen­ber­ger. Sie zog im Jahr 1932 mit Anfang 20 nach Nürnberg und kam in einer der Miets­woh­nun­gen am Spitt­lertor­gra­ben Nr. 19 unter. Die relativ kindlich wirken­de Irene Seiler sah in Katzen­ber­ger eine Art Vater­fi­gur, welcher sich von Anfang an um sie kümmer­te. Katzen­ber­ger wieder­um genoss die Gesell­schaft der hübschen Irene Seiler, die ihn an seine Tochter erinnerte.
Dass Katzen­ber­ger Irene Seiler öfter großzü­gi­ge Geschen­ke machte oder gar die Miete erließ und sie gelegent­lich in den späten Abend­stun­den besuch­te, weckte den Neid der anderen Hausbe­woh­ner. Bald ging das Gerücht durch die Nachbar­schaft, dass zwischen Irene Seiler und Katzen­ber­ger eine Affäre bestehe – trotz des erheb­li­chen Alters­un­ter­schieds von beina­he 37 Jahren und trotz des Umstands, dass sowohl Katzen­ber­ger als auch Irene Seiler (ab Juli 1939) verhei­ra­tet waren und Irene Seilers zur Wehrmacht einge­zo­ge­ner Ehemann bei einigen der Treffen im Spitt­lertor­gra­ben Nr. 19 anwesend war. Letzt­lich wurde Katzen­ber­ger bei der Gesta­po denun­ziert und am 18. März 1941 verhaftet.
Aufgrund der Verleum­dun­gen wurde Katzen­ber­ger „Rassen­schan­de“ gemäß § 2 des „Geset­zes zum Schut­ze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ vom 15. Septem­ber 1935 („Blutschutz­ge­setz“, RGBl. I, S. 1146), also Geschlechts­ver­kehr eines Juden mit einer „Arierin“, vorgeworfen.

b) Der Verteidiger
Katzen­ber­ger wurde von dem jüdischen Rechts­an­walt Dr. Reinhard Richard Herz vertei­digt, der wie Katzen­ber­ger der Religi­ons­ge­mein­schaft Adas Israel angehör­te. Herz (Jahrgang 1894) war nach Studi­um in München, Berlin, Heidel­berg und Erlan­gen 1921 zur Rechts­an­walt­schaft zugelas­sen worden. Trotz seiner Verdiens­te für das Deutsche Reich – Herz war ein dekorier­ter Front­kämp­fer des Ersten Weltkriegs – und guter Noten war er zuvor nicht in den Staats­dienst aufge­nom­men worden.
Im Dezem­ber 1938 wurde Herz unter Ernen­nung zum „Rechts­kon­su­lent“ (vgl. Art. III § 8 der „Fünften Verord­nung zum Reichs­bür­ger­ge­setz“ vom 27. Septem­ber 1938, RGBl. I, S. 1403) die Tätig­keit als Rechts­an­walt unter­sagt und die Zulas­sung entzo­gen. Gemäß Art. III § 10 der „Fünften Verord­nung zum Reichs­bür­ger­ge­setz“ durften jüdische Konsu­len­ten nur Rechts­an­ge­le­gen­hei­ten von Juden sowie von jüdischen Gewer­be­be­trie­ben, jüdischen Verei­nen, Stiftun­gen, Anstal­ten und sonsti­gen jüdischen Unter­neh­men geschäfts­mä­ßig besor­gen; insbe­son­de­re durften sie nur für diese die recht­li­che Beratung, die gericht­li­che oder außer­ge­richt­li­che Vertre­tung sowie die Einzie­hung von Forde­run­gen übernehmen.
Im Sommer 1943 wurde Herz zusam­men mit seiner Ehefrau nach Ausch­witz deportiert.

c) Die Richter
aa) Rothaug
Dr. Oswald Martin Rothaug war seit dem 1. April 1937 Landge­richts­di­rek­tor am Landge­richt Nürnberg-Fürth sowie bis Mai 1943 Vorsit­zen­der Richter des Sonder­ge­richts Nürnberg. Danach wurde er als Anklä­ger (Reichs­an­walt) an den berüch­tig­ten Volks­ge­richts­hof nach Berlin bzw. Potsdam versetzt. Dort war er für Straf­ver­fah­ren wegen Hochver­rat und Wehrkraft­zer­set­zung zuständig.
Daneben engagier­te sich Rothaug auch politisch: Er hatte unter anderem eine Positi­on im Natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Rechts­wah­rer­bund inne und war „ehren­amt­li­cher Mitar­bei­ter“ des Sicher­heits­diens­tes des Reichs­füh­rers-SS (SD), einem für die Verfol­gung politi­scher Gegner zustän­di­gen Nachrich­ten­dienst. Im Rahmen dessen spiel­te er dem Reichs­si­cher­heits­haupt­amt Infor­ma­tio­nen über das Nürnber­ger Gerichts­we­sen zu. Außer­dem pfleg­te Rothaug gute Kontak­te zu diver­sen Nazi-Führern, die sich regel­mä­ßig an einem Stamm­tisch im Lokal „Blaue Traube“ in Nürnberg trafen.
Rothaug war durch und durch Antise­mit und sah sich als Richter in der Pflicht, der Rassen­ideo­lo­gie des „Dritten Reichs“ gerecht zu werden. Diese Einstel­lung hatte verhee­ren­de Auswir­kun­gen auf das Straf­ver­fah­ren gegen Katzenberger.

