Sozialistisches Patientenkollektiv (SPK)

bearbei­tet von
Jonas Brosig

Deutsch­land 1972
Ursula und Wolfgang Huber
Krimi­nel­le Vereinigung


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Der Prozess gegen die Mitglieder des Sozialistischen Patientenkollektivs
Deutschland 1971–1972

1. Prozess­ge­schich­te
Das Verfah­ren gegen drei ehema­li­ge Mitglie­der des Sozia­lis­ti­schen Patien­ten­kol­lek­tivs (SPK) an der Univer­si­tät Heidel­berg stellt zweifels­oh­ne ein Kurio­sum der bundes­re­pu­bli­ka­ni­schen Rechts­ge­schich­te dar. Auch wenn es unver­kenn­bar in Konti­nui­tät zu einer Reihe weite­rer Prozes­se gegen Angehö­ri­ge der Außer­par­la­men­ta­ri­schen Opposi­ti­on (APO) steht, hebt es sich von diesen doch aufgrund verschie­de­ner Merkma­le deutlich ab.
Bereits vor Beginn des ersten SPK-Prozes­ses im Novem­ber 1972 war das Sozia­lis­ti­sche Patien­ten­kol­lek­tiv zu einem überre­gio­na­len Medien­er­eig­nis avanciert. Zunächst nur ein Fall für die Heidel­ber­ger Lokal­be­richt­erstat­tung, lösten die Vorgän­ge um eine Gruppe streit­ba­rer Psych­ia­trie-Patien­ten bald bundes­wei­tes Inter­es­se aus. Den Ausgangs­punkt dieser Entwick­lun­gen markier­te eine Perso­na­lie an der Psych­ia­tri­schen Polikli­nik Heidel­berg, wo dem jungen Assis­tenz­arzt Wolfgang Huber aufgrund sich mehren­der Konflik­te im Frühjahr 1970 die Entlas­sung mitge­teilt worden war. Als Huber die Kündi­gung auch unter seinen Patien­ten bekannt machte, reagier­ten diese mit Solida­ri­sie­run­gen und der Forde­rung nach Weiter­be­schäf­ti­gung des überaus belieb­ten Arztes. Patien­ten­voll­ver­samm­lun­gen an der Polikli­nik waren die Folge, schließ­lich wurde am 27. Febru­ar 1970 das Büro der Klinik­ver­wal­tung besetzt.
Die Gescheh­nis­se, die durch diesen öffent­lich­keits­wirk­sa­men Protest in Gang gesetzt wurden, wären ohne die vorher­ge­hen­de, medial inten­siv beglei­te­te Hochpha­se des südwest­deut­schen „1968“ am Neckar kaum denkbar gewesen. Das Sozia­lis­ti­sche Patien­ten­kol­lek­tiv, wie sich die Gruppe ab Ende Juni 1970 nannte, profi­tier­te von der Presse­be­richt­erstat­tung zunächst erheb­lich. Nicht nur mit dem Wider­stand, dem es sich infol­ge seines mitun­ter kühnen Auftre­tens ausge­setzt sah, wuchs der Kreis seiner Unter­stüt­zer stetig an. Vor allem seine Theore­me über den Zusam­men­hang von Krank­heit und Kapita­lis­mus trugen ihm regen Zulauf aus der Heidel­ber­ger und Mannhei­mer Studen­ten­schaft ein, und so vermoch­te es trotz seiner stets prekä­ren Situa­ti­on beacht­li­che Zwischen­er­fol­ge zu erzie­len: Nach monate­lan­gen Ausein­an­der­set­zun­gen um das aus der Anti- und Sozial­psych­ia­trie schöp­fen­de Kollek­tiv beschloss der Verwal­tungs­rat der Univer­si­tät Heidel­berg am 9. Juli 1970, das Projekt SPK als Einrich­tung zu reali­sie­ren (Pross, Verder­ben, 2016, S. 120).
Indes erwie­sen sich auch die Reihen der SPK-Gegner als geschlos­sen. Vertre­ter der Medizi­ni­schen Fakul­tät sahen sich durch den Beschluss des Verwal­tungs­ra­tes veran­lasst, unter Umgehung des Dienst­we­ges beim baden-württem­ber­gi­schen Kultus­mi­nis­te­ri­um Beschwer­de einzu­le­gen. Ungeach­tet der Tatsa­che, dass von fünf vorlie­gen­den wissen­schaft­li­chen Gutach­ten zum SPK drei seine Fortfüh­rung empfah­len, unter­sag­te der amtie­ren­de Minis­ter Wilhelm Hahn der Univer­si­tät am 18. Septem­ber 1970 schließ­lich per Erlass, der Gruppe weite­re Mittel zur Verfü­gung zu stellen (Die beiden anderen Gutach­ten nahmen – ebenso wie das noch ausste­hen­de – die entge­gen­ge­setz­te Positi­on ein; vgl. Pross, Verder­ben, S. 131). Beson­ders die daran geknüpf­te Forde­rung nach Räumung des von ihr bezoge­nen Quartiers in der Rohrba­cher Straße 12 sollte sich hier als fatal erwei­sen, verlor das SPK damit doch jede realis­ti­sche Perspek­ti­ve einer insti­tu­tio­nel­len Anbin­dung an die Heidel­ber­ger Universität.
Wohl um diese Zeit began­nen einige wenige Mitglie­der damit, den in manchen SPK-Flugschrif­ten zur Schau getra­ge­nen Wortra­di­ka­lis­mus in die Tat umzuset­zen und Planun­gen für eine konspi­ra­ti­ve bewaff­ne­te Gruppe aufzu­neh­men. Zwar sollten diese Versu­che einer Heidel­ber­ger Stadt­gue­ril­la ohne größe­re direk­te Folgen bleiben, jedoch waren Anfang Juli 1971 polizei­li­che Ermitt­lun­gen in Gang gekom­men. Bereits die Ereig­nis­se der vergan­ge­nen Monate waren Gegen­stand hoher media­ler Aufmerk­sam­keit gewesen, nun liefer­te eine Großraz­zia am 21. Juli 1971 dem öffent­li­chen Inter­es­se am Patien­ten­kol­lek­tiv neuer­li­chen Zündstoff: Das SPK war, und dies gilt vor allem auch für den ersten Prozess nach seiner erzwun­ge­nen Selbst­auf­lö­sung 1971, ein Produkt der „68er“-Bewegung und selbst ein in Teilen sowie von verschie­de­ner Seite insze­nier­tes Medien­spek­ta­kel. Während der Polizei­ak­ti­on wurden mehre­re Mitglie­der der Gruppe verhaf­tet, unter ihnen auch die späte­ren Angeklag­ten Dr. Ursula Huber und Dr. Wolfgang Huber sowie Siegfried Hausner.
Die Haupt­ver­hand­lung im ersten von insge­samt vier Prozes­sen gegen vorma­li­ge Mitglie­der des SPK wurde am 7. Novem­ber 1972 vor der IV. Großen Straf­kam­mer des Landge­richts Karls­ru­he gegen zunächst neun Angeklag­te eröff­net. Da sechs von ihnen jedoch zum Prozess­auf­takt nicht erschie­nen, sondern unter anderem zu einem Teach-In nach München gereist waren, wurde das Verfah­ren gegen sie noch am selben Tage abgetrennt. Mit dem Ehepaar Huber und dem Schüler Siegfried Hausner standen somit vorerst nur dieje­ni­gen Angeklag­ten vor Gericht, die sich zu Prozess­be­ginn bereits in Unter­su­chungs­haft befun­den hatten. Die Ankla­ge laute­te unter anderem auf Bildung einer krimi­nel­len Verei­ni­gung, die Urtei­le ergin­gen nach 15 Verhand­lungs­ta­gen am 19. Dezem­ber 1972 und belie­fen sich auf je vierein­halb Jahre Haft für Ursula und Wolfgang Huber sowie drei Jahre Jugend­stra­fe für Siegfried Hausner.
Schon die Eröff­nung der Haupt­ver­hand­lung (07.11.72) führte Teilneh­mern wie Beobach­tern eindrück­lich vor Augen, welchen Charak­ter der Prozess während der bevor­ste­hen­den 15 Verhand­lungs­ta­ge anneh­men würde. Mit den Unter­su­chungs­ge­fan­ge­nen waren ledig­lich drei der neun Angeklag­ten erschie­nen, und auch dies nur, weil sie sich von Vollzugs­be­am­ten auf Bahren fixiert in den Saal hatten tragen lassen. Überhaupt war ihr Auftre­ten vor Gericht von einer rigoro­sen Boykott­hal­tung gegen­über dem Verfah­ren gekenn­zeich­net. Jedes Mal, wenn der Vorsit­zen­de Richter Dr. Wilhelm Gohl oder Staats­an­walt Hermann Frank das Wort ergrif­fen, übertön­ten sie diese mit lauten Rufen und Belei­di­gun­gen, wobei sie aus dem Publi­kum tatkräf­tig und mit durch die Luft fliegen­den Zeitun­gen unter­stützt wurden (S. 2 des Proto­kolls der Haupt­ver­hand­lung; vgl. N. N., Makabre Szenen beim Beginn des SPK-Prozes­ses, in: Stutt­gar­ter Zeitung vom 08.11.1972). Versu­che des Vorsit­zen­den, den Angeklag­ten recht­li­ches Gehör zu geben, mussten derge­stalt misslin­gen. Eine Zuhöre­rin, die eine Resolu­ti­on verlas, wurde unter Tumul­ten aus dem Gerichts­saal entfernt: „Bullen in die Schran­ken, alle Macht den Kranken“ und „Gohl und Frank auf die Ankla­ge­bank“ waren nur zwei der Sprech­chö­re, die vom Publi­kum und den Beklag­ten skandiert wurden (Proto­koll, S. 3). Als eine Fortset­zung der Verhand­lung auf diese Art nicht möglich erschien, wurden die Eheleu­te Huber und Siegfried Hausner auf Antrag des Staats­an­wal­tes bereits nach wenigen Minuten des Saales verwie­sen (Vgl. N. N., Anwäl­te und sechs Angeklag­te erschie­nen nicht, in: Mannhei­mer Morgen vom 08.11.1972, S. 12).
Indes waren es nicht nur die Beschul­dig­ten, die durch ihr Verhal­ten den ordent­li­chen Fortgang des Verfah­rens gleich zu Beginn zu behin­dern suchten. Auch ihre Vertei­di­ger, die Rechts­an­wäl­te Eberhard Becker, Ulrich Cassel, Klaus Crois­sant, Kurt Groene­wold und Jörg Lang, waren entspre­chend im Voraus erfolg­ter schrift­li­cher Ankün­di­gun­gen oder aufgrund eigenen Haftauf­ent­hal­tes nicht zur Eröff­nung erschie­nen, mit Klaus Eschen hatte sich ein weite­rer Rechts­bei­stand wegen Krank­heit entschul­digt. Diesem justiz­ge­schicht­li­chen Novum sollten im Verlauf der Prozess­eröff­nung zwei in ihrem Pragma­tis­mus nicht weniger denkwür­di­ge Beschlüs­se hinzu­kom­men: Zum einen ermög­lich­te die Kammer mit ihrer Entschei­dung, die fortwäh­rend stören­den Angeklag­ten aus dem Gerichts­saal zu entfer­nen, eine Verle­sung der Ankla­ge­schrift auch in deren Abwesen­heit, zum anderen wurden ihre sechs Wahlpflicht­ver­tei­di­ger von der weite­ren Verhand­lung ausge­schlos­sen, sodass ihnen nunmehr ledig­lich die drei anwesen­den, vom Gericht vorsorg­lich bestell­ten Pflicht­ver­tei­di­ger von Amts wegen zur Seite standen.
Die Abwesen­heit der Beschul­dig­ten und ihrer Vertrau­ens­an­wäl­te prägte die nun folgen­den Wochen. Am zweiten Verhand­lungs­tag (09.11.72) beantrag­te der Siegfried Hausner beigeord­ne­te Pflicht­ver­tei­di­ger Dr. Ingenohl, die Angeklag­ten täglich dahin­ge­hend zu befra­gen, ob sie an der Verhand­lung teilneh­men wollten. Das Gericht lehnte dies jedoch ab. Zwar sei eine Überprü­fung des Ausschlus­ses durch­aus geboten, aller­dings läge es nach den andau­ern­den Störungs­ver­su­chen der Angeklag­ten auch an diesen selbst, den Wunsch nach einer Teilnah­me an der Verhand­lung zu äußern. An der radika­len Verwei­ge­rungs­hal­tung der Beschul­dig­ten sollte sich indes nichts mehr ändern. Nachdem sie auch am dritten Verhand­lungs­tag (13.11.71) nicht erschie­nen waren und im Rahmen einer neuer­li­chen Überprü­fung die Teilnah­me weiter­hin ablehn­ten, hielten ihre Pflicht­ver­tei­di­ger die entspre­chen­den Anträ­ge am vierten Verhand­lungs­tag (16.11.72) nicht länger aufrecht.
Überhaupt befan­den sich die Karls­ru­her Rechts­an­wäl­te Dr. Ingenohl, Eggler und Linke in einem denkbar konflikt­rei­chen Verhält­nis zu ihren Mandan­ten, da diese jede Form der Zusam­men­ar­beit mit ihnen verwei­ger­ten. Nur wenig überra­schend beantrag­te Dr. Ingenohl daher am fünften Verhand­lungs­tag (17.11.72), die Haupt­ver­hand­lung gegen seinen Mandan­ten Siegfried Hausner „auf unbestimm­te Zeit zu verta­gen und falls erfor­der­lich, abzutren­nen“ (Proto­koll, S. 75). Auch die Rechts­an­wäl­te Linke und Eggler beantrag­ten die Ausset­zung des Verfah­rens gegen Ursula und Wolfgang Huber für den Fall, dass das Gericht dem Antrag ihres Kolle­gen statt­ge­ben sollte (Vgl. ebd.). Wohl nicht zuletzt, um damit eine befürch­te­te Verzö­ge­rung des Verfah­rens zu vermei­den, wurden die Anträ­ge von der Kammer abgewiesen.

