Frankfurter, David

beartei­tet von
Dr. Sebas­ti­an Felz

Schweiz 1936
Mord
Atten­tat auf Wilhelm Gustloff
Nationalsozialismus
Antisemitismus

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Der Prozess gegen David Frankfurter
Schweiz 1936

1. Prozessgeschichte/Prozessbedeutung

Am 4. Febru­ar 1936 erschoss in Davos der jugosla­wi­sche Medizin­stu­dent David Frank­fur­ter den NSDAP-Landes­grup­pen­lei­ter Wilhelm Gustloff in seiner Wohnung.
Diese Tat war ohne Zweifel ein Mord. Aber war es auch ein politi­scher Mord? Oder war es sogar ein Akt des Wider­stan­des? Im Dezem­ber 1936 wurde die Tat darauf­hin vor einem schwei­ze­ri­schen Gericht als Mordpro­zess verhan­delt, der unter ungewöhn­li­chen Rahmen­be­din­gun­gen durch­ge­führt wurde. Die unabhän­gi­ge Justiz eines demokra­ti­schen und neutra­len Staates hatte über den Mord eines jüdischen Jugosla­wen, der von verschie­de­nen Organi­sa­tio­nen während des Prozes­ses unter­stützt wurde, an einem NSDAP-Partei­funk­tio­när zu verhan­deln, und das totali­tä­re und antise­mi­ti­sche Regime Deutsch­lands versuch­te, massiv Einfluss auf den Prozess zu nehmen.
Die schwei­ze­ri­schen Politi­ker und Richter, der Angeklag­te, die Witwe Gustloffs als Zivil­klä­ge­rin und insbe­son­de­re die NS-Regie­rung verfolg­ten im Rahmen eines Mordpro­zes­ses auch politi­sche Zwecke. Der Prozess war eine Fortset­zung der Politik mit anderen Mitteln – und zwar eine Fortset­zung, in der sich schließ­lich die Betei­lig­ten auf die Handlungs­op­tio­nen eines Mordpro­zes­ses beschrän­ken mussten. Gleich­zei­tig zeigt die Vorge­schich­te des Prozes­ses, wie – vor allem durch das NS-Regime – versucht worden ist, diese Beschrän­kun­gen zu umgehen.

2. Perso­nen

a) Der Angeklagte
David Frank­fur­ter wurde am 9. Juli 1909 als drittes Kind der Eltern Dr. Moritz und Rebec­ca Frank­fur­ter in Daruvar (Jugosla­wi­en) geboren. Im Alter von sieben Jahren erkrank­te er an einer Knochen­mark­ent­zün­dung. Nach der Matura 1929 am Staats­gym­na­si­um Vinkov­ci begann er 1930 in Leipzig das Studi­um der Zahnheil­kun­de. 1931 führte er, nachdem er zur Human­me­di­zin gewech­selt war, dieses Studi­um in Frank­furt am Main fort und ab dem Winter­se­mes­ter 1933 in Bern. Mit dem Atten­tat wollte er die Welt aufrüt­teln und Zeichen gegen den Antise­mi­tis­mus in Deutsch­land setzen.
Ende Dezem­ber 1935 hatte Frank­fur­ter eine Pisto­le erwor­ben und Schieß­übun­gen durch­ge­führt. Den Ablauf des Atten­tats hatte er auf einer Zigaret­ten­schach­tel aufge­zeich­net. Am 4. Febru­ar 1936 besuch­te er gegen 20 Uhr die Gustloffs und wurde von Hedwig Gustloff in das Arbeits­zim­mer ihres Mannes gebeten. Nach eigener Aussa­ge habe Frank­fur­ter ein Telefon­ge­spräch Gustloffs mitge­hört, wobei das Wort „Schwei­ne­ju­den“, „Kommu­nis­ten“ oder „Schwei­ne­kom­mu­nis­ten“ gefal­len sei. Das Porträt Hitlers im Arbeits­zim­mer („Meinem lieben Gustloff. Adolf Hitler“) sowie der Ehren­dolch hätten Frank­fur­ters Zorn noch weiter angereizt. Als Gustloff das Zimmer betrat, feuer­te Frank­fur­ter drei- bis viermal auf den NSDAP-Funktio­när, nachdem die Waffe zunächst versagt hatte. Frank­fur­ter flüch­te­te, irrte orien­tie­rungs­los durch einen Park in Davos, unter­ließ den zunächst geplan­ten Selbst­mord­ver­such und stell­te sich schließ­lich der Polizei. Noch am Tatabend wurde er der Witwe Gustloffs gegen­über­ge­stellt. Gustloff wurde als „Stell­ver­tre­ter“ des „Dritten Reiches“ getötet, da andere hochran­gi­ge Politi­ker Frank­fur­ter nicht erreich­bar schienen.
Nach der Tat wurde er wahlwei­se als der neue „Wilhelm Tell“ oder als Proto­typ des feigen, faulen und hinter­lis­ti­gen Juden darge­stellt. In einem autobio­gra­phi­schen Text von 1945 gab Frank­fur­ter an, dass ein Besuch Weihnach­ten 1934 in Berlin bei seinem Onkel, dem Rabbi­ner Salomon Frank­fur­ter, tiefe Spuren hinter­las­sen hätte. David Frank­fur­ter erleb­te dort die Pöbelei­en und Ernied­ri­gun­gen, denen längst nicht mehr „nur“ ortho­do­xe Juden im Alltag ausge­setzt waren. Sein Onkel sei auf offener Straße von einem jungen Schnö­sel am Bart gezerrt worden. Außer­dem las er die Schmie­re­rei­en an den Hauswän­den wie „Die Juden sind unser Unglück“. Mit einem Gefühl tiefer Ohnmacht sei er im Januar 1935 nach Bern zurückgekehrt.