bb) Ferber
Dr. Karl Josef Ferber war seit dem 1. März 1935 in der Nürnber­ger Justiz beschäf­tigt und ab 1937 für politi­sche Straf­ver­fah­ren zustän­dig. Ferber ließ sich zunächst von dieser Positi­on wegver­set­zen: Da er Straf­ver­fah­ren gegen Angehö­ri­ge der Kirche nicht mit seinem Gewis­sen verein­ba­ren konnte, wechsel­te er kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrie­ges in den Straf­voll­zug. 1940 wurde Ferber durch seinen Dienst­herrn vor die Wahl gestellt, entwe­der Front­dienst zu leisten oder zurück in die Justiz an das Landge­richt Nürnberg-Fürth zu wechseln. Ferber entschied sich für letzte­re Option und wurde unter anderem stell­ver­tre­ten­der Vorsit­zen­der Richter am Sonder­ge­richt Nürnberg. Im Mai 1943 übernahm Ferber Rothau­gs Vorsitz am Sonder­ge­richt Nürnberg.
Ferber unter­stütz­te das „Dritte Reich“ eher aus oppor­tu­nis­ti­schen Gründen. Die Todes­stra­fe gegen Katzen­ber­ger habe seiner Ansicht nach „die einzi­ge rechts­staat­li­che Hilfe gegen­über der Willkür der SS” darge­stellt (zit. nach Kohl, S. 259).
Er sollte später im Nürnber­ger Juris­ten­pro­zess als Kronzeu­ge gegen Rothaug aussagen.

cc) Hoffmann
Nachdem Dr. Heinz Hugo Hoffmann zunächst etwa fünf Jahre als Staats­an­walt in Offen­bach tätig gewesen war, wechsel­te er 1938 als Landge­richts­rat in die Nürnber­ger Justiz. Ab Sommer 1940 war Hoffmann Beisit­zer des Sonder­ge­richts Nürnberg unter dem Vorsitz Rothau­gs. Er entging dem Front­dienst, weil er für kriegs­un­taug­lich erklärt worden war. Nach dem Krieg arbei­te­te Hoffmann zunächst als Maurer, später gründe­te er eine gut gehen­de Kanzlei in Darmstadt.
Hoffmann selbst schätz­te seine Schuld am Tode Katzen­ber­gers gering ein, da Katzen­ber­ger „als Jude […] sowie­so ein toter Mann gewesen sei. Falls ein Todes­ur­teil nicht ergan­gen wäre, hätte die Gesta­po sich seiner angenom­men und ihn zu Tode gebracht“ (zit. nach BGH NJW 1971, 571, 572).

3. Zeitge­schicht­li­che Einordnung
Bei den Sonder­ge­rich­ten handel­te es sich um spezi­el­le Gerich­te, die insbe­son­de­re für politi­sche und kriegs­be­ding­te Straf­ta­ten zustän­dig waren. Sonder­ge­rich­te wurden im ganzen Reich bald nach der Macht­er­grei­fung im März 1933 errich­tet und waren zunächst für Taten nach der „Verord­nung des Reichs­prä­si­den­ten zur Abwehr heimtü­cki­scher Angrif­fe auf die Regie­rung der natio­na­len Erhebung“ vom 21. März 1933 („Heimtü­cke­ver­ord­nung“, RGBl. I, S. 135) und der „Verord­nung des Reichs­prä­si­den­ten zum Schutz von Volk und Staat“ vom 28. Febru­ar 1933 („Reichs­tags­brand­ver­ord­nung“, RGBl. I, S. 83) zustän­dig. Ab 1938 verhan­del­ten sie auch über Fälle, die „die Schwe­re oder Verwerf­lich­keit der Tat oder die in der Öffent­lich­keit hervor­ge­ru­fe­ne Erregung“ (Art. I der „Verord­nung über die Erwei­te­rung der Zustän­dig­keit der Sonder­ge­rich­te“ vom 20. Novem­ber 1939, RGBl. I, S. 1632) betrafen.
Roland Freis­ler stell­te sich die Sonder­ge­rich­te als „Panzer­trup­pe der Rechts­pfle­ge“ (zit. nach Dams/Stolle, S. 90) vor. Dies wurde unter anderem durch eine wesent­li­che Verschär­fung der Verfah­rens­ord­nung vor den Sonder­ge­rich­ten gewähr­leis­tet. So standen zum Beispiel – bis auf die Wieder­auf­nah­me des Verfah­rens – keine Rechts­mit­tel gegen Entschei­dun­gen der Sonder­ge­rich­te zur Verfü­gung, vgl. § 16 der „Verord­nung der Reichs­re­gie­rung über die Bildung von Sonder­ge­rich­ten“ vom 21. März 1933 („SonderG­VO“, RGBl. I, S. 136). Außer­dem konnten die Sonder­ge­rich­te drako­ni­sche Strafe verhän­gen, unter anderem Straf­la­ger, verschärf­tes Straf­la­ger und die Todes­stra­fe (vgl. Art. III, V der Verord­nung über die Straf­rechts­pfle­ge gegen Polen und Juden in den einge­glie­der­ten Ostge­bie­ten v. 04.12.1941, RGBl. I, 759 ff.).
Das Verfah­ren gegen Katzen­ber­ger fiel in eine Zeit, in der der Krieg bereits das ganze Land erfasst hatte. Nun wurden Sonder­ge­rich­te also als Kriegs­waf­fe einge­setzt, um den eigent­li­chen Feind des „Dritten Reichs“ – das Juden­tum – zu bekämpfen.

