Olympe de Gouges

bearbei­tet von
Prof. Dr. Manfred Geier

Frank­reich 1793
Umsturz
Franzö­si­sche Revolution
Rechte der Frau

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Der Prozess gegen Olympe de Gouges
Frankreich 1793

1. Prozess­ge­schich­te

Am 20. Juli 1793 wurde auf der Brücke Saint-Michel in Paris Olympe de Gouges verhaf­tet, als sie zusam­men mit dem Buchhänd­ler-Verle­ger Costard und dem Plaka­tie­rer Trottier ein Plakat anbrin­gen wollte mit dem Titel: „Les trois urnes ou le salut de la patrie, par un voyager aérien“.

Olympes de Gouges (1748–1793),
Portrait von Alexan­der Kuchars­ky, © Hinweis, s. u.

Als Autorin dieser Schrift „zum Wohl des Vater­lan­des“ hatte sie ihre Identi­tät verheim­licht und sich hinter der Maske eines „Reisen­den der Lüfte“ verbor­gen, der aus dem fikti­ven afrika­ni­schen Goldreich Monomo­ta­pa, dem Reich der Narren, stamm­te und den Franzo­sen eine Wahlmög­lich­keit zwischen „drei Urnen“ anbot. Die Bürger sollten frei und ohne Scheu selbst entschei­den können, unter welcher Regie­rungs­form sie leben wollten. Die einzel­nen franzö­si­schen Depar­te­ments sollten Primär­ver­samm­lun­gen einbe­ru­fen, um dem Volks­wil­len Ausdruck verlei­hen zu können: „Auf dem Tisch des Präsi­den­ten sind drei Urnen aufzu­stel­len, die die folgen­den Inschrif­ten tragen: Republi­ka­ni­sche Regie­rung, eins und unteil­bar; födera­ti­ve Regie­rung; Monar­chie“. (zit. in: Wachter 2006, S. 142) Jeder Stimm­be­rech­tig­te sollte nach bestem Wissen und Gewis­sen seinen Zettel in dieje­ni­ge Urne werfen, deren angezeig­te Regie­rungs­form er bevorzugte.
Wusste Olympe de Gouges nicht, dass durch ein neues Gesetz vom 29. März 1793 jeder, der sich in Rede oder Schrift für die Wieder­ein­füh­rung des König­tums und gegen die am 20. Septem­ber 1792 von der Verfas­sungs­ge­ben­den Versamm­lung prokla­mier­te franzö­si­sche „Republik, eins und unteil­bar“ aussprach, mit dem Tode bestraft wurde? Für den dazu vorge­se­he­nen politi­schen Straf­pro­zess war der außer­or­dent­li­che und revolu­tio­nä­re Krimi­nal­ge­richts­hof zustän­dig, der am 10. März 1793 einge­rich­tet worden war und gemäß Artikel 1 zu urtei­len hatte: „Jeder, der überführt ist, Werke oder Schrif­ten geschrie­ben oder gedruckt zu haben, die zur Auflö­sung der Natio­na­len Reprä­sen­ta­ti­on, der Wieder­errich­tung des König­tums oder irgend­ei­ner anderen Macht, die die Volks­sou­ve­rä­ni­tät angreift, aufsta­cheln, wird vor das Revolu­ti­ons­tri­bu­nal gebracht und mit dem Tode bestraft.“ (zit. in: Schrö­der 1995, S. 99; vgl. Grab 1973, S. 133 f.) Oder ging Olympe de Gouges das Risiko der drohen­den Todes­stra­fe bewusst ein? Über die Gefahr schien sie sich klar gewesen zu sein. Warum sonst hätte sie ihre Identi­tät nicht preis­ge­ben wollen und sich als einen reisen­den Luftgeist autori­siert. Nach mehre­ren Verhö­ren und einer monate­lan­gen Haft in verschie­de­nen Gefäng­nis­sen fand am 2. Novem­ber der öffent­li­che Prozess vor dem Revolu­ti­ons­tri­bu­nal statt. Die Angeklag­te wurde für schul­dig befun­den, einstim­mig zum Tode verur­teilt und am 3. Novem­ber öffent­lich guillotiniert.