Der sechs­te und siebte Verhand­lungs­tag (20./21.11.72) waren auch von der Öffent­lich­keit mit Spannung erwar­tet worden, da sie ganz im Zeichen der Aussa­gen des Haupt­be­las­tungs­zeu­gen der Ankla­ge standen. Als frühe­res Mitglied des SPK hatte sich dieser über einen länge­ren Zeitraum im näheren Umfeld der Beschul­dig­ten aufge­hal­ten und durch seine Aussa­gen gegen­über der Polizei die Ermitt­lun­gen gegen das Kollek­tiv erst ins Rollen gebracht. Der Zeuge berich­te­te ausführ­lich über seine Erfah­run­gen in der von ihm so bezeich­ne­ten Gruppe des „Inneren Kreises“ und von Verfol­gungs­psy­cho­sen, die im SPK geherrscht hätten. Eine bemer­kens­wer­te Wendung nahm seine Aussa­ge am siebten Verhand­lungs­tag, als der Zeuge einen im April 1972 von ihm selbst unter­schrie­be­nen schrift­li­chen Wider­ruf seiner Aussa­gen bei der Polizei nun abermals zurück­zog. Diesen „nicht gerade alltäg­li­chen Wider­ruf eines Wider­rufs“ (N. N., Den Wider­ruf vor Gericht wider­ru­fen, in: FAZ vom 21.11.1972, S. 9) begrün­de­te er damit, dass er sich von seinem Anwalt Reiner Demski, der auch weite­re Mitglie­der des Patien­ten­kol­lek­tivs vertre­ten hatte, unter falschen Garan­tien zu dem ursprüng­li­chen Wider­ruf habe verlei­ten lassen. Dieser habe ihm zunächst versi­chert, die Erklä­rung ledig­lich für den inter­nen Gebrauch zu benöti­gen, sie sodann aber trotz­dem und gegen seinen ausdrück­li­chen Willen kolpor­tiert (Vgl. Proto­koll, S. 109).
Die drei folgen­den Verhand­lungs­ta­ge beinhal­te­ten unter anderem zwei Episo­den, die ein Licht auf den Charak­ter der Prozess­lei­tung durch den Vorsit­zen­den Richter Dr. Gohl warfen. So folgte die Straf­kam­mer am achten Verhand­lungs­tag (27.11.72) drei Ableh­nungs­an­trä­gen der Vertei­di­gung, die sich gegen Sachver­stän­di­ge des Landes­kri­mi­nal­am­tes richte­ten. Die Entschei­dung begrün­de­te sie damit, dass nicht mit letzter Sicher­heit ausge­schlos­sen werden könne, dass die Beamten auch an den Vorer­mitt­lun­gen gegen die Angeklag­ten betei­ligt und insofern als Hilfs­be­am­te der Staats­an­walt­schaft tätig gewesen seien. Der Erfolg dieser Anträ­ge war keines­wegs selbst­ver­ständ­lich, vielmehr habe sich das Gericht damit, so die Einschät­zung eines Kommen­ta­tors, „an eine überaus penible Ausle­gung der Straf­pro­zeß­ord­nung [sic]“ gehal­ten (Ulrich Hüttner, Gericht lehnt Sachver­stän­di­ge ab, in: Mannhei­mer Morgen vom 28.11.1972, S. 10). Die Befra­gung einer weite­ren Zeugin war für den zehnten Verhand­lungs­tag (04.12.72) anberaumt. Auch sie hatte im SPK dem engeren Umfeld Wolfgang Hubers angehört und grüßte beim Eintre­ten in den Saal einen Teil des Publi­kums mit erhobe­ner Faust. Wenngleich sie sich nicht in dersel­ben Weise physisch gegen das Verfah­ren zur Wehr setzte wie die Angeklag­ten, verwei­ger­te sie ebenfalls jegli­che Koope­ra­ti­on mit dem Gericht. Als sie sich demons­tra­tiv eine Zigaret­te ansteck­te, reagier­te der Vorsit­zen­de gelas­sen und bat einen Justiz­be­am­ten, der Zeugin einen Aschen­be­cher zu bringen (Vgl. N. N., Aschen­be­scher für schweig­sa­me Zeugin, in: Rhein-Neckar-Zeitung vom 05.12.1972, S. 3). Sowohl in seiner Reakti­on auf das provo­kan­te Auftre­ten der Zeugin als auch mit der Ableh­nung der Sachver­stän­di­gen ließ der Vorsit­zen­de Richter das Bemühen erken­nen, das Verfah­ren trotz der proble­ma­ti­schen Umstän­de in möglichst geord­ne­ten Bahnen zu halten und sich so etwai­ger Vorwür­fe der Partei­lich­keit oder „politi­schen Justiz“ zu erwehren.
Nachdem am elften Verhand­lungs­tag (05.12.72) die Befra­gung der Zeugen sowie die Beweis­auf­nah­me abgeschlos­sen waren, beantrag­ten die Vertei­di­ger Linke und Eggler am zwölf­ten Verhand­lungs­tag (11.12.72), die Angeklag­ten über das Ergeb­nis zu unter­rich­ten. Gleich­zei­tig sollte erneut geprüft werden, ob die Angeklag­ten mittler­wei­le wieder zur Verhand­lung zugelas­sen werden könnten (Vgl. Proto­koll, S. 210). Wie schon zuvor weiger­te sich jedoch Wolfgang Huber, dem als Erstem recht­li­ches Gehör gegeben werden sollte, auch dieses Mal wieder, selbst zu gehen, sodass er abermals auf einer Bahre herein­ge­tra­gen werden musste. Mit Tumul­ten und Sprech­chö­ren sowie dem Versuch Hubers, durch anhal­tend lautes Schrei­en den Fortgang des Prozes­ses zu behin­dern, spiel­ten sich die bereits bekann­ten Handlungs­mus­ter ab. Als er eine Radio­bat­te­rie in Richtung des Vorsit­zen­den schleu­der­te, wurde er auf Antrag des Ersten Staats­an­wal­tes Dr. Gut wieder aus dem Gericht­saal entfernt. Hierbei bezeich­ne­te er die beigeord­ne­ten Pflicht­ver­tei­di­ger als „Quatsch­kopf­ver­tei­di­ger“, die „nur der Staats­ge­walt helfen“ würden und rief ihnen abschlie­ßend zu: „Ihr Schwei­ne seid immer noch da, macht, daß Ihr verschwin­det“ (Proto­koll, S. 211). Auch die beiden Mitan­ge­klag­ten unter­nah­men ähnli­che Versu­che, den Fortgang des Verfah­rens zu behin­dern, sodass sie ebenfalls ohne weite­re Ergeb­nis­se aus dem Saal entfernt wurden.
Am dreizehn­ten Tag der Haupt­ver­hand­lung (13.12.72) erfolg­ten schließ­lich die Plädoy­ers von Ankla­ge und Vertei­di­gung. Die Staats­an­walt­schaft beantrag­te eine Haftstra­fe von je fünfein­halb Jahren für Ursula und Wolfgang Huber sowie drei Jahre Jugend­stra­fe für Siegfried Hausner. Demge­gen­über forder­ten die Vertei­di­ger deutlich milde­re Strafen, Rechts­an­walt Linke bezeich­ne­te das Straf­maß der Ankla­ge für Ursula und Wolfgang Huber gar als „exorbi­tant“ (N. N., Huber-Vertei­di­ger fordern „verständ­nis­vol­le Strafe“, in: Stutt­gar­ter Zeitung vom 14.12.1972). Harsch kriti­sier­te er zudem die Wahlpflicht­ver­tei­di­ger, die durch ihr Fernblei­ben ihre Mandan­ten im Stich gelas­sen hätten (Vgl. ebd.). Er bestritt nicht, dass die Angeklag­ten sich an einer krimi­nel­len Verei­ni­gung betei­ligt hätten, keines­wegs jedoch seien sie als Rädels­füh­rer zu bezeich­nen und auch der versuch­ten Brand- und Spreng­stoff­an­schlä­ge sowie der Urkun­den­fäl­schung seien sie nicht schul­dig zu sprechen.
Als am folgen­den Verhand­lungs­tag (15.12.72) die Vertei­di­ger vorschlu­gen, den Angeklag­ten das letzte Wort zu geben, wurde dies vom Gericht aufgrund der bishe­ri­gen Erfah­run­gen als aussichts­los gewer­tet (Vgl. Proto­koll, S. 221f.). Statt­des­sen verstän­dig­te man sich darauf, ihnen ledig­lich mitzu­tei­len, dass die Möglich­keit des letzten Wortes für sie gegeben sei. Als Termin für die Urteils­ver­kün­dung wurde der 19. Dezem­ber 1972 anberaumt. Entspre­chend den Erwar­tun­gen des Gerichts ließen die Angeklag­ten für diesen Tag mittei­len, dass sie weder ein letztes Wort abzuge­ben, geschwei­ge denn anwesend zu sein gedach­ten. Als das Urteil zuletzt verkün­det wurde, blieb die Kammer nur wenig unter dem von der Staats­an­walt­schaft gefor­der­ten Straf­maß: Es laute­te auf je vierein­halb Jahre Haft für das Ehepaar Huber und die beantrag­ten drei Jahre Jugend­stra­fe für Siegfried Hausner. Die Urteils­ver­kün­dung nahm dabei noch einmal den skurri­len Charak­ter an, von dem das Verfah­ren ohnehin geprägt war. Aus den Reihen des Publi­kums musste ein Zuhörer entfernt werden, weil er in Richtung des Vorsit­zen­den schrie: „Halt die Schnau­ze und lass die Öffent­lich­keit auch mal reden. Es heißt doch: ‚Im Namen des Volkes!‘“ (Proto­koll, S. 225).

