Babeuf, François Noël
(Gracchus Babeuf)

bearbei­tet von
Ralf Höller

Frank­reich 1797
Verschwörung
Franzö­si­sche Revolution
Frühkommunismus

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Der Prozess gegen Gracchus Babeuf
Frankreich 1797

1. Prozessgeschichte/Prozessbedeutung

Am 10. Mai 1796 infor­mier­te Lazare Carnot, Vorsit­zen­der des Direk­to­ri­ums, den Rat der Fünfhun­dert über eine bevor­ste­hen­de Verschwö­rung am kommen­den Morgen. Das Direk­to­ri­um, eine Art Kabinett, bilde­te zusam­men mit den beiden Parla­ments­kam­mern – neben den Fünfhun­dert gab es einen halb so viele Mitglie­der umfas­sen­den Ältes­ten­rat – die Regie­rung. Carnot malte das „scheuß­li­che Komplott“ in den dunkels­ten Farben aus. Ziel sei es, „die franzö­si­sche Verfas­sung zu stürzen, die Legis­la­ti­ve, die Mitglie­der der Regie­rung, die Armee­füh­rung, alle in Paris ansäs­si­gen Behör­den nieder­zu­met­zeln und diese großar­ti­ge Stadt allge­mei­ner Plünde­rung und einem noch gräss­li­che­ren Massa­ker auszu­lie­fern.“ (Fabre 1832, Bd. 2, S. 5) Carnot vergaß nicht zu betonen, dass sein Direk­to­ri­um über alles im Bilde sei und man die umgehen­de Festnah­me der Umstürz­ler bereits angeord­net habe.

Angeführt wurden die Aufrüh­rer von Gracchus Babeuf, seit dem Ausbruch 1789 begeis­ter­ter Anhän­ger der Revolu­ti­on. Doch ebenso sehr, wie er sich für deren Ziele engagiert hatte, war er vom weite­ren Verlauf enttäuscht. In einem Manifest der Plebe­jer hatte Babeuf gefor­dert, es müssten „nicht nur die Sympto­me, die Begleit­erschei­nun­gen des Elends, sondern die Wirklich­keit, das Elend selbst, ausge­rot­tet werden“ (Gracchus Babeuf, Manifest der Plebe­jer, in Grab, 1973, S. 278), und als Mittel zum Zweck sei Gewalt nicht ausgeschlossen.

Die Beschul­dig­ten wurden noch am selben Tag festge­nom­men. Im Verhör durch Polizei­mi­nis­ter Charles Cochon de Lappa­rent gab Babeuf zu, Urheber sämtli­cher Schrif­ten zu sein, die bei den Durch­su­chun­gen gefun­den wurden. Zunächst war er, wie seine Kompli­zen, im Prison de l’Abbaye inhaf­tiert. Bereits nach drei Tagen wurden die promi­nen­te­ren Häftlin­ge ins abgeschie­de­ne Prison du Temple überführt. Am 27. August erfolg­te ihre Verle­gung ins 172 Kilome­ter von Paris entfern­te Vendô­me. Ein Verbleib in der Haupt­stadt, so fürch­te­te man offen­bar, hätte zu einem Befrei­ungs­ver­such durch Babeufs zahlrei­che Anhän­ger führen können.

Der Trans­port in die südwest­li­che Provinz­stadt nahm drei Tage in Anspruch und fand, unbemerkt von der Öffent­lich­keit, während der Nacht statt. Auch die weite­re Unter­brin­gung der Gefan­ge­nen geschah im Verbor­ge­nen, in Zellen unter dem Gerichts­ge­bäu­de. Zuschau­er waren zur Verhand­lung zugelas­sen, zumal dem Direk­to­ri­um an seiner Außen­dar­stel­lung gelegen war. Eine straf­fe Prozess­füh­rung sollte die Kompe­tenz der Regie­rung unter­strei­chen: Nicht nur, dass sie sich in der Lage zeigte, die Sicher­heit ihrer Bürger jeder­zeit zu gewähr­leis­te­ten. Sie war auch willens, Störver­su­che rigoros zu ahnden. Eine Zehnmei­len­si­cher­heits­zo­ne mit stren­gen Kontrol­len beton­te das martia­li­sche Auftre­ten der Ordnungsmacht.

Der Beginn des Prozes­ses inklu­si­ve Vorbe­rei­tung der Ankla­gen zog sich bis zum 20. Febru­ar des nächs­ten Jahres hin. Vor Gericht erschie­nen 47 Angeklag­te, gegen weite­re 18 wurde in Abwesen­heit verhan­delt. Der Prozess war bis zum 27. Mai 1797 terminiert.

2. Perso­nen

a) Gracchus Babeuf und seine Mitverschwörer

François Noël Babeuf, geboren am 23. Novem­ber 1760 in Saint-Quentin in der Picar­die, wuchs als Sohn eines Tagelöh­ners und einer Dienst­magd in ärmli­chen Verhält­nis­sen auf. Nach einer Lehre als Landver­mes­ser arbei­te­te er als Hausdie­ner auf Schloss Damery im Dépar­te­ment Marne. Dort durfte er frei über die umfang­rei­che Biblio­thek verfü­gen und las die Werke der Aufklä­rer Rousse­au, Mably, Morel­ly und Voltaire.

Das Volks­tri­bu­nal von Gracchus Babeuf, Buchti­tel, © s.u.

Nach der Heirat mit Marie Langlet, einer Kammer­zo­fe, die er auf Damery kennen­ge­lernt hatte, arbei­te­te Babeuf als Landver­mes­ser. Noch vor Ausbruch der Revolu­ti­on verfass­te er ein Pamphlet, Cadas­t­re perpé­tu­el. Darin forder­te er, Grund­stü­cke nach ihrem aktuel­len Markt­wert zu beurtei­len und gemäß ihren Erträ­gen zu besteu­ern. Das allge­mei­ne Steuer­auf­kom­men wäre gestie­gen, fiska­le Privi­le­gi­en für Klerus und Adel aufge­ho­ben. Mit den Mehrein­nah­men wollte Babeuf sozia­le Verbes­se­run­gen finan­zie­ren, etwa eine freie medizi­ni­sche Versor­gung, kosten­lo­se Schul­erzie­hung und eine gebüh­ren­freie Rechtspflege.