2. Die Angeklagte

Marie Gouze wurde am 7. Mai 1748 im südfran­zö­si­schen Städt­chen Montaub­an, 50 Kilome­ter nördlich von Toulou­se, geboren. Ihre Mutter war mit einem Metzger verhei­ra­tet. Doch ihr leibli­cher Vater war der Marquis Le Franc de Pompi­gnan, ein erfolg­rei­cher Dichter, Theater­au­tor und als Homme de lettres Mitglied der Acadé­mie françai­se. Als Siebzehn­jäh­ri­ge wurde Marie gegen ihren Willen mit Louis-Yves Aubry verhei­ra­tet, der weder reich war noch von hohem Stande. Nach der Geburt ihres Sohnes Pierre Aubry und dem frühen Tod ihres Mannes entschloss sie sich 1766, nach Paris zu gehen und dort ihr Glück zu versu­chen. Ab jetzt nannte sie sich Olympe de Gouges, wobei sie den göttlich klingen­den Vorna­men ihrer Mutter übernahm, das „Gouze“ ins elegan­te­re „Gouges“ verän­der­te und das Adels­prä­di­kat „de“ einfüg­te, um an ihre vorneh­me Herkunft zu erinnern.
Das großstäd­ti­sche Leben in der franzö­si­schen Metro­po­le beflü­gel­te sie. Sie hatte Erfolg und war bald eine umschwärm­te „Femme galan­te“. Sie lebte von der Liebe und erwarb dabei ein kleines Vermö­gen. Sie verkehr­te im Palais Royal des Vetters von Ludwig XVI., am liebs­ten jedoch in den Salons von Schau­spie­le­rin­nen und freisin­ni­gen Frauen, wo sie auch mit dem Geist der Aufklä­rung in Berüh­rung kam. Sie entwi­ckel­te sich zu einer „Femme de lettres“ und begann 1784, Romane und Theater­stü­cke zu schrei­ben. Gegen die Sklave­rei richte­te sie sich mit einem drama­ti­schen Lehrstück, dessen Botschaft laute­te: „Die Menschen sind überall auf der Welt gleich.“ (zit. in: Noack 1992, S. 64)
Die Revolu­ti­on ließ Olympe de Gouges ein drittes Leben begin­nen. Nach der Galan­te­rie und der Litera­tur zog jetzt die Politik ihr Haupt­in­ter­es­se auf sich. Nach 1789 wurde sie berühmt und berüch­tigt als eine Selbst­den­ke­rin, die mit einer eigen­wil­li­gen revolu­tio­nä­ren Prosa an die Öffent­lich­keit trat. Mit zahlrei­chen Zeitschrif­ten­ar­ti­keln, Denkschrif­ten, Wandzei­tun­gen und offenen Briefen misch­te sie sich kühn in das politi­sche Gesche­hen ein. Mitte Septem­ber 1791 entwarf sie ihre „Erklä­rung der Rechte der Frau und der Bürge­rin“, die sie zugleich an die Natio­nal­ver­samm­lung und an die Königin Marie Antoi­net­te schick­te, der sie dieses einzig­ar­ti­ge Beweis­stück weibli­cher Rechts­be­haup­tung widme­te. (Noack 1992, S. 159–179; Burmeis­ter 2003)
Die zuneh­mend hefti­ger und bruta­ler werden­den politi­schen Ereig­nis­se im revolu­tio­nä­ren Frank­reich verstrick­ten Olympe de Gouges in Konflik­te, die für sie immer bedroh­li­cher wurden. Ihr Mut blieb ungebro­chen. Ihre politi­sche Unabhän­gig­keit gab sie nicht auf. Sie gebrauch­te ihren eigenen Verstand, um Lösun­gen für die Proble­me zu finden, die in den kommen­den beiden Jahren das franzö­si­sche Volk an den Rand des Abgrunds treiben sollten. Dazu dienen sollte auch das Plakat der „drei Urnen“, das sie an den Mauern von Paris anbrin­gen lassen wollte und das am 20. Juli 1793 zu ihrer Verhaf­tung führte.