2. Prozess­be­tei­lig­te
a) Die Angeklagten

Wolfgang Huber wurde 1935 in Frank­furt am Main geboren (für diese sowie weite­re biogra­phi­sche Angaben vgl. die ausführ­li­che Darstel­lung im Standard­werk zum SPK: Pross, Verder­ben, hier S. 54). Dem Bericht einer Zeitzeu­gin zufol­ge soll sein Vater ein Anhän­ger des Natio­nal­so­zia­lis­mus gewesen sein (Ebd.). Nach eigenem Bekun­den war Huber schon früh ein leiden­schaft­li­cher Pianist, der seine ersten Auftrit­te im Alter von zwölf Jahren hatte (Wolfgang Huber u. a., Wie aus der Krank­heit eine Waffe wurde, S. 140). In einem Inter­view aus dem Jahre 1992 beschreibt er einen Verkehrs­un­fall als Schlüs­sel­er­leb­nis, infol­ge­des­sen er sich mit 17 Jahren aufgrund einer Beein­träch­ti­gung des linken Zeige­fin­gers auf die Medizin fokus­siert habe (Vgl. ebd., S. 141f.).
Nachdem Huber im Jahre 1966 an die Heidel­ber­ger Psych­ia­tri­sche Polikli­nik gekom­men war, baute er gemein­sam mit dem Leiter der Klinik, Dr. Spazier, „de facto eine psycho­the­ra­peu­ti­sche Studen­ten­be­ra­tung“ auf (Vgl. Pross, Verder­ben, S. 66). In einem späte­ren, vom Rekto­rat beauf­trag­ten Gutach­ten Spaziers wird deutlich, dass Huber und Spazier die in der Polikli­nik erarbei­te­ten Behand­lungs­kon­zep­te durch­aus auch als Grund­la­ge für ein weiter­füh­ren­des polipsych­ia­tri­sches Unter­neh­men in Betracht gezogen hatten (Vgl. Dokumen­ta­ti­on zum Sozia­lis­ti­schen Patien­ten­kol­lek­tiv Heidel­berg, S. 55). Hoffnun­gen aus dieser Zeit, die psych­ia­tri­sche Polikli­nik möge auch mit Blick auf den wachsen­den thera­peu­ti­schen Bedarf eine besse­re perso­nel­le Ausstat­tung erhal­ten, sollten sich aller­dings nicht erfül­len (Vgl. Pross, Verder­ben, S. 66–68).
An der Polikli­nik scheint Huber außer­or­dent­li­chen Fleiß an den Tag gelegt und die Betreu­ung des Gros der studen­ti­schen Klien­tel übernom­men zu haben. Dabei dürften die Gruppen­the­ra­pien mit seinen Patien­ten für ihn nicht zuletzt deshalb einen hohen Stellen­wert gehabt haben, da er den Zeitzeu­gen­be­rich­ten zufol­ge bei allem profes­sio­nel­len Eifer wohl kein einfa­cher Charak­ter war (Vgl. ebd., S. 58–61). Ausein­an­der­set­zun­gen mit Kolle­gen waren demnach keine Selten­heit, und so dürfte er die Gesell­schaft seiner Patien­ten dem Kreis seiner Kolle­gen vorge­zo­gen haben. Diese Konflikt­stel­lung verstärk­te sich noch einmal erheb­lich, als der ihm gewoge­ne Leiter Dr. Spazier 1969 die Polikli­nik verließ und Huber sich in der Folge einem fast gleich­alt­ri­gen Vorge­setz­ten gegen­über­sah (Vgl. ebd., S. 75). Als Huber nach einem Streit mit diesem Vorge­setz­ten den Direk­tor der Gesamt­kli­nik, Prof. von Baeyer, in einem Telefon­ge­spräch mit Vorwür­fen überzog, teilte von Baeyer ihm mit, dass sein auslau­fen­der Vertrag nicht verlän­gert werde. In der Rückschau erscheint Hubers Kündi­gung für die weite­ren Entwick­lun­gen als entschei­den­de Wegmar­ke. Erst die Protest­re­ak­tio­nen seiner Patien­ten hierauf führten dazu, dass der Kerngrup­pe des SPK an der Polikli­nik – damals noch nicht unter diesem Namen – sukzes­si­ve neue Patien­ten aus der politi­sier­ten Studen­ten­schaft zuström­ten und der Perso­na­lie eine immer stärker politi­sche Prägung verliehen.
Im SPK selbst war Huber nicht die allein bestim­men­de, jedoch ohne Zweifel die zentra­le Person. Auch wenn das „Arzt-Patient-Verhält­nis“ dem Selbst­ver­ständ­nis des Kollek­tivs zufol­ge aufge­löst war, wird seine Stellung anhand schlich­ter Begeben­hei­ten ersicht­lich. Als behan­deln­der Arzt verfüg­te er schon allein bei der ursprüng­li­chen Patien­ten­grup­pe über sachli­che Autori­tät, als solcher wurde er zudem auch nach dem Ausschei­den aus der Polikli­nik über einen länge­ren Zeitraum bezahlt. Beson­ders plastisch tritt sein Einfluss dadurch hervor, dass er das Zustan­de­kom­men eines mit dem Rekto­rat mühsam ausge­han­del­ten Kompro­miss­ver­trags am 6. April 1970 durch die Verwei­ge­rung seiner Unter­schrift platzen ließ. (Vgl. Pross, Verder­ben, S. 105–108).
Die Zeitzeu­gen­be­rich­te über Wolfgang Huber gehen teils stark ausein­an­der. Während manche ihn als philo­so­phisch belese­nen, hochin­tel­li­gen­ten und charis­ma­ti­schen Mann schil­dern, erscheint er in anderen Schil­de­run­gen beina­he als intro­ver­tier­ter Sonder­ling und Außen­sei­ter (Zur Außen­sei­ter­rol­le Wolfgang Hubers vgl. das entspre­chen­de Kapitel in: Pross, Verder­ben, S. 61). Fest steht, dass er ein leiden­schaft­li­cher Arzt war, der sich während seiner Zeit an der Polikli­nik mit Hinga­be seiner Patien­ten annahm und seine Kritik an der etablier­ten Psych­ia­trie wortreich und in philo­so­phi­schen Begrif­fen zu formu­lie­ren wusste. Zweifel­los war er von den anti- und sozial­psych­ia­tri­schen Projek­ten in Frank­reich, Itali­en, England und den USA beein­flusst. Sein persön­li­cher Lebens­weg vom Arzt zum Mitglied einer krimi­nel­len Verei­ni­gung ist einge­bet­tet in die Entwick­lung der westdeut­schen Protest­be­we­gung der späten sechzi­ger Jahre und eng verbun­den mit ihrer spezi­fi­schen Ausprä­gung in Heidelberg.

Ursula Huber wurde 1935 in Nordrhein-Westfa­len geboren. Ihre Rolle im SPK – sowie in erster Linie ihre Verur­tei­lung wegen Rädels­füh­rer­schaft in einer krimi­nel­len Verei­ni­gung – ist auch vor dem Hinter­grund ihrer Ehe mit Wolfgang Huber zu begrei­fen. Insbe­son­de­re was den so bezeich­ne­ten „inneren Kreis“ des SPK anlangt, liegt dies auf der Hand: Der den Ermitt­lungs­be­hör­den später als Kern der Heidel­ber­ger Stadt­gue­ril­la­grup­pe gelten­de Zirkel traf sich auf Einla­dung ihres Mannes regel­mä­ßig mittwochs im Privat­haus der Hubers in Wiesenbach.
Während des Bestehens des SPK war Ursula Huber am Physio­lo­gi­schen Insti­tut der Heidel­ber­ger Univer­si­tät beschäf­tigt. Mit ihrer Verhaf­tung und dem Bekannt­wer­den der gegen sie erhobe­nen Vorwür­fe wurde ihr diese Stelle am 5. August 1971 gekün­digt (Vgl. S. 7 des Urteils). Das Gericht sah später als erwie­sen an, dass sie sich an ihrem Arbeits­platz unter anderem erfolg­reich an der Herstel­lung von Spreng­stof­fen für die Heidel­ber­ger Stadt­gue­ril­la-Gruppe versucht hatte.
In der Rückschau betrach­tet, erwecken die Ursula Huber zur Last geleg­ten Experi­men­te mitun­ter den Eindruck von Halbher­zig­keit und Dilet­tan­tis­mus (Der Haupt­be­las­tungs­zeu­ge der Ankla­ge selbst äußer­te sich im Zeitzeu­gen­ge­spräch bezüg­lich der herge­stell­ten Nitro­zel­lu­lo­se in diesem Sinne: „Man braucht also nur ’n Tempo­ta­schen­tuch und ’n bisschen Salpe­ter­säu­re, dann kocht man das und fertig ist die Geschich­te, wenn das getrock­net ist“; Nieder­schrift des Gesprächs vom 16.02.2017, S. 7, Privat­ar­chiv Brosig). Ihr Beitrag zur krimi­nel­len Verei­ni­gung verblasst gar, stellt man die ungleich bedeu­ten­de­re Funkti­on des ebenfalls der Rädels­füh­rer­schaft verur­teil­ten Wolfgang Huber gegen­über. Nicht von ungefähr hatte Rechts­an­walt Linke für Ursula Huber ein „verständ­nis­vol­les Urteil“ (Vgl. N. N., „Vertei­di­ger haben ihre Mandan­ten im Stich gelas­sen“, in: Rhein-Neckar-Zeitung vom 14.12.1972, S. 5.) gefor­dert. Es erscheint durch­aus denkbar, dass sie im Falle einer Koope­ra­ti­on mit dem Gericht auf eine deutlich milde­re Strafe hätte hoffen dürfen.

Siegfried Hausner wurde 1952 in Selb (Oberfran­ken) geboren. Noch als Schüler, spätes­tens im Jahr 1970, schloss er sich dem Sozia­lis­ti­schen Patien­ten­kol­lek­tiv an, wo er später dem engeren Umfeld Wolfgang Hubers angehör­te. Hausner wurde im Zuge des Ermitt­lungs­ver­fah­rens 1971 erstmals festge­nom­men und befand sich fortan bis Febru­ar 1972 in Unter­su­chungs­haft. Nach Aufhe­bung des Haftbe­fehls zunächst wieder auf freiem Fuß, wurde Hausner wegen Versto­ßes gegen die Aufla­gen im Juli 1972 erneut verhaf­tet. Seine dreijäh­ri­ge Jugend­stra­fe endete 1974, nach Anrech­nung der erlit­te­nen Unter­su­chungs­haft. Hausner hatte zusam­men mit anderen späte­ren RAF-Mitglie­dern aus dem SPK in einer Heidel­ber­ger WG unweit des AStA in der Sandgas­se gelebt, 1975 betei­lig­te er sich als Mitglied des „Komman­do Holger Meins“ der RAF am Überfall auf die deutsche Botschaft in Stock­holm. Nach der Aktion, bei der zwei Botschafts­an­ge­hö­ri­ge ermor­det wurden und einer der Beset­zer ums Leben kam, erlag Hausner, der bei einer Explo­si­on schwe­re Verbren­nun­gen erlit­ten hatte, infol­ge eines entge­gen ärztli­chen Anratens erfolg­ten Kranken­trans­por­tes binnen weniger Tage seinen Verlet­zun­gen. Nach Hausner, der in der Folge von Teilen der Linken vikti­mi­siert wurde, benann­te sich während des „Deutschen Herbs­tes“ 1977 das RAF-Komman­do, welches für die Entfüh­rung und Ermor­dung des seiner­zei­ti­gen Arbeit­ge­ber­prä­si­den­ten Hanns Martin Schley­er verant­wort­lich war (Hierzu vgl. die entspre­chen­den Passa­gen in: Kevin Lenk, Die politi­sche Instru­men­ta­li­sie­rung von Toten im Kontext des deutschen Links­ter­ro­ris­mus, 1970–1977).

b) Die Verteidiger
Vom Beginn der Ermitt­lun­gen an war eine Reihe von Rechts­an­wäl­ten verschie­dent­lich in das Straf­ver­fah­ren einge­bun­den. Das Proto­koll der Haupt­ver­hand­lung benennt als Pflicht­ver­tei­di­ger der Angeklag­ten die Karls­ru­her Rechts­an­wäl­te Dr. Ingenohl, Eggler und Linke. Damit sind jedoch nicht dieje­ni­gen Vertei­di­ger bezeich­net, die tatsäch­lich das Vertrau­en der Angeklag­ten genos­sen und die aus Protest dem Gerichts­ver­fah­ren fernge­blie­ben waren. Zu nennen ist hier an erster Stelle der Heidel­ber­ger Rechts­an­walt Eberhard Becker, daneben fungier­ten die Stutt­gar­ter Rechts­an­wäl­te Ullrich Cassel, Klaus Crois­sant und Jörg Lang, der Hambur­ger Anwalt Kurt Groene­wold sowie der Berli­ner Anwalt Klaus Eschen als Vertrau­ens­an­wäl­te der Beschul­dig­ten. In einem weite­ren, das Vorfeld des Prozes­ses in den Blick nehmen­den Sinne, sind vor allem auch die Sozien Eberhard Beckers, Marie­lui­se Becker und Jürgen Laubs­cher, als Vertei­di­ger zu nennen. Auch die Frank­fur­ter Anwäl­te Ottmar Bergmann und Reiner Demski sind als Rechts­bei­stän­de weite­rer Angeklag­ter anzufüh­ren, jedoch beschränkt sich die hier inter­es­sie­ren­de Rolle vor allem auf das zwischen­zeit­li­che Mandat für den späte­ren Haupt­be­las­tungs­zeu­gen der Ankla­ge, im Zusam­men­hang mit dessen Wider­ruf seiner Polizei­aus­sa­gen. Weite­re Anwäl­te waren verschie­dent­lich in die Vertei­di­gung involviert.