Im Sog des Sturzes von Maximi­li­en Robes­pierres begab Babeuf sich nach Paris. Er gründe­te eine Zeitung, Journal de la Liber­té de la Presse, und trat für die Einhal­tung der Menschen- und Bürger­rech­te ein, die er unter der Terror­herr­schaft Robes­pierres verlo­ren­ge­gan­gen und auch nach dessen Tod nicht wieder­her­ge­stellt sah. Später änder­te Babeuf den Titel in Tribun du peuple; eine Reverenz an den von Charlot­te Corday ermor­de­ten Jean-Paul Marat und dessen radika­les Blatt Ami du peuple. Auch seinen bürger­li­chen Vorna­men legte er ab und nannte sich Gracchus, nach den Brüdern Tiberi­us und Gaius, die während der Römischen Republik Volks­tri­bu­nen waren und, obwohl selbst der Nobili­tät angehö­rend, ein popula­res politi­sches Programm verfolg­ten, wozu vor allem der Versuch der Rückfüh­rung priva­ti­sier­ter, ursprüng­lich von der Allge­mein­heit genutz­ten, Acker­flä­chen an Landlo­se und Arme gehörte.

Die Brüder Gracchus, Skulp­tur von Jean-Baptis­te Claude Eugène Guillaume, © s.u.

Mit der Macht­über­nah­me der reaktio­nä­ren Thermi­do­ria­ner und anschlie­ßend des gemäßig­ten Direk­to­ri­ums fürch­te­te Babeuf um den Fortbe­stand der Revolu­ti­on. Er entschied sich, den Kampf für seine Ideale im Unter­grund fortzu­set­zen. Mit seinen Kompli­zen schloss er sich zu einem „gehei­men Direk­to­ri­um des öffent­li­chen Wohles“ zusam­men und berei­te­te den Sturz der Regie­rung vor.

Anfang April 1796 begann der Aufbau einer konspi­ra­ti­ven Organi­sa­ti­on, der Gesell­schaft der Gleichen. In jedem der zwölf Pariser Bezir­ke bilde­ten sich revolu­tio­nä­re Zellen um einen Agenten, der wieder­um vom gehei­men Direk­to­ri­um instru­iert war. Die illega­le Bewaff­nung erfolg­te durch Überläu­fer aus den Reihen der Polizei­legi­on und der für die Regie­rungs­ge­bäu­de zustän­di­gen Wachre­gi­men­ter. Den ursprüng­lich für viel später geplan­ten Zeitpunkt des Losschla­gens sahen die Verschwö­rer gekom­men, als Ende April zwei bereits für ihre Sache gewon­ne­ne Batail­lo­ne der Polizei­legi­on meuter­ten. Der auf einem klandes­ti­nen Vorbe­rei­tungs­tref­fen beschlos­se­ne Aufstands­plan wurde schließ­lich durch einen einge­schleus­ten Spitzel verraten.

François-Noël Babeuf (1760–1797), franzö­si­scher Journa­list und politi­scher Agita­tor, Stich, Künst­ler unbekannt, © s.u.

Zu Babeufs Mitan­ge­klag­ten (komplet­te Auflis­tung in Débats du procès […] contre Drouet, Babeuf et autres, 1966, Bd. 1, S 4f.) gehör­ten unter zahlrei­chen anderen Charles Germain, Augus­tin Alexand­re Darthé und Filip­po (Philip­pe) Buonar­ro­ti, radika­le Jakobi­ner und Mitglie­der des Panthe­on­klubs, dessen Ziel die Einset­zung der fortschritt­li­chen, nach wie vor aber nur auf dem Papier bestehen­den Verfas­sung von 1793 war. Darthé hatte bereits am Sturm auf die Bastil­le teilge­nom­men, Buonar­ro­ti sollte später die Geschich­te der Verschwö­rung der Gleichen schrei­ben. Gegen einen weite­ren berühm­ten Angeklag­ten wurde in Abwesen­heit verhan­delt: Jean-Baptis­te Drouet, Mitglied im Rat der Fünfhun­dert. Seine Immuni­tät war aufge­ho­ben worden, dem Prozess hatte er sich durch Flucht aus der Unter­su­chungs­haft entzogen.

b) Die Verteidigung

Den Angeklag­ten standen sieben Vertei­di­ger zur Verfü­gung. Der profi­lier­tes­te war Pierre-François Réal, ein wende­hal­si­ger Jakobi­ner (Bruhat, 1978). Im Verlauf der Revolu­ti­on hatte er seinen radika­len Ideen abgeschwo­ren und sich dem Direk­to­ri­um angedient. Geför­dert wurde Réal vor allem von Paul Barras, einem frühe­ren Adligen im Ruf eines politi­schen Überle­bens­künst­lers, der während der Revolu­ti­on mehrfach die Seiten gewech­selt hatte und als einzi­ges Mitglied des Direk­to­ri­ums bis zum Staats­streich Bonapar­tes durchhielt.

Von den Vertei­di­gern sind im Proto­koll allein die Nachna­men vermerkt. Réals Kolle­gen hießen Bally­er (Vater und Sohn), Cathe­ri­net, Morard, Jeaume und Laffeu­te­rie (Débats du procès […] contre Drouet, Babeuf et autres, 1966, Bd. 1, S. 4).