3. Verhö­re und Untersuchungshaft

Schon im ersten Verhör am Tag ihrer Festnah­me bekann­te sich Olympe de Gouges zu ihrer Autor­schaft und versuch­te, die Plaka­tie­rung zu recht­fer­ti­gen. Durch die Möglich­keit der freien Wahl habe sie einen drohen­den Bürger­krieg zwischen verfein­de­ten Volks­grup­pen und Partei­en verhin­dern wollen. Sie erstaun­te über die unerbitt­li­che Aggres­si­vi­tät, mit der sie vor allem Jean-Baptis­te Marino, ein Mitglied des revolu­tio­nä­ren Wohlfahrts­aus­schus­ses, angriff, der durch beson­ne­ne Argumen­te nur noch weiter gereizt wurde. Der Buchhänd­ler und der Plaka­tie­rer wurden bald freige­las­sen, während sie selbst inhaf­tiert wurde, zunächst in einer Einzel­zel­le des Rathau­ses. Ihre Wohnung wurde durch­sucht, doch unter ihren vielen Veröf­fent­li­chun­gen, Manuskrip­ten, Streit­schrif­ten und Korre­spon­den­zen wurde nichts gefun­den, was ihren Patrio­tis­mus und Republi­ka­nis­mus infra­ge stell­te. Am 28. Juli wurde sie in das Gefäng­nis der Abbaye in Saint-Germain-des-Prés überführt.
Nachdem sie sich beim Pariser Staats­an­walt Antoi­ne-Quentin de Fouquier-Tinville über ihre Haft beschwert hatte, die sie als ungerecht­fer­tigt empfand, kam es am 6. August unter Ausschluss der Öffent­lich­keit zu einem Verhör vor dem Revolu­ti­ons­tri­bu­nal. Vorsit­zen­der Richter war Jean Ardou­in. Fouquier-Tinville und Robert de Wolff agier­ten als Beisit­zer. Olympe de Gouges versuch­te sich durch den Hinweis zu recht­fer­ti­gen, dass ihr Wahlvor­schlag der „drei Urnen“ schon fertig gewesen sei, bevor das Gesetz vom 29. März zur Siche­rung der „Republik, eins und unteil­bar“ erlas­sen worden war. Und sie verwies auf ihre patrio­ti­sche Absicht, mit dem Plakat den Franzo­sen einen Weg zu zeigen, wie ihre Revolu­ti­on gemein­schaft­lich und fried­lich zum Erfolg geführt werden könnte. Es gelang ihr nicht, das Revolu­ti­ons­tri­bu­nal von ihrer Unschuld oder ihrem guten Willen zu überzeugen.
Die nächs­ten Monate verbrach­te die Beschul­dig­te in verschie­de­nen Gefäng­nis­sen und Nerven­heil­an­stal­ten. Dabei gelang es ihr bereits Mitte August, ein Manuskript in einigen hundert Druck­fas­sun­gen an den Mauern von Paris anschla­gen zu lassen. Es richte­te sich „An das Revolu­ti­ons­tri­bu­nal“, vor dem ihr Fall öffent­lich verhan­delt werden sollte: „Furcht­ba­res Tribu­nal, vor dem Verbre­chen und Unschuld gleicher­ma­ßen erzit­tern. Ich forde­re von dir unbeug­sa­me Stren­ge, wenn ich gefehlt haben sollte … Ihr Vertre­ter der Obrig­keit, die ihr über mich richten werdet, ihr sollt mich kennen­ler­nen! Abhold jeder Intri­ge, jenseits aller Partei­en, deren leiden­schaft­li­che Kämpfe Frank­reich gespal­ten haben, bahnte ich mir einen neuen Weg: nur auf meine eigenen Augen mich verlas­send, nur meiner innern Stimme gehor­chend bin ich den Törich­ten entge­gen­ge­tre­ten, habe ich die Nieder­träch­ti­gen angegrif­fen und mein ganzes Vermö­gen der Revolu­ti­on geopfert … Ist nicht in Artikel 7 der Verfas­sung die Meinungs- und Presse­frei­heit als kostbars­tes Gut des Menschen veran­kert? Wären denn diese Geset­ze und Rechte, ja die ganze Verfas­sung nichts weiter als hohle Phrasen, jedes Sinnes entleert? Wehe mir, ich habe diese trauri­ge Erfah­rung gemacht!“ (zit. in: Wachter 2006, S. 148 f.)
Am 28. Oktober 1793 hatte Fouquier-Tinville seine Ankla­ge­schrift fertig­ge­stellt, in der er sich auf den Vorwurf konzen­trier­te, sie habe mit dem Plakat­text der „drei Urnen“ gegen das Gesetz vom 29. März 1793 versto­ßen. „Wider den Wunsch, den die Mehrheit der Franzo­sen für die republi­ka­ni­sche Regie­rung zum Ausdruck gebracht hat und in Missach­tung der Geset­ze, die sich gegen jeder­mann richten, der eine andere Regie­rungs­form vorschlägt, hat Olympe de Gouges Werke verfasst und drucken lassen, die nur als ein Atten­tat auf die Volks­sou­ve­rä­ni­tät verstan­den werden können, da sie darauf abzie­len, das in Frage zu stellen, worüber das Volk seine Wünsche aufs entschie­dens­te geäußert hat.“ (zit. in: Blanc 1989, S. 177 f.)