b) das Opfer
Wilhelm Gustloff wurde am 30. Januar 1895 in Schwe­rin geboren. Nach seinem Einjäh­ri­gen arbei­te­te er als Bankbe­am­ter bei der Lebens­ver­si­che­rungs­ge­sell­schaft und Sparbank von Mecklen­burg. Wegen einer Tuber­ku­lo­se­er­kran­kung zog er im Frühjahr 1917 als Kurgast nach Davos und entschloss sich zwei Jahre später, in der Schweiz zu bleiben. Er arbei­te­te als Angestell­ter am physi­ka­lisch-meteo­ro­lo­gi­schen Insti­tut Davos. 1923 heira­te­te er Hedwig Schoknecht. Er trat um 1923 der NSDAP bei und war seit 1931 Landes­grup­pen­lei­ter der NSDAP Auslands­or­ga­ni­sa­ti­on (AO) in der Schweiz. Die Wahl fiel auf den unauf­fäl­li­gen 37-jähri­gen Angestell­ten aus Davos, da zum einen keine anderen Kandi­da­ten zu finden waren und vor allem die Partei­füh­rung keine Deutschen in exponier­ter Stellung in der Wirtschaft mit diesem Partei­amt betrau­en wollte. Gemäß dem Führer­prin­zip unter­stan­den sämtli­che Ortsgrup­pen, Unter­glie­de­run­gen und Partei­mit­glie­der Gustloff. Weisun­gen war unbedingt Folge zu leisten, Beschwer­den an ihn zu richten. Ebenso oblag ihm das Einkas­sie­ren der Partei­bei­trä­ge, die Durch­set­zung des terri­to­ria­len Prinzips für die Auslands­be­we­gung, die Erfas­sung aller Deutschen in der Schweiz, die Verein­heit­li­chung der NSDAP in der Schweiz sowie die Etablie­rung der Partei als Führungs­or­ga­ni­sa­ti­on der Auslands­deut­schen, die Propa­gan­da, die Überwa­chung und Sammel­tä­tig­keit für die Bewegung. 1934/35 gab es in der Schweiz über 40 natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Ortsgrup­pen und Stütz­punk­te. Ende Juni 1937 gehört der AO 1.364 Reichs­deut­sche an. Selbst militä­ri­sche Übungen wurden abgehal­ten. Gleich­zei­tig wurde auf das gute Verhält­nis zum Gastland geach­tet. Gustloff versuch­te beharr­lich, auch von den schwei­ze­ri­schen Behör­den als Hoheits­trä­ger anerkannt zu werden, was ihm formell nicht gelang; aller­dings wurde er von hochge­stell­ten Bundes­be­am­ten und Bundes­rä­ten empfan­gen. Vor allem die schwei­ze­ri­sche Sozial­de­mo­kra­tie beobach­te­te Gustloffs Propa­gan­da­tä­tig­keit äußerst kritisch und bekämpf­te ihn parla­men­ta­risch. Als Gustloff nach 1933 seine politi­schen Tätig­kei­ten inten­si­vier­te, forder­ten die Sozial­de­mo­kra­ten das Verbot der NSDAP-AO sowie die Auswei­sung Gustloffs. Der Schwei­zer Bundes­rat konnte aber keine Tatsa­chen feststel­len, die ein politi­sches Vorge­hen gegen den Landes­lei­ter gerecht­fer­tigt hätten. Seit 1935 bekam Gustloff Drohbrie­fe – weil er sich in Davos aber nicht bedroht fühlte, lehnte er Polizei­schutz ab.
Kurz vor dem Atten­tat hatte Gustloff im schwei­ze­ri­schen NS-Blatt, dem „Reichs­deut­schen“, bekun­det: „Ich liebe am meisten auf der Welt meine Frau und meine Mutter. Wenn aber der Führer mir befäh­le, sie zu töten, so würde ich ihm gehorchen!“

c) Der Verteidiger
Teile der jüdischen Bürger in der Schweiz erklär­ten sich solida­risch mit Frank­fur­ter und organi­sier­ten die Vertei­di­gung des Angeklag­ten. Es sollte kein politisch links­ste­hen­der Anwalt oder ein Rechts­bei­stand mit jüdischen Wurzeln sein, um der Nazi-Propa­gan­da keine Angriffs­flä­che zu bieten. Ein Studi­en­freund Frank­fur­ters aus Leipzi­ger Tagen, Veit Wyler, vermit­tel­te den 76-jähri­gen Rechts­an­walt Eugen Curti aus Zürich. Curti war auf Kommu­nal- und Kantons­ebe­ne politisch aktiv gewesen, hatte die „Schwei­ze­ri­sche Juris­ten­zei­tung“ mitbe­grün­det und war, obwohl eigent­lich Zivilist, auch in Straf­rechts­pro­zes­sen erfolg­reich gewesen.
Eigent­li­cher Organi­sa­tor der Vertei­di­gung von Frank­fur­ter war aber der 28-jähri­ge Veit Wyler. Er legte Sammlun­gen von inter­na­tio­na­len Presse­be­rich­ten und Dokumen­ta­tio­nen von Exilan­ten über die Behand­lung der Juden und die politi­sche Situa­ti­on im „Dritten Reich“ an, um diese später für die Vertei­di­gung Frank­fur­ters nutzen zu können. An allen vier Prozess­ta­gen sollte er in Chur anwesend sein. Er dirigier­te aus dem Hinter­grund den Auftritt Curtis und hielt Kontakt zu Frankfurter.
Schließ­lich wurde versucht, Frank­fur­ter von einem der berühm­tes­ten Anwäl­te Frank­reichs, Vincent de Moro-Giaffe­ri, vertei­di­gen zu lassen, der von der Liga gegen Antise­mi­tis­mus beauf­tragt worden war. Dessen Zulas­sung schei­ter­te allerdings.

d) Das Gericht
Das Kantons­ge­richt tagte in seiner üblichen Zusam­men­set­zung (drei Konser­va­ti­ve und zwei Freisin­ni­ge) und bestand aus: Präsi­dent Rudolf Anton Ganzo­ni, Alt-Regie­rungs­rat Josef Vieli, Großrat Giovan­ni Battis­ta Nicola, Oberst Chris­ti­an Gartmann und Standes­prä­si­dent Johann Peter Sonder. Das schwei­ze­ri­sche Gericht bemüh­te sich, die politi­sche Dimen­si­on einzu­he­gen und ein strikt juris­ti­sches Verfah­ren durch­zu­füh­ren. Beide Seiten wurden möglichst gleich­be­rech­tigt behan­delt. Zwar wurde Curti erlaubt, als Beweis­mit­tel auch Emigran­ten­li­te­ra­tur über die politi­schen Zustän­de in Deutsch­land zu gebrau­chen, aber eine Zeugen­ver­neh­mung, welche das Materi­al verifi­zie­ren sollte, wurde abgelehnt. Als Zeugen wurden schließ­lich Berner Bekann­te Frank­fur­ters sowie Gustloffs Witwe benannt.