4. Ankla­ge
Katzen­ber­ger wurde durch Staats­an­walt Hermann Markl, der wie Rothaug ein Infor­mant des SD gewesen war, nach Abstim­mung mit Rothaug wegen eines Verbre­chens nach § 2 recht­lich zusam­men­tref­fend mit einem Verbre­chen nach § 4 der Volks­schäd­lings­ver­ord­nung in Verbin­dung mit einem Verbre­chen der „Rassen­schan­de“ angeklagt.
Eigent­lich sah „Rassen­schan­de“ ledig­lich Gefäng­nis- oder Zucht­haus­stra­fen vor, § 5 Abs. 2 Blutschutz­ge­setz. Die Konstruk­ti­on der Ankla­ge über die Volks­schäd­lings­ver­ord­nung, die eigent­lich dafür geschaf­fen worden war, kriegs­be­ding­te Plünde­run­gen und andere „Verdun­ke­lungs­ver­bre­chen“ zu verhin­dern, ermög­lich­te es, die Todes­stra­fe zu fordern, wenn sich belegen ließ, dass die „Rassen­schan­de“ unter Ausnut­zung der kriegs­be­ding­ten Verdun­ke­lung began­gen worden war. Diese These stütz­te sich darauf, dass sich Katzen­ber­ger und Irene Seiler einer­seits bei Dunkel­heit, anderer­seits auch während des Front­diens­tes des Ehemanns von Irene Seiler getrof­fen hätten.
Auch Irene Seiler wurde angeklagt. Zwar war „Rassen­schan­de“ aufgrund eines Führer­erlas­ses, dem Hitlers Frauen­bild zugrun­de lag, für Frauen nicht straf­bar (vgl. § 5 Abs. 2 Blutschutz­ge­setz); trotz­dem wurde Irene Seiler zum Vorwurf gemacht, unter Eid falsch über ihr Verhält­nis zu Katzen­ber­ger ausge­sagt zu haben. Letzt­lich hatte dieses Vorge­hen insbe­son­de­re einen prozess­tak­ti­schen Hinter­grund: dadurch konnte Irene Seiler nicht zu Katzen­ber­gers Entlas­tung aussagen.
Am 13. März 1942, beina­he ein Jahr nach Katzen­ber­gers Inhaf­tie­rung, wurde die Haupt­ver­hand­lung eröff­net. Das Verfah­ren fand im Schwur­ge­richts­saal 600 des Landge­richts Nürnberg-Fürth statt, eben jenem Saal, in welchem später auch der Nürnber­ger Juris­ten­pro­zess statt­fin­den und über die Hinrich­tung Katzen­ber­gers geurteilt werden sollte.
Rothaug hatte zu diesem Ereig­nis Freun­de aus den Reihen der NSDAP einge­la­den und zuvor Platz­kar­ten verteilt. Damit wirkte die Verhand­lung auch äußer­lich mehr wie ein Schau­pro­zess als ein rechts­staat­li­ches Verfahren.