4. Der Prozess

Olympe de Gouges wurde in das düste­re Gefäng­nis­ge­wöl­be der mittel­al­ter­li­chen Concier­ge­rie auf der Ile de le Cité verlegt, aus der in der Regel niemand mehr lebend heraus­kam. Wenige Tage später, am 2. Novem­ber, fand dort ihr öffent­li­cher Prozess vor dem Revolu­ti­ons­tri­bu­nal statt. Durch die finste­ren Gänge wurde sie in den „Saal der Gleich­heit“ geführt, in dem auch der Prozess gegen Charlot­te Corday am 17. Juli statt­ge­fun­den hatte. Das Gericht wurde präsi­di­al gelei­tet von Armand-Marti­al-Joseph Herman, einem Günst­ling Maximi­li­en Robes­pierres, den beiden Richtern David und Laune, sowie ihren Beisit­zern. Dazu kam eine Jury aus zwölf Geschwo­re­nen. Fouquier-Tinville war abwesend und wurde durch den stell­ver­tre­ten­den öffent­li­chen Anklä­ger Naulin vertre­ten. Das Publi­kum war in großer Zahl gekommen.
Der von ihr ausge­wähl­te Vertei­di­ger hatte es vorge­zo­gen, nicht zu erschei­nen. Er wollte sich, wie sie zu hören bekam, nicht mit ihrer Vertei­di­gung belas­ten. Das jeden­falls berich­te­te Olympe de Gouges in ihrem letzten Brief aus dem Gefäng­nis an ihren Sohn, kurz nachdem das Urteil gespro­chen worden war, und sie fuhr fort: „Angesichts seiner Abwesen­heit bat ich um einen anderen. Die Antwort laute­te, dass ich genug Hirn habe, um mich selbst zu vertei­di­gen. Und in der Tat hatte ich mehr als genug, um meine Unschuld zu bewei­sen, die für die Zuschau­er­tri­bü­ne unleug­bar war. Womit ich nicht vernei­nen will, dass ein Vertei­di­ger die vielen Diens­te und Wohlta­ten, die ich dem Volke geleis­tet habe, zu meinen Gunsten hätte anfüh­ren können.“ (zit. in: Schrö­der 1995, S. 93) Ohne genaue Kennt­nis der Prozess­ver­fah­rens­re­geln, die sie nicht für sich zu nutzen wusste, konzen­trier­te sie sich in ihrer Vertei­di­gung darauf, die Motive ihrer politi­schen Aktio­nen zu verdeut­li­chen, was sie befürch­ten ließ, damit nur den „bösen Willen“ ihrer Gegner zu provozieren.
Die entschei­den­de Frage des Präsi­den­ten, wann sie die „drei Urnen“ verfasst habe, beant­wor­te­te sie mit dem Hinweis: „Im Laufe des Mai des letzten Jahres (1792) … Ich beobach­te­te, wie sich Unwet­ter über mehre­ren Depar­te­ments zusam­men­brau­ten, beson­ders in Bordeaux, Lyon und Marseil­le. So setzte ich mir in den Kopf, sie alle zu verei­ni­gen, indem ich jedem von ihnen die Wahl der Regie­rung überlas­sen wollte, die ihm am besten entsprä­che.“ (zit. in: Blanc 1989, S. 178) Sie selbst hätte die republi­ka­ni­sche Regie­rung gewählt, mit der sie schon lange sympa­thi­sie­re, wovon man sich anhand ihrer Werke überzeu­gen könne.

Antoi­ne Quentin Fouquier-Tinville, Anklä­ger
zeitge­nös­si­sche Darstel­lung, @ s.u.