c) Das Gericht
Der Prozess wurde vor der IV. Großen Straf­kam­mer des Landge­richts Karls­ru­he verhan­delt. Als Vorsit­zen­der fungier­te der Vorsit­zen­de Richter am Landge­richt Dr. Wilhelm Gohl, Beisit­zer waren die Richter am Landge­richt von Au und Baldus. Die beiden Schöf­fen­äm­ter waren mit zwei Karls­ru­her Bürgern besetzt. Ergän­zungs­rich­ter war der Richter am Amts- und Landes­ge­richt Winkler, als Ergän­zungs­schöf­fin wohnte eine Karls­ru­her Bürge­rin dem Prozess bei.
Als zentra­ler Reprä­sen­tant der Gerichts­bar­keit hatte der Vorsit­zen­de Richter Dr. Gohl bei den Angeklag­ten und ihren Unter­stüt­zern einen denkbar schwe­ren Stand, was sich unter anderem in hanebü­che­nen NS-Verglei­chen gegen seine Person offen­bar­te. Mit Beschimp­fun­gen wie „Sonder­rich­ter Gohl“ und „Nazi-Gohl“ führten Angeklag­te und IZRU-Mitglie­der einen Duktus fort, der aus den wortra­di­ka­le­ren SPK-Veröf­fent­li­chun­gen bekannt war. Indes konnte es Gohl nicht nur den Angeklag­ten nicht recht­ma­chen. Am 12. Septem­ber 1972 ging beim baden-württem­ber­gi­schen Justiz­mi­nis­te­ri­um ein Schrei­ben der Vollzugs­an­stalt Karls­ru­he (Außen­stel­le Rastatt) ein. In diesem Schrei­ben beschwert sich der Verfas­ser, dass seinem Ersuchen, die von Gohl verfüg­te Besuchs­er­laub­nis für „Tatbe­tei­lig­te, die früher inhaf­tiert waren, deren Angehö­ri­ge“ und weite­re Perso­nen zurück­zu­neh­men, nicht entspro­chen worden sei (Schrei­ben der Vollzugs­an­stalt Karls­ru­he, Außen­stel­le Rastatt, an das Justiz­mi­nis­te­ri­um Baden-Württem­berg vom 12.09,1972, S. 392).
Angesichts seiner derart exponier­ten Stellung im Ersten SPK-Prozess ist die positi­ve Beurtei­lung seiner Rolle in der Presse bemer­kens­wert. Es sei, urteil­te der Spiegel, zuvor­derst Gohls Verdienst, dass der Prozess nicht schon zu Beginn der Haupt­ver­hand­lung geplatzt sei (Vgl. N. N., Verfah­re­nes Verfah­ren, in: Der Spiegel Nr. 49 vom 26.11.1972, S. 102). Der „liberale[]Schwabe[]“ habe sich „weder in der Form noch in der Sache“ provo­zie­ren lassen und den Prozess auch angesichts einer hochpro­ble­ma­ti­schen Verfah­rens­la­ge mit der Begrün­dung fortge­führt, dass es nach der Straf­pro­zess­ord­nung Aufga­be des Gerichts sei „‚in angemes­se­ner Zeit Recht zu sprechen‘ (Hervorh. im Orig.)“(Ebd.).

d) Die Staatsanwaltschaft
Vertre­ter der Ankla­ge waren der Erste Staats­an­walt Dr. Gut sowie Staats­an­walt Hermann Frank. Als zustän­di­ger Sachbe­ar­bei­ter stand vor allem Frank in der verba­len Schuss­li­nie der Angeklag­ten („Frank-Psych­ia­trie als Eutha­na­sie“) und ihrer Unter­stüt­zer. Neben den später gericht­lich kassier­ten Ausschlüs­sen Eberhard Beckers und seiner Sozien hatte er auch die Durch­su­chung der Wohn- und Arbeits­räu­me Eberhard Beckers zu vertre­ten. Viel mehr als der von den Angeklag­ten ebenfalls vehement geschmäh­te Gohl scheint Frank seiner Arbeit unter dem Eindruck der sich radika­li­sie­ren­den Studen­ten­be­we­gung nachge­gan­gen zu sein: So nahm er einem Zeitungs­be­richt zufol­ge in seinem Plädoy­er die von Politik und Behör­den nicht selten vertre­te­ne Positi­on ein, eine „kleine Gruppe übersät­tig­ter Intel­lek­tu­el­ler, ‚die es für schick halten, sich einen Anarchis­ten zu halten‘“ hätte sich an der Entste­hung krimi­nel­ler Verei­ni­gun­gen mitschul­dig gemacht (Vgl. N. N., Hohe Freiheits­stra­fen gefor­dert, in: Rhein-Neckar-Zeitung vom 12.12.1972, S. 5).
In den Zustän­dig­keits­be­reich Franks und seiner Vorge­setz­ter fiel zudem die kontro­vers disku­tier­te Verle­gung von sechs Unter­su­chungs­ge­fan­ge­nen in die psych­ia­tri­sche Abtei­lung der Landes­voll­zugs­an­stalt auf dem Hohen­asperg bei Ludwigs­burg. Die im Zuge des Ermitt­lungs­ver­fah­rens erfolg­te Verle­gung begrün­de­te Oberstaats­an­walt Dr. Eglin gegen­über dem baden-württem­ber­gi­schen Justiz­mi­nis­te­ri­um in einem Schrei­ben vom 16. Novem­ber 1971. Aufgrund der Tatsa­che, dass sich mit drei Ausnah­men die Beschul­dig­ten „mehr oder weniger“ bei Dr. Huber in Behand­lung befun­den hätten, seien sie „auf ihre straf­recht­li­che Verant­wort­lich­keit“ hin zu unter­su­chen (Schrei­ben des Oberstaats­an­wal­tes an das Justiz­mi­nis­te­ri­um Baden-Württem­berg vom 16.11.1971, S. 123f.). Zu diesem Zweck habe man verschie­de­ne Landes­kran­ken­häu­ser angeschrie­ben, die jedoch – mit Ausnah­me des Hohen­aspergs – eine Unter­su­chung abgelehnt oder einen unpas­sen­den Termin vorge­schla­gen hätten. Die Begrün­dun­gen für die Ableh­nun­gen halte er, Dr. Eglin, aller­dings für nicht stich­hal­tig. „Im Hinblick auf die Bedeu­tung des Verfah­rens auch über die Landes­gren­ze hinaus und um das Ermitt­lungs­ver­fah­ren nicht grund­los in die Länge zu ziehen“ bat er deshalb „beim Innen­mi­nis­te­ri­um darauf hinzu­wir­ken, daß die Landes­kran­ken­häu­ser angewie­sen werden, die psych­ia­tri­schen Unter­su­chun­gen vordring­lich durch­zu­füh­ren (Hervorh. im Orig.)“(Ebd.).
Einem späte­ren Schrei­ben des Oberstaats­an­wal­tes an das Justiz­mi­nis­te­ri­um, anläss­lich einer Beschwer­de Ursula Hubers und ihrer Anwäl­te über die zwangs­wei­se Unter­brin­gung, ist zu entneh­men, dass die Verle­gung mit Zustim­mung des zustän­di­gen Amtsrich­ters erfolgt sei. Eines förmli­chen Beschlus­ses habe es hierfür deshalb nicht bedurft, „da das Vollzugs­kran­ken­haus Hohen­asperg nicht als ‚öffent­li­che Heil- und Pflege­an­stalt‘ (Hervoh. im Orig.) i.S. des Geset­zes“ anzuse­hen sei (Schrei­ben des Oberstaats­an­wal­tes an das Justiz­mi­nis­te­ri­um Baden-Württem­berg vom 15.03.1972, S. 271).

e) Publikum/Das Infor­ma­ti­ons­zen­trum Rote Volks­uni­ver­si­tät (IZRU)
Neben den Beschul­dig­ten, den Vertre­tern der Ankla­ge und der Vertei­di­gung sowie der Straf­kam­mer ist auch das Publi­kum als bedeu­ten­de Größe des SPK-Prozes­ses zu benen­nen. Dieje­ni­gen Teile der Zuhörer­schaft, die sich im Gerichts­saal mit den Angeklag­ten verbrü­der­ten, versuch­ten über das Mittel der Insze­nie­rung erfolg­reich eine gewis­se Gegen­öf­fent­lich­keit zu erzeu­gen und hatten so erheb­li­chen Anteil an der media­len Rezep­ti­on des Gerichts­ver­fah­rens. Zusam­men­ge­schlos­sen hatte sich dieser Unter­stüt­zer­kreis zuvor im Infor­ma­ti­ons­zen­trum Rote Volks­uni­ver­si­tät (IZRU), das von ehema­li­gen Mitglie­dern des SPK als Nachfol­ge­or­ga­ni­sa­ti­on gegrün­det worden war. Eine Haupt­auf­ga­be des IZRU bestand darin, den Kontakt zu den inhaf­tier­ten SPK-Mitglie­dern aufrecht­zu­er­hal­ten und sie durch „Knast-Agita­ti­on“ moralisch zu unter­stüt­zen (Taufer, Über Grenzen, S. 79f.). Ein von der Staats­an­walt­schaft abgefan­ge­nes Schrei­ben zeigt zudem, dass gerade die Planung der Vertei­di­gung essen­zi­el­ler Bestand­teil dieser als „Schwar­ze Hilfe“ bezeich­ne­ten Unter­stüt­zungs­ar­beit war: Der Prozess müsse nach Auffas­sung des Verfas­sers „ein eindeu­tig politi­scher Prozeß werden“, ferner wird bekannt­ge­ge­ben, dass man „für 9 Leute 5 Anwäl­te“ habe organi­sie­ren können (Von der Staats­an­walt­schaft beschlag­nahm­tes Schrei­ben an eine das SPK vertei­di­gen­de Person vom 05.09.1971, S. 145).
Mit der Kanoni­sie­rung der SPK-Theore­me und der Sammlung von Presse­aus­schnit­ten zur Publi­ka­ti­on übernahm das Infor­ma­ti­ons­zen­trum jedoch vor allem auch dokumen­ta­ri­sche Aufga­ben und verbrei­te­te alter­na­ti­ve Einschät­zun­gen zum Prozess­ge­sche­hen. Durch­aus kann das IZRU als Koordi­nie­rungs­stel­le der PR-Maßnah­men betrach­tet werden, die den Prozess beglei­te­ten. So kündig­te es am Vorabend der Prozess­eröff­nung auf einem Teach-In an, dass man „im Karls­ru­her Justiz­thea­ter nicht mitspie­len“ und „dem Staats­ap­pa­rat das Monopol auf Ermitt­lung, ‚Wahrheits­fin­dung‘, Urteils­bil­dung und Vollstre­ckung aus der Hand zu reißen (Hervorh. im Orig.)“ geden­ke („Teach-In zum SPK-Prozess im Rahmen der Gegen­er­mitt­lun­gen“ vom Novem­ber 1972, Privat­ar­chiv Häfner; zitiert nach: Pross, Verder­ben, S. 409). Bei dieser Gelegen­heit gaben fünf der auf freiem Fuß befind­li­chen Angeklag­ten ihre Absicht bekannt, zum anberaum­ten Gerichts­ter­min nicht erschei­nen zu wollen.
Die Erzeu­gung dieser Form von Gegen­öf­fent­lich­keit ist als essen­zi­el­ler und ausge­spro­chen effek­ti­ver Teil der Prozess­stra­te­gie zu bewer­ten und war als solcher zwischen Angeklag­ten, Wahlver­tei­di­gern und dem Unter­stüt­zer­kreis abgestimmt worden.