3. Zeitge­schicht­li­che Einordnung

Weil am 6. Febru­ar 1936, zwei Tage nach der Tat, die olympi­schen Winter­spie­le in Garmisch-Parten­kir­chen eröff­net wurden, und Hitler im März in das entmi­li­ta­ri­sier­te Rhein­land einmar­schie­ren wollte, blieben „Artiku­la­tio­nen“ des „Volks­zorns“ aus und wurden von Wilhelm Frick in einer Anord­nung verbo­ten: Es bliebe nach wie vor dem „Führer“ allein überlas­sen, welche Politik von Fall zu Fall einzu­schla­gen sei. Hitler sandte am 4. Febru­ar ein Telegramm an die Witwe, in dem er „das ruchlo­se Verbre­chen“ verur­teil­te, „das dem blühen­den Leben eines wahrhaft deutschen Mannes ein Ende setzte“. Am 8. Febru­ar fand eine Trauer­fei­er in Davos statt. Eine Ehren­wa­che beglei­te­te die Feier­lich­kei­ten für den „Märty­rer der Bewegung“. Reichs­lei­ter Ernst-Wilhelm Bohle, Chef der Auslands­or­ga­ni­sa­ti­on der NSDAP, hielt in Davos die Trauer­re­de für den verstor­be­nen dienst­äl­tes­ten Landesgruppenleiter.
Der Leich­nam Gustloffs wurde durch ganz Deutsch­land wie eine Reliquie geführt. In größe­ren Städten standen Partei­for­ma­tio­nen für Ehrer­wei­sung bereit. Die Apotheo­se des „ersten Blutzeu­gen für den Natio­nal­so­zia­lis­mus in Deutsch­land“, der im Ausland sein Leben ließ, wurde zelebriert. Der deutsche Gesand­te in der Schweiz, Ernst von Weizsä­cker, warf dem schwei­ze­ri­schen Außen­mi­nis­ter, Bundes­rat Giusep­pe Motta, vor, dass die „Hetze“ der Medien in der Schweiz den Mord mit verur­sacht hätten.
In einer pompö­sen Propa­gan­da­ak­ti­on wurde die „Propa­gan­da­lei­che des Hasses“ in einem Sonder­zug nach Schwe­rin überführt, wo am 12. Febru­ar die Beerdi­gung mit 35.000 Teilneh­mern statt­fand. Nach Horst Wessel, so Hitler in seiner Toten­re­de, habe der Natio­nal­so­zia­lis­mus nun im Ausland seinen ersten „Blutzeu­gen“ bekom­men: „Einen Mann“, so Hitler, „der nichts tat, als nur für Deutsch­land einzu­tre­ten, was nicht nur sein heili­ges Recht ist, sondern seine Pflicht auf dieser Welt, der nichts getan hat, als sich seiner Heimat zu erinnern und sich in Treue ihr zu verschrei­ben“. Bei diesem Mord sei nun der „Träger dieser Taten zum ersten Mal selbst in Erschei­nung getre­ten“. Kein „harmlose[r] deutsche[r] Volks­ge­nos­se“, kein Schwei­zer und auch kein Auslands­deut­scher habe sich dafür „dingen“ lassen: „Wir begrei­fen die Kampf­an­sa­ge, und wir nehmen sie auf!“
Diese pompö­se Trauer­fei­er­lich­keit beunru­hig­te die schwei­ze­ri­sche Bevöl­ke­rung. Das Staats­be­gräb­nis machte den Eidge­nos­sen bewusst, welchen hohen Stellen­wert das natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Regime seiner Auslands­or­ga­ni­sa­ti­on beimaß. Nun wurden Stimmen laut, die NSDAP in der Schweiz zu verbie­ten. Am 17. Febru­ar 1936 bestell­te Außen­mi­nis­ter Motta den deutschen Gesand­ten von Weizsä­cker ein, um ihn über das geplan­te Vorge­hen im Voraus zu infor­mie­ren. Einen Tag später wurden die Landes­grup­pen­lei­tung und die Kreis­lei­tun­gen der NSDAP-AO in der Schweiz verbo­ten, aber nicht die NSDAP-AO als solche.
Die deutschen Angrif­fe gegen die Schweiz wegen dieses Vorge­hens verfehl­ten jedoch ihre Wirkung nicht: Die bereits seit 1934 einge­schränk­te Presse­frei­heit wurde weiter beschnit­ten. Zudem warnten schwei­ze­ri­sche Politi­ker schon in der Bundes­rats­sit­zung vom 6. Febru­ar, „dass wir vor einer wahren Juden­in­va­si­on stehen und mit aller Energie bei der Ertei­lung von Einrei­se­be­wil­li­gun­gen Zurück­hal­tung üben müssen“. Für einen weite­ren Redner zeigte der Mord an Gustloff, „wie sehr wir mit der Gewäh­rung des Asylrechts und der Einrei­se­er­laub­nis und der Gestat­tung der Nieder­las­sung für Auslän­der vorsich­tig und zurück­hal­tend sein müssen“.