Babeuf hatte als Vertei­di­ger Pierre-Nicolas Hésine benannt. Das Gericht lehnte sein Gesuch ab. Bis zu seiner Abberu­fung im Juni 1796 war Hésine commis­saire exécu­tif der Gemein­de- und Kantons­ver­wal­tung von Vendô­me, ein offizi­el­ler Prozess­be­ob­ach­ter, der vor dem Urteil der Jury noch einmal den Verlauf zusam­men­fass­te und zu Details befragt werden konnte. Hésine war Partei­gän­ger Babeufs und verfass­te ein eigenes Proto­koll des Prozes­ses (Hésine , 1966).

Buonar­ro­ti erwähnt die Vertei­di­gung in seiner Darstel­lung ein einzi­ges Mal: „Es waren mehre­re Vertei­di­ger da. Sie verlän­ger­ten die Verhand­lun­gen durch die zahlrei­chen Schwie­rig­kei­ten, die sie erhoben, und wider­spra­chen oft den Ansich­ten der Angeklag­ten, deren Absich­ten sie niemals zu recht­fer­ti­gen wagten.“(Buonarroti, 1909, S. 278) Zumin­dest den beiden Bally­ers wird die Vertei­di­gung eine Herzens­an­ge­le­gen­heit gewesen sein. Sie waren eng mit Hésine befreun­det, der Jünge­re galt (anders als Réal) als konse­quen­ter Jakobi­ner, und alle drei sollten auch ein Viertel­jahr­hun­dert nach Ende des Vendô­me-Prozes­ses noch mitein­an­der zusammenarbeiten.

c) Das Gericht

Die Einfüh­rung des Hohen Gerichts­hofs (Haute Cour de justi­ce) war in der 1795er Verfas­sung beschlos­sen worden. Er trat in Vendô­me erstma­lig und anschlie­ßend nie wieder zusammen.

Als Präsi­dent von den Kolle­gen gewählt und mit der Prozess­füh­rung betraut wurde Yves-Marie-Nicolas Gandon. Ihm zur Seite standen vier weite­re Richter: Joseph Coffinhal, Charles Pajon, Étien­ne-Vincent Moreau und Bruno-Phili­bert Audier-Massillon.

Obers­ter Vertre­ter der Ankla­ge (accusa­teur natio­nal) war Staats­an­walt René-Louis-Marie Viellart, als sein Stell­ver­tre­ter fungier­te Nicolas Bailly.

Die Jury bestand aus 16 Geschwo­re­nen. Hinzu kamen vier Beigeord­ne­te und zwei Ersatz­ju­ro­ren. Alle Mitglie­der stamm­ten aus verschie­de­nen Dépar­te­ments und waren von deren jewei­li­gen Versamm­lun­gen nominiert worden. (Auflis­tung der einzel­nen Juroren, in Débats du procès […] contre Drouet, Babeuf et autres, 1966, Bd.1, S. 3 f.)

Erstmals in der Rechts­ge­schich­te wurde ein Prozess komplett von Anfang bis Ende proto­kol­liert. Gegen die steno­gra­fi­sche Mitschrift legten die Vertei­di­ger Réal und Bally­er Protest ein: Die Steno­gra­fie­rer, gegen die sie persön­lich nichts hätten, seien Angestell­te des Justiz­mi­nis­te­ri­ums und daher nicht unparteiisch.

3. Zeitge­schicht­li­che Einordnung

Die so genann­te Verschwö­rung der Gleichen fiel in die Spätpha­se der Franzö­si­schen Revolu­ti­on. Nach dem Sturz des ancien régime, dem Übergang in eine konsti­tu­tio­nel­le Monar­chie, danach in eine Republik, nach der Hinrich­tung König Ludwigs XV., dem Terror­re­gime Robes­pierres und dem Gegen­ter­ror der Thermi­do­ria­ner hatte mit dem Direk­to­ri­um eine zwar gemäßig­te Regie­rung übernom­men, die ihrer­seits sämtli­che Errun­gen­schaf­ten der Revolu­ti­on wieder rückgän­gig zu machen drohte.

Babeuf hing den Idealen der Revolu­ti­on an, verab­scheu­te jedoch ihre Exzes­se. Bereits in der Anfangs­pha­se urteil­te er angesichts der vielen Hinrich­tun­gen und Folte­run­gen, deren Augen­zeu­ge er in Paris gewor­den war: „Die Herrschen­den haben, anstatt uns zu zivili­sie­ren, Barba­ren aus uns gemacht, weil sie es selber sind.“ (Brief Babeufs an seine Frau, 23. Juli 1789) Entspre­chend zog er, nachdem er sich ein zweites Mal in Paris nieder­ge­las­sen hatte, in seinen Zeitungs­bei­trä­gen gegen den Terror Robes­pierres und die geziel­te Gewalt der Thermi­do­ria­ner zu Felde. Beides ordne­te er als Auswüch­se einer Tyran­nei ein, die es grund­sätz­lich abzuleh­nen galt.

Vollends enttäuscht vom Verlauf der Revolu­ti­on wurde Babeuf durch die Macht­über­nah­me des Direk­to­ri­ums. Die Gemäßig­ten beende­ten zwar die Periode des unmit­tel­bar ausge­üb­ten Terrors, drohten aber die Struk­tu­ren der längst überwun­den geglaub­ten Ära des ancien régime wieder­auf­le­ben zu lassen. Radika­li­siert durch mehre­re Verhaf­tun­gen aufgrund seiner publi­zis­ti­schen Tätig­keit und den Aufstand der Pariser Arbei­ter (der Sanscu­lot­ten), den er im Gefäng­nis erleb­te, begann Babeuf einen neuen Weg einzuschlagen.

Die „Verschwö­rung für die Gleich­heit“ war ein Versuch, die Revolu­ti­on zu retten. Sie hatte eine in Babeufs Augen völlig verkehr­te Richtung einge­schla­gen. Statt weiter mit fortschritt­li­chen Initia­ti­ven und Geset­zen eine Verbes­se­rung der allge­mei­nen Lebens­be­din­gun­gen und eine gerech­te­re Gesell­schaft herbei­zu­füh­ren, schie­nen die neuen Macht­ha­ber in erster Linie bestrebt, eigene Inter­es­sen zu vertre­ten und ihre Pfrün­de zu wahren. Das war im ancien régime nicht anders gewesen.