3. Zeitge­schicht­li­che Einordnung
Sowohl der Erste SPK-Prozess als auch das Sozia­lis­ti­sche Patien­ten­kol­lek­tiv selbst sind nur vor dem Hinter­grund der Protest­be­we­gung der späten sechzi­ger Jahre und ihren spezi­fi­schen Vorzei­chen in Heidel­berg zu verste­hen. Das SPK war eine von vielen Erschei­nungs­for­men einer sozia­len Bewegung, die auf beinah allen Feldern Kritik an den bestehen­den Gesell­schafts­zu­sam­men­hän­gen übte und als Kataly­sa­tor bereits existen­ter Trans­for­ma­ti­ons­pro­zes­se wirken sollte. Auch die Psych­ia­trie hatte in den sechzi­ger Jahren einen solchen Prozess angetre­ten, der zum Entste­hungs­zeit­punkt des SPK gleich­wohl noch von auffäl­li­gen Wider­sprü­chen geprägt war. Während sozial­psych­ia­tri­sche Projek­te wie das Mannhei­mer Zentral­in­sti­tut für Seeli­sche Gesund­heit im Entste­hen begrif­fen waren und in der Heidel­ber­ger „Werkstatt der Psych­ia­trie­re­form“ (Vgl. Pross. Verder­ben, S. 42–50) bereits am Wandel gearbei­tet wurde, war das Erbe vergan­ge­ner Jahrzehn­te noch immer zu spüren. Vor allem den sogenann­ten Verwahr­an­stal­ten hafte­te der Schre­cken der NS-Zeit weiter­hin an und so stand im nordba­di­schen Raum das unweit von Heidel­berg gelege­ne Psych­ia­tri­sche Landes­kran­ken­haus Wiesloch symbo­lisch für ein entmensch­lich­tes Psych­ia­trie­we­sen (Vgl. Taufer, Über Grenzen, S. 63).
In diesen ambiva­len­ten Wandlungs­pro­zess fiel unter anderem mit den Werken Michel Foucaults und Erving Goffmans die Veröf­fent­li­chung einer Reihe von zumeist sozio­lo­gi­schen Studi­en, die sich kritisch mit dem Thema der Psych­ia­trie beschäf­tig­ten. Mit den sozial- und antipsych­ia­tri­schen Experi­men­ten Ronald D. Laings, David Coopers und Franco Basagli­as waren in England und Itali­en zudem alter­na­ti­ve Ansät­ze zur Behand­lung seeli­scher Leiden erprobt worden. Insbe­son­de­re die Arbei­ten der Gruppe um den Italie­ner Basaglia dürften das SPK maßgeb­lich beein­flusst haben (Vgl. Franco Basaglia, Die negier­te Insti­tu­ti­on oder die Gemein­schaft der Ausge­schlos­se­nen, 1972). Dieser hatte bereits 1968 das vielbe­ach­te­te Buch „Die negier­te Insti­tu­ti­on“ heraus­ge­ge­ben, in welchem er gemein­sam mit Kolle­gen – und vor allem: Patien­ten – die Zustän­de im italie­ni­schen Psych­ia­trie­we­sen anpran­ger­te. Die Psych­ia­trie wird darin als insti­tu­tio­na­li­sier­tes Gewalt­sys­tem mit einem ausge­präg­ten verti­ka­len Macht­ge­fäl­le charak­te­ri­siert. Während sich der behan­deln­de Arzt am oberen Ende dieser Hierar­chie befin­de, nehme der Patient seinen Platz an ihrem unteren Ende ein. Für Basaglia ergab sich daraus eine Verding­li­chung des Patien­ten, der – aufgrund einer belie­bi­gen Abwei­chung von der Norm – als „krank“ etiket­tiert, zum Objekt des ärztli­chen Inter­es­ses werde. Die Existenz der Anstal­ten sah er sozio-ökono­misch begrün­det. Deren Sinn und Zweck nämlich sei es, dieje­ni­gen Menschen zu verwah­ren, die aufgrund ihres mangeln­den wirtschaft­li­chen und sozia­len Nutzens von der Teilha­be an der „Wohlstands- und Überfluss­ge­sell­schaft“ ausge­schlos­sen seien (Vgl. Basaglia, Die Insti­tu­tio­nen der Gewalt, S. 133).
Dem von struk­tu­rel­ler Gewalt gepräg­ten Gefüge der Anstalt setzt Basaglia die Idee der thera­peu­ti­schen Gemein­schaft entge­gen: Die Gemein­schaft verbin­de „ihre Mitglie­der – Kranke, Pfleger und Ärzte – in einem totalen Engage­ment“ (Ebd., S. 144), sodass „[d]ie Gegen­sät­ze zwischen Ärzten und Pflegern, Pflegern und Kranken, Kranken und Ärzten und auch unter Ärzten selbst“ offen ausge­tra­gen werden könnten (Ebd.). Die Verhaf­tung dieser Ideen in der Studen­ten­be­we­gung ist augen­fäl­lig, fand doch Basagli­as Verständ­nis der thera­peu­ti­schen Gemein­schaft als negier­te Insti­tu­ti­on ihre Entspre­chung in der von den italie­ni­schen Studie­ren­den propa­gier­ten Negati­ven Univer­si­tät. Auch diese sollte „inner­halb der offizi­el­len Univer­si­tät, aber im Wider­spruch zu ihr, die Notwen­dig­keit eines theore­ti­schen, kriti­schen und dialek­ti­schen Denkens“ begrün­den und bereits verwirk­li­chen (Zit. Nach Primo Moroni/Nanni Balestri­ni, Die golde­ne Horde, S. 141).
Basagli­as Partei­nah­me für einen Teil der gesell­schaft­lich am weites­ten Margi­na­li­sier­ten machte ihn nicht nur in Itali­en bekannt, sondern brach­te ihm auch in der Bundes­re­pu­blik Sympa­thien ein. Hier erwie­sen sich seine Texte nicht zuletzt deshalb als anschluss­fä­hig, da sie dem antiau­to­ri­tä­ren Zeitgeist der westdeut­schen Studen­ten­be­we­gung zuspiel­ten: Begrif­fe wie „Estab­lish­ment“, „Insti­tu­tio­nen der mehr oder weniger verschlei­er­ten Gewalt“ oder „repres­si­ve[] Gewalt“ belegen dies eindrück­lich (Basaglia, Die Insti­tu­tio­nen der Gewalt, S. 126, 127, 138). So erschei­nen die im SPK prokla­mier­te Auflö­sung des Arzt-Patient-Verhält­nis­ses, Gruppen­the­ra­pien oder der in die Gesell­schaft hinaus­wei­sen­de Aspekt als Radika­li­sie­run­gen der Ideen Basaglias.
Die Rezep­ti­on psych­ia­trie­kri­ti­scher Texte und Projek­te erfolg­te im SPK nicht isoliert, vielmehr wurden sie mit anderen sozia­lis­ti­schen und philo­so­phi­schen Klassi­kern im Geiste der Zeit auf die Gesamt­ge­sell­schaft bezogen. Vor allem das Randgrup­pen-Theorem Herbert Marcu­ses, demzu­fol­ge revolu­tio­nä­res Poten­zi­al primär in margi­na­li­sier­ten Gruppen zu finden sei, bot dem theorie­ge­lei­te­ten Selbst­ver­ständ­nis des Patien­ten­kol­lek­tivs Anschluss­mög­lich­kei­ten (Vgl. Herbert Marcu­se, Der eindi­men­sio­na­le Mensch, S. 25–29, 266–268). Das SPK sah die Ursachen seeli­scher Leiden weniger in indivi­du­el­len Dispo­si­tio­nen, als in der kapita­lis­ti­schen Gesell­schafts­ord­nung begrün­det: Krank­heit, so das SPK, sei ein aus der Hemmung des Protests gegen diese Ordnung abzulei­ten­des Symptom, eine erfolg­rei­che Behand­lung war notwen­dig mit einer radika­len Änderung der gegebe­nen Verhält­nis­se verknüpft.
Was bei einer Veror­tung des SPK und des ihm folgen­den Prozes­ses abschlie­ßend nicht verges­sen werden darf, ist der schar­fe Kontrast, den die studen­tisch-links­al­ter­na­ti­ve Protest­be­we­gung im konser­va­ti­ven deutschen Südwes­ten erzeug­te: Das „rote Jahrzehnt“ kolli­dier­te in Baden-Württem­berg mit einer tiefschwar­zen Landes­re­gie­rung, die sich aus Sicht der Protes­tie­ren­den vor allem in Gestalt des Minis­ter­prä­si­den­ten Hans Filbin­ger sowie des Kultus­mi­nis­ters Wilhelm Hahn perso­ni­fi­zier­te. Hahn, zweifel­los einer der vom SPK am vehemen­tes­ten geschmäh­ten Akteu­re, hatte dem Verwal­tungs­rat der Univer­si­tät sowie dem Rektor Rolf Rendtorff per Erlass vom 18. Septem­ber 1970 unter­sagt, der Gruppe weite­re Unter­stüt­zung zu gewäh­ren und die Räumung des SPK-Quartiers in der Rohrba­cher Straße 12 angeord­net. Dieser abrup­te Dämpfer von höchs­ter politi­scher Stelle und die damit verbun­de­ne neuer­li­che Enttäu­schung von Patien­ten befeu­er­ten die schon zuvor erkenn­ba­ren Wortra­di­ka­lis­men zusätz­lich. Nicht nur Solida­ri­täts­be­kun­dun­gen für die RAF, sondern auch die Versu­che einer Heidel­ber­ger Stadt­gue­ril­la sind vor dem Hinter­grund der spannungs­ge­la­de­nen Endpha­se des Patien­ten­kol­lek­tivs zu betrach­ten. Auch aufgrund der Ausein­an­der­set­zung mit den landes­po­li­ti­schen Eliten steht das SPK modell­haft für die Trans­for­ma­ti­ons­pha­se der Protest­be­we­gung, die sich Ende der sechzi­ger Jahre in unter­schied­lichs­te ideolo­gi­sche Richtun­gen und mitein­an­der konkur­rie­ren­de, gewalt­be­rei­te Fraktio­nen aufsplitterte.

4. Ankla­ge
Der abstrak­te Ankla­ge­satz laute­te auf Bildung einer krimi­nel­len Verei­ni­gung mit tatein­heit­li­cher Herstel­lung von Spreng­stoff, dem vorsätz­li­chen Versuch, Gebäu­de in Brand zu stecken und die Explo­si­on von Spreng­stoff herbei­zu­füh­ren, zudem eine Urkun­de gefälscht und einem flüch­ti­gen Täter nach der Tat Beihil­fe geleis­tet zu haben. Damit waren mehre­re konkre­te Tatvor­wür­fe bezeich­net, deren Durch­füh­rung die Angeklag­ten im Sinne der Ankla­ge gemein­schaft­lich gebil­ligt hätten. Der erste Tatkom­plex umfass­te die Herstel­lung von Spreng­stoff zwischen Novem­ber 1970 und Juli 1972 durch Ursula Huber an ihrem Arbeits­platz, der zweite bezog sich auf einen missglück­ten Brand­an­schlag auf das Psych­ia­tri­sche Landes­kran­ken­haus in Wiesloch zum Jahres­wech­sel 1970/71. Der dritte Tatkom­plex umfass­te den Beschluss, gemein­sam Spreng­stoff­an­schlä­ge zu verüben sowie einen misslun­ge­nen Spreng­stoff­an­schlag auf das Finanz­amt Heidel­berg am 10. Mai 1971, der vierte Tatkom­plex beinhal­te­te die Fälschung von Führer­schei­nen, Kraft­fahr­zeug­pa­pie­ren und Perso­nal­aus­wei­sen. Der fünfte und letzte Tatkom­plex bezog sich auf den Vorwurf, das Ehepaar Huber hätte am 24. Juni 1972 einem flüch­ti­gen Täter, der zuvor bei einer Polizei­kon­trol­le bei Wiesen­bach das Feuer auf einen Beamten eröff­net hatte, Unter­kunft gewährt und ihm anschlie­ßend bei der weite­ren Flucht geholfen.