4. Ankla­ge

Der Straf­an­trag des Amtsan­klä­gers laute­te: „1. David Frank­fur­ter sei des Mordes, began­gen an Wilhelm Gustloff, schul­dig zu erklä­ren; 2. Er sei dafür zu bestra­fen mit 18 Jahren Zucht­haus, Einstel­lung in den bürger­li­chen Ehren und Rechten und lebens­läng­li­cher Landes­ver­wei­sung; 3. David Frank­fur­ter sei grund­sätz­lich pflich­tig zu erklä­ren, den durch den began­ge­nen Mord entstan­de­nen Schaden zu erset­zen; 4. Die bei der Tat verwen­de­te Waffe sei zu konfis­zie­ren; 5. David Frank­fur­ter habe sämtli­che Untersuchungs‑, Gerichts- und Straf­voll­zugs­kos­ten zu tragen.“ (Quelle)
Für Staats­an­walt Brügger war kein politi­scher Hinter­grund gegeben. Frank­fur­ter habe nicht wegen der Juden­ver­fol­gung im „Dritten Reich“ gemor­det, sondern aus persön­li­chen Gründen. Auch sei die volle Zurech­nungs­fä­hig­keit durch den Gutach­ter bestä­tigt worden.

5. Vertei­di­gung

Als Vertei­di­ger Frank­fur­ters musste Curti die Inter­es­sen des Angeklag­ten, seiner Unter­stüt­zer, der Familie Frank­fur­ter sowie der Schwei­zer Israe­li­ti­schen Gemein­de berück­sich­ti­gen. Da Frank­fur­ter angege­ben hatte, durch die Politik des „Dritten Reiches“ zu seiner Tat motiviert worden zu sein, versuch­ten die Rechts­an­wäl­te Curti und Wyler, den Unrechts­cha­rak­ter des natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Regimes aufzu­zei­gen. Des Weite­ren sollten die politi­schen Tätig­kei­ten von Gustloff unter­sucht werden; ein frühe­res Verbot für Gustloff, den Kanton St. Gallen zu betre­ten sowie die Nicht­durch­füh­rung dieses Beschlus­ses sollten Licht in die Bezie­hung zwischen den schwei­ze­ri­schen Behör­den und der NS-Partei­ver­tre­tung in der Schweiz bringen. In seiner Vertei­di­gungs­re­de, die einen Verhand­lungs­tag in Anspruch nahm, stell­te Curti die Aktivi­tä­ten von Gustloff und der AO der NSDAP dar sowie die Situa­ti­on im „Dritten Reich“ und des Weite­ren las er die Zeugen­aus­sa­gen vor, da diese nicht persön­lich zugelas­sen worden waren. Curti versuch­te, über Straf­mil­de­rungs­grün­de, die politi­schen Aspek­te der Tat, die fehlen­den Vorstra­fen sowie die Krank­heit des Angeklag­ten, das Gericht zur Verur­tei­lung wegen Totschlags zu bewegen. Die zivil­recht­li­chen Ansprü­che der Witwe Gustloffs sollten auch auf dem Zivil­rechts­weg, wie üblich, geltend gemacht werden.