5. Verhand­lungs­füh­rung und Verteidigung
Das Todes­ur­teil gegen Katzen­ber­ger war direk­te Folge von diver­sen Fakto­ren, zu denen falsche Verdäch­ti­gun­gen in der Nachbar­schaft, eine antise­mi­tisch einge­stell­te Gesell­schaft sowie ein drako­ni­sches, rechts­staat­li­che Sicher­hei­ten vermis­sen­des Justiz­we­sen, zählten:
Zunächst gab es – bis auf die Anzei­ge eines Nachbarn – keine belas­ten­den Umstän­de gegen Katzen­ber­ger. Diese Ansicht teilte auch der zustän­di­ge Unter­su­chungs­rich­ter Hans Groben, der über Katzen­ber­gers Haftfort­dau­er zu entschei­den hatte. Nachdem Groben zunächst angemahnt hatte, dass trotz langer Ermitt­lungs­dau­er keine belast­ba­ren Bewei­se gegen Katzen­ber­ger vorlä­gen und er selbst Irene Seiler noch einmal vernom­men hatte, sah er keinen dringen­den Tatver­dacht mehr und beabsich­tig­te, den Haftbe­fehl aufzu­he­ben. Zusätz­lich gab er Vertei­di­ger Herz zu verste­hen, er möge gegen den Haftbe­fehl Beschwer­de einrei­chen, da er keine Anhalts­punk­te für eine Bezie­hung Irene Seilers und Katzen­ber­gers sehe.
Herz formu­lier­te darauf­hin „[p]enibel und distan­ziert“ eine Haftbe­schwer­de, in welcher er „tunlichst darauf [achte­te], sich die Positi­on Katzen­ber­gers nicht zu eigen zu machen, daß man fast den Eindruck gewin­nen konnte, der Vertei­di­ger Herz habe die Anschul­di­gun­gen selbst für berech­tigt gehal­ten“ (zit. nach Kohl, S. 236).
Daneben argumen­tier­te Herz mit der fehlen­den Verdun­ke­lungs­ge­fahr und Katzen­ber­gers schlech­tem Gesundheitszustand.
Groben, der später ebenfalls an das Sonder­ge­richt abgeord­net werden sollte, hatte sich zwar für Katzen­ber­ger einge­setzt und Herz die nötigen Argumen­te für Katzen­ber­gers Vertei­di­gung an die Hand gegeben, dennoch machte Rothaug der Vertei­di­gung einen Strich durch die Rechnung:
Die Haftbe­schwer­de wurde kurze Zeit nach ihrer Einle­gung aus forma­len Gründen zurück­ge­wie­sen, da auch Herz‘ Bestel­lung als Wahlver­tei­di­ger zurück­ge­wie­sen worden war. Zu diesem Zeitpunkt hatte aber die Haftbe­schwer­de ohnehin keine Aussicht auf Erfolg mehr, da durch Rothau­gs Einfluss eine Ankla­ge vor dem Sonder­ge­richt vorbe­rei­tet worden war, vor welchem ein beson­ders gerin­ger verfah­rens­recht­li­cher Schutz der Angeklag­ten bestand.
Außer­dem war Rothau­gs Absicht von Anfang an gefes­tigt: Er hatte den Medizi­ner Dr. Armin Bauer bereits vor dem ersten Verhand­lungs­tag darüber in Kennt­nis gesetzt, dass er die Todes­stra­fe gegen Katzen­ber­ger verhän­gen wolle. Zur Feststel­lung der Schuld­fä­hig­keit wurde deshalb eine Begut­ach­tung Katzen­ber­gers in Auftrag gegeben. Diese gesund­heit­li­che Routi­ne­über­prü­fung sei aber im Ergeb­nis bedeu­tungs­los, da Katzen­ber­ger nach Ansicht Rothau­gs „ohnehin geköpft“ werde (zit. nach Steiniger/ Leszc­zyń­ski [Hrsg.], S. 270).
Auch der Umstand, dass die Begut­ach­tung zu dem Ergeb­nis kam, dass es gar nicht sicher sei, ob Katzen­ber­ger aufgrund seines Alters „Rassen­schan­de“ began­gen haben könnte, war in Rothau­gs Augen ohne Belang. Rothaug äußer­te sich dazu wie folgt: „Für mich reicht es aus, dass dieses Schwein gesagt hat, ein deutsches Mädchen hätte ihm auf dem Schoß geses­sen“ (zit. nach Steiniger/ Leszc­zyń­ski [Hrsg.], S. 270).
Dieses Vorge­hen Rothau­gs unter­streicht die Logik der gesam­ten Justiz unter dem „Dritten Reich“. Auf der einen Seite wurde nach außen hin penibel darauf geach­tet, recht­li­che Forma­li­en einzu­hal­ten. Auf der anderen Seite wurden den Richtern Instru­men­te zur Verfü­gung gestellt, um zu jedem belie­bi­gen Ergeb­nis zu gelan­gen. So konnte gemäß § 2 Reichs­straf­ge­setz­buch bestraft werden, „wer eine Tat begeht, die das Gesetz für straf­bar erklärt oder die nach dem Grund­ge­dan­ken eines Straf­ge­set­zes und nach gesun­dem Volks­emp­fin­den Bestra­fung verdient. Findet auf die Tat kein bestimm­tes Gesetz unmit­tel­bar Anwen­dung, so wird die Tat nach dem Gesetz bestraft, dessen Grund­ge­dan­ke auf sie am besten zutrifft“ („Gesetz zur Änderung des Straf­ge­setz­bu­ches“ vom 28. Juni 1935, RGBl. I, S. 839 ff.).
Die hoffnungs­lo­se Lage der Angeklag­ten setzte sich auch in der Haupt­ver­hand­lung fort: Während der Feststel­lung der Perso­na­li­en „spulte [Rothaug] genüß­lich eine Litanei von jüdischen Vorna­men ab. Als Katzen­ber­gers Vertei­di­ger Richard Herz höflich einwand­te, daß der eine oder andere Name gar nicht stimme, schrie Rothaug unbeherrscht von seiner Richter­kan­zel herab: ‚Es ist doch egal, wie der Mann heißt‘“ (zit. nach Kohl, S. 247).
Rothaug nahm daneben massiv Einfluss auf das Verfah­ren, unter anderem bedroh­te er den Vertei­di­ger Herz, belei­dig­te Katzen­ber­ger und bezich­tig­te Irene Seiler der Lüge.
Das Gesche­hen setzte insbe­son­de­re auch Herz derar­tig zu, dass dieser aufgrund von Rothau­gs Verhand­lungs­füh­rung „resigniert“ hatte (zit. nach Kohl, S. 253). So äußer­te er sich gegen­über dem Vertei­di­ger Irene Seilers: „Es ist doch gleich­gül­tig, ob Katzen­ber­ger jetzt zum Tode verur­teilt wird oder ob er in ein paar Monaten, wie wir alle, in einem KZ ums Leben kommt“ (zit. nach Kohl, S. 253 f.).
Nur so ist es zu erklä­ren, dass er während des Prozes­ses davon absah, Beweis­an­trä­ge zu stellen. In seinem Plädoy­er beschränk­te sich Herz gar darauf, die Anwen­dung der Volks­schäd­lings­ver­ord­nung anzugrei­fen. Sein Ziel war es dabei, die Todes­stra­fe zu verhin­dern: Er bat das Gericht um eine milde Bestrafung.
Katzen­ber­ger hinge­gen kämpf­te bis zum Schluss um sein Leben. Er hatte ein sieben­sei­ti­ges Plädoy­er vorbe­rei­tet, welches er als sein „letztes Wort“ verlas. Darin versuch­te er, Zeugen­aus­sa­gen zu wider­le­gen und sein Verhält­nis zu Irene Seiler ins rechte Licht zu rücken. Als er schließ­lich an Rothau­gs Mensch­lich­keit appel­lier­te und Fried­rich den Großen zitie­ren wollte, erzürn­te dies Rothaug so sehr, dass er Katzen­ber­gers Ausfüh­run­gen unterbrach.
Irene Seiler blieb trotz der Anfein­dun­gen stand­haft und erklär­te, dass sie ledig­lich eine freund­schaft­li­che Bezie­hung zu Katzen­ber­ger gepflegt habe. Rothaug befrag­te sie darauf­hin unter anderem zu ihrem Sexual­le­ben. Das Gericht unter­stell­te ihr Promis­kui­tät. Irene Seiler beantrag­te, ihren Ehemann als Entlas­tungs­zeu­gen zu verneh­men, da er bei einigen der Treffen mit Katzen­ber­ger anwesend gewesen sei und bezeu­gen könne, dass kein Geschlechts­ver­kehr zwischen ihr und Katzen­ber­ger statt­ge­fun­den habe. Dieser Antrag wurde mit der Begrün­dung abgelehnt, es sei ausrei­chend, dass bei den Besuchen in Anwesen­heit Herrn Seilers die Bezie­hung zwischen den Angeklag­ten „warm gehal­ten“ worden sei (zit. nach Poliakov/Wulf [Hrsg.], S. 264).