5. Vertei­di­gung
Eine Analy­se der Vertei­di­gung im Ersten SPK-Prozess hat an dieser Stelle notwen­dig eine Unter­schei­dung vorzu­neh­men. Die Vertei­di­gung der Angeklag­ten im Gerichts­saal, welche von den beigeord­ne­ten Pflicht­ver­tei­di­gern wahrge­nom­men wurde, ist klar von der auf die Erzeu­gung einer größt­mög­li­chen (Gegen-)Öffentlichkeit abzie­len­den Vertei­di­gungs­stra­te­gie im Vorfeld und zu Beginn der Haupt­ver­hand­lung zu trennen. Nur letzt­ge­nann­te war mit den Angeklag­ten abgestimmt und von ihren Wahlver­tei­di­gern maßgeb­lich mitge­tra­gen worden. Während sich die Rolle der beigeord­ne­ten Pflicht­ver­tei­di­ger somit auf die Haupt­ver­hand­lung beschränk­te, war die Vertei­di­gung, wie sie den Vorstel­lun­gen und der Konzep­ti­on der Angeklag­ten tatsäch­lich entsprach, vor allem auf den öffent­li­chen Raum gerichtet.
Kennzeich­nend für die Vertei­di­gung im Rahmen der Haupt­ver­hand­lung war daher, dass zwischen Angeklag­ten und beigeord­ne­ten Pflicht­ver­tei­di­gern das für eine wirkungs­vol­le Vertei­di­gung notwen­di­ge Vertrau­ens­ver­hält­nis zu keinem Zeitpunkt Bestand hatte. Die Beschul­dig­ten verwei­ger­ten jegli­chen Kontakt zu ihren Rechts­bei­stän­den, die sie darüber hinaus bei jeder sich bieten­den Gelegen­heit beschimpf­ten und mit der Staats­ge­walt im Bunde wähnten. Der Antrag Dr. Ingenohls, von der Vertei­di­gung Hausners entbun­den zu werden, da sein Mandant Bespre­chun­gen mit ihm strikt ableh­ne, ist als Ausdruck dieses zutiefst gestör­ten Verhält­nis­ses zu lesen.
Der konflikt­ge­la­de­nen Vertei­di­gung im Zuge der Haupt­ver­hand­lung steht die auf maxima­le (Gegen-)Öffentlichkeit abzie­len­de Vertei­di­gungs­stra­te­gie der Angeklag­ten gegen­über, die von den Wahlver­tei­di­gern und Unter­stüt­zern getra­gen und vor allem im Vorfeld der Prozess­eröff­nung voran­ge­trie­ben worden war. Im Zentrum dieser Vertei­di­gung stand seit Beginn des Ermitt­lungs­ver­fah­rens der Heidel­ber­ger Rechts­an­walt Eberhard Becker, der neben den Manda­ten für die Eheleu­te Huber und Siegfried Hausner noch das Mandat für weite­re der später Angeklag­ten übernom­men hatte. Becker, der 1964 in den Heidel­ber­ger Sozia­lis­ti­schen Deutschen Studen­ten­bund einge­tre­ten war, war seit Länge­rem eine Größe der linken Heidel­ber­ger Studen­ten­schaft und überdies Mitglied des SDS-Bundes­vor­stan­des. Zweifel­los konnte er den Angeklag­ten bei der Konzep­ti­on einer politi­schen Vertei­di­gung mit beträcht­li­chen Erfah­rungs­wer­ten zur Seite stehen.
Becker hatte die Höhepunk­te der Protes­te im Herbst-/Winter­se­mes­ter 1968/69, dem sogenann­ten „Heidel­ber­ger Winter“, aus nächs­ter Nähe miter­lebt. Allen voran die Erfah­run­gen im Zuge der „Justiz­kam­pa­gne“, die infol­ge zweier Straf­ver­fah­ren gegen einige promi­nen­te Mitglie­der des Studen­ten­ver­ban­des lanciert worden war, dürften Becker – ebenso wie die politi­sier­ten SPK-Patien­ten – geprägt haben (Hierzu vgl. Dietrich Hilde­brandt, Justiz­kam­pa­gne, S. 425–429). In der „Justiz­kam­pa­gne“ hatten die Mitglie­der des Heidel­ber­ger SDS versucht, der überall in der Bundes­re­pu­blik abflau­en­den Protest­be­we­gung durch Ausnut­zung der Prozess­öf­fent­lich­keit noch einmal neuen Schwung zu verlei­hen. Zu diesem Zweck war am 3. Febru­ar 1969, dem Tag des Prozess­be­ginns im Heidel­ber­ger „Stadt­hal­len­pro­zess“, ein Teach-In einbe­ru­fen worden, auf dem die Strate­gie für die kommen­den Prozess­ta­ge bespro­chen werden sollte. Für den Prozess, in dem bekann­te Mitglie­der des Heidel­ber­ger SDS wegen einer Störak­ti­on anläss­lich einer Veran­stal­tung des Akade­mi­schen Auslands­amts in der Heidel­ber­ger Stadt­hal­le als „Rädels­füh­rer“ angeklagt worden waren, entschied man sich für eine politi­sche Vertei­di­gung: Die Angeklag­ten sollten ihren Auftritt vor Gericht dazu nutzen, die Motiva­ti­on ihrer Handlun­gen politisch zu begrün­den, die Unter­stüt­zer in den Lehrver­an­stal­tun­gen Diskus­sio­nen über den Prozess erzwin­gen. Was nicht zuletzt von Gerichts­auf­trit­ten des Berli­ner Kommu­nar­den Fritz Teufel inspi­riert gewesen sein dürfte, zeiti­ge in Heidel­berg jedoch deshalb kaum Erfol­ge, da der Vorsit­zen­de Richter die Ausfüh­run­gen der Angeklag­ten wieder­holt als nicht zur Sache gehörig unter­brach (Vgl. Katja Nagel, Die Provinz in Bewegung, S. 219). „Nicht ohne einen Hauch von Resigna­ti­on“, so die Histo­ri­ke­rin Katja Nagel, werde denn auch in einem SDS-Flugblatt moniert, dass es „zu einer Kommu­ni­ka­ti­on zwischen Richter und Angeklag­ten gar nicht kommen konnte.“ (Univer­si­täts­ar­chiv Heidel­berg, „Klassen­jus­tiz und Rekto­rat sind eins“, zitiert nach: Nagel, Die Provinz in Bewegung, S. 218).
Die Entschei­dung, die öffent­li­che Aufmerk­sam­keit während des SPK-Prozes­ses durch einen Boykott auf das Verfah­ren zu lenken und politi­sche Erklä­run­gen den Mitstrei­tern im IZRU zu überlas­sen, scheint durch die Erfah­run­gen der „Justiz­kam­pa­gne“ wesent­lich geprägt. Vor dem Hinter­grund ihres Schei­terns wirken Total­ver­wei­ge­rung und Boykott­ver­su­che dabei auch wie eine Mischung aus logischer Konse­quenz und Verle­gen­heit in Erman­ge­lung besse­rer Alternativen.
Unabhän­gig vom Erfolg der Strate­gie wird deutlich, dass die Ausein­an­der­set­zung mit der Justiz der studen­ti­schen Linken in Heidel­berg keines­falls fremd war und die Öffent­lich­keits­ar­beit im Ersten SPK-Prozess als zentra­ler Pfeiler der Vertei­di­gungs­stra­te­gie zu werten ist. Wieder­holt nutzten die Straf­ver­tei­di­ger die lokale Presse zur Veröf­fent­li­chung von Protest­erklä­run­gen im Zusam­men­hang des Straf­ver­fah­rens. Am 22. Septem­ber 1972 war in der Stutt­gar­ter Zeitung zu lesen, dass die Anwäl­te der Sozie­tät Becker/Laubscher beim Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt Beschwer­de gegen die anhal­ten­de Unter­brin­gung ihrer Mandan­ten Ursula und Wolfgang Huber im Justiz­voll­zugs­kran­ken­haus Hohen­asperg einge­legt hatten. Die Beschwer­de bemän­gel­te vor allem die Begrün­dung der Flucht­ge­fahr mit der „inneren Einstel­lung“ Ursula Hubers und sah darin eine Reihe von Grund­rech­ten verletzt (N. N., „Straf­haft mit Zielrich­tung der Reue“, in Stutt­gar­ter Zeitung vom 22.09.1972): Zu der Hoffnung, die Einstel­lung eines Angeklag­ten möge sich in der Unter­su­chungs­haft ändern, ziele das Gericht „auf den Kernbe­stand der Menschen­wür­de, auf sein Recht auf freie Meinungs­äu­ße­rung und freie Meinungs­bil­dung […] ab.“ (Ebd.) Auch traten die Wahlver­tei­di­ger auf Solida­ri­täts­ver­an­stal­tun­gen in Erschei­nung und versorg­ten alter­na­ti­ve Medien so mit Materi­al zum Abdruck und zur Dokumen­ta­ti­on. Die Veröf­fent­li­chung einer Rede des Hambur­ger Straf­ver­tei­di­gers Kurt Groene­wold in einer um 1972 erschie­ne­nen Dokumen­ta­ti­on der Roten Hilfe Westber­lin stellt hierfür ein Beispiel dar (Rote Hilfe Westber­lin (Hg.), Vorbe­rei­tung der RAF-Prozes­se durch Presse, Polizei und Justiz. Dokumen­ta­ti­on, Berlin o. D.). Groene­wold, als Straf­ver­tei­di­ger und kriti­scher Autor im Zusam­men­hang von Prozes­sen gegen die APO ausge­wie­sen, hatte am 3. Novem­ber 1971 auf einer Demons­tra­ti­on gegen die Durch­su­chung der Wohn- und Arbeits­räu­me seiner Kolle­gen Becker/Laubscher Stellung bezogen. Er kriti­sier­te unter anderem die Beugung des Rechtes und öffent­li­che Vorver­ur­tei­lung des SPK. Die Justiz, so Groene­wold am Beispiel der Durch­su­chung, hande­le „bereits so, als wäre es [das SPK, Brosig] recht­los und vogel­frei.“ (Rote Hilfe Westber­lin, Dokumen­ta­ti­on, S. 83).
Diese Form der politi­schen, auf Öffent­lich­keit abzie­len­den Vertei­di­gung und das damit verbun­de­ne Verhal­ten der Angeklag­ten vor Gericht wurde von verschie­de­ner Seite kriti­siert. Die Verant­wor­tung für den Verlauf des Prozes­ses und die auch in der Presse überwie­gend als hoch empfun­de­nen Haftstra­fen sahen viele Prozess­be­ob­ach­ter und ‑teilneh­mer daher in erster Linie bei den Vertrau­ens­an­wäl­ten der Beschul­dig­ten. Diese nämlich hätten, so Rechts­an­walt Linke, „‚gewußt und vielleicht sogar gesteu­ert‘, daß die Angeklag­ten […] jeden Kontakt mit den vom Gericht bestell­ten Pflicht­ver­tei­di­gern“ ablehn­ten (N. N., „Vertei­di­ger haben ihre Mandan­ten im Stich gelas­sen“, in: RNZ vom 14.12. 1972). Ein Prozess­be­ob­ach­ter der Süddeut­schen Zeitung forder­te gar, dass Vertei­di­ger, die sich selbst nicht mehr als Organ der Rechts­pfle­ge sehen und mit Schein­ar­gu­men­ten Verfah­ren torpe­die­ren würden, grund­sätz­lich von der Vertei­di­gung auszu­schlie­ßen seien (Vgl. N. N., Verfah­re­nes Verfah­ren, in: Der Spiegel Nr. 49 vom 26.11.1972, S. 103). Im Urteil ausge­wo­ge­ner erwies sich ein Kommen­ta­tor des Spiegel, der hierauf zu beden­ken gab, dass bislang in keinem Gesetz oder Ehren­ge­richts­ur­teil festge­legt worden sei, „wann ein Anwalt aufhört ‚Organ der Rechts­pfle­ge‘ zu sein, und wann er beginnt, zu einem ‚Organ der Revolu­ti­on‘ zu werden (Hervorhh. im Orig.).“ (N. N., Verfah­re­nes Verfah­ren, in: Der Spiegel Nr. 49 vom 26.11.1972, S. 103.; was an diesen Reaktio­nen ersicht­lich wird, ist vor allem die gesell­schaft­li­che Verun­si­che­rung angesichts einer Gruppe von Rechts­an­wäl­ten, die ihre Rolle als Straf­ver­tei­di­ger in bewuss­ter Abgren­zung zu bishe­ri­gen Usancen inter­pre­tier­te. Während die „Links­an­wäl­te“ nicht selten der Kompli­zen­schaft mit ihren Mandan­ten verdäch­tigt wurden, zählt es die heute gülti­ge Berufs­ord­nung in der Fassung vom 01.01.2020 unter § 1 Freiheit der Advoka­tur wie selbst­ver­ständ­lich zu den Aufga­ben des Anwal­tes, „seine Mandan­ten vor Rechts­ver­lus­ten zu schüt­zen“. Diese habe er „vor Fehlent­schei­dun­gen durch Gerich­te und Behör­den zu bewah­ren und gegen verfas­sungs­wid­ri­ge Beein­träch­ti­gung und staat­li­che Macht­über­schrei­tung zu sichern.“; hierzu vgl. auch Hellmut Brunn/Thomas Kirn, Rechts­an­wäl­te – Links­an­wäl­te, S. 31f.).