6. Zivil­par­tei: Witwe Gustloff

Auf deutscher Seite standen zwei Männer im Mittel­punkt des Gesche­hens, die unter Leitung des Propa­gan­da­mi­nis­te­ri­ums, den Prozess für antise­mi­ti­sche Propa­gan­da instru­men­ta­li­sie­ren sollten. Hebel für diese Aktivi­tä­ten war die Vertre­tung der zivil­recht­li­chen Ansprü­che der Witwe Hedwig Gustloff durch Anwäl­te des NS-Regimes. Die Verschwö­rungs­theo­re­ti­ker des Goebbels-Minis­te­ri­ums began­nen, Frank­fur­ter als einen Agenten eines jüdischen oder kommu­nis­ti­schen Mordkom­plot­tes darzustellen.
Wolfgang Diewer­ge war Goebbels Mann für die Propa­gan­da. Bereits am 18. Febru­ar 1936 verlang­te er vom Auswär­ti­gen Amt Materi­al zu dem Atten­tat und der Situa­ti­on der NS-Landes­grup­pe in der Schweiz, um eine Broschü­re zum Thema zu erstel­len. Die Broschü­re erschien im April 1936 im Hausver­lag der NSDAP unter dem Titel „Der Fall Gustloff: Vorge­schich­te und Hinter­grün­de der Bluttat von Davos“. Sie hatte zum Ziel, die Schuld am Atten­tat einer­seits der Schwei­zer Politik und der kriti­schen Bericht­erstat­tung der Schwei­zer Presse, anderer­seits einer „jüdisch-bolsche­wis­ti­schen Verschwö­rung“ in die Schuhe zu schie­ben, deren Agent Frank­fur­ter angeb­lich gewesen sei.
Neben dem Nachweis, dass der Mord an Gustloff vermeint­lich Produkt einer jüdischen Verschwö­rung war, diente die Prozess­vor­be­rei­tung den Natio­nal­so­zia­lis­ten insbe­son­de­re einem Ziel: Der Zulas­sung Fried­rich Grimms als deutschem Prozess­ver­tre­ter. Fried­rich Grimm war Rechts­an­walt in Essen und außer­plan­mä­ßi­ger Profes­sor an der Juris­ti­schen Fakul­tät der Westfä­li­schen Wilhelms-Univer­si­tät Münster. Grimm hatte sich u.a. mit dem Versail­ler Vertrag befasst und war als Exper­te der inter­na­tio­na­len Rechts­be­zie­hun­gen 1932 mit Hitler zusam­men­ge­trof­fen. Bekannt wurde Grimm in den 1920er-Jahre als Prozess­ver­tre­ter der sog. Fememör­der, die als Mitglie­der illega­ler Einhei­ten der sog. Schwar­zen Reichs­wehr vermeint­li­che Verrä­ter und Spione in Selbst­jus­tiz ermor­de­ten. Grimm hatte die Mordpro­zes­se bis zum Reichs­ge­richt betrie­ben und in seiner Vertei­di­gungs­stra­te­gie, diese Taten aufgrund der krisen­haf­ten Situa­ti­on 1923 im Deutschen Reich durch die Ruhrge­biets­be­set­zung als sog. Staats­not­hil­fe, überge­setz­li­chen Notstand oder als recht­fer­ti­gen­de Pflicht­kol­li­si­on zu recht­fer­ti­gen bzw. zu entschul­di­gen versucht.
Die Witwe Gustloffs sollte mit Hilfe Grimms und seinem schwei­ze­ri­schen Partner Werner Ursprung ihre zivil­recht­li­chen Ansprü­che gegen den Atten­tä­ter ihres Mannes geltend machen. Das Straf­ge­setz­buch Graubün­dens war sehr fragmen­ta­risch – erst 1938 wurde in der Schweiz das Straf­recht kodifi­ziert -, so dass dies eine Möglich­keit war, um in den Prozess einzu­grei­fen. Die Zulas­sung eines Prozess­ver­tre­ters der Zivil­par­tei lag im freien Ermes­sen des Gerichts.
Grimm erwar­te­te eine Propa­gan­da­schlacht der Gegen­sei­te. Der deutsche Rechts­an­walt rechne­te damit, dass Fememor­de, Konzen­tra­ti­ons­la­ger, Nieder­schla­gung der Verfah­ren gegen straf­fäl­li­ge Natio­nal­so­zia­lis­ten, die Zustän­de im deutschen Straf­voll­zug und Verherr­li­chung des politi­schen Mordes durch die Nazis zur Sprache kommen würden. Deshalb versuch­te er sicher­zu­stel­len, dass diese Erörte­run­gen in der mündli­chen Verhand­lung nicht zugelas­sen werden; ansons­ten wollte er, als Vertre­ter einer Zivil­par­tei, auch zu diesen Themen sprechen. Ende Oktober berich­te­te Ursprung über die Beweis­an­trä­ge Curtis. Dieser habe zunächst „45 Verord­nun­gen über Massnah­men gegen die Juden“ aufge­lis­tet und ergehe sich in „einer Schimp­fe­rei über die antise­mi­ti­sche Bewegung in Deutsch­land“. Zusätz­lich hatte Curti verschie­de­ne Bücher benannt. Neben Hitlers „Mein Kampf“ und Goebbels „Der Naziso­zi“ zählten dazu verschie­de­ne Publi­ka­tio­nen über Konzen­tra­ti­ons­la­ger im „Dritten Reich“, beispiels­wei­se Walter Hornungs „Dachau“ oder Otto Stras­sers „Die deutsche Bartholomäusnacht“.
Grimm selbst reich­te verschie­de­ne Beweis­mit­tel ein, darun­ter drei Schrif­ten von ihm, eine Photo­gra­phie von Gustloff, ein Rundschrei­ben von Gustloff bezüg­lich der Richt­li­ni­en für das Verhal­ten der Mitglie­der der NSDAP sowie eine Erklä­rung von Rudolf Hess über das Verhält­nis zwischen dem Deutschen Reich und der Schweiz.
In seiner Privat­kla­ge beantrag­te Grimm schließ­lich, „a) den Angeklag­ten David Frank­fur­ter […] für schul­dig zu erklä­ren, der Zivil­klä­ge­rin gemäss Art. 45 des Schwei­ze­ri­schen Zivil­ge­setz­bu­ches für allen Schaden Ersatz zu leisten, den sie durch die Tötung ihres Versor­gers erlit­ten hat, und demge­mäß an die Zivil­klä­ge­rin zu Händen der Deutschen Heilstät­te in Davos einen Betrag von mindes­tens … Schwei­zer Franken zu zahlen; b) gemäss Art. 47 des Schwei­ze­ri­schen Zivil­ge­setz­bu­ches an die Zivil­klä­ge­rin, zu Händen der Deutschen Heilstät­te in Davos, als Genug­tu­ung eine angemes­se­ne Geldsum­me zu zahlen, die das Gericht unter Würdi­gung der beson­de­ren Umstän­de festset­zen möge, wobei das Gericht unter Berück­sich­ti­gung der Höhe des der Zivil­klä­ge­rin zugefüg­ten Unrech­tes den Betrag der Genug­tu­ung auf mindes­tens 20.000 Schwei­zer Franken bemes­sen möge“.