6. Urteil
Katzen­ber­ger wurde auf die Verhand­lung vom 13. März 1942 zum Tode verur­teilt und am 3. Juni 1942 in München-Stadel­heim guillotiniert.
Irene Seiler wurde zu zwei Jahren Zucht­haus verur­teilt, die sie bis zum 19. Juni 1943 – die restli­che Haftzeit hatte man ihr erlas­sen – absaß. Sie musste Zwangs­ar­beit in einer Muniti­ons­fa­brik leisten.
Die Bewei­se sah das Gericht in folgen­dem Gesche­hen: „Beide sollen sich, bald in der Wohnung der Seiler, bald in den Geschäfts­räu­men des Katzen­ber­ger gegen­sei­tig geküßt haben. Seiler habe sich sehr oft dem Katzen­ber­ger auf den Schoß gesetzt; hierbei soll Katzen­ber­ger die Seiler in der Absicht, sich dadurch eine geschlecht­li­che Befrie­di­gung zu verschaf­fen, über den Kleidern an den Oberschen­keln getät­schelt und gestrei­chelt haben. Bei solchen Gelegen­hei­ten habe sich Katzen­ber­ger eng an die Seiler angeschmiegt und hierbei seinen Kopf an den Busen der Seiler gelegt“ (zit. nach Poliakov/Wulf [Hrsg.], S. 258).
Dass insbe­son­de­re das letzt­ge­nann­te Verhal­ten nicht zwingend einen sexuel­len Hinter­grund gehabt haben musste – Irene Seiler war 1,84m groß – inter­es­sier­te Rothaug nicht. Auch die genann­ten Handlun­gen würden den Tatbe­stand der „Rassen­schan­de“ erfül­len: „Unter außer­ehe­li­chem Geschlechts­ver­kehr im Sinne des Blutschutz­ge­set­zes ist neben dem Beischlaf jede Art geschlecht­li­cher Betäti­gung mit einem Angehö­ri­gen des anderen Geschlechts zu verste­hen, die nach der Art ihrer Vornah­me bestimmt ist, anstel­le des Beischlafs der Befrie­di­gung des Geschlechts­trie­bes mindes­tens des einen Teiles zu dienen. Die von den Angeklag­ten zugege­be­nen Handlun­gen, die bei Katzen­ber­ger darin bestan­den, daß er die Seiler an sich heran­zog, küßte, an den Schen­keln über den Kleidern tätschel­te und strei­chel­te, charak­te­ri­sie­ren sich dahin, daß Katzen­ber­ger damit das an der Seiler in gröbli­cher Form ausge­führt hat, was der Volks­mund als ‚Abschmie­ren‘ bezeich­net“ (zit. nach Poliakov/Wulf [Hrsg.], S. 262).
Zulas­ten Irene Seilers wurde gewer­tet, dass sie sich im Rahmen des Ermitt­lungs­ver­fah­rens gegen Katzen­ber­ger „schüt­zend vor den Juden“ gestellt habe (zit. nach Poliakov/Wulf [Hrsg.], S. 265).