6. Urteil und Urteilsbegründung
Das Urteil erging nach 15 Verhand­lungs­ta­gen am 19. Dezem­ber 1972 und laute­te auf vierein­halb Jahre Freiheits­stra­fe für Ursula und Wolfgang Huber wegen Betei­li­gung an einer krimi­nel­len Verei­ni­gung in Tatein­heit mit gemein­schaft­li­cher Vorbe­rei­tung von Spreng­stoff­ver­bre­chen und gemein­schaft­li­cher Urkun­den­fäl­schung (Vgl. S. 2 des Urteils). Siegfried Hausner wurde wegen Betei­li­gung an einer krimi­nel­len Verei­ni­gung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tatein­heit mit Hehle­rei, Urkun­den­fäl­schung sowie Wider­stands und Verge­hen gegen das Waffen­ge­setz zu drei Jahren Jugend­stra­fe verur­teilt (Vgl. ebd.). Die Ankla­ge­punk­te, welche die Betei­li­gung an den missglück­ten Anschlä­gen auf das Psych­ia­tri­sche Landes­kran­ken­haus in Wiesloch sowie das Heidel­ber­ger Finanz­amt zum Gegen­stand hatten, wurden fallen­ge­las­sen, ebenso der Vorwurf der Beihil­fe für den unbekann­ten flüch­ti­gen Täter im Zusam­men­hang der Schüs­se während einer Polizei­kon­trol­le bei Wiesenbach.
Insge­samt umfasst die Urteils­schrift 115 Seiten. Vor allem in der Sachver­halts­schil­de­rung wird das Bemühen des Gerichts deutlich, das Heraus­lö­sen einer kleinen Gruppe aus dem SPK als Resul­tat eines schritt­wei­sen Eskala­ti­ons­pro­zes­ses zu erklä­ren und diese Frakti­on klar von dem Patien­ten­kol­lek­tiv als solches zu trennen. Eine Identi­tät jener Gruppe „mit dem ehema­li­gen ‚Sozia­lis­ti­sches [sic] Patien­ten­kol­lek­tiv‘ (Hervorhh. im Orig.)“ sei daher „nicht mehr gegeben.“ (Ebd., S. 15.) Der Entwick­lungs­ge­schich­te des SPK sowie seinen theore­ti­schen Ansich­ten wird viel Raum gegeben, wohl vor allem auch deshalb, weil das Gericht in der recht­li­chen Würdi­gung zwischen dem eigent­li­chen, emanzi­pa­to­ri­schen Ansatz des Patien­ten­kol­lek­tivs auf der einen und dem Rigoris­mus einer kleinen radika­len Gruppe um die Angeklag­ten auf der anderen Seite zu unter­schei­den gewillt war. Letzte­re nur sei es gewesen, die der Zusam­men­ar­beit mit der RAF und anderen Gruppen hohe Bedeu­tung beigemes­sen und in Person der drei Angeklag­ten „Sender und andere auf Kosten des Angeklag­ten Dr. Huber angeschaff­te funktech­ni­sche Geräte zur Verfü­gung“ gestellt hätte (Urteil, S. 21).
Beach­tens­wert ist auch die Begrün­dung der Rädels­füh­rer­schaft in der recht­li­chen Würdi­gung, war diese von den Anwäl­ten doch zuvor mit Nachdruck bestrit­ten worden: Nicht, weil sie eine Führungs­rol­le für sich tatsäch­lich beansprucht hätten oder eine solche im SPK gewollt gewesen sei, sondern weil sie durch ihre finan­zi­el­le Situa­ti­on und Bereit­stel­lung ihres Hauses einen substan­zi­el­le­ren Beitrag für die krimi­nel­le Verei­ni­gung zu leisten gewillt waren als die übrigen Mitglie­der, seien die Eheleu­te Huber als Rädels­füh­rer im Sinne des § 129 Abs. 4 StGB zu bezeich­nen (Ebd., S. 96f.). Zwar kann diese Einschät­zung aus geschichts­wis­sen­schaft­li­cher Perspek­ti­ve mit Blick auf Wolfgang Hubers Rolle im SPK nur parti­ell geteilt werden, sie zeigt jedoch, dass sich das Gericht mit den Theore­men und der Gruppen­struk­tur des SPK ausführ­lich beschäf­tigt hatte (Tatsäch­lich scheint Wolfgang Huber auch im SPK die Rolle eines Primus inter Pares zugekom­men zu sein, vgl. Pross, Verder­ben, S. 236–238). Die Unter­schei­dung zwischen dem SPK als der ursprüng­li­chen Thera­pie­ge­mein­schaft und der krimi­nel­len Verei­ni­gung um die Angeklag­ten bleibt so auch hier zentra­ler Aspekt des Urteils.
Mit vier Seiten Umfang finden sich länge­re Ausfüh­run­gen zur kriti­schen Würdi­gung der Aussa­ge des Haupt­be­las­tungs­zeu­gen, die deren zentra­le Bedeu­tung für die Beweis­wür­di­gung unter­strei­chen. Demge­gen­über steht die Kürze der Passa­ge, die die Aussa­ge der Angeklag­ten betrifft, in einem schar­fen Kontrast: „Die Angeklag­ten haben in der Haupt­ver­hand­lung jede Einlas­sung zur Person und zur Sache verwei­gert.“ (Urteil, S. 88).
Einige der aussa­ge­kräf­tigs­ten Passa­gen des Urteils finden sich ferner in der Straf­zu­mes­sung, die weniger mit den tatsäch­li­chen Folgen der konspi­ra­ti­ven Tätig­kei­ten begrün­det wird, als vielmehr – mit dreiein­halb Seiten ausführ­lich – mit der Gefahr für die bundes­re­pu­bli­ka­ni­sche Rechts­ord­nung. Die Höhe der Strafe dürfe „sich angesichts aller Umstän­de dieses Falles deshalb nicht ausschließ­lich an den verschul­de­ten Auswir­kun­gen der Straf­ta­ten orien­tie­ren“, es gehe „vielmehr um den Gesichts­punkt der Vertei­di­gung der Rechts­ord­nung, wie er nach dem Willen des Geset­zes (vgl. §§ 14 Abs.1, 23. Abs.3 StGB) bei der Straf­zu­mes­sung zu berück­sich­ti­gen ist (Hervorh. im Orig.).“ (Proto­koll, S. 106f.)

7. Wirkung und Wirkungsgeschichte
Das Gerichts­ver­fah­ren wurde von Beginn an aufmerk­sam von der Presse verfolgt und erzeug­te bundes­wei­te Resonanz. Dabei lagen die Bewer­tun­gen der Heidel­ber­ger Ereig­nis­se im Vorfeld der Haupt­ver­hand­lung weit ausein­an­der. Während Quick sich zur Behaup­tung verstieg, „[i]n Heidel­berg“ hätten „Irre den Aufstand“ (N. N., Die seltsa­men Heilme­tho­den des Dr. Huber, in: Quick vom 11.8.1971) geprobt, kriti­sier­te der Spiegel eine Vorver­ur­tei­lung eines Teils des SPK unter anderem durch den baden-württem­ber­gi­schen Minis­ter­prä­si­den­ten Filbin­ger (Vgl. N. N., Auf Sparflam­me, in: Der Spiegel Nr. 33 vom 09.08.1971, S. 30–32, hier S. 30). Im April 1972 veröf­fent­lich­te die Stutt­gar­ter Zeitung einen ausführ­li­chen Beitrag mit dem Titel „Das Patien­ten­kol­lek­tiv war gar nicht gefähr­lich“ (Franz J. Schmid, Das Patien­ten­kol­lek­tiv war gar nicht gefähr­lich, in: Stutt­gar­ter Zeitung vom 01.04.1972).
Mehr Einig­keit bestand hinsicht­lich der Eröff­nungs­sit­zung des Verfah­rens: „Makabre Szenen“ hätten sich hier abgespielt, gar an das „Irren­haus“ von Charen­ton in Peter Weiss’ Marat/Sade sahen sich Kommen­ta­to­ren der FAZ und der Zeit erinnert (Hermann Rudolph, Wie im Irren­haus von Charen­ton, in: FAZ vom 08.11.1972, S. 9; Vgl. Werner Birken­mai­er, „Diese schre­ckens­vol­le Zeit“, in: Die Zeit vom 17.11.1972) Die Strate­gie, den Gericht­saal als Bühne für ein öffent­li­ches Spekta­kel zu instru­men­ta­li­sie­ren, verfehl­te ihre beabsich­tig­te Wirkung somit nicht. Über das Gerichts­ver­fah­ren und in der Folge das Sozia­lis­ti­sche Patien­ten­kol­lek­tiv wurde während der Prozess­wo­chen ausführ­lich berich­tet. Trotz­dem sollte sich dies als zweischnei­di­ges Schwert erwei­sen: Zwar wurde das Verfah­ren hinsicht­lich seiner generel­len Umstän­de kriti­siert, jedoch stand in der öffent­li­chen Wahrneh­mung nicht eine kleine Frakti­on des SPK, sondern das Kollek­tiv als Ganzes vor Gericht, waren die den Angeklag­ten zur Last geleg­ten Taten dem Gesamt des Patien­ten­kol­lek­tivs zuzuschreiben.
An dieser Einord­nung sollte sich auch während der folgen­den Jahrzehn­te kaum etwas ändern (Als Beispiel angeführt sei hier die Rubri­zie­rung des SPK als „links­ter­ro­ris­ti­sche Gruppe“ auch in der aktuel­len Aufla­ge von: Armin Pfahl-Traugh­ber, Links­ex­tre­mis­mus in Deutsch­land, S. 168). Infol­ge der Tatsa­che, dass mehre­re Mitglie­der des SPK sich früher oder später der RAF anschlos­sen, entwi­ckel­te sich die Gruppe vielmehr zu einer „Irren“-Anekdote des bundes­re­pu­bli­ka­ni­schen linken Terro­ris­mus, die Ursprün­ge von Terror und Gewalt wurden nicht selten mit den psycho­lo­gisch-psych­ia­tri­schen Theore­men des SPK in Verbin­dung gebracht. Die Überschrift „Irre ans Gewehr“ im überaus erfolg­rei­chen und wieder­holt aufge­leg­ten Baader-Meinhof-Komplex des Journa­lis­ten Stefan Aust steht beson­ders exempla­risch für den Erfolg dieses medial vermit­tel­ten Deutungs­an­ge­bo­tes. Ohne Zweifel liegt daher auch hierin ein Teil der Wirkmäch­tig­keit des Prozes­ses: In der Stärkung eines wohlfei­len Narra­tivs, das die Ursachen von Terro­ris­mus auf indivi­du­el­le Psycho-Patho­lo­gien der Gewalt­ak­teu­re zurück­ge­führt und den Blick für seine gesell­schaft­li­chen Entste­hungs­zu­sam­men­hän­ge zumin­dest parti­ell verstellt hat.
Diesen zeitge­nös­si­schen Auswir­kun­gen stehen jünge­re Entwick­lun­gen gegen­über, die dem Inter­es­se am SPK zu einer neuer­li­chen, wenn auch kleinen Konjunk­tur verhol­fen haben. Der groß angeleg­ten Studie des Medizin­his­to­ri­kers Chris­ti­an Pross aus dem Jahre 2016 folgte 2018 der Dokumen­tar­film SPK Komplex des Regis­seurs Gerd Kroske. Beide Produk­tio­nen belegen, wenngleich unter­schied­li­chen Ansat­zes, ein genui­nes Inter­es­se an der Aufar­bei­tung der Heidel­ber­ger „68er“-Episode, die das Patien­ten­kol­lek­tiv nicht länger nur von einem seiner Endpunk­te her – der späte­ren Zugehö­rig­keit einiger seiner Mitglie­der zur RAF – betrach­ten möchte.