7. Der Prozess

Am 9. Dezem­ber 1936 begann der Prozess. 250 Zuschau­er fanden im Versamm­lungs­saal des „Großen Rates“ Platz. 150 Journa­lis­ten aus aller Welt waren angereist, darun­ter 24 Bericht­erstat­ter aus dem deutschen Reich.
Der Prozess dauer­te vier Verhand­lungs­ta­ge, und zwar vom 9. bis zum 14. Dezem­ber 1936. Am letzten Tag sollte nur noch das Urteil verkün­det werden. Am Nachmit­tag des ersten Verhand­lungs­ta­ges verlas Anklä­ger Fried­rich Brügger fast drei Stunden lang die Ankla­ge. Er liefer­te eine objek­ti­ve Nacher­zäh­lung des Tather­gan­ges und lag damit auf der Linie der schwei­ze­ri­schen Justiz und Politik. Brügger war sich sicher, dass Frank­fur­ter nicht durch die Situa­ti­on der jüdischen Bevöl­ke­rung im „Dritten Reich“ zur Tat bewegt worden sei. Diese These sei nur eine nachträg­li­che Legiti­ma­ti­on seiner Tötungs­hand­lung. Brügger führte aus: „Das ist nichts als eine Konstruk­ti­on. Das Schick­sal der Juden in Deutsch­land hat ihn nicht mehr berührt als andere intel­lek­tu­el­le Stammes­ge­nos­sen. Er wusste darüber nicht mehr, als er in schwei­ze­ri­schen bürger­li­chen Zeitschrif­ten las. Selbst die Juden­ge­setz­ge­bung war ihm nur spärlich bekannt“. Des Weite­ren war der Amtsklä­ger überzeugt, dass es keine Hinwei­se auf eine Verschwö­rung, auf Hinter­män­ner oder einen Komplott gäbe. Frank­fur­ter war ein Einzel­tä­ter. Es läge zwar ganz klar ein Mord im Sinne des bündne­ri­schen Straf­rechts vor, aber ein politi­scher Mord, der ggf. als mildern­der Umstand anzufüh­ren wäre, war nach Brügger nicht gegeben.
Einen vielbe­ach­te­ten Auftritt hatte die Witwe Hedwig Gustloff, die als einzi­ge Zeugin geladen war. Als sie mit verschlei­er­tem Gesicht den Saal betrat, sprang die deutsche Delega­ti­on mit gereck­tem rechten Arm auf und – was völlig ungewöhn­lich war – auch der Vorsit­zen­de Richter erhob sich zum Gruß. Dieses Verhal­ten wurde ihm als Verbeu­gung vor dem Dritten Reich verübelt.
In seiner Vertei­di­gungs­re­de, die andert­halb Verhand­lungs­ta­ge in Anspruch nahm, schil­der­te Curti die Aktivi­tä­ten von Gustloff und der AO, der NSDAP sowie die Situa­ti­on im „Dritten Reich“. Des Weite­ren las er die Aussa­gen von solchen Perso­nen vor, die nicht als Zeugen zugelas­sen worden waren. Das Materi­al war vom Team um Veit Wyler zusam­men­ge­stellt worden. Diese sorgfäl­tig zusam­men­ge­stell­te „Dokumen­ten­samm­lung über die Entrech­tung, Ächtung und Vernich­tung der Juden unter der Regie­rung Hitlers“ führte dazu, dass Fried­rich Grimm und weite­re Delegier­te der deutschen Gesandt­schaft den Saal verlie­ßen. Die „Bündner Zeitung“ kommen­tier­te: „Nun folgen unglaub­li­che Einzel­hei­ten aus Konzen­tra­ti­ons­la­gern, die nieder­zu­schrei­ben sich die Feder sträubt.“
Curti zitier­te aus „Mein Kampf“ und dem Partei­pro­gramm der NSDAP. Er stell­te die antise­mi­ti­sche Gesetz­ge­bung der Berli­ner Macht­ha­ber dar und beschrieb die Situa­ti­on der jüdischen Deutschen unter dem Haken­kreuz; er zitier­te Passa­gen aus dem „Stürmer“ und zeigte Karika­tu­ren aus dem Hetzblatt; er las aus Romanen der Exilli­te­ra­tur vor, welche die Folter und Qualen in den Konzen­tra­ti­ons­la­gern schil­der­ten. Die stunden­lan­gen Verle­sun­gen machten es aller­dings den Zuhörern schwer, Curti zu folgen. Den Vorsit­zen­den Richter Ganzo­ni ärger­ten die politi­schen Ausfüh­run­gen, da eine neutra­le und unpoli­ti­sche Gerichts­ver­hand­lung von Seiten der Schwei­zer geplant war. Curti hatte zu Beginn seines Plädoy­ers verspro­chen, den Sachver­halt mit ruhiger Sachlich­keit vorzu­tra­gen. Er versuch­te, das Gericht zur Verur­tei­lung wegen bloßen Totschlags zu bewegen, indem er als Straf­mil­de­rungs­grün­de auf die politi­schen Aspek­te der Tat, die fehlen­den Vorstra­fen sowie die Krank­heit des Angeklag­ten abhob. Die zivil­recht­li­chen Ansprü­che sollten, wie üblich, geltend gemacht werden. Der psych­ia­tri­sche Sachver­stän­di­ge Josef Jörger kam zu dem Schluss, dass Frank­fur­ter aufgrund der psychi­schen und physi­schen Einschrän­kun­gen nicht in der Lage war, seine Lebens­zie­le zu errei­chen. Er sei in eine reakti­ve Depres­si­on verfal­len. Ende 1935 seien seine Selbst­mord­ge­dan­ken durch die Situa­ti­on der Juden im Deutschen Reich abgelenkt worden, so dass es statt zu einem Suizid zu einem politi­schen Mord gekom­men sei. Aus diesen Gründen liege eine gewis­se Einschrän­kung der Vorwerf­bar­keit vor.
Darauf begrün­de­te Werner Ursprung die Ansprü­che der Zivil­par­tei in Höhe von fast 100.000 Franken.
Ebenfalls für die Zivil­par­tei sprach danach 35 Minuten lang Fried­rich Grimm, dem ursprüng­lich eine Viertel­stun­de zugestan­den worden war. „Politi­scher Mord bleibt Mord“ und „Prof. Dr. Grimm rechnet ab“, so titel­te am nächs­ten Tag der Völki­sche Beobach­ter. Die Rede hatte Grimm zuvor Hitler persön­lich vorge­tra­gen. Grimm wurde vom Vertei­di­ger der Fememör­der zum Anklä­ger des „politi­schen Mordes“ von David Frank­fur­ter. Die Vertei­di­gung, so Grimm, habe den Prozess missbraucht, um ihn zu politi­sie­ren. Die Emigran­ten­li­te­ra­tur über Konzen­tra­ti­ons­la­ger und Verfol­gung im „Dritten Reich“ sei auf so niedri­gem Niveau, „dass es uns nicht an die Schuh­soh­len heran­reicht“. „Die Juden­fra­ge“, so Grimm, „und ihre Behand­lung in Deutsch­land ist ein histo­ri­scher Vorgang von säkula­rer Bedeu­tung“. Sie sei „ein ernstes Problem […], vielleicht das ernstes­te überhaupt […]“. „Selten in der Geschich­te der großen Verbre­chen dürfte es einen Fall gegeben haben, der so kaltblü­tig vorbe­rei­tet, so überlegt ausge­führt worden ist“, posaun­te Grimm. Frank­fur­ter sei ein verbum­mel­ter Student, der überall Schul­den habe, ein Lügner und kaltblü­ti­ger Mörder. „Wie anders Gustloff! Eine makel­lo­se Persön­lich­keit. Er lebt für eine Idee, für den Führer, für Deutsch­land“. Grimm endete pathe­tisch: „Soll uns das Chaos, die Anarchie überren­nen! Meine Herren! Politi­scher Mord ist Mord. Die Stunde ist ernst. Wir können das, was sich hier in Ihren stillen Bergen abgespielt hat, gar nicht ernst genug beurteilen.“

8. Urteil

David Frank­fur­ter wurde zu 18 Jahren Zucht­haus verur­teilt und erst 1945 begna­digt. Acht Monate Unter­su­chungs­haft wurden abgezo­gen. Dazu kamen eine lebens­lan­ge Landes­ver­wei­sung und die Aberken­nung der bürger­li­chen Ehren­rech­te. Die schwei­ze­ri­schen Richter glaub­ten Frank­fur­ter nicht, dass er aufgrund der Juden­po­li­tik des „Dritten Reiches“ gemor­det habe, auch wenn sie die Zustän­de im „Dritten Reich“ streng verur­teil­ten. 1945 erfolg­te dann die Haftent­las­sung Frank­fur­ters durch Gnaden­er­weis, Frank­fur­ter reiste nach Israel aus, wo er im Staats­dienst arbei­te­te und 1982 starb. Seine Landes­ver­wei­sung wurde 1969 aufgehoben.