Babeufs „Gesell­schaft der Gleichen“, eine frühso­zia­lis­ti­sche Utopie, knüpft an Étien­ne-Gabri­el Morel­lys Forde­rung nach Abschaf­fung des Privat­ei­gen­tums und Verge­sell­schaf­tung sämtli­cher Güter an. Recht­li­che Legiti­ma­ti­on soll die Verfas­sung von 1793 sein, ideel­ler Leitfa­den das Natur­recht, das allen den gleichen Anspruch auf das gemei­ne Wohl einräumte.

4. Ankla­ge

„Babeuf, Drouet und die übrigen Betei­lig­ten werden beschul­digt, eine Verschwö­rung gegen die innere Sicher­heit der Republik gelenkt sowie einen Umsturz ihrer Verfas­sung und die Vernich­tung der von ihr geschaf­fe­nen Behör­den geplant zu haben.“ So fasste Staats­an­walt Vieill­art, an die Geschwo­re­nen gewen­det, die Ankla­ge zusam­men. Anschlie­ßend machte er den Juroren klar, dass sie im Wesent­li­chen über zwei Punkte zu entschei­den hatten: „ob es wirklich eine Verschwö­rung mit dem Ziel, die Regie­rung zu zerstö­ren, gegeben hat, und ob sich die diver­sen Angeklag­ten einer solchen schul­dig gemacht haben.“(Débats du procès […] contre Drouet, Babeuf et autres, 1966, Bd. 1, S. 70)

Schon im nächs­ten Satz begibt sich Vieill­art ins Speku­lie­ren, hält sich nicht mehr an Fakten, vermischt seine Inter­pre­ta­ti­on mit den vorlie­gen­den Erkennt­nis­sen der Ermitt­ler. Allen Ernstes behaup­tet er, es sei bereits nach aktuel­lem Stand „unmög­lich zu bezwei­feln, dass es tatsäch­lich eine Verschwö­rung gegeben hat, dass diese Verschwö­rung zum Ziel hatte, die Regie­rung zu zerstö­ren, die recht­mä­ßig einge­setz­ten Autori­tä­ten zu vernich­ten, ein Massa­ker an einer unbegrenz­ten Anzahl Bürger zu verüben und deren Eigen­tum der Plünde­rung zu überlas­sen.“ (Débats du procès […] contre Drouet, Babeuf et autres, 1966, Bd. 1, S. 70)

Keiner der Ankla­ge­ver­tre­ter gab sich Mühe, seine Gesin­nung zu verber­gen. Vieill­art bezich­tig­te die Angeklag­ten, ohne zu diffe­ren­zie­ren, einer Reihe Verge­hen, die sie nach ratio­na­len Gesichts­punk­ten kaum alle began­gen haben konnten – um die Beschul­dig­ten sodann als blutrüns­ti­ge Monster zu darzu­stel­len, wie sie die Mensch­heits­ge­schich­te bis dato nicht gekannt habe. Erklä­ren mochte sich Vieill­art ihr Verhal­ten mit der Bruta­li­tät, die den Verlauf der Revolu­ti­on, angefan­gen mit dem Sturm auf die Bastil­le über Robes­pierres Schre­ckens­herr­schaft bis hin zum thermi­do­ria­ni­schen Gegen­ter­ror geprägt, hatte.

Kolle­ge Bailly schlägt in diesel­be Kerbe: „Frank­reich ist müde, von einer Revolu­ti­on in die nächs­te zu geraten“ (Débats du procès […] contre Drouet, Babeuf et autres, 1966, Bd. 4, S. 4), und lobt gleich darauf die Verfas­sung von 1795, die dem Chaos ein Ende berei­tet habe, die aller­dings von den Delin­quen­ten, die weder eine Regie­rung noch eine Republik wollten, pauschal abgelehnt werde.

Im Verlauf des Prozes­ses wurde die ursprüng­li­che Ankla­ge der Verschwö­rung um zwei Anschul­di­gun­gen erwei­tert: Es habe sowohl mündli­che als auch schrift­li­che Bestre­bun­gen gegeben, die Verfas­sung von 1793 wieder­her­zu­stel­len. Auch dies war ein Tatbe­stand, für den das Gesetz die Höchst­stra­fe vorsah.

Die Fakten, wie sie dem Gericht vorla­gen, wurden von den Beschul­dig­ten nicht bestrit­ten. Es gab rund 500 kompro­mit­tie­ren­de Belege. Polizei­agen­ten hatten die Schrift­stü­cke zusam­men­ge­tra­gen, Waffen­la­ger waren entdeckt worden, auch Geldver­ste­cke fanden sich. Wie wacklig sich dennoch die Ankla­ge gestal­te­te, zeigt der Umgang mit dem Haupt­be­las­tungs­zeu­gen: Georges Grisel, ein Armee­of­fi­zier, hatte sich Darthés Vertrau­en erschli­chen und an den Vorbe­rei­tun­gen zum Umsturz teilge­nom­men. Nachdem er in einem Brief Carnot infor­miert und bei einem persön­li­chen Treffen alle Pläne verra­ten hatte, arbei­te­te er zum Schein eine volle Woche weiter mit den Insur­gen­ten zusam­men. Schließ­lich durfte Grisel nicht nur Babeufs Verhaf­tung organi­sie­ren, sondern war selber zugegen, als dieser in seiner klandes­ti­nen Wohnung festge­nom­men wurde.

Der Einwand der Vertei­di­gung, Grisel sei ein Spitzel und Denun­zi­ant und dürfe daher nicht als Zeuge vernom­men werden, wurde von der Ankla­ge mit der spitz­fin­di­gen Begrün­dung zurück­ge­wie­sen, Grisel habe sich nicht unmit­tel­bar an die Polizei, sondern an das Direk­to­ri­ums­mit­glied Carnot gewen­det. Das Gericht folgte dieser Auffassung.