Man warf ihr vor, einzel­ne Reprä­sen­tan­ten des Volkes, vor allem Robes­pierre, belei­digt zu haben. Sie blieb bei ihrer abschät­zi­gen Charak­te­ri­sie­rung: „Ich habe ihret­we­gen noch immer diesel­be Meinung. Ich betrach­te­te sie und ich betrach­te sie immer noch als Ehrgeiz­lin­ge.“ (zit. in: Blanc 1989, S. 180) Auch habe sie sich für die gestürz­te Königin Marie Antoi­net­te einge­setzt, die als einfa­che Frau Capet zwei Wochen zuvor, am 16. Oktober, hinge­rich­tet worden war. Als Indiz für ihre gegen­re­vo­lu­tio­nä­re Haltung wurde aus ihrer Schrift „Olympe de Gouges, Vertei­di­ger von Louis Capet“ zitiert, in der sie das gegen Ludwig XVI. gefäll­te Todes­ur­teil infra­ge gestellt und zu beden­ken gegeben hatte, ob nicht durch „die Begna­di­gung dieses Verbre­chers“ die feind­li­chen Aristo­kra­tien Europas besänf­tigt werden könnten. „Weshalb verhan­delt ihr nicht mit den gegne­ri­schen Mächten und erkauft euch mit dem Kopf des Schul­di­gen einen Friedens­schluß, der uns vor einem Blutbad der Völker verschont.“ (zit. in: Wachter 2006, S. 97) Schließ­lich wurde ihr noch vorge­wor­fen, revolu­tio­nä­re Frauen­ver­samm­lun­gen und –clubs unter­stützt zu haben, die gerade erst Ende Oktober als ungesetz­lich verbo­ten worden waren.
In ihrer Vertei­di­gung ging Olympe de Gouges nur neben­bei auf den wesent­li­chen Ankla­ge­punkt ein, durch die Eröff­nung verschie­de­ner Möglich­kei­ten die seit dem 20. Septem­ber 1792 bestehen­de einheit­li­che Franzö­si­sche Republik zur Dispo­si­ti­on gestellt zu haben. Sie argumen­tier­te vor allem politisch-moralisch statt juris­tisch. Als Bürge­rin sei es ihr aus Vater­lands­lie­be um die Sache des Volkes gegan­gen, inter­es­siert am fried­li­chen Zusam­men­le­ben der Menschen, die sich gegen­sei­tig als freie und mündi­ge Wesen anerken­nen sollten. Für sich beanspru­che sie „bloß eine beschei­de­ne Behau­sung: die Hütte des Philo­so­phen, würdi­ger und süßer Lohn der Tugend.“ (zit. in: Wachter 2006, S. 127)
Gegen Ende des Prozes­ses wurden noch einmal alle ihr zur Last geleg­ten Ankla­ge­punk­te aufge­lis­tet, worauf nach einstim­mi­ger Juryent­schei­dung schließ­lich das Urteil gefällt wurde: „Es ist eine Tatsa­che, daß in diesem Falle Schrif­ten existie­ren mit der Tendenz zur Wieder­errich­tung einer Macht, die die Volks­sou­ve­rä­ni­tät angreift.; daß Marie Olympe de Gouges, die sich Witwe Aubry nennt, schul­dig befun­den ist, der Autor dieser Schrif­ten zu sein. Der Schluß­fol­ge­rung des öffent­li­chen Anklä­gers folgend, verur­teilt das Tribu­nal die obenge­nann­te Marie Olympe de Gouges, Witwe Aubry, zur Strafe des Todes, konform Artikel Eins des Geset­zes vom 29. März (1793).“ (zit. in: Schrö­der 1995, S. 99; vgl. Blanc 1989, S. 181) Das Todes­ur­teil sollte gedruckt, im ganzen Land angeschla­gen und auf dem Platz der Revolu­ti­on öffent­lich durch die Guillo­ti­ne vollstreckt werden.

5. Zeitge­schicht­li­che Einordnung

Fouquier-Thinville wird vom Revolu­ti­ons­ge­richt verur­teilt,
12. Floré­al An. 3.eme de la Républi­que, @ s.u.