Leo Katzen­ber­ger, Gedenk­ta­fel, © s.u.

7. Wirkung und Wirkungsgeschichte
Das Katzen­ber­ger-Urteil stell­te eine Zäsur dar: Zwar hatte Rothaug allei­ne in den Jahren 1940 und 1941 in 52 Fällen Todes­ur­tei­le gespro­chen. Mit seiner während des Katzen­ber­ger-Verfah­rens getätig­ten Aussa­ge, dass „Rassen­schan­de schlim­mer als Mord“ sei (Der Spiegel 42/1967, S. 89), traf Rothaug aller­dings den Nerv der Zeit. „Der Stürmer“ schlach­te­te den Fall für seine Zwecke aus. Zuvor hatte das antise­mi­ti­sche Wochen­blatt immer wieder die Todes­stra­fe für „Rassen­schan­de“ gefor­dert. Nun wurde die Forde­rung in die Tat umgesetzt. Weite­re Rassen­schan­de-Verfah­ren folgten.
Hermann Cuhorst beispiels­wei­se, Richter am Sonder­ge­richt Stutt­gart und ebenfalls Angeklag­ter im Nürnber­ger Juris­ten­pro­zess, wurde vorge­wor­fen, gegen einen etwa 19-jähri­gen Polen die Todes­stra­fe verhängt zu haben, weil dieser mit einer „arischen“ Frau geschla­fen habe. Cuhorst wurde freige­spro­chen, da alle relevan­ten Gerichts­ak­ten des Sonder­ge­richts Stutt­gart bei einem Flieger­an­griff vernich­tet worden waren.
Insge­samt wurde das Katzen­ber­ger-Urteil auch in „höchs­ten NS-Juris­ten­krei­sen […]. als gewagt angese­hen; sogar Roland Freis­ler, der Staats­se­kre­tär im Reichs­jus­tiz­mi­nis­te­ri­um und späte­re Präsi­dent des Volks­ge­richts­hofs, erklär­te, daß er das Urteil zwar für vertret­bar, aber wegen der Anwen­dung des § 2 Volks­schäd­lings­ver­ord­nung […] für kühn halte. Schließ­lich äußer­te sich R[othaug] gegen­über einem anderen Richter, von 100 Vorsit­zen­den hätten 99 nicht den Mut gehabt, K[atzenberger] zu verur­tei­len; er habe diesen Mut beses­sen“ (zit. nach BGH NJW 1971, 571, 572).
Auch Hitler, der sich regel­mä­ßig in Zeitun­gen über Gerichts­ur­tei­le infor­mier­te, zeigte sich empört – aller­dings nur deshalb, weil er davon ausge­gan­gen war, dass Irene Seiler entge­gen seinem ausdrück­li­chen Befehl wegen „Rassen­schan­de“ verur­teilt worden sei.

8. Würdi­gung

a) Verfah­ren gegen Rothaug
Der Fall Katzen­ber­ger spiel­te im Nürnber­ger Juris­ten­pro­zess eine entschei­den­de Rolle. Er wurde zum Symbol des NS-Justiz­un­rechts. Zwar rügte das ameri­ka­ni­sche Tribu­nal nicht per se die drako­ni­schen Strafen des deutschen Justiz­we­sens. Denn die ameri­ka­ni­schen Richter gestan­den ein, dass auch in den USA die Todes­stra­fe und eine beson­de­re Gesetz­ge­bung in Kriegs­zei­ten existiert. Sehr wohl aber missbil­lig­ten sie Entschei­dun­gen aufgrund rassis­ti­scher Ideolo­gie. Solche stell­ten Kriegs­ver­bre­chen und Verbre­chen gegen die Mensch­lich­keit dar.
Rothaug ließ sich von dem jungen Rechts­an­walt Joseph Kößl vertre­ten, der davor eine zweifel­haf­te Karrie­re bei der Feldgen­dar­me­rie, bei der SS und beim SD gemacht hatte. Im Jahr 1952 wurde Kößl zunächst ehren­amt­li­cher, 1956 dann haupt­amt­li­cher Oberbür­ger­meis­ter im bayeri­schen Traun­stein. 1959 starb Kößl.
Das Tribu­nal stell­te zu Rothaug fest: „Er war und ist ein sadis­ti­scher und schlech­ter Mensch. Unter jedem gesit­te­ten Rechts­sys­tem wäre er angeklagt und aus dem Amt entfernt oder verur­teilt worden wegen Amtsmiß­brauch auf Grund seiner syste­ma­ti­schen Boshaf­tig­keit, mit welcher er Ungerech­tig­keit schuf“ (zit. nach Peschel-Gutzeit [Hrsg.], S. 204 f.)
Trotz Verur­tei­lung zu lebens­lan­ger Haft wurde Rothaug schließ­lich im Dezem­ber 1956 als einer der letzten inhaf­tier­ten NS-Verbre­cher begna­digt. Er zog darauf­hin nach Köln, wo er 1967 starb.