5. Vertei­di­gung

Von den belas­ten­den Schrift­stü­cken hatte allein Babeuf mehr als 100 unter­zeich­net. Während seiner fünftä­gi­gen Verneh­mung gab er alle ihm zur Last geleg­ten Taten zu, wies aber den Vorwurf der geplan­ten Verschwö­rung gegen eine recht­mä­ßig einge­setz­te Regie­rung zurück. Die Regie­rung sei nicht legitim, versetz­te er, ebenso wie die Strei­chung der Verfas­sung von 1793 nicht legitim gewesen sei. Auch die Recht­mä­ßig­keit der Wahl bestritt Babeuf: Das Direk­to­ri­um habe sich das Vertrau­en des Volkes durch bewuss­te Täuschung erschli­chen und versu­che nun mittels der neuen Verfas­sung, seine Herrschaft abzusi­chern. Daraus leite­te Babeuf für sich wie auch für das betro­ge­ne Volk ein Wider­stands­recht ab. „Das ist hier kein Prozess des einzel­nen“, erklär­te er, „es ist der der Republik.“ (Buonar­ro­ti, 1909, S. 289)

Babeufs engster Mitstrei­ter Buonar­ro­ti erläu­tert im Rückblick das Dilem­ma, in dem sich die Haupt­an­ge­klag­ten und vor allem Babeuf befan­den: „Bei ihrer Ankunft in Vendô­me waren sie schon überein­ge­kom­men, auf jeden Wider­stand, auf jede Ausflucht, jede Ableug­nung zu verzich­ten, die Verschwö­rung einzu­ge­ste­hen und sich als einzi­ge Vertei­di­gung darauf zu beschrän­ken, ihre Berech­ti­gung ausein­an­der­zu­set­zen. […] Andere weniger kompro­mit­tier­te und vorsich­ti­ge­re Angeklag­te wurden von diesem Vertei­di­gungs­plan erschreckt und schick­ten sich an, dessen Ausfüh­rung zu verhin­dern.“ (Buonar­ro­ti, 1909, S. 274f.)

Aus Rücksicht­nah­me beschlos­sen Babeuf, Buonar­ro­ti, Germain und andere, die ebenfalls zum harten Kern der Umstürz­ler zählten, bei ihrer einge­schla­ge­nen Linie zu bleiben, die Anschul­di­gung der Verschwö­rung jedoch abzustrei­ten und diese nur noch hypothe­tisch zu recht­fer­ti­gen. Selbst wenn die Geschwo­re­nen sie einer solchen für schul­dig befin­den sollten, sei dies nicht aus böswil­li­gen, egois­ti­schen, sondern aus ehren­haf­ten, idealis­ti­schen Motiven geschehen.

Darthé äußer­te sich nur ein einzi­ges Mal im Verlauf des Verfah­rens, als er wortreich erklär­te, warum er sich als Vertei­di­ger der Ideale der Revolu­ti­on sah und dem Gericht die Berech­ti­gung absprach, über ihn zu urtei­len: stehe doch, das bewei­se die jüngs­te Histo­rie mit allen ihren Volten, das Todes­ur­teil von vornher­ein fest; im Übrigen sei er bereit und sogar froh, das Elend nicht länger miter­le­ben zu müssen und obendrein stolz darauf, als Märty­rer in die Geschich­te einzugehen.

Babeuf nutzte die Verhand­lung, um neben den Gründen für seine Tat seine politi­schen Überzeu­gun­gen offen­zu­le­gen. Dafür gewähr­te ihm das Gericht vier Tage Vorbe­rei­tungs­zeit. Da er ebenso wie Darthé von einem gegen ihn bereits festste­hen­den Todes­ur­teil ausgeht, ist seine Vertei­di­gungs­re­de eher für die Nachwelt als für die Juroren bestimmt. Zehn Stunden nimmt sein Schluss­plä­doy­er in Anspruch, immer wieder zitiert er lange Passa­gen aus seinem Kampf­blatt Tribun du peuple. Ein letztes Mal betont Babeuf, dass es hier keines­wegs um sein persön­li­ches Schick­sal geht: „Dieser Prozeß ist der Prozeß der Franzö­si­schen Revolu­ti­on, von seinem Ausgang hängt das Schick­sal der Republik ab.“ (Babeufs Vertei­di­gungs­re­de, in Scott, 1988, S. 36)

Babeuf warnt vor der Gegen­re­vo­lu­ti­on, die im Begriff sei, das Rad der Geschich­te zurück­zu­dre­hen und, wenn auch nicht zwingend das ancien régime zu reinstal­lie­ren, so doch die Herrschaft der Bourgeoi­sie zu zemen­tie­ren. Er bezich­tigt das Direk­to­ri­um, die Macht usurpiert zu haben und denje­ni­gen, die es sich zur Aufga­be gemacht hätten, das wirkli­che Verbre­chen aufzu­de­cken und öffent­lich darauf hinzu­wei­sen, eine Verschwö­rung anzuhän­gen: „Wer immer die Verhand­lun­gen aufmerk­sam verfolgt hat, wird leicht bemerkt haben, daß es darin weniger um eine wirkli­che Verschwö­rung gegen die jetzi­ge Regie­rung geht als vielmehr um die Verbrei­tung von Grund­sät­zen, die eine gewis­se, die Gesell­schaft beherr­schen­de Schicht als äußerst gefähr­lich erach­tet, weil sie die Privi­le­gi­en, die sie sich anmaß­te, bedrohen.“

Mit der Verfas­sung von 1795 habe das Direk­to­ri­um den „Gesell­schafts­ver­trag gebro­chen“, was wieder­um Babeuf und seine Anhän­ger als Wahrer des Natur­rechts und Hüter der 1793er Verfas­sung in die Pflicht nehme: „Um eine Verlet­zung des Gesell­schafts­ver­trags zu verhin­dern, bedarf es einer Garan­tie. Diese Garan­tie kann nur in dem Recht eines jeden einzel­nen Bürgers bestehen, über Verstö­ße zu wachen, sie allen Mitbür­gern anzuzei­gen, als erster der Unter­drü­ckung zu wider­ste­hen und die anderen zum Wider­stand aufzu­ru­fen.“ (Gracchus Babeuf, Vertei­di­gungs­re­de, S. 32 f.)