9. Wirkung

Die Schwei­zer Regie­rung drück­te gegen­über dem deutschen Gesandt­schafts­rat ihr Bedau­ern über die anti-deutschen Ausfüh­run­gen des Frank­fur­ter-Vertei­di­gers Curti aus. Die Schwei­zer befürch­te­ten eine Verschlech­te­rung des Verhält­nis­ses zum aggres­si­ven Nachbarn. Die AO wurde schließ­lich im Frühjahr 1937 in die Gesandt­schaft integriert, Gesandt­schafts­rat und NSDAP-AO-Funktio­när Sigis­mund von Bibra übernahm den Posten Wilhelm Gustloffs.
Gustloff wurde auf einem neuen Ehren­fried­hof in Schwe­rin beigesetzt. Auf die Grabstät­te Gustloffs wurde ein Findling gesetzt, 33 Tonnen schwer und 4,5 Meter hoch. Er trug folgen­de Aufschrift „Gelebt für die Bewegung, gemeu­chelt durch Juda, gestor­ben für Deutsch­land“. Gustloff wurde durch seine Ermor­dung ein häufi­ger NS-Namens­pa­tron. Es wurden Straßen, Indus­trie­an­la­gen und das größte „Kraft durch Freude“-Schiff nach ihm benannt, das am 30. Januar 1945 mit über 9.000 flüch­ten­den Deutschen durch einen sowje­ti­schen Torpe­do in der Ostsee versenkt wurde.
Nach dem Frank­fur­ter-Atten­tat regte Hitler in einer Denkschrift an, den Juden eine Sühneleis­tung aufzu­er­le­gen, womit eine neue Stufe in der Juden­ver­fol­gung erreicht wurde. Reali­siert wurde diese Maßnah­me erst nach der Tötung von Raths im Novem­ber 1938. Ein Atten­tat, das auch wieder­um Prozess­pla­nun­gen gegen das „Welt-Juden­tum“ unter Betei­li­gung des Rechts­an­wal­tes Fried­rich Grimm nach sich zog.

10. Würdi­gung

Die Tat von David Frank­fur­ter führte nicht nur zu einem Mordpro­zess gegen den Atten­tä­ter David Frank­fur­ter, sondern auch das „Dritte Reich“ saß aufgrund seiner verbre­che­ri­schen Politik mit auf der Ankla­ge­bank. Dies beschrieb Hannah Arendt schon im Dezem­ber 1936 in der Zeitschrift „Die neue Weltbüh­ne“ treffend:
„The denun­cia­ti­on of true Nazi inten­ti­ons, the accounts of espio­na­ge under­ta­ken by the NSDAP’s foreign section, the grisly princip­le of sadism as a weltan­schau­ung – whose repre­sen­ta­ti­ve was the slain Nazi leader of Davos and a descrip­ti­on of which set Swiss hearts tremb­ling – these have all made the ‚Frank­fur­ter murder trial‘ fade into the background. Instead, the case before the bar in this Graubün­den Canton courtroom has been: the Gustloff trial. And that trial has been won – much to her own benefit – by Switz­er­land, which will not forget its lessons for a long time to come“.

David Frank­fur­ter spricht auf einer Presse­kon­fe­renz in Tel Aviv, nach seiner Immigra­ti­on nach Israel, 1945, © s.u.