Juris­tisch mochte das Urteil nicht zu beanstan­den gewesen sein. Das Eintre­ten für eine Födera­ti­on eigen­stän­di­ger Depar­te­ments oder für eine Monar­chie galt seit dem Gesetz vom März 1793, Artikel 1, als Staats­ver­bre­chen und wurde mit dem Tode bestraft. Zudem war seit dem Septem­ber der organi­sier­te revolu­tio­nä­re „Terror“ auf der Tages­ord­nung, der sich gegen alle Verdäch­ti­gen richte­te, die sich durch ihre Ansich­ten oder ihre Haltung als „Feinde der Freiheit“ erwie­sen hatten. Entlas­ten­de Momen­te für die Plakat­ak­ti­on wurden kaum zur Kennt­nis genom­men. Das Gericht glaub­te ihr nicht, dass sie nach der Abschaf­fung des König­tums am 21. Septem­ber 1792 eine überzeug­te Republi­ka­ne­rin gewor­den war.
Auch wurde gegen sie ins Feld geführt, dass sie sich während der revolu­tio­nä­ren Krisen­zeit als entschie­de­ne Kriti­ke­rin der radika­len Jakobi­ner geäußert hatte. Sie hasste beson­ders Maximi­li­en Robes­pierre, der als Leiter des gewalt­tä­tig herrschen­den Wohlfahrt­aus­schus­ses (Comité du salut public) am liebs­ten alle bürger­li­chen Libera­len der Giron­de, die seiner Vorstel­lung einer Volks­de­mo­kra­tie nicht folgen wollten, köpfen ließ. Tollkühn hatte sie Robes­pierre angegrif­fen, dessen fanati­scher Freiheits­glau­be die Ideale der Revolu­ti­on verra­ten habe „Oh Maximi­li­en, du rufst den Frieden für jeder­mann aus und erklärst dem Menschen­ge­schlecht den Krieg. Mittel­mä­ßig und anmaßend im Umgang mit jenen, die dir an Verdiens­ten und Talen­ten überle­gen sind; krieche­risch und betrü­ge­risch dem Volk gegen­über – dies dein Porträt.“ (zit. in: Noack 1992, S. 137)
Am 21. Januar 1793 war Ludwig XVI., nach seiner Entthro­nung nur noch Bürger Ludwig Capet, auf dem Place de la Révolu­ti­on hinge­rich­tet worden. Es war zu kriege­ri­schen Ausein­an­der­set­zun­gen mit fast allen europäi­schen Monar­chien gekom­men. Mit Ausnah­me der Schweiz und der skandi­na­vi­schen Staaten führte die Erste franzö­si­sche Republik Krieg gegen ganz Europa. Als die franzö­si­sche Armee gegen die gegen­re­vo­lu­tio­nä­ren Truppen der äußeren Feinde zu verlie­ren drohte und royalis­ti­sche Aufstän­de im Inneren, vor allem in der Vendée, zu einem Bürger­krieg führten, machte Olympe de Gouges ihren eigen­wil­li­gen Vorschlag zum „Wohl des Vater­lan­des“. Als eine Reisen­de der Lüfte wollte sie das entzwei­te Volk und seine Reprä­sen­tan­ten versöh­nen. Weil die Revolu­ti­on ihre eigenen Kinder zu fressen begann, wollte sie „dem verbre­che­ri­schen Treiben aller Fraktio­nen Einhalt gebie­ten, die in Raserei ihre Väter umbrin­gen und die Republik in Stücke reißen, um sich schließ­lich in die Fetzen zu teilen.“ (zit. in: Wachter 2006, S. 138) Ihr gut gemein­ter Appell stieß auf taube Ohren zu einer Zeit, in der sich die revolu­tio­nä­re Gewalt zur Schre­ckens­herr­schaft gestei­gert hatte und jede vermeint­lich konter­re­vo­lu­tio­nä­re Aktivi­tät durch den Wohlfahrts­aus­schuss und das Revolu­ti­ons­tri­bu­nal unbarm­her­zig verfolgt und bestraft wurde.