6. Urteil

Die Jury mochte der Ankla­ge in den die Verschwö­rung betref­fen­den Punkten nicht folgen: Sie konnte keine böswil­li­gen Motive ausma­chen. Doch erkann­ten 13 von 16 Geschwo­re­nen – für eine Verur­tei­lung war eine Dreivier­tel­mehr­heit notwen­dig – bei neun der Angeklag­ten (von denen zwei flüch­tig waren), einen Versuch in Wort und Schrift, die Verfas­sung von 1793 wieder­her­zu­stel­len. Der Rest wurde freigesprochen.

Für unein­ge­schränkt schul­dig befun­den wurden nur Babeuf und Darthé. Den übrigen sieben, darun­ter Buonar­ro­ti und Germain, gewähr­ten die Juroren mildern­de Umstän­de. Auf diese mildern­den Umstän­de ging das Gericht nicht näher ein. Es gibt auch keine Aufzeich­nun­gen, welcher Geschwo­re­ne wie abgestimmt hat.

Gegen Buonar­ro­ti, Germain und die fünf anwesen­den nicht zum Tode Verur­teil­ten wurden lebens­lan­ge Depor­ta­ti­ons­stra­fen verhängt, die sie auf einer befes­tig­ten Kanal­in­sel vor der Rede von Cherbourg verbüß­ten. In der Folge von Bonapar­tes Putsch kamen sie mit Anbruch des neuen Jahrhun­derts in den Genuss einer Amnestie.

Die Hinrich­tung Babeufs und Darthés wurde am 27. Mai vollzo­gen. Zuvor hatten sie unabhän­gig vonein­an­der versucht, mit einem selbst­ge­bas­tel­ten Messer sich das Leben zu nehmen. Doch das Bemühen um einen selbst­be­stimm­ten Tod schlug fehl. So starben beide unter der Guillo­ti­ne, zuerst Darthé, dann Babeuf.

7. Wirkung

Die Verhand­lung gegen Babeuf und seine Mitan­ge­klag­ten war als Schau­pro­zess insze­niert. Doch weder das Direk­to­ri­um noch das seine Inter­es­sen vertre­ten­de Gericht hatte mit diesem Manöver Erfolg. Alle Bemühun­gen, die Beschul­dig­ten als Terro­ris­ten darzu­stel­len, deren Absicht die Zerstö­rung der staat­li­chen Ordnung war und die bei der Verwirk­li­chung ihres Ziels weder Menschen­le­ben schonen noch eine politisch vernünf­ti­ge Lösung anstre­ben wollten, schlu­gen fehl.

Wie Buonar­ro­ti (die wenn auch nicht immer unvor­ein­ge­nom­me­ne Haupt­quel­le) berich­tet, hatte sich bei der überwie­gend neutra­len Zuschau­er­schar – mit Ausnah­me der Angehö­ri­gen der Angeklag­ten stamm­te der überwie­gen­de Teil aus Vendô­me und Umgebung – nach anfäng­li­cher Skepsis Sympa­thie für die Beschul­dig­ten breit­ge­macht (Buonar­ro­ti, 1909, S. 278 u. 304; Rivia­le, 2001; Birchall, 1997). Vor allem die beiden Anklä­ger, aber auch der vorsit­zen­de Richter Gandon wurden immer wieder mit Unmuts­be­kun­dun­gen bedacht, die mitun­ter tumult­ar­ti­ge Ausma­ße annahmen.

Weder das abschlie­ßen­de Urteil noch die Art, wie es zustan­de gekom­men war, vermoch­te die Erwar­tun­gen des Direk­to­ri­ums zu erfül­len. Zwei Todes­ur­tei­le bei 65 Angeklag­ten waren, aus Sicht der Regie­ren­den, für ein insze­nier­tes Gerichts­ver­fah­ren eine recht kümmer­li­che Ausbeu­te. Nach dem Prozess in Vendô­me trat der Hohe Gerichts­hof nie mehr zusammen.

Ebenso wenig erreicht wurde das politi­sche Ziel des Prozes­ses. Sein Ende führte nicht zu einer Stabi­li­sie­rung der Regie­rung gegen eine wie immer auch gearte­te oder imagi­nier­te Opposi­ti­on. Auch den Nachweis, künfti­ge Insur­rek­tio­nen und Verschwö­run­gen unter Kontrol­le halten zu können, blieben Carnot und seine Amtskol­le­gen schul­dig. Zweiein­halb Jahre nach Babeufs Tod beende­te ein von Napolé­on Bonapar­te nach ähnli­chem Muster wie die Verschwö­rung der Gleichen ausge­führ­ter Staats­streich die Herrschaft des Direktoriums.

8. Würdi­gung

Die Revol­te begriff Babeuf als eine Art Notwehr, an die bestehen­de Verfas­sung hatte er sich nicht mehr gebun­den gefühlt: „Ich sah in dieser Ordnung die Souve­rä­ni­tät des Volkes verkannt: das Recht, zu wählen und gewählt zu werden, ist ausschließ­lich gewis­sen Kasten vorbe­hal­ten. Ich sah die Privi­le­gi­en wieder­auf­le­ben und eine neue, verab­scheu­ungs­wür­di­ge Unter­schei­dung in Aktiv- und Passiv­bür­ger. Ich sah alle Garan­tien der Freiheit vernich­tet: keine echte Presse­frei­heit mehr; keine Versamm­lungs­frei­heit mehr; kein Petiti­ons­recht mehr; kein Bewaff­nungs­recht mehr. […] Ich hatte einen krassen Gegen­satz zu all dem in der Verfas­sung bemerkt, die dieser voran­ge­gan­gen war. Ich habe gesehen, wie die eine vernich­tet und die andere gegen den Willen des Volkes einge­führt wurde.“ (Gracchus Babeuf, Vertei­di­gungs­re­de, S. 50 f.)