b) Verfah­ren gegen Ferber und Hoffmann
Ferber und Hoffmann waren keine Angeklag­ten im Nürnber­ger Juris­ten­pro­zess – vermut­lich, weil sie dem Tribu­nal nicht wichtig genug erschie­nen. Auch wenn sich deutsche Nachkriegs­ge­rich­te schwer damit taten, ehema­li­ge Richter­kol­le­gen straf­recht­lich zur Verant­wor­tung zu ziehen, wurde ab dem Jahr 1960 durch die deutsche Staats­an­walt­schaft gegen Ferber und Hoffmann wegen des Todes­ur­teils gegen Katzen­ber­ger ermit­telt. Das bayeri­sche Justiz­mi­nis­te­ri­um und die Nürnber­ger Staats­an­walt­schaft strit­ten acht Jahre lang darum, ob ein Verfah­ren gegen die ehema­li­gen Richter am Sonder­ge­richt Nürnberg geführt werden müsse. Ab März 1968 wurde den beiden schließ­lich der Prozess gemacht. Beson­ders inter­es­sant ist, dass Rothaug vor seinem Tod – womög­lich als Retour­kut­sche, da seiner­seits Ferber ihn zuvor im Juris­ten­pro­zess schwer belas­tet hatte – noch im Ermitt­lungs­ver­fah­ren gegen Ferber aussagte.
Das Verfah­ren gegen Ferber und Hoffmann endete überaus milde: Trotz einer Ankla­ge wegen Mordes aus niedri­gen Beweg­grün­den erkann­te das Gericht ledig­lich auf Totschlag und eine Freiheits­stra­fe von drei bzw. zwei Jahren. Nachdem der Bundes­ge­richts­hof das Urteil aufge­ho­ben und angedeu­tet hatte, es sei in diesem Fall sehr wohl eine Verur­tei­lung wegen Mordes möglich gewesen, wurde erst 1973 erneut gegen Ferber und Hoffmann vor dem Landge­richt Nürnberg-Fürth verhan­delt. 1976 wurde das Verfah­ren einge­stellt, da beide Angeklag­te mittler­wei­le verhand­lungs­un­fä­hig gewor­den waren.

c) Heuti­ge Würdigung
Sogar wenn der Richter am Sonder­ge­richt, Hoffmann, insoweit Recht behal­ten haben mag, dass beina­he die gesam­te Familie Katzen­ber­ger, darun­ter seine Frau Klara, seine Schwä­ge­rin, sein Bruder Max und seine Schwes­tern Meta, Clothil­de, Rosa und Recha, auch ohne die Hilfe der Justiz in Konzen­tra­ti­ons­la­ger depor­tiert worden war, musste Katzen­ber­ger in seinem Schau­pro­zess eine beson­de­re Demüti­gung ertra­gen, weil den Angeklag­ten bis zum Schluss die Hoffnung gemacht worden war, dass man sich inner­halb eines rechts­staat­li­chen Verfah­rens bewegen würde. Nicht umsonst hieß es im Nürnber­ger Juris­ten­ur­teil unter anderem gegen Rothaug: „Der Dolch des Mörders war unter der Robe des Juris­ten verbor­gen“ (zit. nach Peschel-Gutzeit [Hrsg.], S. 65 f.).
Das Versa­gen der Justiz ist deshalb so unbegreif­lich, weil es viele Möglich­kei­ten gegeben hätte, „leise“ gegen das System aufzu­be­geh­ren, wie es beispiels­wei­se Unter­su­chungs­rich­ter Groben – zumin­dest in diesem Fall – getan hatte. So stell­te der BGH im Jahr 1971 fest: „Die natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Macht­ha­ber waren im recht­li­chen Bereich stets bestrebt, den Schein der Recht­lich­keit und richter­li­chen Unabhän­gig­keit tunlichst zu wahren […] Wurde dadurch deren Ziel einer mißbräuch­li­chen Benut­zung des Straf­rechts auch nur getarnt, so gab dieser Umstand anderer­seits doch allen, die sich nicht als willfäh­ri­ge Diener des Unrechts mißbrau­chen lassen wollten, die Möglich­keit eines Auswei­chens, ohne sich allzu­sehr verdäch­tig zu machen. Im Rahmen des unter einem totali­tä­ren Regime Menschen­mög­li­chen konnte der Richter immer noch der Gerech­tig­keit dienen. Er konnte insbe­son­de­re durch gründ­li­che Beweis­auf­nah­me, Vorsicht bei der Tatsa­chen­fest­stel­lung, mit einer weiten Anwen­dung des Grund­sat­zes ‚im Zweifel für den Angeklag­ten‘ und einer engen Ausle­gung des Tatbe­stands unerträg­li­che Folgen vermei­den, auf vertret­ba­re, der Schuld angemes­se­ne Strafen erken­nen und die Verfah­rens­ga­ran­tien ausschöp­fen“ (zit. nach BGH NJW 1971, 571, 572).
Das Gerichts­ver­fah­ren vor dem Sonder­ge­richt Nürnberg ist damit in doppel­ter Weise ein mahnen­des Beispiel. Zum einen zeigt es, welchen Einfluss die Justiz in totali­tä­ren Regimen hat. Zum anderen verdeut­licht es aber auch die Verant­wor­tung, die jedem Einzel­nen in einer Gesell­schaft zukommt: ohne die Denun­zia­tio­nen aus der Nachbar­schaft wäre das Verfah­ren nicht ins Rollen gekommen.