6. Würdi­gung

Für ihre Aktivi­tä­ten im Geist einer philo­so­phi­schen Aufklä­rung, die den mutigen eigenen Verstan­des­ge­brauch favori­sier­te, wurde Olympe mit dem Tode bestraft. Mit ihrer Hinrich­tung am 3. Novem­ber 1793 auf dem Place de la Révolu­ti­on war auch dem Engage­ment revolu­tio­nä­rer Frauen­gesell­schaf­ten und Einzel­kämp­fe­rin­nen ein Ende berei­tet worden. Doch weder ihre „Erklä­rung der Rechte der Frau und der Bürge­rin“ (1791), die sie als politi­sche Autorin mutig für sich selbst in Anspruch nahm, noch ihr Politi­sches Testa­ment, das sie am 4. Juni 1793 als eine Schen­kung verfass­te und mit einem Quänt­chen Humor versah, haben bis heute ihre Kraft und Bedeu­tung verlo­ren: „Mein Herz verma­che ich dem Vater­land, meine Ehrbar­keit den Männern (sie können sie gebrau­chen), meine Seele den Frauen, wahrlich keine lieblo­se Gabe, … meinen Uneigen­nutz den Ehrgei­zi­gen, meine philo­so­phi­sche Gelas­sen­heit den Verfolg­ten, meinen Geist den Fanati­kern, meinen Glauben den Atheis­ten.“ (zit. in: Wachter 2006, S. 134)

7. Litera­tur

Quellen:
Gérard Walter (Hg.): Actes du Tribu­nal révolu­ti­onn­aire. Paris 1986, 2. Aufl.
Marga­re­te Wolters und Clara Sutor (Hg.): Marie Olympe de Gouges. Politi­sche Schrif­ten in Auswahl, Hamburg 1979.
Gabrie­le Wachter (Hg.): Olympe de Gouges. Die Rechte der Frau und andere Schrif­ten. Berlin 2006.

Allge­mei­ne Litera­tur zu Olympe de Gouges:
Olivi­er Blanc: Olympe de Gouges. Wien 1989.
José-Louis Bocquet: Die Frau ist frei geboren: Olympe de Gouges. Biele­feld 2013.
Karl Heinz Burmeis­ter (Hg.): Olympe de Gouges. Die Rechte der Frau 1791. Göttin­gen 2003.
Manfred Geier: Mann, bist du fähig, gerecht zu sein? In: Manfred Geier: Aufklä­rung. Das europäi­sche Projekt. Reinbek 2012, S. 307–332.
Walter Grab (Hg.): Die Franzö­si­sche Revolu­ti­on. Eine Dokumen­ta­ti­on. München 1973.
Paul Noack: Olympe de Gouges 1748–1793. Kurti­sa­ne und Kämpfe­rin für die Rechte der Frau. München 1992.
Hanne­lo­re Schrö­der (Hg.): Olympe de Gouges. Mensch und Bürge­rin. Aachen 1995.

Manfred Geier
Juli 2017

Manfred Geier ist freibe­ruf­li­cher wissen­schaft­li­cher Publi­zist mit den Schwer­punk­ten Philo­so­phie und Kultur­theo­rie. Zu seinen zahlrei­chen Publi­ka­tio­nen gehört auch die Trilo­gie zur Epoche der Aufklä­rung: „Kants Welt“ (2003), „Die Brüder Humboldt“ (2009), „Aufklä­rung. Das europäi­sche Projekt“ (2013).

Zitier­emp­feh­lung:

Geier, Manfred: „Der Prozess gegen Olympe de Gouges, Frank­reich 1793“, in: Groenewold/ Ignor / Koch (Hrsg.), Lexikon der Politi­schen Straf­pro­zes­se, https://www.lexikon-der-politischen-strafprozesse.de/glossar/gouges-olympe-de/, letzter Zugriff am TT.MM.JJJJ. ‎

Abbil­dun­gen

Verfas­ser und Heraus­ge­ber danken den Rechte­inha­bern für die freund­li­che Überlas­sung der Abbil­dun­gen. Rechte­inha­ber, die wir nicht haben ausfin­dig machen können, mögen sich bitte bei den Heraus­ge­bern melden.

© Olympe de Gouges, Alexan­der Kuchars­ky creator QS:P170,Q302693, verän­der­te Größe von lexikon-der-politischen-strafprozesse.de, CC BY-SA 4.0

© Antoi­ne Quentin Fouquier de Tinville, verän­der­te Größe von lexikon-der-politischen-strafprozesse.de, CC BY-SA 4.0

© Fouquier-Thinville Prozess, Urheber: Pierre Gabri­el Berthault nach Abraham-Louis Girar­det, Radie­rung, verän­der­te Größe von lexikon-der-politischen-strafprozesse.de, CC0 1.0

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