Herbert Marcu­se schreibt in seinem Aufsatz über Babeufs Vertei­di­gung, dass dieser sich im Prozess „gegen die Regeln der reprä­sen­ta­ti­ven (parla­men­ta­ri­schen) Demokra­tie auf die direk­te (Volks-)demokratie berief, gegen die (schein­ba­re) Souve­rä­ni­tät des Volkes, auf dessen wahres Inter­es­se.“ (Marcu­se 1988, S. 156) Babeuf unter­stell­te, das Volk sei von der Regie­rung in die Irre gelei­tet worden und habe im Glauben an seine vermeint­li­che Freiheit gegen seine ureige­nen Belan­ge gestimmt. Ein mangel­haft infor­mier­tes, irrege­lei­te­tes und daher nicht mehr souve­rä­nes Volk, so Babeufs Folge­rung, habe sich willen­los in die Knecht­schaft führen lassen, aus der es sich nun selbst wieder befrei­en müsse. Die wahren Inter­es­sen des Volkes, führte Babeuf in seiner letzten Rede noch einmal aus, mit Berufung auf die Aufklä­rer Morel­ly und Mably, seien die der unter­drück­ten Bevöl­ke­rung, der Arbei­ter, der Armen, der Sanscu­lot­ten. „In verschie­de­nen Formen“, meint Marcu­se, „ist diese Konzep­ti­on in allen revolu­tio­nä­ren Bewegun­gen auf dem Konti­nent wirksam und treibend gewesen, von den Jakobi­nern bis zu den Bolsche­wi­ki.“ (Marcu­se 1988, S. 165 f.)

Einen Zusam­men­hang zwischen Babeufs Theorie und Praxis und der Revolu­ti­on der Bolsche­wi­ki stellt auch Albert Soboul her. Als Binde­glied sieht er den Aufstand der Pariser Kommu­ne von 1871 und die Konspi­ra­ti­on eines ihrer Anfüh­rer, Louis-Augus­te Blanqui. Doch erst Buonar­ro­tis weite­re Ausfüh­rung des Babou­vis­mus, also der Lehre Babeufs, habe die Übermitt­lung möglich gemacht. Immer­hin „hatte sich zum ersten Mal die kommu­nis­ti­sche Idee in eine politi­sche Kraft verwan­delt. Daher die Bedeu­tung Babeufs, des Babou­vis­mus und der Verschwö­rung der Gleichen in der Geschich­te des Sozia­lis­mus.“ (Soboul 1988, S. 153)

Jean Bruhat bezwei­felt, dass Blanqui Babeufs Schrif­ten oder Buonar­ro­tis histo­ri­sche Aufar­bei­tung gelesen hat. Auch Ian Birchall vermu­tet, Blanqui habe wenig bis gar nichts über Babeuf und die Verschwö­rung der Gleichen gewusst. Ein direk­ter Einfluss Babeufs auf die politi­sche Theorie und Praxis der Bolsche­wi­ki – nicht einmal Wesen und Organi­sa­ti­on einer Verschwö­rung betref­fend – sei nicht nachzu­wei­sen, von zwei kurso­ri­schen Referen­zen im gesam­ten Werk Lenins einmal abgese­hen. Dennoch könne, so Birchall, Babeuf eine gewis­se Vorläu­fer­schaft Lenins nicht abgespro­chen werden, und auch „Marx und Engels hätten es ohne Babeufs Erbe viel schwe­rer gehabt, das Erreich­te zustan­de zu bringen.“ (Birchall, 1996)

Hans Magnus Enzens­ber­ger spricht Babeuf sowohl die theore­ti­sche als auch die prakti­sche Eignung zu einem Revolu­tio­när ab: „Die Klassen­ge­sell­schaft, gegen die er kämpf­te, konnte Babeuf nicht anders beschrei­ben als durch den Gegen­satz zwischen Arm und Reich. Eine ökono­mi­sche Wissen­schaft, auf die sein Kampf sich hätte stützen können, gab es nicht.“ (Enzber­ger 19973, S. 31) Es gab ja nicht einmal eine ausge­bil­de­te Arbei­ter­klas­se, sieht man von den Pariser Sanscu­lot­ten ab, könnte Enzens­ber­ger entge­gen­ge­hal­ten werden. Selbst wenn man Babeuf allen­falls Rebel­len­sta­tus zugeste­hen mag, hat dieses vermeint­li­che Defizit seinen Einfluss auf (auch sehr viel) späte­re Genera­tio­nen nicht geschmälert.

Babeuf selbst hat immer wieder auf die Bedeu­tung seiner Bewegung für die Nachwelt hinge­wie­sen. „Um so überzeug­ter dürfen wir sein, daß die unpar­tei­ische Geschich­te unser Andenken in ruhmrei­chen Lettern verzeich­nen wird“, heißt es in seiner letzten Rede. „Ich hinter­las­se ihr schrift­li­che Zeugnis­se, von denen jede Zeile beweist, daß ich einzig für die Gerech­tig­keit und das Wohl des Volkes lebte und atmete.“ (Gracchus Babeuf, Vertei­di­gungs­re­de, S. 100) Die Histo­rie der auf die Verschwö­rung der Gleichen folgen­den Aufstän­de, Erhebun­gen und Revol­ten sollte ihm Recht geben – bis in die jüngs­te Zeit hinein.