9. Quellen und Literatur
Urteil des Sonder­ge­richts Nürnberg gegen Lehmann (Leo) Katzen­ber­ger, in: Staats­ar­chiv Nürnberg, Regis­triernr. der Gerichts­ak­ten 1b SG 1074/41, Akten­zei­chen Nr. SgNr. 351/41.
Urteil gegen Oswald Rothaug vollstän­dig in: in: Peschel-Gutzeit, Lore-Maria (Hrsg.): Das Nürnber­ger Juris­ten-Urteil von 1947 – histo­ri­scher Zusam­men­hang und aktuel­le Bezüge, 1996.
Urteil gegen Ferber und Hoffmann: BGH NJW 1971, 571, 572.

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Görte­ma­ker, Manfred / Saffer­ling, Chris­toph (Hrsg.): Die Akte Rosen­burg. Das Bundes­mi­nis­te­ri­um der Justiz und die NS-Zeit, 2016.
Herrlein, Jürgen: Das Mietrecht als „Baustein am Unrechts­ge­bäu­de“ des Natio­nal­so­zia­lis­mus, in: NZM 2015, 641 ff.
Kohl, Chris­tia­ne: Der Jude und das Mädchen, 1999.
Luber, Martin: Straf­ver­tei­di­gung im Nürnber­ger Juris­ten­pro­zess, 2018.
Luber, Martin: Verfah­ren vor NS-Schein­ge­rich­ten, in: Effer-Uhe/Ho­ven/K­emp­ny/Rö­sin­ger (Hrsg.), Einheit der Prozess­rechts­wis­sen­schaft?, Tagung Junger Prozess­rechts­wis­sen­schaft­ler 2015, 2016, 219 ff.
Osten­dorf, Heribert / ter Veen, Heino: Das „Nürnber­ger Juris­ten­ur­teil“. Eine kommen­tier­te Dokumen­ta­ti­on, 1985.
Polia­kov, Léon / Wulf, Josef (Hrsg.): Das Dritte Reich und seine Diener, 1983.
Saffer­ling, Chris­toph / Luber, Martin: „Der Tempel der deutschen Justiz muss wieder einge­weiht werden“ – Der Nürnber­ger Juris­ten­pro­zess nach 70 Jahren, in: JA 2017, 881 ff.
Steini­ger, Peter Alfons / Leszc­zyń­ski, Kazimierz (Hrsg.): Fall 3. Das Urteil im Juris­ten­pro­zeß. Gefällt am 4. Dezem­ber 1947 vom Militär­ge­richts­hof III der Verei­nig­ten Staaten von Ameri­ka, 1969.
Wasser­mann, Rudolf: Fall 3. Der Nürnber­ger Juris­ten­pro­zess, in: Ueber­schär (Hrsg.): Der Natio­nal­so­zia­lis­mus vor Gericht. Die alliier­ten Prozes­se gegen Kriegs­ver­bre­cher und Solda­ten 1943–1952, 1999.
Weber, Reinhard: Schick­sal jüdischer Rechts­an­wäl­te in Bayern nach 1933, 2006; https://www.nordbayern.de/region/nuernberg/justiz-auf-einen-schlag-judenfrei‑1.723826/kommentare‑7.528134 (zuletzt abgeru­fen am 1. April 2019).

10. Verfil­mun­gen
Der Nürnber­ger Prozess, Dokumen­ta­ti­on, Spiegel Geschich­te, Deutsch­land, 2011
Das Urteil von Nürnberg, Spiel­film von Stanley Kramer, USA, 1961
Leo und Claire, Spiel­film von Joseph Vilsmai­er, Deutsch­land, 2000/2001

Martin Luber
Novem­ber 2019

Martin Luber studier­te von 2008 bis 2013 Rechts­wis­sen­schaf­ten an der Philipps-Univer­si­tät Marburg. Er wurde 2017 mit seiner Arbeit „Straf­ver­tei­di­gung im Nürnber­ger Juris­ten­pro­zess am Beispiel des Angeklag­ten Oswald Rothaug“ an der Philipps-Univer­si­tät Marburg promo­viert. Seit 2019 ist er in Berlin als Rechts­an­walt zugelassen.

Zitier­emp­feh­lung:

Luber, Martin: „Der Prozess gegen Leo Katzen­ber­ger, Deutsch­land 1942“, in: Groenewold/ Ignor / Koch (Hrsg.), Lexikon der Politi­schen Straf­pro­zes­se https://www.lexikon-der-politischen-strafprozesse.de/glossar/katzenberger-leo/ , letzter Zugriff am TT.MM.JJJJ.

Abbil­dun­gen

Verfas­ser und Heraus­ge­ber danken den Rechte­inha­bern für die freund­li­che Überlas­sung der Abbil­dun­gen. Rechte­inha­ber, die wir nicht haben ausfin­dig machen können, mögen sich bitte bei den Heraus­ge­bern melden.

© Leo Katzen­ber­ger Gedenk­ta­fel, verän­der­te Größe von lexikon-der-politischen-strafprozesse.de, Vitold Muratov, CC BY-SA 4.0