11. Quellen/Literatur/Film

BArchiv, R. 55, Nr. 20999; BArch, ehem. BDC / RK, I 0203 (Perso­nal­ak­te Fried­rich Grimm)
Akten zur deutschen Auswär­ti­gen Politik 1918–1945, Serie C: 1933–1937, Das Dritte Reich: Die ersten Jahre. Band IV, 2., 16. Septem­ber 1935 bis 4. März 1936, Göttin­gen 1975; Akten zur deutschen Auswär­ti­gen Politik 1918–1945, Serie C: 1933–1936, Das Dritte Reich: Die ersten Jahre. Band IV, 2. 26. Mai 1936 bis 31. Oktober 1936, Göttin­gen 1977; Akten zur deutschen Auswär­ti­gen Politik 1918–1945, Serie C: 1933–1937, Das Dritte Reich: Die ersten Jahre. Band VI, 1. 1. Novem­ber 1936 bis 15. März 1937, Göttin­gen 1981; Hannah Arendt, The Gustloff-Trial, in: Jerome Kohn/Ron H. Feldmann (Hg.), Hanna Arendt, The Jewish Writings, New York 2007, S. 38–41; Peter Bollier, 4. Febru­ar 1936. Das Atten­tat auf Wilhelm Gustloff, in: Roland Aeger­ter (Hg.), Politi­sche Atten­ta­te des 20. Jahrhun­dert, Zürich 1999, S. 42–75; Ders., Die NSDAP unter dem Alpen­firn. Geschich­te einer existen­zi­el­len Heraus­for­de­rung für Davos, Graubün­den und die Schweiz, Chur 2016; Wolfgang Diewer­ge, Der Fall Gustloff. Vorge­schich­te und Hinter­grün­de der Bluttat von Davos, München 51936; Ders., „Ein Jude hat geschos­sen…“ Augen­zeu­gen­be­richt vom Mordpro­zeß David Frank­fur­ter, München 1937; Max Domarus, Hitler. Reden und Prokla­ma­tio­nen 1932–1945. Kommen­tiert von einem deutschen Zeitge­nos­sen. Band 1 Triumph. Zweiter Halbband 1935–1938, München 1965; Tobias Engel­sing, Das Hitler­bad, in: Die Zeit, Nr. 4, 18.1.2007; David Frank­fur­ter, I Kill a Nazi Gaulei­ter. Memoir of a Jewish Assas­sin, in: Commen­ta­ry. Febru­ar 1950; Sebas­ti­an Felz, Recht zwischen Wissen­schaft und Politik. Die Rechts- und Staats­wis­sen­schaft­li­che Fakul­tät der Univer­si­tät Münster 1902 bis 1952 (Veröf­fent­li­chun­gen des Univer­si­täts­ar­chivs Münster, Band 10). Münster 2016; Elke Fröhlich (Hg.), Die Tagebü­cher von Joseph Goebbels. Sämtli­che Fragmen­te. Teil I: Aufzeich­nun­gen 1924–1941. Band 3. 1.1.1937 bis 31.12.1939, München u.a. 1987; Armin Fuhrer, Tod in Davos. David Frank­fur­ter und das Atten­tat auf Wilhelm Gustloff (= Reihe Zeitge­schich­ten, Band 9). Metro­pol, Berlin 2012; Ders., Herschel Grynszpan und David Frank­fur­ter. Zwei jüdische Atten­tä­ter im Kampf gegen Hitler in: Barba­ra Zehnpfen­nig (Hg.), Politi­scher Wider­stand. Allge­mei­ne theore­ti­sche Grund­la­gen und prakti­sche Erschei­nungs­for­men in Natio­nal­so­zia­lis­mus und Kommu­nis­mus, Baden-Baden 2017, S. 243 – 264; Fried­rich Grimm, Politi­sche Justiz – Die Krank­heit unserer Zeit, Bonn 1953; Ders., Mit offenem Visier. Aus den Lebens­er­in­ne­run­gen eines deutschen Rechts­an­walts. Als Biogra­phie bearbei­tet von Hermann Schild, Leoni am Starn­ber­ger See 1961; Fried­rich Hartmanns­gru­ber, Einlei­tung, in: Ders. (Bearbei­ter): Die Regie­rung Hitler. Band III: 1936, München 2002 (Akten der Reichs­kanz­lei. Regie­rung Hitler 1933–1945); Otto Kirch­hei­mer, Politi­sche Justiz. Verwen­dung juris­ti­scher Verfah­rens­mög­lich­kei­ten zu politi­schen Zwecken, Neuwied und Berlin 1965 [Englisch zuerst: 1961]; Helmut Kreuzer (Hg.), Der Mord in Davos: Peter O. Chotje­witz: Mord als Kathar­sis und Emil Ludwig: David und Goliath: Der Mord in Davos. Texte zum Atten­tats­fall David Frank­fur­ter, Wilhelm Gustloff, März 1986; Wolf Midden­dorff, Der Fall David Frank­fur­ter. Eine histo­risch-krimi­no­lo­gi­sche Unter­su­chung zum politi­schen Mord, in: Zeitschrift für die gesam­te Straf­rechts­wis­sen­schaft 98 (1977), S. 570–638; Andre­as Saurer, Gustloff-Atten­tä­ter David Frank­fur­ter : Mord in Davos – Prozess in Chur : Eine dokumen­ta­ri­sche Fikti­on, in: Bündner Monats­blatt : Zeitschrift für Bündner Geschich­te, Landes­kun­de und Baukul­tur 1996, 25 – 34. Thomas Willi, Wider­stand: David Frank­fur­ter (1909–1982) – Die deutsche Urfas­sung seines Selbst­zeug­nis­ses zum Atten­tat auf Wilhelm Gustloff, in: Irmfried Garbe (Hg.), Kirche im Profa­nen. Studi­en zum Verhält­nis von Profa­ni­tät und Kirche im 20. Jahrhun­dert. Festschrift für Martin Onnasch zum 65. Geburts­tag, Frank­furt am Main 2009.
Konfron­ta­ti­on, Regie: Rolf Lyssy (Schweiz 1974), 114 Min., sw, 35 mm, D+Dial.

Sebas­ti­an Felz
Oktober 2017

Sebas­ti­an Felz, Histo­ri­ker und Jurist, ist Regie­rungs­rat im Bundes­mi­nis­te­ri­um für Arbeit und Sozia­les. Von 2008 bis 2012 war Felz Mitglied der Kommis­si­on zur Aufar­bei­tung der Geschich­te der Westfä­li­sche Wilhelms-Univer­si­tät Münster im 20. Jahrhun­dert und promo­vier­te mit einer Arbeit zum Thema “Recht zwischen Wissen­schaft und Politik. Die Rechts- und Staats­wis­sen­schaft­li­che Fakul­tät der Univer­si­tät Münster 1902 bis 1952“. Seine aktuells­te Veröf­fent­li­chung: „Das Juden­tum in der Rechts­wis­sen­schaft. Die deutsche Rechts­wis­sen­schaft im Kampf gegen den jüdischen Geist: Eine ‚wissen­schaft­li­che‘ Tagung im Oktober 1936 in Berlin“, in: ZNR 2017, S. 87–98.

Zitier­emp­feh­lung: Felz, Sebas­ti­an: „Der Prozess gegen David Frank­fur­ter, Schweiz 1936“, in: Groenewold/ Ignor / Koch (Hrsg.), Lexikon der Politi­schen Straf­pro­zes­se, https://www.lexikon-der-politischen-strafprozesse.de/glossar/frankfurter-david‑2/ ‎, letzter Zugriff am TT.MM.JJJJ.

Abbil­dung

Verfas­ser und Heraus­ge­ber danken den Rechte­inha­bern für die freund­li­che Überlas­sung der Abbil­dun­gen. Rechte­inha­ber, die wir nicht haben ausfin­dig machen können, mögen sich bitte bei den Heraus­ge­bern melden.

© David Frank­fur­ter, verän­der­te Größe von lexikon-der-politischen-strafprozesse.de, CC0 1.0

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