Als das Mouve­ment des Gilets jaunes, die Protest­be­we­gung der franzö­si­schen Gelbwes­ten, Mitte Novem­ber 2018 eine erste Bilanz ihrer Aktivi­tä­ten zog, stell­te sie der Bericht­erstat­tung ein Zitat von Babeuf voran, aus der Nummer 35 seines Tribun du peuple: „Sie sprechen in der Folge vom Bürger­krieg (…) Als hätten wir ihn nicht schon! Als wäre der Krieg der Reichen gegen die Armen nicht der grausams­te aller Bürgerkriege!“(Gilets jaunes: carnet d´un soulèvement).

9. Quellen/Literatur

Bürger Geschwo­re­ne! Gracchus Babeufs Vertei­di­gungs­re­de vor dem Schwur­ge­richt in Vendô­me, in: Scott, John Antho­ny (Hg.): Gracchus Babeuf, Die Verschwö­rung für die Gleich­heit. Rede über die Legiti­mi­tät des Wider­stands, Hamburg 1988, S. 31–102.

Babeuf, Gracchus: Manifest der Plebe­jer, in: Walter Grab (Hg.): Die Franzö­si­sche Revolu­ti­on. Eine Dokumen­ta­ti­on, München 1973.

Babeuf, Gracchus: Brief an seine Frau vom 23. Juli 1989, in: https://adamante-images-et-reves.over-blog.com/article-lettre-de-babeuf-a-sa-femme-23-juillet-1789–44023349.html (abgeru­fen am 29. Oktober 2019).

Débats du procès instruit par la Haute-cour de justi­ce, contre Drouet, Babeuf et autres. Band 1–4, Paris o. J. Pierre-Nicolas Hésine, Journal de la haute-cour de justi­ce, ou l’Écho des hommes libres, vrais et sensi­bles (Vendô­me 1996/97). Paris 1966.

Gilets jaunes: carnet d’un soulè­ve­ment. https://www.revue-ballast.fr/gilets-jaunes-carnet-dun-soulevement/ (abgeru­fen am 3. Novem­ber 2019

Buonar­ro­ti, Philip­pe: Babeuf und die Verschwö­rung für die Gleich­heit; Stutt­gart 1909.

Bax, Ernest Belfort: The Last Episo­de of the French Revolu­ti­on Being a Histo­ry of Gracchus Babeuf and the Conspi­ra­cy of the Equals; London 1911.

Birchall, Ian H.: The Spect­re of Babeuf, London 1997

Birchall, Ian H.: The Babeuf Bicen­ten­a­ry: Conspi­ra­cy or Revolu­tio­na­ry Party? (Septem­ber 1996). https://www.marxists.org/history/etol/writers/birchall/1996/xx/babeuf.htm (abgeru­fen am 3. Novem­ber 2019).

Bruhat, Jean: Gracchus Babeuf et les Égaux. Le premier parti commu­nis­te agissant, Paris 1978.

Enzens­ber­ger, Hans Magnus: Gracchus Babeuf, in: Ders. (Hg.): Freisprü­che. Revolu­tio­nä­re vor Gericht, Frank­furt a. M. 1973, S. 7–32.

Fabre, Jean Pierre: histoire secrè­te du Direc­toire, Paris 1832.

Marcu­se, Herbert: Nachden­ken über die Vertei­di­gung Gracchus Babeufs, in: Scott, John Antho­ny (Hg.): Gracchus Babeuf, Die Verschwö­rung für die Gleich­heit. Rede über die Legiti­mi­tät des Wider­stands, Hamburg 1988, S. 155–167.

Rivia­le, Philip­pe: Le procès de Gracchus Babeuf devant la Haute Cour de Vendô­me ou la vertu coupa­ble, Paris 2011.

Hésine, Pierre-Nicolas: Journal de la haute-cour de justi­ce, ou l’Écho des hommes libres, vrais et sensi­bles (Vendô­me 1996/97), Paris 1966.

Soboul, Albert: Babeuf: Erleb­te Erfah­rung und Forde­rung nach sozia­ler Gerech­tig­keit, in: Scott, John Antho­ny (Hg.): Gracchus Babeuf, Die Verschwö­rung für die Gleich­heit. Rede über die Legiti­mi­tät des Wider­stands, Hamburg 1988, S. 127–154.

Ralf Höller
Januar 2020

Ralf Höller ist Histo­ri­ker und freibe­ruf­li­cher Journa­list. Er lebt in Bonn.

Zitier­emp­feh­lung:

Höller, Ralf: „Der Prozess gegen Gracchus Babeuf, Frank­reich 1797“, in: Groenewold/ Ignor / Koch (Hrsg.), Lexikon der Politi­schen Straf­pro­zes­se, https://www.lexikon-der-politischen-strafprozesse.de/glossar/babeuf-francois-noel//, letzter Zugriff am TT.MM.JJJJ. ‎

Abbil­dun­gen

Verfas­ser und Heraus­ge­ber danken den Rechte­inha­bern für die freund­li­che Überlas­sung der Abbil­dun­gen. Rechte­inha­ber, die wir nicht haben ausfin­dig machen können, mögen sich bitte bei den Heraus­ge­bern melden.

© Das Volks­tri­bu­nal von Gracchus Babeuf, Buchti­tel, verän­der­te Größe von lexikon-der-politischen-strafprozesse.de, CC0 1.0

© Die Brüder Gracchus, Skulp­tur von Jean-Baptis­te Claude Eugène Guillaume creator QS:P170,Q2615602, Eugene Guillaume – the Gracchi, verän­der­te Größe von lexikon-der-politischen-strafprozesse.de, CC0 1.0

© Illegi­ble, François-Noël Babeuf, Stich, Künst­ler unbekannt, aus Léonard Gallois, Histoire des journaux et des journa­lis­tes de la révolu­ti­on françai­se, Paris, Bureau de la Socié­té de l’indus­trie frater­nel­le, 1846, verän­der­te Größe von lexikon-der-politischen-strafprozesse.de, CC0 1.0

© Illegi­ble, Gracchus Babeuf Unter­schrift, verän­der­te Größe von lexikon-der-politischen-strafprozesse.de, CC0 1.0

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