8. Würdi­gung des Prozesses
Der Prozess gegen die Eheleu­te Huber und Siegfried Hausner steht in Konti­nui­tät zu einer ganzen Reihe von Prozes­se gegen Angehö­ri­ge des studen­tisch-links­al­ter­na­ti­ven Protest­mi­lieus der späten sechzi­ger und frühen siebzi­ger Jahre. Dafür spricht an erster Stelle das Verhal­ten der Angeklag­ten vor Gericht: Die Provo­ka­ti­on der bundes­re­pu­bli­ka­ni­schen Insti­tu­tio­nen, und damit auch der Justiz, gehör­te unter dem Schlag­wort der begrenz­ten Regel­ver­let­zung zum metho­di­schen Standard­re­per­toire der Außer­par­la­men­ta­ri­schen Opposi­ti­on. Mit möglichst offen­si­ven Aktio­nen forder­te man die Staats­ge­walt zu Reaktio­nen heraus, die wieder­um deren „faschis­to­iden“ Charak­ter öffent­lich­keits­wirk­sam entlar­ven sollten. Der Gerichts­saal kann hier durch­aus als eine Verlän­ge­rung des Protest­raums „Straße“ begrif­fen werden, da nicht zuletzt die media­le Aufmerk­sam­keit bei großen Straf­pro­zes­sen eine Multi­pli­ka­ti­on der beabsich­tig­ten politi­schen Botschaf­ten quasi garantierte.
Provo­ka­ti­ve Handlungs­mus­ter in Gerichts­ver­fah­ren gegen die APO reich­ten von auffäl­li­ger Kleidung (Fritz Teufel und Rainer Langhans in ihrem Prozess 1967) und salopp-spötti­schen Äußerun­gen (Fritz Teufels „Wenn’s der Wahrheits­fin­dung dient“ in seinem Prozess 1967) über das Rauchen von Zigar­ren auf der Ankla­ge­bank (im Frank­fur­ter Kaufhaus­brand­pro­zess 1968) bis hin zu Ohrfei­gen für einen von Amts wegen bestell­ten Pflicht­ver­tei­di­ger (Horst Mahler in seinem Prozess 1971). Der Fall der Zeugin, die am zehnten Verhand­lungs­tag (04.12.72) des SPK-Prozes­ses hatte vernom­men werden sollen, führt die Reihe dieser Beispie­le fort. Mit ihrem Auftre­ten vor Gericht erwies sie gleich zwei histo­ri­schen Ikonen des studen­tisch-links­al­ter­na­ti­ven Milieus Reverenz, den Angeklag­ten im Kaufhaus­brand­pro­zess und (unter anderem) dem in seinem Prozess ebenfalls den sozia­lis­ti­schen Gruß entbie­ten­den Horst Mahler.
Gleich­wohl gingen die Beschul­dig­ten im SPK-Prozess einen entschei­den­den Schritt weiter. Während sich die Angeklag­ten im Kaufhaus­brand­pro­zess 1967 mit der Veröf­fent­li­chung ihres Schluss­wor­tes noch medien­wirk­sam geäußert hatten, verwei­ger­ten die Eheleu­te Huber und Siegfried Hausner in ihrem Prozess jegli­che Form der Mitwir­kung oder Begrün­dung ihres Handelns (Hierzu vgl. Andre­as Baader u. a., Vor einer solchen Justiz vertei­di­gen wir uns nicht. Schluß­wort im Kaufhaus­brand­pro­zeß, Voltaire Flugschrif­ten 27). Diese radika­le Antihal­tung suchte ihres­glei­chen: Während bedeu­ten­de Revolu­tio­nä­re frühe­rer Zeiten ihre Gerichts­ver­fah­ren dazu genutzt hätten, um der Masse ihre Ideen kundzu­tun, so ein Kommen­ta­tor der Zeit, hätte „man es neuer­dings mit Angeklag­ten zu tun, die entwe­der hartnä­ckig schwei­gen oder das Gericht nieder­brül­len“ würden (Birken­mai­er, „Diese schre­ckens­vol­le Zeit“). Obwohl als Prozess-Strate­gie für die Beschul­dig­ten mit Blick auf das Urteil letzt­lich nutzlos, hatte dies außer­halb des Gerichts­saals doch einen deutlich spürba­ren Effekt: Nicht nur in den Augen der Protes­tie­ren­den stand nun weniger die Schuld­fra­ge als vielmehr die Angemes­sen­heit der im Laufe des Verfah­rens angewand­ten Mittel im Zentrum der Aufmerk­sam­keit. Belegt ist dies durch Gegen­ver­an­stal­tun­gen von Unter­stüt­zern des SPK, das Verhal­ten des Publi­kums bei der Prozess­eröff­nung oder entspre­chen­de Stimmen der Presse­be­richt­erstat­tung. So schrieb der Spiegel, wenngleich im Tenor voll des Lobes für den ruhigen Pragma­tis­mus des Vorsit­zen­den, dass am Beispiel des SPK-Verfah­rens ersicht­lich werde, wie ein Prozess „dem Buchsta­ben des Geset­zes nach ordent­lich und doch nicht in Ordnung sein“ könne (N. N., Verfah­re­nes Verfah­ren, S. 102).
Neben den symbo­li­schen Bezügen und auf die APO verwei­sen­den Handlungs- und Kommu­ni­ka­ti­ons­mus­tern weist der erste SPK-Prozess jedoch auch auf das große politi­sche Straf­ver­fah­ren des 20. Jahrhun­derts in der Bundes­re­pu­blik, nament­lich den Stamm­heim-Prozess, voraus. Ohne Zweifel musste er alle Seiten der bald folgen­den juris­ti­schen Ausein­an­der­set­zung zwischen Staats­macht und Reprä­sen­tan­ten des linken Terro­ris­mus sowie ihre Vertei­di­ger geprägt haben: Insbe­son­de­re was im Verfah­ren gegen die „Erste Genera­ti­on“ der RAF an Ermitt­lungs­maß­nah­men und Konflikt­haf­tig­keit der Vertei­di­gung bemän­gelt werden sollte, erinnert an den SPK-Prozess. Allem voran der Umgang der Staats­an­walt­schaft mit dem Heidel­ber­ger Rechts­an­walt Eberhard Becker und den Sozien seiner Kanzlei war nicht nur von Seiten des studen­tisch-links­al­ter­na­ti­ven Protest­mi­lieus beanstan­det worden. Gegen Becker, der mit dem Beginn des Ermitt­lungs­ver­fah­rens einige Angeklag­te aus dem SPK recht­lich vertre­ten hatte, war infol­ge einer Zeugen­aus­sa­ge selbst ein Verfah­ren wegen Unter­stüt­zung einer krimi­nel­len Verei­ni­gung eröff­net worden. Nachdem am 28. Oktober 1971 Polizei­be­am­te die Büros der Kanzlei sowie die Wohnräu­me des Anwal­tes nach letzt­lich nicht auffind­ba­ren Bewei­sen durch­sucht hatten, gingen bei den Behör­den Beschwer­den ein, die die Verhält­nis­mä­ßig­keit der Durch­su­chung nachdrück­lich in Zweifel zogen. Der Anwalts­ver­ein Heidel­berg etwa urteil­te in einem Schrei­ben an den baden-württem­ber­gi­schen Justiz­mi­nis­ter, dass der Durch­su­chungs­be­schluss des Amtsge­richts die erfor­der­li­che Inter­es­sens­ab­wä­gung vermis­sen lasse und auch die Rechts­an­walts­kam­mer Karls­ru­he äußer­te sich gegen­über dem zustän­di­gen General­staats­an­walt in diesem Sinne (Vgl. Schrei­ben der Rechts­an­walts­kam­mer Karls­ru­he an den Justiz­mi­nis­ter vom 29.11.1971 sowie Schrei­ben des Anwalts­ver­eins Heidel­berg an den General­staats­an­walt vom 01.12.1971).
Auch wenn die Durch­su­chung der Räumlich­kei­ten ergeb­nis­los blieb, wurde Becker knapp einen Monat später per Gerichts­be­schluss vom 22. Novem­ber 1971 von der Vertei­di­gung ausge­schlos­sen. War schon dieses Vorge­hen mit der Existenz eines fragwür­di­gen vorkon­sti­tu­tio­nel­len Gewohn­heits­rechts gerecht­fer­tigt worden (die Ausschlie­ßung des Vertei­di­gers sollte erst im Jahre 1975 in den §§ 138a–138d StPO gesetz­lich geregelt werden; Vgl. Peter Rieß, Beiträ­ge zur Entwick­lung der deutschen Straf­pro­zess­ord­nung, S. 151), bargen die wenig später erfolg­ten Ausschlüs­se der Sozien der Kanzlei, Marlies Becker und Jürgen Laubs­cher, neuen juris­ti­schen Zündstoff. Diese waren im Beschluss­text damit begrün­det worden, dass die „Natur einer Anwalts­so­zie­tät, die auf einem engen Vertrau­ens­ver­hält­nis der an ihr betei­lig­ten Rechts­an­wäl­te“ beruhe, „die Gefahr von Verdunk­lungs­hand­lun­gen des Ausge­schlos­se­nen über die Mitglie­der der Sozie­tät“ nicht ausschlie­ße (Beschluss des Amtsge­richts C 14 Karls­ru­he vom 30.11.1971, abgedruckt in: Rote Hilfe Westber­lin, Dokumen­ta­ti­on, S. 82). Die Recht­fer­ti­gung des Ausschlus­ses mit der bloßen Tatsa­che, dass die Sozien in dersel­ben Kanzlei tätig seien wie Eberhard Becker, stell­te in dieser Form ein Novum dar und war ebenfalls Gegen­stand entschie­de­ner Kritik.
Das Verhal­ten der Staats­an­walt­schaft erstaunt umso mehr, zieht man die Einschät­zung des baden-württem­ber­gi­schen Justiz­mi­nis­te­ri­ums hierzu in Betracht, wo von den zustän­di­gen Minis­te­ri­al­rä­ten telefo­nisch zu „größter Vorsicht“ geraten und vor einem „zu erwar­ten­den spekta­ku­lä­ren Effekt“ gewarnt wurde (Verfü­gung der General­staats­an­walt­schaft vom 30.11.1971, S. 133f.). Dass die Durch­füh­rung entge­gen diesen Beden­ken dennoch erfolg­te, war offen­bar dem Umstand geschul­det, dass Staats­an­walt Frank, als bei seinen Vorge­setz­ten infol­ge des Telefo­nats ein Umden­ken einsetz­te, gerade unter­wegs war, den entspre­chen­den Antrag beim Amtsge­richt abzuge­ben (Vgl. ebd.).
Angesichts des Zustan­de­kom­mens und den sie beglei­ten­den Protes­ten verwun­dert es kaum, dass den Ausschlüs­sen keine Dauer beschie­den war. So wurde der Ausschluss Eberhard Beckers bereits am 21. Dezem­ber 1971 wieder aufge­ho­ben, da die Straf­kam­mer IV des Landge­richts Karls­ru­he den Grund­satz der Verhält­nis­mä­ßig­keit nicht gewahrt sah. Der vom späte­ren Vorsit­zen­den Dr. Gohl unter­zeich­ne­te Beschluss besag­te, dass „[d]er Ausschluss eines Rechts­an­wal­tes von der Vertei­di­gung gegen den Willen seines Mandan­ten“ ein derart schwer­wie­gen­der Eingriff sei, „daß er nur dann ausge­spro­chen werden [könne], wenn er durch die Umstän­de des Falles zwingend geboten sei.“ (Beschluss der IV. Straf­kam­mer des Landge­richts Karls­ru­he vom 21.12.1971, abgedruckt in: Rote Hilfe Westber­lin. Dokumen­ta­ti­on, S. 85). Auch die Ausschlüs­se Marie­lui­se Beckers und Jürgen Laubs­chers wurden wenig später rückgän­gig gemacht.
Diesen Vorgän­gen im Zuge des Ermitt­lungs­ver­fah­rens kam mit Eröff­nung des Prozes­ses ein weite­res Problem hinzu: Mit dem Fernblei­ben der sechs Wahlpflicht­ver­tei­di­ger von der Haupt­ver­hand­lung und der vorsorg­li­chen Bestel­lung dreier Pflicht­ver­tei­di­ger von Amts wegen entstand eine konflikt­be­haf­te­te Vertei­di­gung, die weder im Sinne der Beschul­dig­ten noch des Rechts­staa­tes sein konnte: Das für eine erfolg­rei­che Vertei­di­gung quasi zwingend notwen­di­ge Vertrau­en der Angeklag­ten in ihre Vertei­di­ger war zu keinem Zeitpunkt gegeben. Hieraus aller­dings ergab sich ein rechts­staat­li­ches Parado­xon. Auf der einen Seite stand der Grund­satz der freien Vertei­di­ger­wahl, auf der anderen Seite die Annah­me des Gerichts, die Angeklag­ten und die Vertei­di­ger würden bereit sein, an dem Prozess mitzu­wir­ken und so ein ordent­li­ches Verfah­ren gewähr­leis­ten. Da diese Grund­vor­aus­set­zung jedoch nicht gegeben war, blieb auch dem Gericht letzten Endes nur die vollstän­di­ge Ausrei­zung seiner Mittel und so verhan­del­te es – erstmals in der Geschich­te der Bundes­re­pu­blik – nicht nur den Großteil des Prozes­ses ohne die Angeklag­ten und ihre Wahlpflicht­ver­tei­di­ger, sondern verlas sowohl die Ankla­ge­schrift als auch das Urteil in absentia.
Als Strate­gie­ex­pe­ri­ment der studen­tisch-links­al­ter­na­ti­ven Protest­be­we­gung ist der SPK-Prozess damit als geschei­tert zu bezeich­nen. Durch die Entschei­dun­gen des Gerichts war den Angeklag­ten die Möglich­keit einer politi­sche Vertei­di­gung, wie man sie von bishe­ri­gen APO-Verfah­ren kannte, quasi genom­men. Aus der Sicht derje­ni­gen, die sich im SPK für eine kriti­sche Ausein­an­der­set­zung mit der bundes­re­pu­bli­ka­ni­schen Psych­ia­trie stark­ge­macht hatten, blieb die Hoffnung einer öffent­li­chen Thema­ti­sie­rung dieses durch­aus berech­tig­ten Anlie­gens somit auf der Strecke: Was den zeitge­nös­si­schen Beobach­tern in Erinne­rung blieb, war nicht die inhalt­li­che Debat­te über ein gesell­schaft­lich wichti­ges Thema, sondern die Aufre­gung um die äußerst skurri­len Umstän­de des Verfah­rens und das reniten­te Verhal­ten der Beschuldigten.

9. Quellen und Darstel­lun­gen (Auswahl, mit weiter­füh­ren­den Ergänzungen)

Quellen:

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General­lan­des­ar­chiv Karls­ru­he, 309–2 Karls­ru­he Nr. 1761 (Proto­koll der Hauptverhandlung)

General­lan­des­ar­chiv Karls­ru­he, 309–2 Karls­ru­he Nr. 1765 (Ermitt­lungs­ak­ten)

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Jonas Brosig
Juli 2021

Jonas Brosig studier­te Geschich­te, Germa­nis­tik und Latinis­tik in Mannheim und Heidel­berg. Sein Promo­ti­ons­pro­jekt am Lehrstuhl für Zeitge­schich­te der Univer­si­tät Mannheim befasst sich mit dem Thema der Psycho-Patho­lo­gi­sie­rung linker politi­scher Gewalt seit den späten sechzi­ger Jahren in der Bundes­re­pu­blik Deutschland.


Zitierempfehlung:

Brosig, Jonas: „Der Prozess gegen die Mitglie­der des SPK, Deutsch­land 1972“, in: Groenewold/Ignor/Koch (Hrsg.): Lexikon der politi­schen Straf­pro­zes­se, https://www.lexikon-der-politischen-strafprozesse.de/glossar/huber-ursula-und-wolfgang/, letzter Zugriff: TT.MM.JJJJ.

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